Dienstag, 30. Januar 2024

Die Bahn teilt Verfrühung mit

Das ist jetzt sehr wirklich und wahrhaftig wahr:

Ich reise am 10. Februar von Basel über Dortmund ins Westfälische, von dort am 12. Februar weiter nach Hamburg (das wird sicher auch einen Post wert…).
Die Deutsche Bahn schreibt mir jetzt eine so entzückende E-Mail, das ich diese Ihnen nicht vorenthalten kann:

Guten Abend,
auf Ihrer Reise von Basel Bad Bf nach Herford am 10. Feb. 2024 gibt es eine Fahrplanänderung:
Ihr Zug kommt in Dortmund HBF früher an. Die neue Ankunftszeit ist um drei Minuten früher.
Bitte beachten Sie die neuen Zeiten:
Dortmund an 14.19
statt
Dortmund an 14.22
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Deutsche Bahn

Das ist so etwas von grossartig, dass man es sich niemals so ausdenken könnte. Und es ist auf zwei Seiten wirklich und wahrhaftig komisch.

Die eine Seite ist die angebliche Gefahr, eine Verfrühung nicht mitzubekommen. Was wäre denn gewesen, wenn ich nicht erfahren hätte, dass wir früher in Dortmund ankommen? Hätte ich es versäumt, meine Koffer zu schnappen und mich parat zu machen und hätte ich den Ausstieg wirklich verpasst? Wahrscheinlich nicht.

Dortmund ist mit fast 600000 (in Worten: sechshunderttausend) Einwohnern die neuntgrösste Stadt Deutschlands. Es ist praktisch nicht möglich, eine solche Stadt zu erreichen, ohne dass man es merkt. Und gerade beim Bahnreisen gehört das ja für mich immer zu den schönsten Dingen: Das Heranfahren an eine Grossstadt. Da hat man zunächst noch Dörfer der Agglomeration, immer wieder durch Wälder unterbrochen, dann fallen die Grünzonen weg, die Besiedlung wird dichter, erste Hochhäuser werden sichtbar und von rechts und links kommen auf einmal Schienen. Dann – immer der herrlichste Augenblick – die erste Strassenbahn. Und irgendwann ist klar, dass der nächste Hauptbahnhof naht…

Nein.
Es wäre undenkbar, eine solche Einfahrt nicht mitzubekommen. Zumal ja auch noch mündlich und schriftlich darauf hingewiesen wird – in mehreren Sprachen. Das ist ja immer besonders lustig, wenn der Zugführer seinen DB-internen Englischkurs (die gibt es wirklich) nur mit «ordentlich» und nicht mit «super» bestanden hat:

Dier Passanschers. Wie aar ärraifing Dortmund Mäin Schtäschon. Blies lief See Träin Reid Hand Site in See Direktion of Treffel. Sänk juuuu for Träwelling Wiess Deutsche Bahn.

Es ist also rührend, wie sehr sich die DB sorgt, dass ich nicht – von der Verfrühung kalt erwischt – in Dortmund den Ausstieg verpasse und einfach weiterfahre. (Was übrigens gar nicht so schlimm wäre, denn die Weiterfahrt ins Westfälische geht mit Deutschlandticket, das ginge auch von der nächsten Station.)

Was aber ja viel, viel, viel, viel wahrscheinlicher ist, ist, dass die DB Verspätung hat. Deshalb, weil die Deutsche Bahn immer Verspätung hat. Es ist also nun sehr grotesk, dass ich auf eine Verfrühung hingewiesen werde, die mit grosser Sicherheit nicht stattfinden wird. Bestenfalls ist die Verspätung so gering, dass sie die Verfrühung auffrisst. Im anderen Fall ist die Verspätung in einem epischen Ausmass, dass der Hinweis auf die Fahrplanänderung als reiner Zynismus aufgefasst werden kann.

Das ist wie jemand, dem ich schreibe, ich bräuchte dies und das und ihm eine Deadline setze. Er schreibt mir zurück, dass er es bis eine Woche früher schafft. Und dann warte ich und warte und warte und im Endeffekt hat er die Deadline um zwei Wochen überzogen.

Das ist wie ein Versandhaus, das mir nach meiner Bestellung für eine scharlachrot-tigergelbe Badehose über 65,-- schreibt, der Preis habe sich geändert und die scharlachrot-tigergelbe Badehose koste nur 63,-- und dann bekomme ich die Rechnung und die scharlachrot-tigergelbe Badehose wird mit 67,-- angegeben.

Es wäre viel sinnvoller, eine positive Wendung, die nur vielleicht eintritt, gar nicht anzukündigen, wenn es dann so ist, ist es umso schöner…

Ich reise am 10. Februar von Basel über Dortmund ins Westfälische und die Deutsche Bahn schreibt mir jetzt eine so entzückend

Guten Abend,
auf Ihrer Reise von Basel Bad Bf nach Herford am 10. Feb. 2024 gibt es eine Fahrplanänderung:
Dortmund an 14.19
statt
Dortmund an 14.22

Ich halte Sie natürlich auf dem Laufenden, was nun wirklich passiert.



 

 

   

 

 

 

 

 


Freitag, 26. Januar 2024

Der Grossvater-Trick

Ein Freund von mir hat immer Geld, er hat stets das neueste Auto, das neueste Handy und immer eine schicke grosse Wohnung. Da er aber gleichzeitig wenig arbeitet und einen vernünftigen Job kategorisch ablehnt, ist klar, dass er sein Einkommen auch mit sehr, sehr, sehr, sehr obskuren Methoden bestreitet.
Sagen wir es offen: Er ist kriminell.
Und immer, wenn er ein ganz tolles neues Ding hat, dann frage ich nach, wie er dazu gekommen ist.

Als er neulich eine neue Rolex am Handgelenk hatte, fragte ich nach und bekam zur Antwort: «Ich mache den Grossvater-Trick.» «Den Grossvater-Trick?» «Yes.»
Und mein Kumpel erklärte: Er habe das Modell des Enkeltricks schlicht und einfach umgedreht, er rufe junge Leute an, behaupte, er sei der Grossonkel oder Urgrossonkel mütterlicherseits oder väterlicherseits, er sei in Not geraten und brauche Geld, konkret sei er am Bahnhof und benötige 1000 Franken. Und es funktioniere immer, besser als der Enkeltrick, die Youngsters kämen und brächten ihm die Kohle.

Erstaunlich, erstaunlich.
Aber als ich anfing nachzudenken, da kam ich auf vier Gründe, weshalb diese Methode so gut klappt:

Erster Grund

Junge Menschen haben keine Ahnung, wie ihre Familie aussieht. Das ist natürlich auch ein wenig logisch, denn die Verzweigungen der folgenden Generationen bekommt man mit, die Verzweigungen der vorigen Generationen hat man nicht mitbekommen. So kann man wissen, wie viele Grossnichten man hat, aber wie viel Grosstanten hat man? Das muss man erzählt bekommen.
Dazu kommt die Patchwork-Situation: Max lebt mit seiner Mutter und seinem Stiefvater, der Marco mitgebracht hat, es gibt also Max` leibliche Grosseltern, dazu die Eltern seines Stiefvaters und die Eltern von Marcos Mutter, der Junge hat also quasi vier Grossväter und vier Grossmütter, da kann man auch schon ein bisschen den Überblick verlieren…

Zweiter Grund

Man traut der älteren Generation keine wirkliche kriminelle Energie zu. Dies wird natürlich schon seit Jahren als Trick verwendet, aber komischerweise funktioniert das immer noch. Wer würde bei einem 90jährigen Opi das Gepäck nach Haschisch, Koks oder Heroin durchsuchen? Niemand. Aber – so erzählte mir einst ein Zollbeamter in einer Diskussion zum Thema «Sehen Schmuggler wie Schmuggler aus oder sehen Schmuggler nicht wie Schmuggler aus?» – es wurden eben schon 90jährige Opis mit Hasch, LSD, Ecstasy, Koks oder Heroin erwischt. «Je oller, je doller» oder «Alter schützt vor Torheit nicht» sind nur zwei Weisheiten, die klar sagen: Auch Menschen mit grauen Haaren und Krückstock sind zu jeder Schandtat fähig. Ich habe selber vor, in vorgerücktem Alter (so ab 80) noch sämtliche Betrugs-, Diebstahls-, Gewalt- und Raubdelikte nachzuholen, die ich in meinem Leben versäumt habe, mit 100 was klauen, das macht doch dann richtig Spass – und ins Gefängnis muss man ab 85 eh nicht mehr…

Dritter Grund

Junge Leute sind manchmal so im Handy-Stress, dass sie irgendwie den Überblick verlieren, da hat man in 15 WhatsApp-Gruppen 150 neue Nachrichten, da ist auf Instagram und Twitter wieder die Hölle los, da muss man noch 20 Videos auf YouTube anschauen, da sind noch x Mails und y SMS gekommen, ja und dann ruft noch der Urgrossonkel an. Wie soll man da bei der Reizüberflutung noch wissen, ob es diesen Urgrossonkel überhaupt gibt? Und wenn man zwischen dem neuen Video auf TikTok und den Fotos auf Snapchat dann den Anruf annimmt, dann geht man einfach davon aus, dass das schon stimmen wird…

Vierter Grund

Die Generationen Y und Z haben zu viel Geld.
In meiner Jugend zog man so schnell wie möglich von zuhause aus. Und wenn man doch noch daheim wohnte und eine Lehre machte, dann musste man Geld abgeben.
Die Youngsters heute haben gerade das zweite Startup gegründet und haben ein Haufen Geld in Kryptowährungen angelegt, und dann ist man ja auch noch Influencer und YouTuber, aber natürlich wohnt man bis 28 im Hotel Mama – und man käme niemals auf die Idee, der Mama für all das Kochen und Putzen und Wäschewaschen ein bisschen Kryptogewinne abzugeben…

Ein Freund von mir hat immer Geld, er hat stets das neueste Auto, das neueste Handy und immer eine schicke grosse Wohnung. Der Grund: Er ist kriminell.
Und immer, wenn er ganz tolle neue, wertvolle und glänzende Dinge hat, dann frage ich nach, wie er dazu gekommen ist.
Und so erklärte er mir den Grossvater-Trick, eine absolut sichere Betrugsmasche.

Ja, und auch ich werde mich darauf verlegen. Also, ihr Typen zwischen 18 und 28, studiert mal besser eure Stammbäume: Hatte Opa Geschwister? Wie viele Brüder hatte der Urgrossvater? Geistert da noch ein Urgrossonkel in Deutschland umeinander? Wie hiess der Uropa? Und wie sein Schwager? 
Wenn ihr nicht alles im Kopf habt, kriege ich euch.



 

 

   

 

 

 

Dienstag, 23. Januar 2024

Die Insider, die um die Welt jetten

 
Es gibt für Menschen mit den gleichen Interessen stets so etwas wie einen Zirkus. Also jetzt nicht Zirkus im Sinne von Manege und Trapez und Clowns, sondern im Sinne von «im Kreis herum», also mal hier und mal dort. Immer die gleichen Leute treffen sich im Monat X an Ort A, dann später im Y in B und dann im Sommer im C um das Jahr dann in D zu beschliessen.
Das ist dann auch so schön, wenn man immer wieder die gleichen Nasen sieht und irgendwie auch unter seinesgleichen ist…

So treffen sich die Kunstfreunde, die Freunde von Skulptur und Malerei nicht nur an den verschiedenen ARTs (Honkong, Basel, Miami), sondern natürlich auch alle zwei Jahre in Venedig und alle fünf Jahre in Kassel, und alle zehn Jahre gibt es dann einen richtigen Stress, da kommen dann zu Honkong, Miami und Basel noch Biennale und Documenta hinzu.

Die Freundinnen und Freunde klassischer Musik können da nur lächeln, wenn die die Bildende-Kunst-Leute von Stress reden, denn bei Ihnen ist die Anzahl von Festivals so gross, dass man sie kaum überblickt, und natürlich kann man den ganzen Zirkus nur mitmachen, wenn man nicht etwa noch arbeiten muss: Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Aix-en-Provence, Glastonbury, Rheingau, Schleswig-Holstein, etc., etc., etc.

Genauso im Schuss sind die Pferde-Leute, bei ihnen kommt noch hinzu, dass die Rennen über die ganze Welt verteilt sind, man will ja nicht nur nach Iffezheim und Ascot, sondern auch nach Dubai, nach Melbourne, nach Florida.

So viel zu den Reichen und Kultivierten der Welt, die hemmungslos ihren Interessen nachgehen. Die Kunst (Basel, Hongkong, Miami, Kassel, Venedig) oder Musik (Salzburg, Bayreuth, Aix-en-Provence) oder Pferdesport (Iffezheim, Ascot, Dubai, Melbourne, Florida) konsumieren, als ob die Welt noch völlig in Ordnung wäre.
Die Mächtigen der Welt…
Die Mächtigen der Welt…
Ja.
Die Mächtigen der Welt haben auch ihren Zirkus, sie tun das aber nicht aus Reiselust, sondern damit die Welt ein wenig besser wird. Ich weiss nicht, ob sie das bemerkt haben, aber mit jedem Treffen und jeder Konferenz, mit jedem Forum und mit jeder Tagung kommt die Welt dem Zustand «Paradies» ein wenig näher.

Beginnen tut der Polit-Wirtschafts-Zirkus immer in Januar oder Februar in Davos, dann folgen so viele Treffen der Staatsoberhäupter, Aussenminister, so viele Klima- und Friedenskonferenzen, so viele Treffen von UNO und NATO und OSZE und so weiter, dass einem schwindlig werden kann. Und das Feeling ist natürlich so wie bei den Kunstliebhabern, den Musikfreunden und den Rennleuten: «Sie sind doch dann auch wieder in…?» «Gut, dann sehen wir uns in…» Winken hier, Küsschen da, hallo, hallo, hallo, man kennt sich und ist unter sich.

Ein kleiner, klitzekleiner Unterschied ist aber noch, dass die Teilnehmer von Kunst (Basel, Hongkong, Miami, Kassel, Venedig) oder Musik (Salzburg, Bayreuth, Aix-en-Provence) oder Pferdesport (Iffezheim, Ascot, Dubai, Melbourne, Florida) ihre Sache selber bezahlen und die Teilnehmer der Treffen der Staatsoberhäupter, Aussenminister, der Klima- und Friedenskonferenzen, der Treffen von UNO und NATO und OSZE und so weiter ihre Spesen abrechnen – mit irgendwelchen Steuerzahlern.

Aber was würde denn die Welt wirklich besser machen?
Die Welt würde besser, wenn wir das ganze Herumgereise liessen und das gesparte Geld den Ärmsten der Armen gäben. Denn sie – die sogenannte Bottom Billion – kommt ja in der ganzen Thematik überhaupt nicht mehr vor. Sie kommt nicht mehr vor, weil Verhungern – im Gegensatz zum Tod durch Raketen oder ein Erdbeben – so schrecklich untelegen ist. Und hat man es am Montag mal wieder gezeigt, will man es am Dienstag nicht schon wieder sehen.
Aber das wäre eine Sache, die Billionen, die der Kunst-Zirkus und der Musik-Zirkus und der Renn-Zirkus und der Polit-Zirkus verschlingen einfach in die Sahelzone.

Nun gibt es aber noch einen kleinen Unterschied:
Die Leute, die zur ART Basel fahren, die Menschen, die ihre Zeit auf der Documenta verbringen, die Truppe, die sich rund um den Globus rennende und spurtende Pferde anschaut, behauptet nicht, dass ihren Treffen irgendein philosophischer, humaner, menschlicher oder christlicher Wert zukommt. Die Menschen würden auf den Vorwurf, sie täten das alles nur zu ihrem Vergnügen ganz cool antworten:
«Natürlich.»
«What else?»

Die Damen und Herren des Polit- und Klima-, des Friedens- und Weltverbesserungszirkus hingegen behaupten genau das: Was sie tun, geschieht zum Wohle der Welt.
Machen tun beide Gruppen genau das Gleiche.

Ich habe mich deshalb entschlossen, 2025 eine totale Einschränkung vorzunehmen: Kein WEF, keine Klimakonferenz, nicht zur UNO und nicht zur UNESCO, nur die ART Basel als Kunstmesse, keine Documenta (ok, ist eh keine) und den «Ring des Nibelungen» mal daheim (geht nächstes Jahr).
Und wenn man mir jetzt totale Heuchelei vorwirft, dann kann ich nur sagen, dass ich damit absolut in alle Zirkus-Gruppen passe…