Dienstag, 18. August 2020

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul

Nein, ich habe den Titel schon richtig geschrieben.
Es geht nämlich um das Folgende:

Mein Freund Claus bekam vor einigen Jahren von seiner Tante Hilaria eine Kristallvase geschenkt. Nun war es eine schöne Vase, herrlich geschliffen und funkelnd, aber auf eine Art und Weise geschliffen und funkelnd, die eher in eine Wohnung mit Antikmöbeln und Perserteppich gepasst hätte, aber nicht in Claus` Appartement, das eher von modernem japanischem und skandinavischem Design geprägt wird. Nun hatte aber Tante Hilaria schon eine sehr konkrete Vorstellung davon, wo man die Vase hinstellen könnte und genau an diesen Platz stellte sie sie bei ihrem Schenkbesuch auch hin: Den kleinen Tisch im Esszimmer nach einem Entwurf von Toru Shimizu, auf der die Vase wie die Faust aufs Auge passt. Claus nahm nach der Hilaria-Visite natürlich das Kristallding da weg, noch bevor er die Aschenbecher lehrte, die Gläser spülte und die Nüsschen versorgte, und stellte sie in einen Schrank.

Aus diesem Schrank wird sie nun immer hervorgeholt, wenn sich Tantchen ankündigt. Denn da man Tantchen nicht ärgern oder verletzen will, stellt man die Vase halt hin.

Neulich allerdings passierte die Katastrophe: Claus hatte die Wohnungstür offengelassen, um ein wenig Wind durch das Appartement zu jagen, was man bei Temperaturen bis 40° ja auch verstehen kann. Plötzlich stand Hilaria im Zimmer, blickte auf den Shimizu-Tisch und ahnte, dass ihr Geschenk immer nur bei ihren Besuchen dastand. Der folgende Krach war fulminant, ehrlich gesagt, der Siebenjährige Krieg war ein Spaziergang daneben, die Varusschlacht eine lockere Episode. Von seiner Tante wird mein Freund so schnell nichts hören, zum Glück ist er Topmanager und auf ein Erbe nicht angewiesen.

So weit, so gut.

Die Frage ist nun, auf welcher Seite stehen Sie? Oder stehen Sie auf beiden ein bisschen? Lassen Sie sich eines gesagt sein:
Wenn Sie nur ein Fünkchen Verständnis für die Tante haben, wenn Sie ein wenig, ein Eckchen mit ihr fühlen, wenn Sie nur eine Portion, eine Prise, wenn Sie nur eine Ration, eine Zeile, wenn Sie eine Wenigkeit Empathie haben…
Liegen Sie falsch.

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Oder noch besser:
Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.

Es ist verkehrt, ein Buch zu verschenken und dann jede Woche nachzufragen, ob der andere es schon gelesen hat, weil man unbedingt über den Charakter der Hauptfigur reden will, und dann sauer zu werden, weil der andere das Werk immer noch auf seinem Zu-lesende-Bücher-Stapel hat.
Es ist verkehrt, eine Quiche-Maschine zu verschenken und dann auf die Quiche-Einladung zu warten, denn es scheint ja sonnenklar, dass der Beschenkte irgendwann mit einer solchen Quiche-Einladung kommen wird, und dann hässig zu sein, wenn auch nach zwei Jahren die SMS Freitag Quiche Lorraine bei mir? nicht gekommen ist.
Es ist verkehrt ein Bild zu verschenken und gleich Hammer und Nagel mitzubringen und das Gemälde gleich an die Wand zu befestigen (sic).

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.

Gunda hat das Recht, die Autobiografie der Helene von Mammelsberg (1787–1845) nicht zu lesen, wenn sie sich für die Rokokozeit nicht interessiert.
Fritz hat das Recht, die Quiche-Maschine im Küchenschrank zu verstauen, wenn er selber keine warmen Teigsachen mag.
Ulla hat das Recht, Komposition 56 des Jungkünstlers Viti Botti (*2001) einfach als schlechte Kunst zu empfinden.

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.

Wie löst man nun aber diesen Knoten?
Am besten so: Schenken Sie nur Dinge, von denen Sie wissen, dass der oder die andere sich darüber freut und sie auch gut behandelt.
Eine Nachbarin besah sich neulich meine Wohnung. Am tollsten fand sie meine Pflanzen, und sie hätte unbedingt einen Ableger gewollt, aber nicht vom Papyrus oder meinen Wasserlilien, nein, ausgerechnet von meiner Dieffenbachie (siehe Post vom September 2019). Zum Glück sah sie nicht, dass da zwei kleine Ablegerlein wuchsen und sprach: „Von der da – da gibt es aber leider keine Ableger.“ Ich widersprach ihr nicht.
Warum?
Sie hätte den Ableger in einen viel zu kleinen Topf gesteckt und ihn dann vertrocknen lassen, ich kenne sie, und dann hätte ich mich geärgert und wir hätten Streit bekommen.

Einem verschenkten Gaul schaut man nicht mehr ins Maul.
Vielleicht wird ja auch Tante Hilaria auf den Trichter kommen und bei Claus nachfragen, was für eine Vase ihm gefallen könnte.
Und vielleicht steht dann irgendwann auf dem Japanertischchen eine Vase aus einer dänischen Manufaktur.

 

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