Freitag, 5. Januar 2024

Waschen in den Raunächten

Neulich sass ich im Bus zwei älteren Damen gegenüber, die sich angeregt über diverse Dinge unterhielten. Ich konnte nicht umhin, mich gedanklich irgendwann in die Sprache einzuklinken.



«Ich habe neulich meine Servietten gewaschen…»
«Du hast gewaschen?»
«Wieso denn nicht?»
«Es sind Raunächte! Da darf man nicht waschen!»
«Oh, oh, du bist nur halb informiert. Das Wasch-Verbot in den Raunächten ist eigentlich ein Wäsche-Aufhäng-Verbot. Man räuchert die Zimmer und Häuser, um die Geister zu vertreiben, viele Spukgestalten treiben sich aber auch so schon draussen rum. Wenn man jetzt Laken oder Hemden aufhängt, dann verfangen sich die Geister in diesen und man nimmt sie wieder mit ins Haus. So ist das.»
«Wenn ich also den Wäschetrockner verwende, dann darf ich waschen?»
«Exakt.»
«Und wenn ich die Wäsche im Zimmer aufhänge?»
«Dann auch.»

Nun konnte ich nicht umhin, mich in die Diskussion einzumischen:

«Ich wasche immer in den Raunächten», so ich.
«Und benützen Sie den Trockner?», so die eine Dame.
«Ja, aber das spielt keine Rolle.»
«Wieso spielt das keine Rolle?»
«Weil ich an das Raunacht-Zeugs nicht glaube. Das ist purer Aberglaube für mich.»
«Ja dann…»

Eine Weile war Schweigen. Dann merkten wir, dass zwei jüngere Männer, ganz offensichtlich zwei Brüder, eine Weile zugehört hatten und sich intensiv mit dem Thema befassten, das war an den Furchen auf ihren Stirnen zu sehen. Dann mischten auch sie sich in die Diskussion ein:


«Unsere Oma hat NIE gewaschen in den Raunächten. Und ich wasche auch nie», so der eine.
«Kunststück, weil du immer bei mir bist zwischen den Jahren.»
«Ja, aber du wäschst auch nicht.»
«Weil ich nie wasche.»
«Sie waschen nie?», so fragten die beiden Damen und ich aus einem Mund.
«Nachdem ich lange um eine Waschzeit gekämpft habe, die nicht zwischen 8.00 und 17.00 liegt, ich bin ja voll berufstätig, bringe ich alles in die Wäscherei. Und ich kann mir das als IT-Spezialist auch leisten.»
«Na dann…»

Es gab also nur zwei Positionen, aber ganz unterschiedliche Begründungen. Das fand ich faszinierend:

Man wäscht nicht in den Raunächten, weil man Angst vor den Geistern hat.
Man wäscht in den Raunächten, weil man weiss, dass die Geister nur draussen sind und man ungefährdet bleibt, wenn man im Zimmer aufhängt oder den Trockner benützt.
Man wäscht in den Raunächten, weil man eben diese Raunächte für Aberglauben, Unfug, Humbug und esoterischen Schnickschnack hält.
Man wäscht nicht in den Raunächten, weil man gar nicht zuhause ist (bei Verwandten, Skifahren oder auf den Bahamas).
Man wäscht nicht in den Raunächten, weil man nie wäscht – und die Wäsche wegbringt.

Wäre dieses Waschen/Nichtwaschen-Modell nicht eine Supersache zur Lösung aller unserer Probleme? Nach dem Motto: «Finden wir eine Massnahme, hinter der alle stehen können, egal was sie denken» Und wäre es nicht besser, über Massnahmen zu reden, als ständig über die Hintergründe zu streiten?

Ein Freund von mir sieht die Debatte über die Klima-Katastrophe sehr kritisch und fuhr deshalb auf Teufel komm raus Auto. Zum Beispiel jedes Wochenende nach Zürich oder Bern oder Luzern, weil es in Zürich oder Bern oder Luzern «so schöne Parks hat». Ich konnte ihn überzeugen, dies zu lassen. Aber nicht, indem ich in die Klimadebatte einstieg, sondern indem ich ihm klarmachte, dass geparkte Autos die Innenstädte blockieren und Tiere und Menschen totfahren. (Ja, auch der Zusammenprall mit einem Tesla® ist sehr unbekömmlich, probieren Sie es bitte nicht aus…) Und ich konnte ihn überzeugen, indem ich ihm zeigte, dass es nicht nur in Zürich oder Bern oder Luzern, sondern auch in Basel schöne Gartenanlagen hat. Ich führte ihn in den Margarethenpark, den Rosenfeldpark, den Schützenmattpark, den Kannenfeldpark, das Steinbühlmätteli und den Horburgpark. (Basler, Hand aufs Herz: Kennen Sie alle?) Und jetzt fährt der Gute ein bisschen weniger Auto.

Und kaufen Sie keine CDs von Rebeka Nanton, egal, ob Sie ihre Stimme nicht mögen, ob Sie sie für eine eitle, eingebildete und impertinente Frau halten oder aus politischen Gründen. Das ist dann egal.

So viel für heute.
Ich gehe jetzt waschen.
Übrigens: Wenn Sie einen BMI unter 18 haben, dann können Sie Ihre Tangas auch draussen aufhängen. Da fangen sich keine Geister drin…





 

 

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