Dienstag, 28. April 2020

Auch bei Konferenz-Tools gibt es Gebrauchsanweisungen


Die Frage „your place or my place?” war im letzten Post noch ein wenig zu kurz gegriffen. Es geht nämlich nicht nur darum, welches Meeting benutzt, sondern auch, welche Meeting-App gebraucht wird.

Meeting-Apps schiessen ja gerade wie Pilze aus dem Boden. Und in der Diskussion, welches Tool man installiert und verwendet, spielt die Frage nach der Sicherheit eine grosse Rolle. Ich benutze zoom, eine App, die in den letzten Wochen stark in die Schlagzeilen gekommen ist. In grotesker Weise, da verbieten deutsche Politiker diese App in ihren Amtsstuben und Schulen, in ihren Krankenhäusern und Verwaltungseinheiten, um dann international mit eben dieser App mit der WHO, dem WEF, der EZB oder der UNO zu konferieren. Angeblich soll man bei zoom einfach so in ein Meeting stürmen können, um dann rechtsradikale oder pornografische Inhalte zu verbreiten.
Ein Albtraum!
Stellen Sie sich vor, sie halten gerade eine Online-Bibelstunde, und dann erscheint auf einmal ein junger Mann auf dem Screen, über und über mit satanischen Zeichen tätowiert, und singt «Highway to Hell». Stellen Sie sich vor, Sie halten eine Schulstunde und auf einmal sehen alle Ihre Schüler eine Szene aus «Heisse Schwänze – Coole Mösen» der Produktionsfirma Sexfilmchen GMBH. Stellen Sie sich vor, Sie halten eine Seminarstunde der juristischen Fakultät und auf einmal erscheint ein Text auf dem Bildschirm, den man bald als eine Passage aus «Mein Kampf» realisiert, vor allem, weil man ihn dann auch noch vom Autor vorgelesen hört…
Ein Albtraum!
Ein schrecklicher Albtraum!

Es ist spannend, dass man bei elektronischen Dingen zunächst stets der Elektronik die Schuld gibt – und nicht sich selbst.
Wie verhindern Sie, dass bei Ihnen nicht auf einmal eine Sekte im Wohnzimmer steht und Sie bekehren will oder 15 brasilianische Sambatänzerinnen einen flotten Samba tanzen? Wie verhindern Sie, dass auf einmal ein Hausierer in ihrer Küche steht und Ihnen Handtücher anbietet? Wie halten Sie Jack the Ripper aus Ihrem Schlafzimmer heraus? Ganz richtig, es gibt da einige Massnahmen:
Sie schliessen Haustüre und Wohnungstüre.
Sie sperren diese Türen ab.
Sie haben eine Türglocke, Besucher müssen klingeln.
Sie haben eine Sprechanlage.
Wenn Sie ganz sicher sein wollen, schauen Sie auch noch aus dem Fenster, um nachzusehen, wer dort vor dem Haus steht.
So vermeiden Sie, dass Sie 60 Minuten mit Carla und Maria über das Himmelreich diskutieren müssen, vermeiden, dass die Sambaschule mit ihren Hüftschwüngen Ihre Vasen umschmeissen, vermeiden, dass Sie aus Mitleid 150 Microfaserhandtücher kaufen und Sie vermeiden, dass Jack the Ripper das tut, was er normalerweise mit Leuten tut: Sie brutal töten. (Zwei kleine Nebenbemerkungen: Wenn Sie beim Hausierer Handtücher gekauft haben, kann Jack sich wenigstens nicht wie bei Wedekind beklagen, dass es nicht einmal ein Handtuch gebe; und der Hausierer wird Ihnen nichts tun, er hat die Mädchen nicht umgebracht, von Gunten ist – wie Dürrenmatt klar zeigt – unschuldig.)

Wie sieht es nun bei zoom aus?
Wie vermeiden Sie, dass der AC/DC-Sänger, der Satanist nicht in Ihre Gebetsstunde kommt? Wie verhindern Sie, dass Ihre Schüler Rocco the Machine und Dolly Dolla in sämtlichen Stellungen beobachten müssen? Wie vermeiden Sie die Passage «derrrrrrrrr Fuchsssssssss geht zurrrrrrrr Füchssssssssin» in Ihrem Jura-Seminar?
Ganz einfach: Es gibt genügend Sicherheiten, die Personen, die sich über die Lücken beschwerten, haben das Tool einfach nicht richtig genutzt.
Angeblich kann man die Meeting-Nummern einfach durchprobieren, das halte ich aber für unwahrscheinlich. Eher hat man diese einfach rumliegen lassen – liebe Eltern, die Nummern gehören nicht an den Kühlschrank!
Man kann ein Passwort setzen, dass auch wieder nicht an den Eiskasten gehört…
zoom hat eine «Wartezimmer-Funktion», niemand kommt ins Meeting, den Sie nicht hineinlassen.
Allerdings: MAN MUSS SIE AKTIVIEREN.
zoom lässt zu, dass jeder, der im Meeting ist, seinen Bildschirm mit allen teilt.
Allerdings: MAN KANN DIESE FUNKTION DEAKTIVIEREN, dann können nur Sie das tun.
Es wäre also hilfreich gewesen, sich vor dem Benutzen mit den Möglichkeiten der App zu beschäftigen.

Es ist – wie oben schon erwähnt – witzig, dass man bei Elektronik immer nur über die Technik schimpft – und häufig offene Ohren findet. Wenn ich zum Beispiel sage: «Es gibt keinen einzigen funktionierenden Dosenöffner auf der Welt», dann wird sehr schnell die Antwort kommen, dass wahrscheinlich ich zu blöd bin, einen Dosenöffner zu benutzen. Wenn ich über den Mixer von MIELE®, den Staubsauger von AEG®, den Herd von BAUKNECHT® schimpfe – gibt es diese Firmen eigentlich noch? – dann wird man mir empfehlen, jenes entzückende kleine Heftchen zu lesen, jenes Büchlein, jene tolle Broschüre, die man eigentlich VOR dem Erstgebrauch lesen sollte:

Die Gebrauchsanweisung.

Und die sollte man bei Internet-Tools halt auch studieren.
BEVOR man das Tool verwendet.   

Freitag, 24. April 2020

Was bedeutet "zu mir oder zu dir" in zoom-Zeiten?


Sie alle kennen (vielleicht) die Situation: Man ist sich in einer Kneipe, in einem Club, man ist sich in einer Bar, bei einer Vernissage, ist sich in einer Disco, einem Tanzschuppen, bei einem Anlass nähergekommen, und nun beginnt es zu knistern, beginnt es zu vibrieren, es ist eindeutig, der Abend geht irgendwie weiter, wird zur Nacht und (vielleicht) sogar zum nächsten Morgen, ja es ist evident, dass man nun die Kneipe, den Club, dass man nun die Bar, die Vernissage, dass man die Disco, den Tanzschuppen, den Anlass verlassen muss, sich ein Taxi nehmen und …. fahren.
… ja eben.
Wohin?
Und nun erscheint die Frage, die ja schon fast legendär ist: „Zu mir oder zu dir?“ – „Your place or my place?“. Bei ihr ist vielleicht das Bett weicher, aber bei ihm die Bettwäsche schöner. Er hat vielleicht den besseren Rotwein, aber sie die edleren Gläser. Zu ihr ist es weiter, jetzt, aber am nächsten Morgen liegt die Wohnung näher an beiden Arbeitsstellen. Bei ihr hat es eventuell die idyllischere Beleuchtung, aber dafür hat es bei ihm etwas, was sicher von Nöten sein wird, etwas, was bei ihr gerade ausgegangen ist: Kondome.
Aber wie auch immer: Man wird sich entscheiden.
Zu mir oder zu dir? – Your place or my place?

In Corona-Zeiten ist die Frage die gleiche aber eine ganz andere.
Heute Meeting 17.00 – 345-67-09?, werde ich von Tim per Mail gefragt.
Und ich antworte ganz frech:
Sehr OK. Aber besser 567-09-35.
Und bekomme zur Antwort:
Bitte unbedingt 345-67-09.
Hier geht es nicht um Mobiliar oder Bewirtung, hier geht es nicht um Nähe zum Tram oder gar…Kondome. Es ist völlig Wurst, ob die Stühle bei Tim bequemer sind, ich werde auf meinem eigenen Stuhl sitzen, völlig egal, ob es bei Tim Kaffee und Kuchen gibt, ich werde ihn zwar mampfen sehen, aber wenn ich auch Kaffee und Kuchen möchte, dann muss ich diesen mir selber hinstellen. Es ist auch völlig schnurz und piepe, ob der Weg zu ihm eine Stunde wäre, ich muss diesen Weg nicht zurücklegen, und selbst WENN wir unser Meeting, das ein rein privates ist, ins Erotische ausdehnen wollten, Präservative würden wir auch beim heftiges Video-Sex nicht brauchen…

Nein.
Die Frage 345-67-09 oder 567-09-35 ist die Frage nach dem Host. Treffen wir uns „bei mir“, bin ich der Boss. (Nein, nicht der Seifenboss, der Meeting-Boss.) Ich könnte Tim eine Weile im Wartezimmer warten lassen, ich könnte ihn stummschalten, wenn er Unsinn redet, ich könnte ihm erlauben (oder verbieten) seinen Bildschirm zu zeigen. Und ich könnte ihn einfach wieder rausschmeissen. Bei ihm wäre es umgekehrt, er wäre Chef, ich müsste warten, ich könnte zum Schweigen gebracht werden und dürfte vielleicht auch nicht meinen Screen zeigen. Und er könnte mich mit einem Klick zum Teufel schicken.
Zu mir oder zu dir? Your place or my place?
567-09-35 oder 345-67-09?

Das Lustige ist, dass wir die Meetingräume inzwischen wirklich als „Räume“ begreifen. „Wann treffen wir uns?“ – allein diese Frage ist ja eigentlich nach Vor-Corona-Sprachregelung nicht korrekt. Bis zum Februar 2020 war „treffen“ physisch gemeint, von Angesicht zu Angesicht, mit körperlicher Nähe, mit Händeschütteln oder Umarmen. „Ich habe gestern Fred getroffen“ meinte nicht, ich habe mit ihm telefoniert oder gemailt – bis Corona. 
„Treffen“ heisst inzwischen zoomen.
Es ist auch lustig, dass mein Stimmbildner in der Online-Probe sagt, von den aktuell Anwesenden sei keiner bei ihm, er „gehe jetzt zu Gabi“. Das «ich gehe zu xy» bedeutete, dass man sich wusch und anzog, sich rasierte und frisierte, dass man AUS DEM HAUS ging und ein Tram oder Bus nahm, an einer bestimmten Haltestelle ausstieg und dann zur Wohnung von xy ging. Dies bedeutete es bis Ende Februar 2020. Jetzt heiss «ich gehe zu xy»: Ich klicke im Meeting 111-22-33 auf den Button MEETING VERLASSEN und logge mich neu bei 333-22-11 ein. Dabei verlässt man den eigenen Stuhl nicht. Gut, gewaschen und frisiert sollte man sein, auch angezogen, immerhin sind das ja alles Video-Tools…
Nein, es ist witzig, dass wir die Räume wirklich als Räume begreifen. Auch ich empfinde mich als irgendwo weg, irgendwo anders, wenn ich in einem meiner beiden Meeting-Räume bin, ja, ich habe sogar das Gefühl eines Ortswechsels, wenn ich von Rolf Herter 1 zu Rolf Herter 2 wandere, nein, nicht wandere, ich bleibe ja immer am PC sitzen.

Zu mir oder zu dir?
Your place or my place?
Die Frage ist von einer Lustfrage, einer Geschmacksfrage, einer Praktikabilitätsfrage oder sogar von einer Safer-Sex-Frage zu einer Machtfrage geworden.
Wer ist der Host? Und wer nur der Teilnehmer?

Also besuchen Sie mich bitte.
Ich komme nicht zu Ihnen. Ich will, dass Sie warten und ich will Sie stumm schalten können.

P.S.: Probieren Sie nicht die Nummern aus, die sind viel zu kurz, die alten zoom-Nummern waren neunstellig, die neuen sind (aus Sicherheitsgründen) elftstellig. Und meistens braucht es auch ein Passwort.


Dienstag, 21. April 2020

Bücherkiste die Zweite...


Die Bücherkistensache hat noch ein kleines Nachspiel.
Wie ich erzählte, entdeckte ich ja am Ende des letzten Posts, dass das Buch von Frau Heidenreich, das ich aus der Mitnehmebücherkiste mitgenommen hatte, bei mir schon im Regal stand. Und beim weiteren Durchsehen entdeckte ich noch fünf weitere Doubletten – weiss der Himmel, wie ich zu diesen Werken gekommen war.
Also raus damit auf die Strasse, ich suchte mir einen geeigneten Karton, schrieb GRATIS drauf, und jetzt hatte (habe) ich auch eine Mitnehmebücherkiste. Da ich aber nun gerade dabei war, ging ich nun noch einmal durch meine Bücherwand. Und fand doch eine Reihe von Romanen, Erzählungen, von Novellen und Gedichtsammlungen, fand Essays und Biografien, die ich in verschiedene Kategorien einteilte:
die Warum-hast-du-die-denn-Bücher
die Einmal-gelesen-aber-nun-ist-auch-gut-Bücher
die Zweimal-gelesen-aber-nun-ist-auch-gut-Bücher  
Nur zur Erklärung: In Kategorie 1 gehört z.B. Hera Lind, in die zweite Tommy Jaud, und in die dritte gehört Mankell.
Also raus damit auf die Strasse!

Die Mitnehmebücherkiste war ein voller Erfolg. Nach 2 Stunden waren die ersten Werke weg, und nach einem Tag war sie bis auf ein Drittel leer.
Merkwürdigerweise…
Merkwürdigerweise…
Ja, merkwürdigerweise war sie nach einem weiteren Tag wieder voll. Da hatte doch jemand mir einfach Bücher hineingelegt! Aus dem Mitnehmebücherkistchen war ein Austauschbücherkistchen geworden. Das Schreckliche war, dass die Person (die Personen?) Bücher hineingelegt hatten, keinen schlechten Geschmack hatten, und so musste ich einfach auch wieder Bücher mit in meine Wohnung nehmen. Und so wuchs der Stapel der noch zu lesenden Werke auf meinem 50er Jahre-Vintage-Lesetischchen um folgende Romane: Hurrikan von Dick Francis, Wassermusik von T. C. Boyle, Von dieser Welt von James Baldwin und Das launische Eiland von Andrea Camilleri. Zum Glück fand ich noch mehr Bücher in meinem Regal, die auch wieder auf die Strasse können…

Nun bin ich aber an einem kleinen Leitfaden für die Benutzer meiner Mitnehmebücherkiste. Einfach, um dem bei solchen Mitnehmebücherkisten üblichen Missbrauch vorzubeugen.

Liebe Bücherfreunde und Bücherfreundinnen!

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Es gibt wenige grosse Geister der Weltgeschichte, bei denen der gesamte Nachlass relevant ist, und von denen auch Einkaufszettel, Rechnungen, Notizzettel und sogar ihre alten Papiernasentücher archiviert werden. Bei Ihnen ist das nicht so! Bitte werfen sie deshalb Ihre Einkaufszettel, Rechnungen, Notizzettel und alten Papiernasentücher nicht in diese Kiste! Sie ist kein Mülleimer. Bedenken Sie, dass Sie das direkt vor meinem Fenster tun, sollte ich Sie also sehen, sind Sie schnell in der Notaufnahme, und zwar nicht wegen Corona, sondern mit gebrochenem Nasenbein oder einer reizenden Schulterprellung.

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Reiseführer weiterzugeben ist in Zeiten, in denen kein Mensch reisen kann, ein wenig zynisch. Schön, dass Sie den Mitmenschen Fahrten in die Bretagne, in die Abruzzen, Trips zu den Azoren und Flüge in die Karibik nahelegen möchten. Bitte bedenken Sie aber, dass dies Tantalusqualen sind. Niemand kann zurzeit Fahrten in die Bretagne, in die Abruzzen, Trips zu den Azoren und Flüge in die Karibik machen, das ist wie jemand ein Steak vor die Nase halten und dann dem Hund vorwerfen. Ausserdem: Reiseführer von 1987 sind veraltet; ich glaube kaum, dass von den 16 Restaurants in Brest noch alle bestehen, das gleiche gilt wohl für die Hotels in Ponta Delgada (Marco Polo von 2001).

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Das Gleiche gilt übrigens auch für Technik-Bücher. Die veralten in einem Tempo, das man schon Auflagen von 2013 einfach wegwerfen kann. Wer kann etwas mit Arbeiten mit Windows 7 noch etwas anfangen? Wer mit So erstelle ich ein doc.-Dokument? Wer möchte etwas über die Faxtechnik wissen? Wer weiss überhaupt noch, was ein Fax ist? Also: Mit alten IT-Bücher zur Deponie und nicht zu meiner Kiste!

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Bitte stellen Sie auch keine baskischen, finnischen, keine katalanischen oder ungarischen Bücher in diese Kiste. Da sind sicher Romane dabei, die man im Original gerne lesen würde, aber man kann eben kein Baskisch, Finnisch, kein Katalanisch oder Ungarisch. Die Zahl der Muttersprachler(innen) in meinem Quartier ist wahrscheinlich gering.


Wenn Sie diese Punkte beherzigen, liebe Leserin und lieber Leser, dann dürfen Sie gerne bei mir ein paar Bücher loswerden. Aber bitte:
NEHMEN SIE AUCH WELCHE MIT!

P.S. Die Geschichte ist 100%ig wahr. 

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund.