Ich hatte einem Kollegen einen Artikel für
eine Fachzeitschrift geschickt. Als ich das Periodikum dann in den Händen
hielt, war ich etwas erstaunt. Statt
Ganz gleich, ob man die „Geistlichen
Lieder op. 56“ von Hubert Mahlen-Müller im Konzert oder tatsächlich im
Gottesdienst aufführen möchte, es gibt in den 10 Gesängen schillernde Harmonien
und rhythmische Raffinesse zu entdecken.
stand da
Man kann Geistliche Lieder op. 56 im
Gottesdienst oder Konzert aufführen. Sie haben schillernde Harmonien und
raffinierte Rhythmen.
Ich rief den Kollegen an und er gestand
mir, dass er den Schlusssatz eigentlich graphisch verändern wollte und ihn dann
aus Versehen gelöscht habe. Auf meine Frage, warum er mir nicht gemailt habe,
ich möge den Text noch einmal schicken, sagte er: „Ist doch noch schöner so.“
Noch schöner.
Heinz hat einen schlimmen Unfall hinter
sich, bei dem er aber noch Glück hatte. Es wurden keine inneren Organe
verletzt, ein Arm- und ein Beinbruch, etliche Prellungen und vor allem üble
Entstellungen im Gesicht. Es wurde eine plastische Operation notwendig, bei der
an Nase, Ohren und Mund herumgeschnitten werden musste. Als Heinz zum ersten
Mal wieder auf eine Party geht, schaut ihn Hubert lange an und sagt dann
bedächtig: „Also, wenn du mich fragst, noch schöner als vorher.“ Kann man es
Heinz übelnehmen, dass er Hubert den Sekt ins Gesicht schüttet und ihm einmal
heftig ins Knie tritt?
Noch schöner.
Und da ist dann noch der Hotelgast, der im
City Hotel Bad Homburg im Zimmer Nr. 67 – man weiss nicht, ob aus Wut, im Suff,
im Drogenrausch oder einfach aus Tox und Jullerei – die Vorhänge abreisst, ein
Wandbild zerstört und den Türrahmen blau anmalt. Vom Manager zur Rede gestellt,
meint der Gast nur lapidar, es sei jetzt noch schöner.
Noch schöner.
Noch schöner.
Das ist eigentlich ein ziemlich frecher
Ausdruck. Heisst ja, nun, nun, es war schon irgendwie gut vorher, aber jetzt
ist halt besser, schöner, das war schon ganz richtig, wie es war, aber nun
haben wir es verbessert, verschönert, jetzt ist es irgendwie runder, eleganter,
jetzt ist es – ja, genau – noch schöner. Der Satz war gut, aber jetzt ist er
besser, straffer, verständlicher. Dein Gesicht war ganz nett, nun aber, nach
der Operation ist es wirklich schön, ein Model-Gesicht, ein Kosmetikreklame-Face.
Das Zimmer war hübsch eingerichtet, aber nun, ohne Vorhänge und Bild und mit
blauem Türrahmen ist es traumhaft.
Noch schöner.
Das waren auch die Worte von Herrn Macron.
Wir erinnern uns: Vor einem Jahr brannte die wohl wichtigste, auf jeden Fall
eine der wichtigsten Kirchen der Menschheit. Und sofort danach verkündete
Monsieur President, man werde sie schnell wieder aufbauen, und plus beau,
schöner, noch toller, noch herrlicher. Aber was sollte denn das? Notre Dame war
nicht zu verbessern, und dieses plus beau hiess ja – genauso frech wie bei
Text, Gesicht und Hotelraum – dass das Juwel der Gotik irgendwie einen
Verbesserungsbedarf in sich trüge. Man hatte fast das Gefühl, dass der werte
Emmanuel immer wieder vor dem gotischen Gotteshaus gestanden war und bei sich
dachte: „Wahnsinnig schön – aber könnte man nicht da… oder dort…da könnte doch
noch…da sollte man doch noch…irgendwie müsste man…“
Was für ein Unsinn.
Was für ein schrecklicher und furchtbarer
Unsinn.
Allerdings schienen auch sämtliche
französischen Architekten nur darauf gewartet zu haben, das Bijout, das Juwel,
nur gelauert zu haben die grossartige Kathedrale Unserer Lieben Frau „noch
schöner“ zu machen. Einer dieser zweifelhaften Zunft setzte sich sogar noch in
der Nacht an seinen Zeichentisch. Und was rollte da nicht alles an: Aufbauten
aus Glas, aus Beton, aus Metall, die modernsten und avantgardistischsten
Entwürfe, kühn, provokant, bahnbrechend. Aber würden sie dem herrlichen Bauwerk
gerecht? Und was ist eigentlich mit Denkmalschutz? Gibt es den in Frankreich?
Und ist es völlig egal, dass im Fall einer Notre-Dame-mit-Glas-Dachreiter das
Bauwerk natürlich den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes verlieren wird?
Noch schöner?
Ich bin so froh, dass das in Basel nicht
passieren kann. Wenn der eine Münsterturm einstürzt, dann ist klar, dass er so
wiederaufgebaut wird, wie er jetzt aussieht. Dafür haben wir einen strengen
(oft stöhnen wir: zu strengen) Denkmalschutz. Nicht, dass das Architekturbüro
Fürst & Emuronde sich nicht noch während der Aufräumarbeiten melden würde
und einen kühnen Entwurf präsentieren würde, vielleicht einen schrägen Turm,
oder etwas mit aufschiebbaren Fensterläden, oder etwas, das wie ein Schiff
aussieht, irgendetwas, was mit ihren scheusslichen Bauwerken kommuniziert.
Aber sie würden eine Absage erhalten.
Grâce à Dieu.
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