Dienstag, 14. April 2020

Noch schöner?????


Ich hatte einem Kollegen einen Artikel für eine Fachzeitschrift geschickt. Als ich das Periodikum dann in den Händen hielt, war ich etwas erstaunt. Statt
Ganz gleich, ob man die „Geistlichen Lieder op. 56“ von Hubert Mahlen-Müller im Konzert oder tatsächlich im Gottesdienst aufführen möchte, es gibt in den 10 Gesängen schillernde Harmonien und rhythmische Raffinesse zu entdecken.
stand da
Man kann Geistliche Lieder op. 56 im Gottesdienst oder Konzert aufführen. Sie haben schillernde Harmonien und raffinierte Rhythmen.
Ich rief den Kollegen an und er gestand mir, dass er den Schlusssatz eigentlich graphisch verändern wollte und ihn dann aus Versehen gelöscht habe. Auf meine Frage, warum er mir nicht gemailt habe, ich möge den Text noch einmal schicken, sagte er: „Ist doch noch schöner so.“
Noch schöner.

Heinz hat einen schlimmen Unfall hinter sich, bei dem er aber noch Glück hatte. Es wurden keine inneren Organe verletzt, ein Arm- und ein Beinbruch, etliche Prellungen und vor allem üble Entstellungen im Gesicht. Es wurde eine plastische Operation notwendig, bei der an Nase, Ohren und Mund herumgeschnitten werden musste. Als Heinz zum ersten Mal wieder auf eine Party geht, schaut ihn Hubert lange an und sagt dann bedächtig: „Also, wenn du mich fragst, noch schöner als vorher.“ Kann man es Heinz übelnehmen, dass er Hubert den Sekt ins Gesicht schüttet und ihm einmal heftig ins Knie tritt?
Noch schöner.

Und da ist dann noch der Hotelgast, der im City Hotel Bad Homburg im Zimmer Nr. 67 – man weiss nicht, ob aus Wut, im Suff, im Drogenrausch oder einfach aus Tox und Jullerei – die Vorhänge abreisst, ein Wandbild zerstört und den Türrahmen blau anmalt. Vom Manager zur Rede gestellt, meint der Gast nur lapidar, es sei jetzt noch schöner.
Noch schöner.

Noch schöner.
Das ist eigentlich ein ziemlich frecher Ausdruck. Heisst ja, nun, nun, es war schon irgendwie gut vorher, aber jetzt ist halt besser, schöner, das war schon ganz richtig, wie es war, aber nun haben wir es verbessert, verschönert, jetzt ist es irgendwie runder, eleganter, jetzt ist es – ja, genau – noch schöner. Der Satz war gut, aber jetzt ist er besser, straffer, verständlicher. Dein Gesicht war ganz nett, nun aber, nach der Operation ist es wirklich schön, ein Model-Gesicht, ein Kosmetikreklame-Face. Das Zimmer war hübsch eingerichtet, aber nun, ohne Vorhänge und Bild und mit blauem Türrahmen ist es traumhaft.

Noch schöner.
Das waren auch die Worte von Herrn Macron. Wir erinnern uns: Vor einem Jahr brannte die wohl wichtigste, auf jeden Fall eine der wichtigsten Kirchen der Menschheit. Und sofort danach verkündete Monsieur President, man werde sie schnell wieder aufbauen, und plus beau, schöner, noch toller, noch herrlicher. Aber was sollte denn das? Notre Dame war nicht zu verbessern, und dieses plus beau hiess ja – genauso frech wie bei Text, Gesicht und Hotelraum – dass das Juwel der Gotik irgendwie einen Verbesserungsbedarf in sich trüge. Man hatte fast das Gefühl, dass der werte Emmanuel immer wieder vor dem gotischen Gotteshaus gestanden war und bei sich dachte: „Wahnsinnig schön – aber könnte man nicht da… oder dort…da könnte doch noch…da sollte man doch noch…irgendwie müsste man…“
Was für ein Unsinn.
Was für ein schrecklicher und furchtbarer Unsinn.

Allerdings schienen auch sämtliche französischen Architekten nur darauf gewartet zu haben, das Bijout, das Juwel, nur gelauert zu haben die grossartige Kathedrale Unserer Lieben Frau „noch schöner“ zu machen. Einer dieser zweifelhaften Zunft setzte sich sogar noch in der Nacht an seinen Zeichentisch. Und was rollte da nicht alles an: Aufbauten aus Glas, aus Beton, aus Metall, die modernsten und avantgardistischsten Entwürfe, kühn, provokant, bahnbrechend. Aber würden sie dem herrlichen Bauwerk gerecht? Und was ist eigentlich mit Denkmalschutz? Gibt es den in Frankreich? Und ist es völlig egal, dass im Fall einer Notre-Dame-mit-Glas-Dachreiter das Bauwerk natürlich den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes verlieren wird?
Noch schöner?

Ich bin so froh, dass das in Basel nicht passieren kann. Wenn der eine Münsterturm einstürzt, dann ist klar, dass er so wiederaufgebaut wird, wie er jetzt aussieht. Dafür haben wir einen strengen (oft stöhnen wir: zu strengen) Denkmalschutz. Nicht, dass das Architekturbüro Fürst & Emuronde sich nicht noch während der Aufräumarbeiten melden würde und einen kühnen Entwurf präsentieren würde, vielleicht einen schrägen Turm, oder etwas mit aufschiebbaren Fensterläden, oder etwas, das wie ein Schiff aussieht, irgendetwas, was mit ihren scheusslichen Bauwerken kommuniziert.

Aber sie würden eine Absage erhalten.

Grâce à Dieu.   



  

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