Montag, 30. November 2015

EU-Kommission schlägt Alarm: Kinder können keine Foliensterne mehr

Ich lag verkehrt!
Ich lag kreuzverkehrt!
Die Youngsters können das gar nicht mehr!
Nein!
Heute fand ich folgenden Artikel:

EU-KOMMISSION SCHLÄGT ALARM: KINDER KÖNNEN KEINE STERNE MEHR BASTELN

Ein fröhlicher Vormittag in der Luzerner Spielgruppe GOLDKÄFER . Heute, am Freitag vor dem Ersten Advent ist das Basteln von Goldfoliensternen angesagt. Die beiden Erzieherinnen Regula und Meta haben Tische parat gemacht, auf denen blaue, grüne, rote und violette Folie, Scheren, Lineale und Leim bereitliegen, und nun helfen sie den lieben Kleinen beim Erstellen der Schmückobjekte. Diese sind mit roten Backen und glänzenden Augen bei der Sache. „I mach des so gärn“, sagt Daniel (6) und schneidet mit grosser Konzentration in das schillernde Papier. „Mami hangt’s hyt no an d’Tannezwyg“, so Lucy (5), die mit gleichem Eifer bei der Sache ist.

„Die Kinder tun das sehr gerne“, so Erzieherin Regula, „es entsteht ein einfaches, aber unglaublich schönes Objekt, oder sogar mehrere, die man an die Adventszweige, aber auch ans Fenster hängen kann.“ Und Meta ergänzt: „Und unbemerkt lernen die Kleinen so viel dazu, es hat also auch einen pädagogischen Nutzen. Sie lernen, was ein Quadrat ist, was eine Diagonale ist, sie lernen mit Schere und Leim umzugehen und sich an eine klare Anweisung zu halten.“

Alles wunderbar also?
Mitnichten.

Was die beiden Frühpädagoginnen und natürlich auch die Kinder nicht wissen: Die meisten der gebastelten Weihnachtsobjekte fallen im strengen Standardvergleich durch. In einer PISA-Teilstudie hat die Europäische Kommission für Bastelunterricht kürzlich das Können und Wissen bezüglich Foliensternen getestet und ist zu erschreckenden Ergebnissen gekommen: 75% der Kinder können keine korrekten Sterne mehr herstellen. Kommissionspräsident Jean Lubert (Frankreich) erklärt:

„Wir beurteilen die Exaktheit des Quadrats, die Genauigkeit der Falzung, dann die Einschnittlänge und die Nichtüberlappung der Folie, schliesslich noch den Abstand der Spitzen vom Mittelpunkt. Ja, und natürlich den Abstand der 8 Spitzen untereinander. Die Abweichung von der Norm ergibt dann einen Wert, den man in Prozent ausdrücken kann.“

Die Tabelle der Abweichungswerte zeigt, wie schlecht die Eigenossen im Vergleich mit ihren Nachbarländern dastehen:

 
Quadrat
Falzung
Schnittlänge
Nichtüberlappung
Abstand vom Mittelpunkt
Abstand untereinander
D
5%
10%
5%
7%
20%
15%
AU
3%
15%
8%
12%
21%
17%
F
10%
11%
13%
20%
27%
19%
I
8%
14%
15%
20%
26%
20%
CH
19%
20%
21%
23%
30%
36%

Ein alarmierender Zustand. Das Argument, dass sich Kinder vielleicht noch entwickeln und dass das Foliensternenfalten gar nicht so wichtig sei, wischt Beat Müggli, Sprecher des SVL, des Schweizerischen Verbandes der Lehrlingsbetreuer harsch weg: „Wie sollen Kinder, die im Alter zwischen 4 und 6 bei Weihnachtssternen eine Abweichung von 30% erreichen, in ein paar Jahren eine Lehre beginnen, bei der nur Toleranzen von 2 bis 7 Prozent erlaubt sind? Nein, aus diesen Gestalten werden keine Polymechaniker oder Automatiker. Sie sind für den ersten Arbeitsmarkt unbrauchbar.“

Johanna Durdler, Professorin für Frühpädagogik an der Fachhochschule Zürich, sieht die Ursachen in einer zu frei und zu spielerisch gestalteten Erziehung: „Der 1.Platz der Deutschen zeigt doch wieder einmal, dass in unserem Nachbarland, das aus geborenen Untertanen besteht, einfach präziser gearbeitet wird. Da sagt die Erzieherin halt, dass der Stern schlecht aussieht, weil er nicht nach der Regel erstellt wurde. Bei uns lobt man die Kleinen zu viel für Produkte, die in keinem Fall irgendeiner Norm entsprechen.“

Die Spielgruppe hat ihre Arbeit beendet, räumt auf und setzt sich zum Schlusskreis, bei dem heute „Das isch dr Stärn vo Bethlehem“ gesungen wird. Meta und Regula wünschen ihren Schützlingen einen schönen Nachmittag. Dann ist es auch schon Zeit und die Kleinen werden abgeholt. Mit fröhlichen Gesichtern präsentieren sie ihre Folienweihnachtssterne den Müttern und Vätern: „Lueg, ich ha füüf Stärnli gmacht!“, „Ich ha rooti und grieni.“

Wissen die Eltern, die jetzt loben und strahlen, was für unbrauchbare Dinge sie da gerade in Empfang nehmen?

Wahrscheinlich nicht.

Freitag, 27. November 2015

Brot statt Baumschmuck

Am Sonntag ist der Erste Advent und am Samstag werde ich drangehen, meine Wohnung adventlich zu schmücken. Dies geht relativ unaufwändig: Ein grosses Bündel Tannenzweige, auf drei Vasen verteilt, daran kommt der ganze Schmuck, der sich in den Jahren in ca. 15 Kartons angesammelt hat, was nicht auf die Zweige passt, wird von Regalen baumeln oder ans Fenster gehängt. Einen Adventskranz kaufe ich mir immer erst am Montag nach dem bewussten Tag, da werden die nämlich um 75% herabgesetzt und ich hole dann am Ersten Adventsnachmontag meine Wir-zünden-eine-Kerze-an-Feier nach.

Nun stiess ich neulich auf eine Broschüre eines grossen Kaufhauses, die mich doch ein wenig stutzig machte. Auch hier wurde der Kunde aufgefordert, seiner Wohnung eine adventliche Stimmung, ein vorweihnachtliches Flair zu verleihen, ging es um Licht und Duft und Heimeligkeit und Glanz, aber Licht, Duft, Glanz und Heimeligkeit werden hier nicht unaufwändig, sondern höchstaufwändig erzielt.

Ein kleiner Auszug:

Adventskränze mit Kunstmotivkerzen:
PICASSO                             110.-
VAN GOGH                        190.-
MONDRIAN                       220.-
HUNDERTWASSER          80.-

Randbemerkung: Abgesehen davon, dass die sehr unterschiedlichen Preise einen stutzig machen, ein Hundertwasser-Kranz ist eine Perversion, Hundertwasser, der den beim Bau seiner Häuser entstandenen Aushub auf die Dächer schütten liess, wo die Natur hemmungslos draufloswachsen durfte, würde sich bei der Vorstellung, dass Kerzen mit Motiven von ihm ein Ding aus hingebogenen, vergewaltigten Tannenzweigen zieren, im Grabe herumdrehen.
aber weiter:

Glasengel  klein                             50.-
Glasengel mittel                            60.-
Glasengel gross                             70.-
Glasengel Swarovski  klein         500.-
Glasengel Swarovski mittel        1000.-
Glasengel Swarovski gross         3000.-

Goldtuch handbestickt                450.-
Silbertuch handgestrickt             650.-
Platintuch handgewebt               850.-

Ausgestopftes Rentier                 30 000.-
(dies nur ein kleiner Auszug)

Vor Jahren lancierten CARITAS und BROT FÜR DIE WELT die Aktion Brot statt Böller, die den Leuten nahelegen wollten, die Knete, die sie an Sylvester für Raketen und Feuerwerke, für Böller und Bömbchen ausgeben würden, an die Armen der Welt zu spenden und das Knallen sein zu lassen. Nun hat diese Sylvesterschelte immer etwas Süffisantes. Ich stelle mir vor, wie am 31.12. die Eltern von Malte-Torben (Post vom 22.10.) in Leipzig-Schleussig auf ihrem 30qm-Balkon stehen, Sekt schlürfen und seufzen: „Was da wieder an Geld verpulvert wird, da könnte man ein ganzes Dorf davon ernähren.“ Dass Sie den Finderlohn für Malte-Torbens Schmusetuch – er geht keinen Schritt ohne, you remember? – von sage und schreibe 1000.- auch hätten sparen und spenden können, daran denken Sie nicht. (Auch nicht daran, dass eine Flasche Veganes Bio-Veuve- Clicquot  ein Dorf auch schon ein paar Tage ernährt.)

Nein, warum lancieren CARITAS und BROT FÜR DIE WELT nicht die Aktion
BROT STATT BAUMSCHMUCK
?

Im Prinzip ganz einfach: Verzichten Sie diese Jahr darauf, Weihnachtsdeko zu kaufen und spenden Sie die Penunze an eine Hilfsorganisation.
Nun kommen Sie mir nicht mit Religion. Natürlich ist es witzig, wenn die Pfarrer und Priester, die Diakone und Prediger von den Kanzeln verkünden, man solle keinen Weihnachtsschmuck besorgen. Feiert man, so werden die Leute fragen, nicht die Geburt des HERRN? Aber mal ganz ehrlich: Wer einen PICASSO-Kranz, einen grossen Swarovskiengel , ein Rentier (geht das tierschutzmässig überhaupt??) ersteht, tut das nicht aus Frömmigkeit, sondern aus Kauflust, aus Shoppingsucht, aus Angeberei.

BROT STATT BAUMSCHMUCK
Das wäre etwas.

Nun sollen Ihre Wohnungen natürlich nicht kahl bleiben. Aber kramen Sie doch mal auf dem Estrich, Sie haben sicher wie ich noch ca. 10 Kisten Sternchen, Zweiglein und Nüsslein herumstehen. Und wenn Ihnen das immer noch zu wenig Licht und Duft, Heimeligkeit und Glanz ist, basteln Sie doch wieder einmal selber einen Folienstern.

Wenn Sie vergessen haben, wie es geht:
Anleitungen finden Sie im Internet.
Oder lassen Sie sich es von Ihren Kindern zeigen, die lernen das im Kindergarten.

Dienstag, 24. November 2015

Wir schaffen das



Was sagt der Chorleiter zu seinen Leuten, als man ihn darauf anspricht, dass es schliesslich nur noch fünf Wochen bis zur Aufführung von Händels Messias sei und man gewisse Teile, darunter die nicht so ganz unhappigen Sein Joch ist sanft, Lasst uns brechen ihre Bande  und das Schluss-Amen noch gar nicht geprobt habe. Es gebe zwar noch das Weekend, aber das entspreche einfach vier Proben und man mache sich einfach Sorgen…?

Wir schaffen das.

Was sagt der Lehrer zu seinen Schülern, als sie maulen, dass man den geplanten Zug heim niemals erreichen werde, weil der Weg vom Nubliberger See (OW) zum Bahnhof Nubliberg (OW) ja schlechterdings nicht kürzer sein könne als der Weg von der Station zum Gewässer, und auf dem Hinweg habe man eine Dreiviertelstunde gebraucht, während für den Rückweg nur 20 Minuten blieben…?

Wir schaffen das.

Was sagt der Schreinermeister zum Gesellen, als dieser dezent bemerkt, dass die Annahme der Komplettrevision des Vredespalais in Den Haag zwar ein toller Auftrag sei, das Ganze sei  aber angesichts der Tatsache, dass das Vredespalais die schönstes Intarsien Europas habe und weder der Meister noch der Geselle in den letzten Jahren intarsiert habe (von  den Lehrlingen ganz zu schweigen) ?

Na?
Sie ahnen es:

Wir schaffen das.

Wäre es nicht ehrlicher, wenn der Chorleiter sagen würde: „Leutchen, die Plakate sind gedruckt und die Presse ist informiert und die Programme sind auch schon gemacht, also wir können nicht einmal kürzen, das heisst wir müssen es einfach probieren.“
Wäre es nicht ehrlicher, wenn der Lehrer sagen würde: „Kinder, es wird extrem stressig, aber jetzt machen wir einen Dauerlauf, und vielleicht erwischen wir den Zug noch, und wenn er uns vor der Nase wegfährt, dann spendiere ich am Bahnhof Nubliberg eine Glace.“
Wäre es nicht ehrlicher, der Meister würde bemerken: „Wir haben einen Vertrag und den müssen wir erfüllen. Das heisst in Worten: Noch zwei Gesellen einstellen, sehr viel Überstunden und alles an Intarsienwissen aus den Windungen unserer Gehirne holen, was da irgendwie zu finden ist, immerhin haben wir es ja beide in den Prüfungen gemacht.“

Wir schaffen das.

Ich habe eine grosse Hochachtung vor Angie. Ich finde es beeindruckend, dass endlich mal wieder ein Politiker, eine Politikerin für eine grosse, eine humane Sache mit allen Risiken, auch dem des eigenen Scheiterns eintritt – der letzte war Willy Brandt. Ich finde es unmöglich, wie sie auf dem CSU-Parteitag wie ein Schulmädchen mit schlechten Noten öffentlich abgewatscht wird. Ich finde es super, dass sie, wie sie sagt, nicht in einem Land wirken will, das Hilfsbedürftigen die klate Schulter zeigt, aber wäre es nicht ehrlicher zu sagen:

Wir schaffen es vielleicht.

Wir schaffen vielleicht auch nicht, aber wir haben keine Wahl.
Wir müssen es probieren.
An die Arbeit, es muss versucht werden.
Es wird ganz, ganz schwer, aber es muss getan werden.

Wir schaffen das
ist eine gewaltige Aussage, die nur der machen kann, der (im Gegensatz zum Angesprochenen) eine Situation schon 1000fach erlebt hat. Aber welcher Politiker hat schon 235 Flüchtlingskrisen erfolgreich hinter sich gelassen?

Das Konzert wird übrigens ein Erfolg, kein glanzvoller, aber ein ordentlicher. Mit einigen falschen Tönen hangelt sich der Chor durch das Notenlabyrinth des MESSIAS. Spass macht es nicht wirklich, aber man kommt durch und muss nie abbrechen.
Die Schulklasse erreicht den Bahnhof Nublingen nach olympiareifem Spurt 10 Minuten zu spät und erwischt noch den Zug, der betriebsbedingt 15 Minuten Abfahrtsverspätung erhält.
Und die Schreiner renovieren erstklassig das Vredespalais, nachdem sie einen holländischen Gesellen aufgetrieben haben, der auch schon 1978 bei der letzten Revision dabei war.

Wir schaffen das.
Vielleicht.
Aber wir haben keine Wahl.



Freitag, 20. November 2015

Wahlposse in den Schwyzer Bergen



Die Gemeinde Burgiswil-Hoggingen (SZ) hat eine ganz spezielle Gegebenheit. Gemeindepräsident oder Gemeindepräsidentin werden auf zwei Jahre gewählt, und zwar teilen sich stets zwei Personen das Amt, wobei eine(r) aus dem katholischen und eine(r) aus dem mennonitischen Teil des Ortes kommen muss. Diese Spezialität entstand 1985 beim Zusammenschluss des katholischen Dorfes Burgiswil mit dem Täuferdorf Hoggingen. Da die Bevölkerungsanteile 48% Papisten und 52 % Täufer betragen, die Präsidien aber mit 2/3-Mehrheit bestimmt werden müssen, schicken die Gruppen jeweils Leute ins Rennen, die von allen anerkannt und akzeptiert werden, also keine Extremos, keine Hardliner und Sturköpfe.
(Wenn Sie sich nun fragen, warum es in Burgiswil-Hoggingen keine normalen Protestanten, keine Atheisten, keine Agnostiker, keine Existenzialisten oder andere Philosophisten gibt, die Gemeinde liegt so in den Bergen, ist so von Schnee und Eis, von Lawinen und Geröll bedroht, dass man einfach einen festen und fundamentalen Glauben braucht, um dort zu überleben. Muslime würden auch gut passen, aber es gehört einfach nicht zur Schweizer Willkommenskultur für Flüchtlinge, sie nach Burgiswil-Hoggingen, sie in Eis und Schnee, in Lawinen und Geröll zu schicken.)

Aber wir waren bei den Wahlen.
Während die Täufer die letzten Jahre stets den gleichen Mann aufstellten, den Mittellehrer Josef Mandel, um die 60, gütig, weisshaarig, schnauzbärtig, einen besonnenen und klugen Typ, der bei allen gleichmässig beliebt ist und immer mit 95% gewählt wurde, lief es bei den Romanhängern nicht so rund, ja man könnte das Ganze als Schwyzer Posse bezeichnen.
2012 brachte der katholische Teil Ruedi Blugger ins Spiel, der eher ein Hard- als ein Softliner ist, erzkatholisch, Anhänger der Lefèvre-Bewegung, also Freund der lateinischen und nicht der landessprachlichen Messe, ein Typ, bei dem man das Gefühl hat, er sei schon mit dem Kruzifix in der Hand auf die Welt gekommen und habe mehr mit Rosenkränzen als mit Fussbällen gespielt. Der mennonitische Teil allerdings wollte ihm eine Chance geben, sollte er jetzt doch mal zeigen, dass er auch konziliant und kommunikativ sein kann.
Er war es nicht.
Die zwei Jahre waren für Mandel die Hölle, so sehr die Hölle, dass klar war: Blugger geht nicht noch einmal eine Amtsperiode.
Als dann 2014 aber die Katholiken doch wieder Blugger aufstellten, geschah etwas Eigenartiges. Bei Auszählung der Stimmen sah man, dass 70% auf Eduard Dedikat-Murfs gefallen waren, einen Reformkatholiken, Mitglied bei „Kirche von unten“, einen Taizé-Gänger und Ökumeniker, der aber gar nicht wirklich aufgestellt gewesen war. Scheinbar hatte es eine Verschwörung gegeben.
Der Priester von Sankt Johann reagierte sofort: Er enthob Dedikat-Murfs sofort aller Kirchenämter und verweigerte ihm die Kommunion.
So wurde ab 2014 Burgiswil-Hoggingen von einem Mennoniten und einem quasi Religionslosen geleitet.

Für 2016 nun gab es den idealen katholischen Kandidaten: Urs Wickler, Chef der Schreinerei, ein Mensch, der mit allen kann und auch die Zustimmung der ganzen Bevölkerung geniesst, er hatte nur einen kleinen Nachteil:
ER WOLLTE NICHT.

Nun stellten die Bewohner von Burgiswil-Hoggingen sich die entscheidende Frage:
Dürfte man Menschen zum Wohle aller zwingen?
Könnte man z.B. einen jungen Menschen, der ein begabter Kicker ist, in den Fussballclub prügeln, damit der FCBH endlich eine Liga weiter kommt? Dürfte man Teenager in die Kantonsschule schicken, obwohl sie nicht wollen, damit sie nicht so unterfordert sind? Dürfte man Leute in Positionen und Bereiche delegieren, notfalls mit gezückter Pistole?
Könnte man nicht einfach sagen, dass Ämter anzunehmen Pflicht ist?

Burgiswil-Hoggingen erwog eine Weile eine Aktion gegen Wickler. Boykott wurde diskutiert, verschiedene Mobbingstrategien durchgespielt, man überlegte, ob man ihm tote Ratten vors Haus legen oder seinen Hund vergiften sollte, man dachte über Farb- und Puddingbeutelwerfen und das Kappen seiner Stromleitung nach.
Schliesslich aber kam man zu dem Schluss: Wer nicht will, will nicht.
(Eine deutsche Kabarettistin fragte sich neulich, warum Aussenstehende nicht für ein Paar die Scheidung einreichen können. „Einfach, um das ganze Elend nicht mehr sehen zu müssen.“ Aber auch hier gilt: Wer nicht will, will nicht.)

Nun geht also die Schwyzer Posse in die nächste Runde, denn die Katholiken haben eine Reihe von blassen, unfähigen, uncharismatischen und langweiligen Kandidaten in der engeren Auswahl. Gut, einer wird es werden und wird sich ein Jahr mit Lawinen und Geröll und Eis und Schnee herumschlagen.
Solange Mandel im Amt bleibt, kann eh nix passieren.

Montag, 16. November 2015

Liebe Freunde, bitte veröffentlicht keine Tagebücher! (wie F.J.Raddatz)

Seitdem ich die Tagebücher von F. J .Raddatz gelesen habe bzw. lese (ich habe den ersten Band durch und bin mitten im zweiten), wird mir sehr unwohl, wenn ich an die eventuellen Tagebücher oder Memoiren, Lebenserinnerungen von meinen Freunden und Bekannten denke.

Raddatz beschwert sich nämlich laufend über viele, viele kleine Details und tut das mit scharfer, boshafter Zunge. Hier hat man ihm zu schlechten Wein eingeschenkt, dort zu wenig, bei Person X war das ganze Essen mies (oder nicht exquisit genug), bei Y waren zwar Wein und Speisen gut, aber es fehlten die Stoffservietten und die Messerbänkchen. Mal war das Gästezimmer zu klein, mal zu schlecht eingerichtet, mal waren keine Handtücher im Bad, mal die falschen. In Freiburg, das nur einmal auf 1800 Seiten erwähnt wird, hatte die Buchhandlung (ich habe bis jetzt nicht herausgefunden, ob es Herder oder Rombach war), die ihn zu einer Lesung eingeladen hatte, das Sakrileg begangen, ihn im DORINT unterzubringen. FJR gehörte natürlich – seiner Ansicht nach – ins beste Haus am Platz, ins Colombi-Hotel.

Seit ich also nun diese Tagebücher lese, wird mir angst und bange. Die meisten meiner Freundinnen und Freunde werden nun sicher keine Memoiren oder ähnliche Dinge veröffentlichen, aber ein paar sind doch darunter, die eventuell noch so weit aufsteigen, dass Lebens- und Tageserinnerungen von ihnen gekauft würden. Den einen Kumpel SEHE ich sogar in 20 Jahren irgendwo als Feuilletonchef, also in genau der Position, die Raddatz bei der ZEIT innehatte.

Was werden nun diese Leute über mich schreiben? War mein Essen gut genug, mein Kuchen schmackhaft und der Wein nicht zu billig? Und wenn Wein, Kuchen und Essen einigermassen gut wegkommen, wird dann über meine Tischdekoration das Urteil gefällt? Denn ich besitze keine Messerbänkchen und Stoffservietten gibt es bei mir auch nie.
Wenn Leute bei mir übernachteten, habe ich ihnen das Gästebett frisch bezogen und ihnen gesagt, wo im Bad die Gästetücher liegen. Ich habe nie, was FJC natürlich erwartet hätte, zwei Handtücher aufs Kopfkissen gelegt, an der Ecke eingeschlagen und ein Schokolädchen drauf. Wird  mein zukünftiger Kulturressortleiter nun genau das schreiben? „Bei RH wieder nach mittelmässigen Wein – zu wenig! – die Handtücher im Bad suchen müssen.“?

Eine ganz furchtbare Geschichte kommt mir dabei in den Sinn. (Sie ist wahr, schwörr!) Ich hatte einer Bekannten, die die Sonaten für Violine und obligates Cembalo aufführte, versprochen, ihrem Cembalisten zu blättern. Nun sang einer meiner Chöre am Nachmittag auf dem 50sten eines Chorbasses, der in seinem Garten einen Apéro veranstaltete. Da dieser Bass Schulleiter und ein Basler Grossrat war, liess er sich natürlich nicht lumpen. Ich wage sogar zu sagen, dass der Empfang auch FJR zufrieden gestellt hätte, die Häppchen waren köstlich, es gab einen herrlichen spritzigen Weissen, der auch, da unendlich viel Personal da war, ständig nachgeschenkt wurde. Und dieses Nachschenken erwies sich als fatal, denn vier Stunden vor dem Blättern hatte ich einen in der Krone; und auch nach einer Stunde Schlaf und drei Tassen Espresso war noch Restalkohol da. Ich beichtete dies dem Cembalisten, worauf er erwiderte (er war Osteuropäer): „Ich habbe kein Wahl.“ Meinen Hinweis, dass er keinE Wahl habe und der Wal ein grosser Fisch sei, konterte er damit, dass er ja auch keinen grossen Fisch habe. Bis heute habe ich nicht herausgefunden, ob dies nun einfach eine Wortspielerei war oder ob er damit sagen wollte, dass er sich lieber von einem Meeressäuger blättern liesse als von mir.
Übrigens – das sei unbedingt noch angefügt – habe ich mich nicht ein einziges Mal vertan.

Wird jener Osteuropäische Cembalist, der inzwischen auch dirigiert und zu den führenden Köpfen seines Landes bezüglich Alter Musik gehört und auch öfters bei uns im Rundfunk zu hören ist (sogar live), wird er also in seinen Memoiren diese Szene erwähnen?
„Musste den ganzen Abend die Fahne von RH ertragen, der mir blätterte. Obwohl es gutging, nahm mir doch die Vorstellung, er KÖNNE sich vertun, die ganze Freude an Bach.“?
Gut, Musiker sind lange, lange vollbeschäftigt. Er wird also frühestens mit 80 ans Schreiben gehen und da er viel jünger ist, bin ich vielleicht schon senil oder unterm Boden.

Aber um solche Dinge zu vermeiden, um die Nennung von evtl. versalzenem Essen, von schlechtem Kuchen und billigem Wein (zu wenig kommt bei mir eigentlich nicht vor), um die Nennung von nichtvorhandenen Messerbänkchen und Stoffservietten, um das Erwähnen von Handtüchern im Bad zu vermeiden, schlage ich nun folgendes Prozedere vor:

1 Bitte sagt mir, ob ihr tägliche Aufzeichnungen macht.
2 Bitte sagt mir, ob irgendwann der Wein zu billig oder das Essen nicht gut war.
3 Bitte sagt mir, was ihr beim nächsten Besuch benötigt.

So können wir, glaube ich, ernsthafte Probleme vermeiden.
Seitdem ich die Tagebücher von F. J .Raddatz gelesen habe bzw. lese (ich habe den ersten Band durch und bin mitten im zweiten), weiss ich, dass solche Tagebücher eine heikle Sache sind.
Aber:
Die Tagebücher von FJR sind ein wunderbarer Gang durch die BRD-Kulturgeschichte und jeder/jedem wärmstens zu empfehlen.

 

Donnerstag, 12. November 2015

Herbstreise VI: Das Fazit ist ein I-Ging

Es ist immer schwierig, eine längere Textreihe zusammenzufassen, aber ich möchte das dennoch heute probieren, also lassen Sie uns doch jedem Post einen Satz zuordnen und sehen, was sich ergibt:

HERBSTREISE
Tücher können verloren gehen. Auf Gepäck muss man achten. Nonnen haben ein Recht auf Aussicht. Vieles ist doppelt auszusagen. Belege sind zu gross. Alte Gasthöfe sind besser als neue.

Aber…
Das ist ja ein…
Ich bin völlig begeistert.
Jetzt müssen wir nur ein Stäbchen-Muster erfinden und das Ganze anders schreiben, dann haben wir:
Ein I-Ging!

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HERBSTREISE
Tücher können verloren gehen. Auf Gepäck muss man achten. Nonnen haben ein Recht auf Aussicht. Vieles ist doppelt auszusagen. Belege sind zu gross. Alte Gasthöfe sind besser als neue.

Ich weiss gar nicht, ob die Anzahl der komischen Striche stimmt, ich weiss auch nicht, ob man überhaupt ein neues I-Ging erfinden darf, aber ich finde es grossartig.

Sie nicht? Sie halten I-Ging für Quatsch? Sie halten womöglich auch Pendeln und Tarot für Unsinn?
Nun lassen Sie mich mal ganz klar sagen: Alle diese Techniken sind die besten Erfindungen.
Und zwar nicht, weil da irgendeine kosmische Macht am Werk ist oder die Götter des Hindu-, Shinto-, Buddh- oder Konfuzianismus mitspielen. Sondern weil die Zeit, in der Sie das Pendeln pendeln lassen oder die Stäbchen oder Münzen werfen oder die Karten vor sich auf den Tisch legen und betrachten, eine Zeit des Zur-Ruhe-Kommens und des Nachdenkens ist.

Wenn zum Beispiel ein Aussenminister sich überlegt, ob er bestimmten Flüchtlingen nur noch ein sechsmonatiges Bleiberecht geben, einen Zaun bauen oder die Flüchtlinge am besten gerade
an der Grenze abknallen soll, dann ist es doch besser als dieses Brainstorming gleich vor Journalisten zu betreiben, sich erst einmal in Ruhe hinzusetzen und zu I-Gingen. Und wenn er dann so da sitzt und die Stäbchen wirft und bündelt und legt und bündelt und nochmal wirft, dann kommt er vielleicht darauf, dass das alles keine so wahnsinnig guten Ideen sind.

Wenn zum Beispiel ein Sportschef sich überlegt, ob man die nächste WM, EM, die nächste National- oder Regionalmeisterschaft einfach dem Meistbietenden geben soll, egal ob das Land oder Stadt die logistischen, geografischen oder verkehrstechnischen Möglichkeiten hat, dann ist es doch besser als sofort eine Rundmail zu schreiben erst einmal das Tarot zu machen. Und wenn er dann den ENGEL DER STÄBE an den TOD und den RITTER MIT DEM SCHMUSETUCH legt und sie eine Stunde betrachtet und dabei nachdenkt, dann kommt er vielleicht auf die Idee, dass das Ganze doch anders laufen sollte.

Unsere Zeit ist eine Zeit der unüberlegten Schnellschüsse. Politiker, CEOs und Funktionäre handeln nach dem Tagesplan: 8.00 Idee, 8.15 Idee verbreiten, 8.30-12.00 Shitstorm wegen Idee einstecken, 12.00-13.00 Mittagspause 13.15 offizielle Rücknahme der Idee, 13.30-16.00 grösseren Shitstorm wegen Überforderung und Diffusität einstecken, 16.15 Rücktrittsforderung zurückweisen, 16.30 Rücktrittsforderung zurückweisen, 16.45 Rücktritt, 17.00-… Sinnloses Betrinken

Wäre da der Tagesplan 8.00 Idee, 8.15 Pendeln, 9.15 Tarot, 10.15 I-Ging, 11.30 Verwerfen der Idee, 12.00-13.00 Mittagspause, Nachmittag zur freien Verfügung nicht eindeutig besser?

Wer übrigens das Kartenrumgelege, Stäbchengewerfe und Rumgependele nicht so mag, kann auch Ikebana machen, das meditative Blumenstecken erfüllt den gleichen Zweck als Nachdenk-Oase.
Und man hat am Ende einen hübschen Blumenstrauss im Zimmer stehen.

Mit diesem etwas hexerischen Plädoyer für Nachdenkzeit endet auch die Hexalogie (ich entschuldige mich für dieses blöde Wortspiel) der  

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HERBSTREISE
Tücher können verloren gehen. Auf Gepäck muss man achten. Nonnen haben ein Recht auf Aussicht. Vieles ist doppelt auszusagen. Belege sind zu gross. Alte Gasthöfe sind besser als neue.

 

Montag, 9. November 2015

Herbstreise V: Regeln für ANGESAGTE Locations

Als ich Fred, der seit drei Jahren in Berlin arbeitet, anrief und ein Treffen vorschlug, hatte ich gehofft, er werde mit mir wieder in die Spreeklause wollen, eine richtige alte Eckkneipe, in der die Wirtin noch häkelt, wenn nix zu tun ist, in der man noch Striche auf den Bierdeckel macht und wo noch Soleier und Buletten auf dem Tresen stehen. Oder wenigstens ins Café Kuppertz, eigentlich ein Tagescafé, ein Omacafé mit Flechtstühlen und Ölbildern, das immerhin bis 22.00 auflässt, wenn Stammgäste kommen und wo man dann auch einen guten Rotwein und einen herrlichen Sherry bekommt.
Aber Nein.
Fred wollte ins PHOENIX, eine angesagte Location, die er noch nicht kannte, er wollte dorthin aus dem einen Grund, weil sie eben angesagt ist. Nachdem ich schon am Abend zuvor mit meiner Cousine Maggie, die es jetzt auch in die Hauptstadt verschlagen hat, statt im Omacafé Könicke oder der Urkneipe Havelklause in der angesagten Location SPIDER gewesen war und zwei Abende zuvor es mich völlig aus Versehen in die angesagte Location HIGHSPEED verschlagen hatte und ich nun völlig genervt im PHOENIX sass und an meinem Freddy III (angesagter Cocktail) schlürfte und Gigi Boldini (angesagten Sänger) hörte, dachte ich, es wäre an der Zeit ein paar Dinge der angesagten Locations zusammenzufassen, mit dem Ziel, dass sich immer weniger Leute in diese Etablissements  verirren.

* In der angesagten Location werden Sie nicht bedient. Sie müssen Ihren Drink von der Bar holen, und, wenn Sie das für mehrere tun, notfalls drei Gläser, zwei Flaschen und einen Zuckerstreuer irgendwie balancieren.

* Bestellen Sie an der Bar ja nicht ein Bier oder einen Rotwein, Sie ernten einen bösen Blick, Dinge wie Chai Latte oder ein aktueller Cocktail sind angesagt und bekommen wohlwollende Zustimmung des Thekenpersonals.

* Dafür, dass Sie nicht bedient werden zahlen Sie den 1,675-fachen Preis.

* Sind Sie allein, kommen Sie ja nicht auf die Idee ein Buch zu lesen, in einer angesagten Location ist man zu mehreren, oder man liest eine angesagte Zeitschrift oder man arbeitet am Laptop (bzw. Tablet) an einem angesagten Projekt. Vielleicht tut man auch nur so, muss aber aufpassen: Es hat überall Spiegel, die zeigen, ob man in WORD oder auf einer Pornoside ist.

* Eigentlich betritt man die angesagte Kneipe eh niemals, wenn man niemand kennt. Winken Sie also regelmässig jemandem zu. Vielleicht nur dem Garderobenständer. Oder einem Poster. Oder brüllen Sie regelmässig in Ihr I-Phone: "Wann kommst du jetzt? Ich sitze schon seit.....im....."

* Sitzen ist ein Problem. Entweder es ist Bistro-Style, dann sind die Stühle für Bulimiker oder es ist Lounge-Style, dann kommen Sie ohne fremde Hilfe aus den Sesseln nie mehr heraus - und brauchen am nächsten Tag einen Physio-Termin um Ihren Rücken wieder zu richten.

* In einer angesagten Kneipe werden Sie geduzt, ob Sie wollen oder nicht. (Siehe Post vom 1.9.)

* Da man durch die An-der-Theke-Bestellung nicht nachvollziehen kann, wie viel schon konsumiert wurde, müssen Sie für Erdnüsse, Chips und Oliven zahlen. Und zwar auch, wenn Oliven, Nüsse und Chips Ihr inzwischen zehntes Bier begleiten.

* Wenn Sie über 50 sind, werden Sie in der angesagten Location auffallen. Angesagte Lokale sind etwas für Leute zwischen 20 und 49. Sie müssen also mindestens angesagte Klamotten und eine angesagte Frisur haben, sonst können Sie gleich mit dem Rollator angerollt kommen.

* In angesagten Locations hat man angesagte Vornamen. Man heisst also Firufila-April oder Roger-Socrates und nicht etwa Schantall oder Kevin. Rufen Sie also niemals den Namen durchs Lokal, wenn der von Ihnen gemeinte keinen angesagten hat. "Kevin, wir sind da drüben!" geht gar nich.

Muss ich Ihnen noch erzählen, dass ich am letzten Abend in Berlin in der Vorstellung von TERROR im Deutschen Theater Matthias und Jack kennenlernte, die durch die gleiche Türe wieder hereinkamen (das Publikum musste ein Gerichtsurteil durch "Hammelsprung" fällen) und die ich nicht für die Spree- oder Havelklause, nicht für Café  Kuppertz oder Könicke begeistern konnte, sondern die unbedingt ins MIKE'S wollten, eine angesagte Location? 

Um es mit Th.B. zu sagen:

Tatsächlich bin ich mit Matthias und Jack ins MIKE'S gegangen.
Der Abend war entsetzlich.