Freitag, 30. August 2013

Warum ist eigentlich kein Wahlkampf???


Grosse Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.
Wenn Weihnachten naht, dann sind allüberall auf den Tannenspitzen goldene Lichtlein, die Supermärkte duften nach künstlichem Lebkuchenaroma und Jingle Bells dröhnt einem in den Ohren. Die Fenster sind mit blinkenden Ketten verziert und die Strassen mit Kunstschnee. Alles scheint einem zuzubrüllen: Die Stille Nacht ist nicht weit...
Wenn eine WM naht, dann laufen die Menschen mit Fanschals rum, in den Zeitung stehen seitenweise die Aufstellungen und Auslosungen, in den Fussgängerzonen werden die Public-Viewing-Bildschirme aufgestellt und in den Supermärkten gibt es kein Bier mehr. Chio verdoppelt die Chipsproduktion und die Nicht-Fussballfans fühlen sich sehr, sehr einsam. Alles scheint einem zuzuflüstern: Diesmal klappt der Elfmeter und die Eigentore werden auch weniger...
Wenn die Bundestagswahl naht…
Aber stopp mal, stopp mal, das tut sie doch! Müsste da nicht – äh, Wahlkampf sein? Wo sind die Stände, die Redner, die Flyer, die Veranstaltungen? Wo sind die Diskussionen, die Propagandisten, die Plakate? Wo sind die alle? Wir müssten doch längst in der heissen Phase sein.
Das Ausbleiben aller Kampagnen ist so offensichtlich, dass in SWR2 das Interview der Woche  mit dem Satz begann: „Herr XY (war irgendein CDU-Politiker), wir befinden uns EIGENTLICH in der letzten Etappe des Wahlkampfes.“ Das Einzige, das wir am letzten Wochenende mitbekommen haben, war, dass ein paar Autonome dem Chef der AfD (Für meine Schweizer Leser: Alternative für Deutschland, die wollen den Euro abschaffen) auf einer Veranstaltung Reizgas ins Gesicht gesprüht haben, und nebenbei ein paar Zuhörern auch. Hier wurde das Wort Wahlkampf wohl etwas zu wörtlich genommen.
Überhaupt merkt man bei den kleinen Parteien noch eher etwas Aktion, denn sie haben ein klares Ziel: Überspringen der 5 Prozent-Hürde. Und das wird für einige noch eine grosse, grosse Zitterpartie. Was aber ist mit den grossen Parteien los?
Zur Klarstellung: Damit meine ich CDU, SPD und GRÜNE. Was hatten Sie denn gedacht? Gut, die FDP ist nicht klein, aber sie schafft es nur in den Bundestag, wenn sie Zweitstimmen von der Union bekommt, und manch ein CDU-Wähler sagt sich: „Ich habe ja nur eine Zweitstimme, ja, wenn ich eine Drittstimme hätte...“
Und sie schafft es bestimmt nicht, wenn sie mit der gleichen Wir-sind-eine-tolle-Mama-Papa-Sohn-Tochter-Standardfamilie wie die NPD wirbt, die Panne wurde aber inzwischen beseitigt.
Also nochmal: Warum wahlkämpfen Angie, Claudi und SuPeerStar nicht? Weil eh alles schon abgemacht ist: Es kommt die erste schwarz-rot-grün-grosse-Koalition.
Was natürlich einen weiteren Reformstau bedeuten wird, aber das ist denen völlig wurscht. Denn jeder Bundespolitiker kann sich zurücklehnen und denken: Warum etwas ändern? MIR geht es doch gut. Nun ja, die Renten, solange die Diäten stimmen. Infrastruktur? Ist doch hier in Berlin ganz OK. Energiewende? Solange im Kanzleramt der Strom aus der Steckdose fliesst, bin ich zufrieden.
Sie glauben mir nicht?
Ich glaube mir auch nicht ganz, aber haben Sie eine andere Erklärung?
Auf jeden Fall macht mir die Sache Angst, so wie wenn die Adventszeit ausfiele oder die WM verschwiegen würde. So sehr ich Jingle Bells hasse, so komisch wäre es doch, es im Dezember nicht zu hören. So uninteressant ich Ballspiele finde, so merkwürdig wäre es doch, wenn nicht eine Fahne zu sehen wäre.
Ich habe das Gefühl, die da an der Spree hecken irgendetwas aus. Was, werden wir nach dem Wahlkampf – oder nach dem Nicht-Wahlkampf  - erfahren.
Aber
sicher
ist
es
nichts
Gutes.  

 

 

Montag, 26. August 2013

Kennen Sie das Wort "Feierabend"?

"Wie schaffst du das eigentlich alles?", fragt mich mein Kumpel Ruedi, "du hast zwei Schulstellen, du hast zwei Ensembles..." "Drei", unterbreche ich, "ich vertrete gerade die Dirigentin des Jubilate-Chors, und bei der Tosca am Theater bin ich auch noch dabei." "Ok, du bloggst einmal die Woche..."
"Zweimal", unterbreche ich. "Du gehst jeden Tag schwimmen, deine Wohnung sieht aus wie eine Meister-Proper-Reklame und dann bist du am Wochenende trotzdem ständig unterwegs..." "Vergiss nicht den Vorstand des Chordirigentenverbandes und das Vierhändigspiel", moniere ich.
Ja, wie schaffe ich das eigentlich? Alles eine Frage der Atemtechnik, sagt der Elefant auf dem Baum bei Gaymann, alles eine Frage der Organisation, sage ich. Und ich gebe Ruedi ein paar Tipps mit auf den Weg:
*Keine unnötigen Termine, Sitzungen, Mails...
*To-do-Listen, die man auch an einem Tag bewältigen kann
*Lust-Prinzip: Hast du zur Arbeit grade Mut/geh frisch daran, dann wird sie gut. (Lebensmotto meiner Oma)
Ruedi beherzigt die Tipps sofort. Er schwänzt seine völlig redundanten Meetings, kürzt die Aufstellungen, die sein Chef ihm auf den Schreibtisch legt und macht Quotes und Protokolle am Samstagabend, dafür legt er am Montag die Füsse auf den Tisch. Nach zwei Wochen ist er von einem Burnout weiter entfernt als Pluto von der Sonne. Ihm wurde gekündigt.
Ich glaube, mein Geheimrezept ist einfach, dass ich SELBER entscheide, plane, einteile und mache. Niemand verheizt mich, ausser ich übernehme das selber. In einer Firma sieht das völlig anders aus.
In einer Geschichte werden dem Bewerber für eine Stelle drei Fragen gestellt:
*Halten Sie es für richtig, dass der Mensch nur zwei Arme, Ohren, Beine etc. hat?
*Wie viele Telefone können Sie gleichzeitig bedienen?
*Was machen Sie nach Feierabend?
Die richtigen Antworten sind:
*Auch vier Arme, Beine... könnten meinem Tatendrang nicht genügen
*Ab 7 fühle ich mich ausgelastet
*Das Wort kenne ich nicht
Vor allem die letzte Antwort riecht förmlich nach Burnout. Der Hammer ist:
Die Story ist von 1956! Fast 60 Jahre alt! (Böll, Es wird etwas geschehen)
Lernen wir eigentlich nichts dazu?
Lernen wir eigentlich überhaupt nichts dazu?
Neulich ist in London ein Praktikant an Überarbeitung gestorben. Die Bank hatte Erholungsphasen so verstanden, dass sie die Mitarbeiter(innen) mit dem Taxi heimfuhr, aber nicht etwa zum Schlafen, sondern für eine Dusche und einen Ristretto. Das Taxi wartete vor der Tür. Ganz zynisch gesprochen, ist natürlich ein toter Mitarbeiter für eine Firma viel praktischer, also könnte man auf die Idee kommen: Wenn du eh schon ein Burnout hast, dann lassen wir keine Krankschreibung zu (viel zu teuer), wir hetzen dich grad in die Grube. Denke ich sarkastisch?
Aber unser Arbeitsleben ist zynisch und sarkastisch. Vor etlicher Zeit wurde die Sklavenhaltung abgeschafft, vor etlicher Zeit wurde die 40 Stunden-Woche eingeführt, vor etlicher Zeit wurden dem Menschen Erholung und Regeneration zugestanden. Irgendwie scheint das nicht für alle zu gelten.
Wie schaffe ICH mein Pensum? Auch, indem ich mal sage: Das geht jetzt nicht auch noch. Das langt jetzt nicht mehr.
Mir genügen zwei Arme und zwei Beine.
Ich kann nur ein Telefon bedienen.
Ich KENNE das Wort Feierabend.
Die Stelle in Wunsiedels Seifenfabrik hätte ich nicht bekommen.
Ich hätte sie aber auch gar nicht gewollt.
Böll hat übrigens noch eine andere Geschichte geschrieben, die Geschichte zur Senkung der Arbeitsmoral, die von dem Fischer, der eben JETZT schon in der Sonne liegt und nicht, wenn er alles erreicht hat. Sie müsste in allen Firmen Pflichtlektüre sein.

Donnerstag, 22. August 2013

Der Kolumnist (in Memoriam Heinz Meier)

Liebe Zuschauer, wir begrüssen heute im Studio einen der bekanntesten Schreiber humorvoller Literatur, Wolfgang Füller.

Interviewer: Herr Füller, Sie sind einer der wichtigsten deutschen Kolumnisten, Glossenschreiber, Satiriker und Humoristen.
Füller: Nein.
I: Sie sehen sich eher als Journalist?
F: Nein.
I: Aber Sie schreiben immerhin für die FAZ, die NZZ, die taz...
F: Nein. Ich bin Fliesenleger.
I: (Aber hier steht, dass Sie...) Herr Füller, wie wird man Fliesenleger?
F: Das ist eine dreijährige Ausbildung, dann hat man den Gesellenbrief.
I: Interessant. Immer wieder wird Ihre Struktur, Ihr Aufbau gelobt. Wie kommen Sie zu Ihrer Form?
F: Äh, erst einmal senkrecht, dann eine Reihe waagrecht, und dann dazwischen. Immer mit Wasserwaage.
I: Wasserwaage. Köstlich. Herr Füller, wie kommen Sie zu der Farbigkeit Ihrer Arbeit, für die man Sie immer wieder so lobt?
F: Die Farbe bestimmt der Kunde, wir haben alles im Angebot, von weiss über bleu oder grunzrot bis zu schwarz.
I: Ah ja. Sie müssen sicher viel lesen. Was lesen Sie zur Zeit?
F: BILD und KICKER.
I: Ich dachte eher an Bücher.
F: Krieg der Killerroboter, von...so ein Amerikaner.
I: Ach. Und die Massenmedien, haben die Einfluss auf Ihre Arbeit?
F: Neulich hatte ein Kunde die Geissens im Fernsehen gesehen und wollte die gleichen Fliesen. Kosteten aber 500 Euro pro Fliese.
I: Herr Füller, eine letzte Frage: Kommt es vor, dass Ihnen nichts einfällt?
F: Einfällt? Fallen soll ja nix. Soll ja alles kleben.
I: Wir danken für dieses Gespräch.

Ich durfte am 22.6. Heinz Meier in der Derniere von Ach was, Loriot im Wallgrabentheater Freiburg noch einmal in der Rolle des Astronauten im Originalsketch sehen. Es war seine letzte Vorstellung. Der grosse Theatermensch, Schauspieler und Komödiant verstarb am 21.7.2013 in Schliengen.

Montag, 19. August 2013

Mitleid mit Grube


O Sancta Mobilitas!
Ich möchte rasen.
Den ganzen Tag renn ich herum.
Ich bin von Amtspflicht ganz aufgeblasen.
Das Wohl der Bahn bringt mich noch um.

So könnte – in Anlehnung an den Bürgermeister van Bett aus Zar und Zimmermann – der Bahnchef Grube singen. Ein Chef der DB hat es auch wirklich nicht leicht und er hat unser höchstes Mitgefühl verdient.
Während seine Mitarbeiter nach Dienstschluss die Beine hochlegen, ein Bierchen kippen und fernsehen, hat so ein Topmanager überhaupt keinen Feierabend, immer gibt es noch E-Mails, Tagungsprotokolle, Unterlagen, die man sichten muss. Er hat auch nie ein richtiges Wochenende, während die Mitarbeiter einen freien Tag vergammeln, muss er vorarbeiten, nacharbeiten, querarbeiten und darf nicht einmal Überstunden aufschreiben, weil er pauschal vergütet wird.
Und jetzt – ich hoffe, Sie haben das mitbekommen – musste der arme Grube seinen Urlaub abbrechen. Er musste vom Meer oder von den Bergen – ich weiss nicht, wo Grube Ferien macht, ich glaube, in der Schweiz, weil man sich da wenigstens auf den ÖV verlassen kann, oder am Wolfgangsee, nee, das war ein anderer – also auf jeden Fall musste er heimreisen, weil seine Stellwerker in den Ferien bleiben. Während die Heinis irgendwo in Tunesien oder in Mallorca in der Sonne rumfläzen, darf der Boss sich nicht weiter  erholen. Die bleiben einfach am Urlaubsort, obwohl Grube sie ja noch persönlich angerufen hat!
Wo bleibt denn da die Fairness? Wo bleibt die Gerechtigkeit? Wo ist da das ausgleichende Moment?
Gut, man könnte sagen, das ausgleichende Moment ist Geld. Aber ich bitte Sie: Geld ist doch auch nicht alles. Knete kann doch die Sorgen und Nöte so eines Bahnchefs auch nicht wirklich wettmachen. Grube verdient nämlich nur doppelt so viel wie ein Stellwerksangestellter. Gut, wenn wir ehrlich sind, muss man noch ein Detail hinzufügen, er verdient am Tag doppelt so viel wie ein Stellwerker im Monat, aber wir wollen uns nicht um Kleinigkeiten streiten. Jedenfalls ist die Besoldung auch nicht so stark, dass sie alle die schlaflosen Nächte aufwiegen würde.
Das Schlimmste sind die Kunden. Was die nicht alles wollen! Sie wollen saubere Züge, sie wollen pünktliche Züge, sie wollen günstige Angebote, sie wollen verständliche Angebote, sie wollen eine Buchhandlung am Bahnhof und Kaffee im Zug. Sie wollen bequem, schnell und gut gelaunt reisen, und er, er, er wird ständig zu Verantwortung gezogen. Und wenn er wieder nicht schlafen kann und sich an die Konzeption Bahn 2020 setzt, dann darf er nicht einmal irgendwo einen Badge durchziehen und die Zeit ein anderes Mal abfeiern! Das gleichen die etlichen Milliönchen im Jahr doch nicht aus!!
So träumt unser Bahnchef, wenn er dann doch einmal schläft, er sei ein Postkutschendirektor im 18.Jahrhundert. Da stopfte man die Reisenden in ein winziges Gefährt, das holpernd und polternd über die Chausseen donnerte, und voll von Fliegen und Staub, durchgerüttelt und durchgeschüttelt waren sie sehr, sehr froh überhaupt am Ziele anzukommen. Hätte Mozart sich über Unpünktlichkeit oder Unbequemlichkeit beschwert? Oder dass es in der Relaisstation schlechten Kaffee gebe?
Mitnichten.
Grube mag Mozart.
Aber er wird hart durchgreifen. Er lässt sich auch nicht mehr alles bieten. Wenn der Chef seinen Urlaub abbricht, dann haben das seine blöden Stellwerker auch zu machen. Die Mainzer Weichensteller sind so gut wie entlassen.
Und so singt er heute unter der Dusche leise vor sich hin:

 Oh, ich bin klug und weise
Und mich betrügt man nicht.
Ja, mich betrügt man sicher nicht.  

 

 

 

 

 

Donnerstag, 15. August 2013

Ich will wieder trotzen


Der kleine Bub im Supermarkt bleibt vor der Eistruhe stehen. Es will jetzt noch ein Magnum mit Rosinen. Die Argumente der Mutter, dass sie in 15 Minuten Mittag ässen, dass es heute schon ein Eis gehabt habe, dass sie jetzt an die Kasse gingen, und so weiter, prallen an dem Kind ab wie Kugeln an einem Panzer. Es will in diesem Moment dieses Eis und wird es mit allen Mitteln durchsetzen. Es greift in die Truhe und hält die Beute fest in der Hand. Die Freiheitsstatue trägt ihre Fackel nicht fester. Als es der Mama dann doch gelingt die Faust aufzubrechen und das Magnum wieder zurückzulegen, fängt das Kind an zu schreien. Ohrenbetäubend. Um dem Ganzen noch mehr Gewicht zu verleihen, wirft es sich noch auf den Boden und nebenbei mit ein paar Dosen. Die Mutter bleibt hart und schleift das inzwischen vor Rotz und Tränen triefende Bündel zur Kasse.
Trotzphase.
Wobei mir gerade die Idee kommt, ob es nicht Rotzphase heissen müsste, wenn ich den Kleinen so anschaue.
An der Kasse tröste ich die Mutter. Meiner Ansicht nach ist die Summe aller Krisen im Leben gleich, das heisst: Wenn man gut trotzt, ist die Pubertät nicht so schlimm; hat man beides nicht ausgelebt, kommt eine richtig eklige Midlife-Crisis. Und hat der Mensch auch diese Rebellion ausgelassen, kommt er Altersstarrsinn. Dann will Opa auch wieder ein Eis, obwohl sein kranker Magen das überhaupt nicht verträgt. Und er wird es stur fordern. Oder Grossvater will seine Marschplatte – wie Opa Hoppenstedt. „Wissen Sie“, sage ich der Mutter, „bei mir war es so. Die Pubertät war harmlos und die Mittellebenskrise fand nicht statt, aber getrotzt habe ich richtig. An jeder Kasse und an jeder roten Ampel. Ich bin meinen Eltern bis heute dankbar, dass sie mich nicht zur Adoption freigegeben haben – oder einfach zum Fenster rausgeworfen.“
Die Frau bedankt sich für mein Verständnis und meine tröstenden Worte. Und verlässt mit ihrem nicht mehr schreienden, aber noch zitternden und bebenden Fritzchen den Laden.
Und plötzlich..
Plötzlich…
Plötzlich beneide ich den Kleinen ganz stark.
Ich will auch wieder trotzen. Ich will mich auch wieder auf den Boden schmeissen und mit den Fäusten auf das Parkett trommeln. Wenn ich mit der Dummheit, der Borniertheit und Falschheit der Welt, mit der Lüge und Schummelei konfrontiert bin, möchte ich auch wieder schreien dürfen und Rotz und Wasser heulen.
Wenn der Verkäufer im Buchsupermarkt behauptet, die Marquise von O. gebe es nicht bei Reclam, nur bei dtv, würde ich gerne anfangen mit Taschenbüchern zu werfen und mit gequetschter Stimme losbrüllen:
„Ich wi-i-ill es aber von Re-e-ecla-a-am!!!! Ree-e-e-clam! Buhuhuhu!“
Entweder holt der Verkäufer die Männer mit der Zwangsjacke oder er schaut noch einmal nach und findet natürlich den gewünschten Text vom gewünschten Verlag – mit Anmerkungen und Werkgeschichte.
Wenn der Beamte am Fahrkartenschalter verkündet, von Leipzig nach Aachen ginge nur über Frankfurt, möchte ich mit dem Fuss aufstampfen und schrill losflennen:
„I-i-i-i-ch wi-i-i-i-ll ü-ü-ü-b-er Ma-a-a-agde-e-e-e- burg!!!!!!!!!!!!!!“
Entweder kommt die Polizei oder man findet doch das Verlangte, samstags sogar in Gestalt eines durchgehenden ICs.
Manch einem Politiker, der sagt, dass
*die Renten sicher sind
*das neue Schwimmbad nur 2 Millionen kostet
*er von der Sache XYX keine Kenntnis hatte
möchte ich ich auf der Brust herumtrommeln und mit rotzerstickter Stimme rufen:
„Du-u-u-u lü-ü-ü-ü-ügst!!!!!!“
Aber ich darf das alles nicht, ich bin 48, aus der Trotzphase raus, ich bin vernünftig, weise, rational, ich muss mich wie ein Erwachsener benehmen.
Aber:
Der Altersstarrsinn kommt ja noch! Da freue ich mich drauf. Mit 90 darf ich dann endlich wieder eklig, stur, starrsinnig, unvernünftig, widerlich und meckerig sein.
Welt, mach dich auf was gefasst!

Montag, 12. August 2013

Niemand will nach Mainz

Diese Aufregung um den Mainzer Hauptbahnhof! Ehrlich gesagt: Viel Lärm um Nichts.
Denn - ganz ehrlich gesprochen - es will ja niemand nach Mainz.
Warum wollen Sie nach Mainz?
Zu der Zwangschunkel-Veranstaltung, bei der Ihnen eine Blaskapelle Tuut - Tuut - Tuut vorspielt, damit Sie wissen, wann Sie lachen müssen? Die inzwischen zu einer reinen Wahlkampfkampagne für die CDU verkommen ist? Keine Angst, bis zu Mainz bleibt Mainz, wie es stinkt und kracht fahren die Züge wieder.
Sie wollen zum Rheingau-Festival um Gidon Kremer oder Lang Lang zu hören? Lassen Sie es bleiben. Das Kremerkonzert überträgt die ARD, und da bekommen Sie die geniale Musik ohne die Schlürfschnaufer von Gidon. Und wenn Sie Klaviermusik mögen, fahren Sie zu Sokolow nach Freiburg, der ist zwar nicht so hübsch wie unser Sonnyboy, spielt aber zehnmal besser Klavier.
Sie wollen in den Mainzer Dom? Dome hat es hunderte in Deutschland, und in Fulda bekommen Sie noch echten Katholizismus, nicht die verwässerte Weichei-Lehmann-Kirche. Ausserdem halten wegen der Berlinumleitung 20 Züge mehr in Fulda. (Vielleicht wäre das die Strategie: Wir fahren einfach da hin, wo die Bahn gerade viel hält.)
Sie wollen an die Mainspitze, den Zusammenfluss von Main und Rhein? Völlig öde, eine langweilige Wiese. Fahren Sie an den Moseleinfluss, an das Deutsche Eck nach Koblenz, da haben Sie eine richtige Terrasse, mit Kaiser Wilhelm, das ist schön, da weht der deutsche Geist noch. Ausserdem weiss ich eh nicht, warum Flussmündungen so spannend sein sollen, haben Sie tausendfach auf der Welt. Ein Fluss, der sich in zwei spalten würde, das wäre mal etwas.
Also: Warum wollen Sie nach Mainz?
Ehrlich gesagt: Es gibt nur zwei Punkte in der Region, zu denen man vielleicht hin muss. Das eine ist Frankfurt City Downtown. Da gehen Sie hin, wenn Sie Geschäfte machen müssen, also um Geld zu scheffeln. Das andere ist der Flughafen. Punkt.
Ich habe in einem Post am 21.5.2012 das Rhein-Main-Gebiet als Zusammenbruchsgebiet bezeichnet und eine Woche später über Rüdesheim gelästert und ich bleibe dabei. Machen Sie einen Bogen um die Region. Seien Sie froh, dass da gerade nichts hinfährt.
Was mich mehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass ein hochbezahltes Management solche Personalengpässe nicht rechtzeitig sieht. Mir wird etwas mulmig, wenn ich mir vorstelle, dass mein Blinddarm ohne Narkose rausgenommen wird, weil die Anästhesisten entweder krank oder in Urlaub sind. Vielleicht muss ich auch den Einbrecher selber niederschlagen, weil die Dame beim Notruf mir mitteilt, zu viele Polizisten hüteten gerade das Bett. Und die Feuerwehr kommt zu Fuss, weil zwar viele Löschleute da sind, aber nicht die, die den Wagen fahren können? Es kann einfach nicht sein, dass Spezialaufgaben von zu wenigen Leuten beherrscht werden. Das ist beunruhigend.
Vielleicht sollte man den Mainzelmännchen mal klar machen, dass sie statt nur rumzualbern einmal sinnvolle Aufgaben übernehmen könnten. So wie die Kölner Kollegen. In Köln würden nämlich längst die Heinzelmännchen im Stellwerk sitzen. Und das wäre gut so, denn nach Köln zu fahren ist ja auch ein verständlicher Wunsch...

Donnerstag, 8. August 2013

Wir alle sind gedopt

Reto ist Geiger und hat es geschafft: Er hat eine Tuttistelle im Tonhalleorchester Zürich bekommen. Gegen alle russische, koreanische und japanische Konkurrenz. Als er den Probenplan bekommt, schluckt er erst einmal trocken: Das erste Konzert beginnt mit der Ouverture zur Verkauften Braut, das ist - für die Laien - so ein bisschen eine Bergetappe der Sinfonischen Literatur. Zu allem Übel wird Reto von Pultnachbar zu Pultnachbar weitergereicht, dass jede und jeder beurteilen kann, ob der Bub die Töne trifft. Die erste Probe übersteht der junge Mann schweissüberströmt, dann merkt er, dass das nicht eine Woche so geht. Reto geht zur Apotheke und kauft Beta-Blocker, die zwar das künstlerische Empfinden lähmen, aber einen total nervenstark machen, und um Kunst geht es für ihn ja nicht, vor allem um präzises Spiel.
Urs ist freier Grafiker und hat es geschafft: Die ZUMDAG hat das Komplettpaket bei ihm bestellt: Neues Logo, neuer Flyer, Internetauftritt, Briefunterlagen usw. Leider brauchte es lange, bis Dr.Stimpfli, sein Ansprechpartner bei der ZUMDAG grünes Licht gab, und dann war Urs eine Woche krank. Nun ist in drei Tagen Abgabetermin. Die erste Nachtschicht geht mit Kaffee, die zweite mit Tee, für die dritte greift Urs nun doch auf das zurück, was viele ihm empfohlen haben: Er zieht sich eine Linie. Nach 10 Minuten fliegen seine Finger wie Wespen über die Tastatur, er ist wie in einem Rausch, er malt, grafikt, speichert, kopiert, er ist völlig hin und weg und zum Abgabetermin fertig. Mit der Arbeit und er auch. Er mailt an Stimpfli und bricht für drei Tage zusammen.
Hans-Ruedi ist Lehrer und hat es nicht geschafft, zumindest nicht letztes Schuljahr. Seine Klasse ging nicht nur über Tisch und Bänke, sondern auch aus dem Fenster und auf einander los. Nun ist am Montag Schulbeginn und Hans-Ruedi hat sich eingedeckt: Literatur, Büromaterial und Valium. Jetzt kann seine Klasse lärmen, es wird ihm nicht mehr so an die Nieren gehen, weil er es leiser hört. Alles wird so ein wenig wie in Watte gepackt sein, der Alltag wird flauschig und weich: Teacher's Little Helpers.
Was ich damit sagen will?
Wir alle sind gedopt, wir rennen die Arztpraxen ein, wir verlangen Aufheller, Abdämpfer, Aufputscher, wir schlucken Valium, Librium, Alpha-, Beta- und Omegablocker, wir schlucken uns in den Schlaf und in den Tag, wir inhalieren, spritzen und reiben, wir sind auf Vitamin X und Spurenelement Y. Wir sind ohne Substanzen nicht mehr lebensfähig.
Und da mokieren wir uns über die Sportler?
Wenn so viele Leute ihren Berufsalltag ohne Mother's Little Helpers nicht mehr schaffen, wie sollen dann Leistungssportler 100m in zwei Sekunden rennen?
Wenn ständig Menschen in Situationen gebracht werden, in denen sie versagen müssten, wie geht es dann noch ohne leistungssteigernde Substanzen?
Die Lösung für die Misere wäre einzig, dass Menschen zugeben können: "Ich bin überfordert." und wir diese Aussage hinnehmen. Die Lösung wäre, dass wir Perfektion bei uns verlangen, aber Nichtperfektes bei anderen hinnehmen.
Wir alle sind gedopt! Ich übrigens auch, wie alle grossen Dichter greife ich zum klassischen Dope der Künstler: Alkohol. Aber während Kollegen da kreativer waren - Schiller hatte faule Äpfel in der Schublade und die Symbolisten waren sämtlich Absintheure, - benutze ich einfach Weisswein (oder Rouge im Winter)
Ich hoffe, dass keine Dopingkontrollen für Blogger eingeführt werden. Das wäre blöd.

Dienstag, 6. August 2013

Ihr gerietet in meine Schusseligkeit

Als ich den Blog startete, versprach ich Ihnen, über meine zahlreichen Tolpatschigkeiten, meine Pleiten, Pech und Pannen zu schreiben.
Aber irgendwie sind diese in letzter Zeit weniger geworden. Ja, die lustigen Dinge scheinen immer anderen Leuten  zu passieren.
Wenn im ICE nach Leipzig drei Chinesinnen den Zugschaffner bestürmen, mit der Abfahrt noch ein wenig zu warten, sie müssten aussteigen, aber eine Tasche hinge fest, wenn dann Li, Lu und Lo das Problem lösen, indem sie den Riemen der Tasche einfach durchschneiden, dann möchte ich rufen: "Wieso ihr? Das ist doch meine Rolle!"
Wenn mein Kumpel sein Bierglas nicht einfach umwirft, sondern es in tausend Einzelteile zerlegt und das Bier nicht nur schwappt, sondern einen Meter hoch in meiner Sporttasche steht, und ich am nächsten Tag nicht nur eine neue Tasche, sondern auch ein neues Portemonnaie kaufe, weil alles nach Gerstensaft stinkt, dann möchte ich rufen:
"Wieso du? Das ist doch meine Rolle!"
Wenn meine Freundin auf der Carreise nach Lyon Rotwein ausschenkt und nicht kontrolliert, ob in den Gläserhaltern auch Gläser sind und der Vino durch das Loch in den Klapptischen auf den Boden fliesst, möchte ich schreien:
"Ich bin das, ich bin der, der die Sauce in das Salatsieb kippt und sich wundert, dass alles tropft, nicht du!"
Woher kommt das, dass ich so seriös geworden bin und das Ungeschick den anderen passiert?
Gut, vielleicht hindert der Gedanke an eine Verpostung das Missgeschick, weil ich mich mehr konzentriere. Wenn ich mit einem vollen Tablett in den Ferien vom Buffet zur Terrasse laufe und denke: "Wenn du jetzt alles fallen liessest, gäbe es einen schönen Post.", dann geschieht eben nichts, weil ich an die mögliche Panne denke. Wenn ich auf eine offene Türe zulaufe und denke: "Wenn das jetzt nicht offen ist, sondern eine Glasscheibe, das gibt einen schönen Post, dann passe ich eben auf und es passiert gar nix.
Aber was ist mit den anderen Leuten?
"Ihr gerietet in mein Sterben", sagt der alternde Künstler in Dürrenmatts Meteor, der sich zum Abscheiden in eine Dachkammer zurückgezogen hat, denn alle, die ihn besuchen, verunglücken irgendwie, er selbst aber darf nicht gehen. Wie ein Meteor scheint er die Menschen um ihn herum ins Verderben zu ziehen.
"Ihr gerietet in meine Schusseligkeit", müsste ich vielleicht auch sagen, wenn um mich herum die Pannen passieren. Also halten Sie Abstand, wenn Sie mich in der Stadt sehen. Sie werden sonst stolpern und ziemlich zerbrechliche Sachen herunterschmeissen.
Neulich - und deshalb erzähle ich die Story - ist mir doch wieder einmal eine schöne Sache gelungen. Bei einer Aufführung der Turandot auf den Domstufen in Erfurt ging ich in der Pause zwei Weisswein holen. Das Gastrozelt war noch schön leer, ich bestellte und sofort standen die Gläser vor mir. Als ich allerdings einen 20 Euro-Schein zückte, wurde die schillernde Flüssigkeit alsobald zurückgezogen und ich darauf hingewiesen, dass ich mich auf einer Privateinladung befände. Also stellte ich mich am normalen Ausschank in die Schlange. "Waren Sie da drin?", fragte der Mann hinter mir. "Ja", sagte ich, "ich hatte sogar schon meinen Wein." "Wow, die schicken sonst jeden sofort raus, das ist das VIP-Zelt der HELABA, der Hessischen Landesbank." Und ich war da einfach reingelatscht, allerdings in sehr gepflegter Kleidung, weisses Sakko, neues Hemd mit passender Krawatte, und in sehr aufrechter Haltung. (Kleider machen Leute! Meine Mutter hat das immer gesagt.) Nur das mit dem Geldschein hätte nicht passieren dürfen. Wenn ich schlagfertig gewesen wäre, hätte ich gesagt: "Ist für Sie." Der Wein hätte dann zwar das doppelte gekostet, aber darum geht es ja dann gar nicht. Oder doch? Jedenfalls sollte man in VIP-Zelten, Lounges Staff only, Privatbereichen, Promieinladungen nicht mit Geldscheinen umeinanderwedeln.
"Daran müssen Sie noch arbeiten", meinte die Dame vor mir, "wenn Sie es wirklich zum Profi-Schnorrer bringen wollen."
Werde ich.
Werde ich.












Freitag, 2. August 2013

Neue Bescheidenheit oder: Es muss nicht immer Kaviar sein

Bei den Erfurter Domstufenfestspielen habe ich mich in den Empfang der HELABA, der Hessischen Landesbank hineingemogelt. Und wenn man dann so am Tischchen steht und ein bisschen die Ohren aufsperrt, kommen einem die interessantesten Dinge zu Ohren.
"Das ist doch auch mal schön, so etwas, und die Karte kostet - erste Kategorie - 70 Euro, das ist doch unglaublich, und die Qualität ist ja echt gut." "Ja, es muss nicht immer Bayreuth oder Salzburg sein." "Die Met und die Scala haben ja auch sehr nachgelassen."
Von einer anderen Ecke scholl es: "Du hast eine neue Wohnung, habe ich gehört, und sehr schön - und preiswert eingerichtet." "Ja, es kommt ja auf den Kontrast an, guck mal, wenn du ein 1A-Parkett hast, dann musst du gewebte Läufer drauflegen, Perser wären hier völlig Overstatement; es müssen auch nicht immer Originale von der ART BASEL sein, ich habe einfach meine Fotos von der letzten Reise von einem Profi rahmen lassen und: Bingo. Und wenn du Designer-Regale hast, kann man auch Nippes reinstellen, es muss nicht immer Swarovski sein, auf den Gegensatz kommt es an."
Dann wieder vom Schampustisch: "Wir gehen jetzt ganz oft in die Aussenquartiere essen, da bekommst du so lecker ein Dreigang für 50 Euro, und wirklich kreativ gekocht, der ganze Nouvelle Cuisine-Mist hängt einem ja ein bisschen zum Hals heraus. Es muss nicht immer Kaviar sein."
Und wieder aus einer anderen Schallquelle: "Weisst du, wo wir diesen Herbst in Ferien gehen? In ein Wellnesshotel - im Odenwald! Mal richtig erholen. Es muss ja nicht immer St. Moritz sein."
Ich bekam das kalte Grausen. Ist die Neue Bescheidenheit in der Chefetage ausgebrochen? Machen jetzt die Reichen und Schönen auf sparsam? Und warum regte mich das Ganze so auf?
Es regte mich auf, weil die Damen und Herren offensichtlich gewisse Dinge nicht mehr präsent hatten: 70 Euro für eine Oper sind für viele Leute auch unerschwinglich. Die schöne Wohnung scheitert daran, dass man eben kein Parkett bekommt, und den Kontrast zwischen Edel und Einfach muss man sich auch leisten können, sonst kontrastiert man Billig mit Superbillig. Für einen Hartz IV-Empfänger ist jedes Auswärtsessen ein ferner Luxus, genauso wie ein Urlaub, es sei denn im Zelt und mit Rucksack.
Wenn behauptet wird, dass man sich einem Normalmass nähert, dann sollte man sich darum kümmern, wo sich eben dieses Normalmass befindet.
Nein, dieses Es-Muss-Nicht-Immer-XY-Gehabe ist Borniertheit pur. Ich finde es sogar ekliger. als zum Luxus zu stehen.
"Es muss nicht immer Kaviar sein" Der Satz ist schlimmer, als zu sagen:
"Für mich muss es eben Kaviar sein."
Aber vielleicht kann man sich solche Sachen auch wieder leisten, wenn man reich, erfolgreich, schön und berühmt ist. Denn die VIP-Gäste der HELABA zahlen natürlich nichts für die Karten der Festspiele (übrigens Turandot), sie werden in der Pause zum Sekt und danach zum Essen eingeladen. Wenn ich so viel geschenkt bekomme, dann habe ich auch wieder Geld für Parkettwohnungen, Dreigänger und Wellness.
Vielleicht ist das der Trick: Werde reich und  berühmt, dann bekommst du wieder alles geschenkt.

P.S. Die Helaba-Story ist (fast) wahr. Dazu in einem anderen Post mehr.