Montag, 30. Dezember 2013

Jahresrückblick

Dieses Jahr war ein beachtliches Jahr.

Ich habe 100 musikalischen Proben vorbereitet und durchgeführt, 40 musikalische Auftritte, ich habe an 150 Sitzungen teilgenommen, 800 Unterrichtsstunden gegeben und 400 Stunden korrigiert. Ich habe 2000 E-Mails bekommen und 1000 geschrieben, ich habe 40 Protokolle, Bulletins und Ideenpapiere verfasst, 3000 Telefonate geführt und 1200 SMS eingetippt. 

Blödsinn, alles Blödsinn.
So geht das nicht.
Eine rein quantitative Übersicht macht keinen Sinn.

Wie viele der beachtlich vielen Aktionen hatten denn irgendeinen Nutzen? Von den 2000 Mails waren 1996 Spam, und meine E-Mails wurden wahrscheinlich auch nicht richtig gelesen. Von den 3000 Telefonaten waren 500 falsch verbunden, 500 Umfragen und Werbekampagnen, 500 überflüssig, weil man gleichzeitig noch eine E-Mail verschickt hatte, und so weiter, und so weiter…
Wenn man in Quantitäten denkt, könnte man noch viel höhere Zahlen angeben: Ich habe 730 000 Kalorien zu mir genommen, ich habe über 30 Millionen Sekunden geatmet, ich habe…

Blödsinn, alles Blödsinn.
Bei einer qualitativen Übersicht ist man allerdings in der Gefahr auf der anderen Seite des Rosses hinunterzufallen und depressiv zu werden:

Den Stein der Weisen wieder nicht gefunden.
Den Gral wieder nicht erreicht.
Wieder nicht in Atlantis gewesen.
Den Tractatus de vita, de mundo et de rebus restantibus, die Schriften von G’’alla bin P’hu’ww, den Versuch über eine ontologische Eschatologie und die sogenannten Tafeln von Uberstwwithhh wieder nicht verstanden.
Und noch einen ganzen Bücherschrank voll Sachen, die ein Eco gelesen und verstanden hat und ständig zitiert.
Keinen Meter, keinen Zentimeter, ja keinen Millimeter der Seligsprechung nähergekommen, von der Heiligsprechung ganz zu schweigen.

Wenn das aber so auch nicht geht, dann wird es schwierig. Jetzt müsste ich mich an einzelne Stunden, Tage, Minuten, Sekunden erinnern: Wo habe ich etwas begriffen, etwas dazugelernt? Wo war ein Moment, den ich behalten habe? Was hat mich beeindruckt, was hat mich weitergebracht? Wo habe ich mich vor Lachen weggeschmissen? Wann hat mir etwas Tränen entlockt?

Das geht dann so:
* am 5.1. einen Pudding völlig ohne Klümpchen hinbekommen
* am 7.1. eine für mich total neue Melodie in Mahler III gehört
* am 9.1. mich totgelacht, als mein Schüler im Dialog "In the Tourist Information" aufschrieb: "Are there any bitches in Chichester?"
*am 11.1. das ultimative Foto geschossen: Wand in Kleinbasel, reine Struktur
* am 13.11. von Harry in den neuen Griechen eingeladen worden (beste Moussaka der Welt)
*am 15.11. einen Satz von Adorno endlich kapiert
usw.

Machen Sie doch auch einmal eine solche Aufstellung! Da sitzen Sie nämlich lange.

Deshalb treffen wir nur auf Leute, die entweder mit riesigen Zahlenkolonnen um sich werfen oder das ganze Jahr als Scheissjahr abtun. Glauben Sie beiden Gruppen nicht.

Freitag, 27. Dezember 2013

Kann ich das umtauschen?


„Wie, du fährst am 26.12. in Ferien?“, fragt mich ein Kollege, „und bis 2.1.? Und wann gehst du umtauschen?“ Meine Antwort ist kurz und bündig: „Gar nicht. Ich muss nichts umtauschen.“ Der junge Mann seufzt: „Du Glücklicher. Ich brauche immer einen ganzen Tag, ich habe mir den 3.1. noch als Brücke dafür reserviert.“

Umtauschen. Der Volkssport Nr.1 zwischen den Jahren. Horden von Männern und Frauen, Teenies und Omas, Ehemännern und Ehefrauen, quer durch alle sozialen Schichten und Berufsgruppen stürmen mit wildem Geheul die Kaufhäuser, zücken Originalverpackungen und Quittungen, werfen sie auf die Theken und schreien die magischen 4 Worte durch den Laden:

„Können Sie das umtauschen?“

Dabei lassen sie alle Wut, allen Zorn, alle Enttäuschung über die verunglückten Geschenke, die sie ja eigentlich an den Schenkern oder den Beschenkten auslassen müssten, an den Detailhändlern aus, die mit stoischer Ruhe Originalverpackungen und Quittungen entgegennehmen und die passende Neuware suchen. Aber wehe, Originalkarton und Beleg fehlen, dann dürfen nämlich auch die Händler endlich einmal ihre Wut, ihren Zorn, ihre Enttäuschung über die dämliche Kundschaft an dieser auslassen und brüllen ihre 6 magischen Worte durch den Laden:

„So kann ich das nicht umtauschen!“

Und so tobt im Einzelhandel zwischen Stephans- und Dreikönigstag ein Krieg, denn nun ist ja auch das Fest der Liebe und des Friedens vorbei. Musste man zu ekligen Kunden VOR Weihnachten noch süsslich und lieb sein, darf man NACH Weihnachten endlich wieder muffig (wenn Verpackung und Beleg vorhanden) oder richtig böse sein. (wenn Hülle und Quittung fehlen)

Warum nun wird so viel umgetauscht?
Weil falsch geschenkt wurde?
Mitnichten.
OK, manchmal schon. Manchmal hat Oma nicht kapiert, dass es bei Elektronikzubehör auf jedes Zeichen ankommt und dass der TZR5656 und der DZR5656 nicht kompatibel sind. Manchmal kam einer auf die glorreiche Idee, einem fanatischen Jelinekianer das neue Buch von Elfriede zu kaufen, das jener natürlich seit Wochen im Regal hat, weil er es in Subskription bezieht. Manchmal hat auch jemand nicht gecheckt, dass Menschen ab- oder zunehmen und die oder der Beschenkte auf einmal in Grösse S passen oder in M eben nicht mehr hineinkommen. (Meistens sind die Veränderungen übrigens schon vor Jahren eingetreten, man hat sie nur ignoriert.)

Der wahre Grund liegt aber ganz woanders:
Das Tauschen ist ein menschlicher Urinstinkt.

 Die Menschen rennen seit Jahrtausenden durch die Lande und versuchen irgendwelche materiellen oder immateriellen Güter gegen andere einzuwechseln, immer in der Hoffnung, etwas Besseres, etwas Saftigeres, etwas Schöneres, Geileres zu erhalten, etwas, das mehr glänzt, schneller rollt oder besser tötet. Sagen, Märchen und Mythen, Epen und religiöse Schriften berichten davon. Da tauscht Adam Erkenntnis gegen paradiesisches Leben, da gibt Esau sein Erstgeburtsrecht gegen einen Teller Linsensuppe, da legt Wotan den Riesen den Ring in die Pranken um seine Schwägerin wieder zu bekommen. Hans im Glück tauscht das ganze Märchen hindurch, am Anfang hat er einen Goldklumpen und am Ende nix und in 1001 Nacht läuft ein Zauberer herum, der neue Lampen gegen alte tauscht, in der Hoffnung eine von den alten möge die Wunderlampe Aladins sein. Dazu kommen noch die unzähligen Frauen, die ihre unsterbliche Seele gegen die Liebe des Märchenprinzen herschenken: Undine (auch Rusalka genannt), die kleine Meerjungfrau alias Arielle, la Sylphide, Giselle und Arwen. Schaut man da aber mal genau hin, merkt man, dass viele einen miesen Tausch machen: Wie gut muss eine Linsensuppe sein, damit dieses Geschäft lohnt? Welcher einigermassen vernünftig denkende Mann gibt etwas her um seine Schwägerin wieder in die Arme zu schliessen, die meisten wollen sie doch los sein? Hans im Glück trägt seinen Titel ironischerweise: Er verschlechtert sich von Tausch zu Tausch, und die Märchenprinzen lohnen absolut nicht die Aufgabe der ewigen Seele.

Rein rechnerisch ist das auch klar. Bei Nichtgleichwertigkeit der Tauschobjekte machen 50% der Leute ein schlechtes Geschäft, einen miesen Tausch, den Fall, dass Milo auf dem Dachboden eine Geige und ein Mundstück und Malo eine Oboe und einen Bogen findet, die gibt es wirklich nur im Märchen.
Trotzdem wird getauscht, trotzdem gehört das Ich-gebe-dir-X-und-du-gibst-mir-Y zu den ältesten Ritualen der Erde.
Dennoch rennt die Menschheit durch die Welt und brüllt: „Wer tauscht…?“ Immer auf der Suche nach dem Schöneren, Besseren, Weiseren, immer bereit etwas für das angebliche Superobjekt herzugeben. Und deshalb stürmen auch dieses Jahr die brüllenden Horden die Kaufhäuser, Originalverpackung und Quittung in der Hand.

Aber ich behalte mein Erstgeburtsrecht, meinen Ring, meinen Goldklumpen und meine Seele und mache zwischen den Jahren lieber Ferien als mich in den Krieg zu stürzen.

Montag, 23. Dezember 2013

Wir wollen doch heute nicht über Politik reden


„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Die Oma lächelt dich an und schaufelt dir noch eine Ladung Gans, drei Kellen Rotkohl und zehn Kroketten auf den Teller, denn sie weiss, wenn du isst, kannst du nichts sagen.

„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Die Tante hebt beschwichtigend die Hände, nippt an ihrem Rotwein und giesst ihr Lächeln aus, ihr Lächeln, das schon drei Önkel ins Grab gebracht hat.

„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Ich glaube, nach „Kinder, was haben wir es wieder gemütlich“ und „ich platze gleich“ ist dieser Satz der dritthäufigste an diesem Tag, den wir heute feiern, Weihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens. Und einmal im Jahr will man doch auch Frieden in der Runde haben, will nicht, dass Heinz seinen Schwager Ruedi als „vaterlandslosen Multikulti-Depp“ beschimpft und umgekehrt Ruedi Schwager Heinz als „neofaschistischen Fremdenfeind.“ Einmal im Jahr will man doch Liebe und Harmonie erleben, und da stört es ganz gewaltig, wenn Tante Isabelle für vier neue Grossflughäfen in der Innerschweiz plädiert und gleichzeitig ihre Nichte Caroline die Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Appenzell komplett unter Naturschutz stellen will. Einmal im Jahr sollen doch bitte die Abstimmungsvorlagen und Referenden draussen bleiben.

„Wir wollen doch heute nicht über Politik…“

Wobei sich die Frage stellt, über was man dann reden soll. Was kann gesagt, gemeint, gedacht werden, was kann in die Runde geworfen und im Raum stehen bleiben, was kann geäussert, gemurmelt, verkündet werden, das nicht über kurz oder lang zu Debatten führt? Das Wetter? Da kann doch Greenpeacler Urs sofort wieder zum CO2 kommen und eine Klimaschutzdiskussion vom Zaun brechen. Die Wehwehchen, von denen Tante, Gross- und Urgrosstante ja genug haben? Da ist man doch auch sofort bei der Gesundheitspolitik, der Pharmalobby und der Förderung von Naturheilverfahren, ein Themenkreis, bei dem Grossnichte Bianca Shihuna (ihr Sannyasin-Name heisst so viel wie „die Wundenschliesserin“) sehr schrill werden kann. Es gibt praktisch gar kein Thema, das nicht irgendwie in einen Grosszusammenhang gestellt werden könnte.

„Wir wollen doch heute nicht über…“

Und was bedeutet es denn, wenn Weihnachten das Fest der Liebe und des Friedens ist? Bedeutet es nicht gerade, dass man auch an die denkt, die keinen Frieden und keine Liebe erleben? Wo ist Frieden und Liebe in Ländern, in denen Volksgruppen, Machthaber, Demonstranten, Soldaten, Polizisten und Studenten auf einander losgehen? Und was ist mit Kindern, die in einem Land ohne Krieg zwar von der ganzen Familie geliebt werden, aber schlicht und einfach verhungern? Ist das nicht aber schon wieder eine ungeheuer politische Aussage? Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir ja nicht auf einem einsamen Stern leben, sondern irgendwie mit drin hängen?

„Wir wollen doch heute nicht über Politik reden…“

Jetzt bist du mal ruhig, Tante Eusebia. Wir reden heute über Politik! Den ganzen Abend! Ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk könnte hier sogar ein Moderator sein. Denn vielleicht kann Fest der Liebe und des Friedens ja auch bedeuten, dass man über Politik redet, aber fair, zuhörend, verstehend, eben mit Liebe, die man ja auch als Achtung übersetzen kann und eben mit Frieden, ohne Fäuste, Beleidigungen und Angriffe.
Und möglicherweise merkt man an diesem Heiligen Abend, dass die Wahrheit sehr häufig in der Mitte liegt: Da kapieren Heinz und Ruedi, dass die Position „Lasst die ganze Welt kommen, Platz ist genug da, und damit sich alle wohlfühlen, bauen wir Reis und Maniok an und lernen Türkisch und Xhosa.“ genauso blödsinnig ist wie „Wir schmeissen alle raus, deren Vorfahren nicht beim Rütlischwur dabei waren.“ Da checken Isabelle und Caroline, dass ein Ausbau von Kloten eventuell unvermeidlich ist, und dafür müssen dann auch ein paar Bäume gefällt werden, dass aber umgekehrt die Flughäfen Altdorf, Stans und Sarnen Schnapsideen sind, die nur den Bauunternehmern nützen.
Und wenn so etwas passiert, dann hat das Fest der Liebe und des Friedens doch seinen Namen verdient.

„Wir wollen heute über Politik reden.“

 

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Weihnachten ist nichts für Kinder


Die Kinderlein, die da kommen sollen und zum Kripplein und die sehen sollen, was da in heiliger Nacht geschah, die Kinder, denen man sagt, morgen gebe es was und man werde sich freu’n, die Kinder, die dem Klingglöckchenklingelingeling die Tür öffnen sollen, die Kinder, die Kleinen, die Buben und Mädchen, für sie ist Weihnachten nicht gemacht. Ja, gegen alle Lieder und Gedichte und Geschichten und Bilder sage ich: Weihnachten ist kein Fest für Kinder.

Kinder sind bei den ganzen Vorbereitungen der kolossale Störfaktor, der Mutti an den Rand des Wahnsinns und Papi in die Kneipe treibt.
Schon allein ihr Aufenthalt während des Heiligen Vor- und Nachmittags ist ein Problem, denn eigentlich sind sie überall im Weg. Im Wohnzimmer muss Papa den Tannenbaum mit den grünen Blättern aufstellen, damit am Weihnachtsbaum die Lichter brennen, und das kostet Papa eine enorme Konzentration und Anstrengung und da kann er sich wirklich nicht mit den Anliegen seines Filius herumschlagen, der nicht an sein Lieblingsspielzeug herankommt. In der Küche werkelt Mama mit hochrotem Kopf, Gans, Punsch, Salat, Kuchen, Dessert, alles noch nicht fertig, und dann stellt sie erschrocken fest, dass ihr noch Backpulver und Pfeffer ausgegangen sind und dann kommt Töchterlein und will einen Zopf frisiert haben.
Da kann man doch verstehen, wenn den Eltern dann mal der Kragen platzt und sie ein wenig rumbrüllen.
Schliesslich steckt man sie ins Kinderzimmer, wo sie bis zur Bescherung fernsehen, denn es gibt ja - Gott sei Dank - im Kinderkanal ein Weihnachtsprogramm.  

Die lieben Kleinen funktionieren aber auch überhaupt nicht so, wie die Eltern sich das ausgemalt haben. Da hatte man Bilder im Kopf, Bilder von liebreizenden blonden Geschöpfen mit Pausbäckchen und Kugelaugen, die den ganzen Tag strahlen und lachen, Bilder, die sich in Kombination mit Weihnachtsbaum, Lichterglanz und Kerzenschimmer zu Kompositionen steigerten, gegen die Dezembertitelblätter von Familie und Hund, Kochen und Bügeln, Fabiola, Annakatarina und Frau mit Schrank überhaupt nicht anstinken konnten. Aber schon letztes Jahr schrammte man knapp an der Katastrophe vorbei, weil Bubele und Madele nicht ganz süss Putzigagele machten, sondern Lärm und Dreck und sich überhaupt nicht richtig über ihre Geschenke freuten. Und dass, obwohl alle Präsente speziell pädagogisch wertvoll, teuer, formschön, abwaschbar und vollkommen zweckfrei waren, gell.
Und dieses Jahr hat der Sohnemann schon am 3. Advent verkündet, dass er KEIN Weihnachtsgedicht aufsagen will, die anderen in seiner Klasse müssten das auch nicht, und die Tochter weigert sich beharrlich, ihre beiden Lieder auf der Geige vorzuspielen, will dieses Mal das traute hochheilige Paar auch schlafen und die Christenheit sich nicht freuen lassen. Dabei hat man mit beiden stundenlang gepaukt, geübt, hat sie mit Taschengelderhöhung bestochen oder mit Zimmerarrest das Training durchgesetzt.
Ein ganz heikler Punkt ist natürlich auch der Dresscode, denn zum Zwei-glückliche-Kinder-mit-glänzenden-Augen-Fresko gehört selbstverständlich Stoffhose und Rentierpulli für Fritzchen und ein allerliebstes Rüschenkleidchen für Lieschen, Kleider, die man nur noch in ganz speziellen Läden bekommt, die noch Sinn für Geschmack und Feierlichkeit haben. Nun muss man befürchten, dass die Kleinen, wenn sie schon ihren Kulturpflichten nicht nachkommen, auch die Kleidervorschriften missachten werden.
Nein, Weihnachten ist kein Fest für Kinder. Denn die lieben Kleinen, die da zum Kripplein kommen und dem Klingglöckchenklingelingeling die Tür aufmachen sollen, haben eines noch nicht kapiert: Der Heilige Abend ist das Fest der Verstellung, ein Fest der Komödie und des Rollenspieles. Da lobt man alles, ist zu allen nett, freut sich über sinnlose Geschenke, zieht eine Krawatte an, weil die Schwiegermutter das eben so gern hat und streitet sich einmal im Jahr mit dem Schwager nicht über die Einwanderungspolitik.
Kinder sind nicht so, Kinder sind rebellisch, unangepasst, autonom, sie lügen und heucheln nicht, sie wollen sich ehrlich freuen und ehrlich nicht freuen, sie passen in kein Alle-Jahre-wieder-Schema. Daher hier 5 Tipps für den 24.12.:
1.)    Ein Elternteil geht mit den Kiddies bis 16.00 ins Spassbad.
2.)    Die Geschenke (zumindest einen Teil) kauft man irgendwann MIT den Kleinen.
3.)    Sie dürfen das vortragen, was sie wollen (Rap, Breakdance, Trommeln) oder auch nix.
4.)    Sie dürfen das tragen, was sie wollen.
5.)    Die Eltern sagen den ganzen Abend keinen einzigen Satz, der mit „Als ich jung war…“ beginnt.

Sie waren auch nicht anders.

Montag, 16. Dezember 2013

Jeder kann alles oder: das Höllenkabinett


Es gibt einen alten Witz über die Verteilung der Ämter im Jenseits: Im Paradies übernehmen die Franzosen die Küche, die Italiener sind die Liebhaber, die Engländer die Polizisten und die Deutschen organisieren alles. In der Hölle kochen die Briten, die Deutschen sind für die Liebe zuständig, die Franzosen sind die Organisatoren und die Italiener stellen die Polizei.

Natürlich transportiert dieser Witz nur dumme Klischees, aber ein Körnchen Sinn ist dran: Man sollte Dinge tun, die man kann. So wird der Gesangsverein Frohlust einen Vorstand wählen, in dem Ueli das technische Ressort übernimmt, weil er Schreiner ist, und die Vreni, die auf der Bank schafft, die Kasse. Ich selbst mache in allen Gremien, in denen ich arbeite, irgendwas mit Schreiben, Quartalsbulletin bei den Chordirigenten, Protokoll in Allschwil usw. Niemand würde mich an etwas Technisches heranlassen, wenn die ganze Sache nicht in die Luft fliegen soll.

Nun sollte man denken, dass die Leitung eines Staates noch ein wenig heikler ist als die Leitung eines Gesangsvereins oder eines Fachverbandes, etwas schwieriger als eine Sekundarschule oder eine Musikkapelle, das heisst hier sollten Leute ans Werk, die ihre Sache verstehen, aber weit gefehlt. Der Schacher um Ministerposten hat mit Qualifikation so wenig zu tun wie Grossbritannien mit Küche oder Italien mit Polizei. Und das, obwohl man – im Gegensatz zu allen Vereinsämtern – als Ministerin oder Minister auch noch Kohle kriegt, man könnte hier sogar Externe holen, die in ihrer Arbeit sich als qualifiziert erwiesen haben. Nein, nein, beim Posten-Partei-Roulette sind die Anforderungsprofile so tief gelegt, dass jeder alles machen kann:

Jeder, der schon einmal im Ausland war, kann Aussenminister werden.
Jeder, der schon einmal im Inland war, kann Innenminister werden.
Jeder, der schon einmal beim Arzt war, kann Gesundheitsminister werden.
Jeder, der schon einmal Zug gefahren ist, kann Verkehrsminister werden.

Selbst wenn man Juristen, Ärzte, Techniker und Ökonomen in der Runde der Geier, die um die Posten kreisen, hat, heisst das nicht, dass diese auch ein ihrem Sachverstand angemessenes Ressort bekommen.
Ein Beispiel?
Ich finde, wenn man das völlig unnötige Amt eines Verteidigungsministers überhaupt besetzt (Wieso eigentlich Verteidigung? Müsste es nicht Ministerium für Katastrophenschutz und Auslandseinsätze heissen? Oder Kriegsministerium, weil ja auch die grössten Wortverdreher inzwischen zugeben, dass es in Afghanistan ein Kriegseinsatz ist?) also, wenn man das Amt schon besetzt, müsste nicht die Minimalst(!)qualifikation darin bestehen, schon einmal beim Bund gewesen zu sein? Einmal eine Kaserne von innen gesehen zu haben? Wissen, wie eine Truppe funktioniert? Wissen, wo die Chancen und Probleme liegen? Vielleicht sogar über den Rekruten hinausgekommen zu sein? Insofern ist Frau von der Leyen nicht ganz die optimale Person. Nicht, weil die kleine Bärin eine Frau ist, sondern weil sie keine Ahnung hat, was beim Militär passiert. Sie wäre als Ärztin eine gute Gesundheitsministerin.

Aber beim Schacher, beim Skat, beim Poker um Posten und Ämtli kann man auf so etwas wie Sachkenntnis eben keine Rücksicht nehmen. Da gilt der hohe Posten in der richtigen Partei und sonst nichts.

Also wandeln wir doch unseren Witz von vorher ab: In der Hölle ist ein Offizier Gesundheitsminister, der alle Kranken sowieso für Weicheier und Drückeberger hält, ein Chefarzt Verteidigungsminister, der den Soldaten alle anstrengenden Sachen aus Gesundheitsgründen verbieten wird, Sachen wie Robben, Marschieren und Kämpfen. Ein Jurist wird Verkehrsminister, worauf das Bahnfahren noch komplizierter wird und ein Verkehrsingenieur übernimmt die Justizbehörden, die daraufhin neue Rolltreppen und Fahrstühle bekommen.
 
Wir haben also vier Jahre Hölle vor uns.

Freitag, 13. Dezember 2013

Was tun am Freitag, den 13.? oder: Die Ratschläge der Weisen


Was macht man an einem solchen Unglückstag wie heute? Ich meine, was tut man und tut man nicht, was darf man, was unterlässt man? Welche Dinge sind absolut tabu und welche sind vielleicht gar nicht so riskant? Wer kann einem helfen, wenn einen die Frage plagt, ob man irgendetwas völlig sein lassen muss und vor allem was das denn ist?
Ich gehe zu einem indischen Heiler. Er sagt mir, dass er mir am Ende der Sitzung einen, aber nur einen Ratschlag mit auf den Weg geben könne, vorher mir aber Kraft spenden werde. Er nimmt mich eine halbe Stunde in den Arm, wobei er ca. 550 mal „So much love“ flüstert. Dann kassiert er 400.-Sfr und spricht die Worte: „Donnn’t go wid de Gerrrmannn Raillwei.“
Gut, denke ich, einen halben Wochenlohn ärmer, gut, denke ich, das ist ein weiser Rat, aber das versteht sich ja von selbst, niemand fährt mit der DB, es sei denn, man ist lebensmüde oder hat wirklich keine andere Wahl. - Dabei sind es gar nicht die Zugverspätungen und –ausfälle, an die hat man sich schon gewöhnt, es ist die Perfidie, sich immer eine neue Schweinerei auszudenken. So kam neulich ein zu kleiner Ersatzzug, der auch schon voll war, wir alle hinein, Methode Ölsardine und dann sagt die Lautsprecherstimme, der Zug sei zu voll und die, die jetzt ausstiegen, bekämen 25 Euro, so war dann ich einer der Bösen, ich war schuld, dass wir nicht fuhren und nicht die DB, das ist perfide.
Ich gehe, weil ich ja immer noch einen Tipp brauche, zu einer Kinesiologin. Sie drückt eine ganze Weile an meiner Hand herum (ausgestreckter Arm, Sie kennen das, Sie leisten Widerstand oder geben nach) und meint dann, sie spüre eine Abneigung gegen Finanzen und Internet. Ich solle an einem Freitag, den 13. bloss kein E-Banking verwenden und auch nicht mit Aktien spekulieren. Dafür berappe ich 700.-Sfr. Die war gar nicht so schlecht, die Frau, denke ich, gar nicht so schlecht, meine Abneigung hat die richtig gut gespürt, aber weil ich diese Abneigung habe, mache ich ja eben gar kein E-Banking und  habe auch keine Anteilscheine. Auch diese Auskunft, die so viel gekostet hat wie eine Woche Inselferien, hat mich nicht weitergebracht.
Aller guten – guten? Warum in aller Welt guten? – Dinge sind drei. Also gehe ich noch zu einem Astrologen. Der rechnet eine Weile herum, teilt mir dann mit, Venus und Uranus würden irgendwie im Quadrat Tango tanzen, während Neptun und Mars dazu die Bongos schlügen, ganz verstehe ich das auch nicht, und dann verkündet er: „Am Freitag keinen ungeschützten Sex mit fremden Partnern.“ Dafür will er übrigens 1 ¼  Wochenlöhne bzw.  1.42857143 Inselferien. Der Mann hat natürlich einen kompletten Dachschaden und ich sollte ihn sofort bei der Aids-Hilfe verpfeifen, denn laut seiner Denke muss es ja dann auch Sternkonstellationen geben, an denen man getrost den Gummi weglassen kann, und die gibt es eben nicht. Dabei ist gar nicht immer das Schlimmste zu befürchten, es gibt ausser HIV noch viele andere blöde Dinge, manchmal juckt es nur 30 Tage wie die Hölle, aber wenn man das vermeiden kann, warum nicht…

Was nun aber?

Ich beschliesse, am Freitag, den 13. einfach besonders vorsichtig zu sein.

Und jetzt kapiere ich auf einmal, warum man den Unglücksfreitag eingeführt hat: An einem solchen Tag sind alle ein wenig achtsamer, vorsichtiger, risikounfreudiger, alle passen ein bisschen mehr auf, sind ruhiger, gelöster, machen weniger Hektik und Chaos. Und begreifen eventuell, dass es auch so geht. Da fährt das notorische Bleifusspedalschwein einmal nicht 80 km/h innerorts und 200 km/h ausserorts und merkt, dass es auch so ans Ziel kommt. Da wirft der notorische Chaot noch einmal einen Blick in die Stube, bevor er geht und entdeckt dieses Mal die noch brennenden Adventskranzkerzen, dieses Mal bleibt die Hütte stehen. Da liest der Zehnfinger-Schnellschreib-Mailer seinen Elektrobrief noch einmal durch, und merkt, dass diese 30 Sekunden eine gut angelegte Zeit sind, wenn man damit ein dauerhaftes Zerwürfnis vermeiden kann. Da wird überall landauf, landab ein wenig mehr geplant, nachgedacht, da werden die Dinge erst einmal erwogen und dann getan, da wird erst das Grosshirn und dann der Greifapparat in Bewegung gesetzt. 

Und ganz, ganz ehrlich, liebe Freunde: Wäre das nicht eine tolle Sache, erst einmal nachzudenken?

Insofern freue ich mich auf den heutigen Tag.

Montag, 9. Dezember 2013

Das wahre Problem ist das Auspacken

Ich habe nun endlich das wahre Problem von Weihnachten gefunden – und gelöst.

Das Problem ist nicht die Weihnachtsfeier.
Das Problem ist nicht das Wünschen.
Das Problem ist nicht das Schenken.
Das Problem ist nicht der Gabentisch.

Das Problem ist das Auspacken.

Also, erst packen wir die Geschenke aus und dann hört Opa seine Weihnachtsplatte, dann sagt Dicki sein Weihnachtsgedicht auf und dann machen wir es uns gemütlich.

Hallo, Familie Hoppenstedt, hört ihr nicht zu? Ich sagte gerade, das Auspacken sei das Problem. Und ich spreche nicht von den ca. 23 Kubikmetern Papier, Tüll, Schleifchen, Zellophan, Pappe und Tesafilm, die an einem 24.12. zusammenkommen und jeden Mülleimer, jede Altpapiertonne, jeden Abstellraum und jeden Schrank sprengen. Ich spreche vom Vorgang des Auspackens.

Nein, erst sagt Dicki sein Weihnachtsgedicht auf, dann schauen wir uns die Weihnachtssendung im Fernsehen an, dann packen wir die Geschenke aus und dann machen wir es uns gemütlich.

Haaaaaaaaaaalloooo, Familie Hoppenstedt! Ihr hört nicht zu. Das Auspacken, der Vorgang des Papieraufreissens, des Tesaabmachens, des Schleifchenzerschneidens, das ist das Problem.
Und warum?
In der Zeit vor dem Heiligen Abend wird man ja stets gefragt, was man sich zu Weihnachten wünsche. Antwortet man jetzt nicht ausweichend („Dir fällt bestimmt etwas Nettes ein.“) oder wünscht sich Belangloses wie Krawatten und Düfte, sondern antwortet ehrlich, wünscht sich das, was man wirklich will, liegen unter dem Tannenbaum etwas andere Präsente. Da hat sich der 18jährige Sohn 150g Schwarzer Libanese gewünscht, die ein Jahr jüngere Tochter eine Geschenkpackung Fliegenpilze, Mutti wollte einen Vibrator, weil Papi… na ja, wahrscheinlich stressbedingt, aber er bringt’s nicht mehr so… und Vati ganz viel Viagra, denn er befürchtet,  Mutti will jetzt irgendwann ein Hilfsmittel. Der 13jährige Sohn hat auf seinen Wunschzettel ganz im Stile von Oscar Wilde geschrieben: „Ich bin nicht anspruchsvoll, ich freue mich über jedes Geschenk, das erst ab 18 ist.“
Und das soll nun zu den Klängen von Stille Nacht und Adeste Fideles im Kerzenschimmer ausgepackt werden? Wo doch auch Opa und Oma, Uropa und Uroma da sind und die sehr strenge Tante Isolde, die schon die obengenannten Wörter nicht über die Lippen bringt? Nimmt man das nicht lieber eingepackt mit ins stille Kämmerlein und freut sich dort, dass endlich mal ein Herzenswunsch erfüllt wurde?
Ein anderes Szenario geschah letztes Jahr, als ich Söhnen von befreundeten Familien das Buch Ich knall euch ab von Morton Rhue schenkte, in dem er in Einzelberichten einen (erfundenen) Amoklauf analysiert. In Familie 1 hatte der Sohn kaum ausgepackt, als die Eltern es sehen wollten, den Roman als gewaltverherrlichend und amokanstiftend ansahen und das Buch sofort konfiszierten. (Und mir eine böse Mail schrieben, in dem mir der Kontakt mit ihren Kindern untersagt wird.)
In Familie 2 hatte der Sohn kaum ausgepackt, als die Eltern es sehen wollten, das Buch als das erkannten, was es ist, ein literarisch gekonntes und pädagogisch wertvolles Stück Literatur, nur wollte der Sohn es jetzt nicht mehr lesen, weil er in einem Alter ist, in dem man eben keine literarisch gekonnten und pädagogisch wertvollen Bücher möchte. Hätten sie nicht sofort auspacken müssen, hätten beide das Buch verschlungen.
Also bleiben dieses Jahr die Gaben vom Gabentisch unausgepackt. Jeder kann sich das wünschen, was er WIRKLICH will.  Und wenn die strenge Tante Isolde sagt, es rieche hier so süsslich, dann sagt der 18jährige Sohn: „Wahrscheinlich arabische Gewürze, ich koche doch so gerne.“

Nein, wir machen es so: Erst sagt Dicki sein Weihnachtsgedicht auf und Opa hört die Weihnachtsplatte, dann machen wir es uns gemütlich und dann packen wir die Geschenke aus..
 
Ach, Hopfenstedts! Bei euch ist Hoppen und Malz – äh – Hoppenstedts, bei euch ist Hopfen und Malz verloren. Und das Verpackungsproblem habt ihr ja auch nicht in den Griff bekommen, alles ins Treppenhaus ist zwar genial, aber weil das alle schon gemacht haben, stürzt die ganze Papierflut in euren Korridor.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Krupp-Bauknecht (ein Gedicht für den Nikolaus)

Liebe Eltern, liebe Kinder, ihr sucht noch ein wirklich schönes Gedicht für den Nikolaus? Hier habe ich eines für euch. Und zwar die Urform jenes Poems, das wir in der biedermeierverkitschten Fassung von Theodor Storm kennen und das im Original nicht Knecht Ruprecht sondern Krupp-Bauknecht heisst. Geschrieben wurde es vom deutschen Lyriker Emanuel Friedrich Duddel (1820-1848), der zu den von der Literaturwissenschaft sträflich vernachlässigten Grössen des Vormärz gehört. Er wurde am 24.12.1820 in Bonn geboren und starb am 6.12.1848 während eines Barrikadenkampfes in Berlin.

Von City-downtown komm ich her
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Kaufhausspitzen
Sah ich Leuchtreklame blitzen.
Und droben aus dem Himmelstor
Sah die Göttin Eukonomia hervor.
Und wie ich so fuhr mit der Strassenbahn
Rief sie mit lauter Stimme mich an:
„Krupp-Bauknecht“, rief sie, „mein CEO,
starte dein Auto und mache mich froh.
Alte und junge, wie sie auch leben,
Wollen nun wieder Geld ausgeben.
Die Werbung fängt zu leuchten an,
Das Girokonto ist aufgetan,
Und bald schwebe ich hinab auf Erden
Denn es soll wieder Weihnachten werden.“
Ich sprach: „O Göttin der Bilanzen,
Ich bin am Umeinandertanzen!
Ich muss nur noch in diese Stadt,
Wo’s viel solvente Leute hat.“
„Hast denn die Skonti auch bei dir?“
Ich sprach: „Die Skonti, die sind hier.
Denn auch ein Dreck verkauft sich glatt,
Gibt man den Leuten fett Rabatt.“
„Hast auch die Mahnungen bei dir?“
Ich sprach: „Die Mahnungen, die sind hier.
Wer stundet bis Sankt Stephanus,
Für den bleibt nur der Gnadenschuss.“
Eukonomia sprach: „So sei’s!
Krupp-Bauknecht, eine gute Reis‘!“
Von City-downtown komm‘ ich her
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Nun sprecht, wie ist’s hier bei euch, Leute?
Seid ihr solvent?
Oder gar

Pleite?

 

 

 

 

Dienstag, 3. Dezember 2013

Im Freibad zugenommen und in der Unibibliothek nichts gelernt


Ricardo und Florian trafen sich nach der Sommer- und Herbstpause zum ersten Mal wieder in ihrer Stammkneipe. Die beiden kennen sich vom Lehramtsstudium, aber während Ricci schon das erste Jahr unterrichtet und jetzt die Sommerferien (und Herbstferien) genossen hatte, war Flo kurz vor dem Examen.
„Mensch, bist du braun“, begrüsste er den Kollegen, „allerdings hast du auch zugenommen." “Stimmt“, gab Ricardo zu, „dabei war ich jeden Tag im Schwimmbad. Und du? Du siehst müde und blass aus. Fit für die Prüfungen?“ „So lala. Ich hab echt wenig gelernt. Dabei war ich jeden Tag in der Bibliothek. Wenigstens habe ich keine zusätzlichen Kilos.“
Beim ersten Bier versuchten die zwei Kumpels zu analysieren, wie man im Freibad aus der Facon kommen und in der UB nichts lernen kann.

Dabei ist die Lösung denkbar einfach: Wir verwechseln Anwesenheit mit Aktion. 
Nehmen wir doch gerade mal die Badi: Sie wollen in den Sommermonaten endlich etwas für ihre Fitness tun und kaufen sich ein Abonnement für das örtliche Freibad. Schon beim Betreten fühlen Sie: Hier ist ein Ort, an dem Sie sich runderneuern werden, denn wo Sie hinschauen, sehen Sie durchtrainierte, muskulöse und bronzefarbene Körper. Sie schwimmen eine Länge, plantschen noch ein wenig am Rand und legen sich in die Sonne. Nach einem Stündchen haben Sie unbändige Lust auf Pommes – Pommes rot-weiss, oder „Schranke“ wie die Norddeutschen sagen. Sie sonnen danach noch ein bisschen, schwimmen und plantschen noch eine kurze Zeit und gleiten die Rutschbahn hinab und… jetzt muss es ein Eis (Magnum Mandel) sein. Am nächsten Tag zeigt die Waage 500g mehr.
Denn: Der Anblick des Wassers verbrennt keine Kalorien, das Berühren des Wassers verbrennt keine Kalorien, das Hinabrutschen auch nicht. Einzig etliche Längen, schnell hintereinander durchpflügt, führen Sie in den sogenannten aeroben Bereich, in dem Sie Fett verbrennen, zum Beispiel das von Majo und Ketchup.
Und was ist mit den schlanken und muskulösen Leuten? Die sind meistens 17, und mit 17 hat man noch Träume - und einen anderen Körper.

Genauso wie in der Badi ist es in der Bibliothek. Die Anwesenheit allein bringt nichts. Auch wenn man das Gefühl hat, 5000 Meter Weisheit müssten doch irgendwie auf magische Weise abstrahlen, es ist nicht so. Auch das Anhäufen auf dem Pult bringt nix, nicht einmal das Durchblättern, Sie kommen nicht drum herum, Sie müssen die Bücher wirklich lesen - und verstehen!

Es langt also nicht, irgendwo zu sein, Sie müssen etwas tun.
Sie lernen in Frankreich kein Wort Französisch, wenn Sie keine Kommunikation betreiben. 
Sie lernen keinen Chopin, wenn Sie einen Flügel im Wohnzimmer und die Noten im Bücherschrank haben.
Sie - und jetzt wird es spannend - regieren nicht, auch wenn Sie an der Regierung sind, aber nichts machen. Es genügt nicht, den Finanzsektor zu besetzen, man muss die Finanzen auch sanieren. Es reicht nicht, das Wirtschaftsministerium zu leiten, die Wirtschaft sollte auch etwas davon haben. Es langt nicht, der Verkehrsminister zu sein, man muss sich auch um den Verkehr - immer wachsend, immer brodelnder, immer bedrohlicher - kümmern. 
So hat die Grosse Koalition die besten Voraussetzungen, um etwas zu bewirken: Sie hat fast 2/3 der Stimmen, ist breit abgesichert im Volk. 
Aber jetzt muss auch was passieren! 
Jetzt! 
Ihr könnt alles durchsetzen, also setzt auch was durch! 
Jetzt!
Sonst geht es euch nach vier Jahren wie den beiden Studienkollegen. Sonst habt ihr auch in der UB nix gelernt und im Bad zugenommen.