Freitag, 27. November 2020

Die schrecklichen kleinen Entscheidungen

Mein Zug erreicht den Bahnhof Basel SBB. Ich klappe mein Buch zu, aber nicht ohne vorher das Leseband auf die aktuelle Seite zu legen, zusätzlich lege ich ein Buchzeichen hinein und klappe den Schutzumschlag um. Ich habe die Seite 54 von Himmel und Speck also dreifach markiert.
Der Mann, der mir gegenübersitzt, schaut mich mit grossen Augen an: «Also, einmal würde doch genügen.» Ich muss lachen: «Natürlich würde es das. Aber ich kann mich nicht entscheiden. Manchmal hat es gar nix, dann lege ich sogar irgendeinen Kassenzettel hinein, aber gebundene Diogenes-Bücher sind schrecklich, da hat es Leseband UND Umschlag UND sie legen immer noch ein Kärtchen mit einem Spruch darauf hinein, und weil ich mich partout nicht entscheiden kann, benutze ich halt Leseband UND Umschlag UND Kärtchen.»
«Hmmmm», macht der Mann nur. «Was meinen Sie», fahre ich fort, «warum ich beim Italiener stets Insalata mista und Lasagne, beim Asiaten stets Flühlingslollen und ein Hühnchencurry und beim Griechen stets Dolmades und Moussaka bestelle?» Der Mann grinst: «Wahrscheinlich, weil das Lesen einer Speisekarte mit mehr als fünf Gerichten Sie vollständig überfordert?» «Weil ich mich nicht entscheiden könnte, also ist die Entscheidung immer schon vorher gefallen.»
Der Mann lacht: «Wenn ich so recht nachdenke, dann habe ich schon ähnliche Situationen erlebt. Neulich konnte ich mich einfach nicht entscheiden, ob ich vom Centralbahnplatz mit der Linie 2 über Kirschgarten zum Bankverein oder mit der 8, 10 oder 11 über den Aeschenplatz fahren sollte, immer stellte ich mir vor, wo eventuell ein interessantes Schaufenster wäre, das ich dann verpassen würde, wenn ich die andere Route nähme – am Ende bin gelaufen, und zwar nicht irgendein Tramgleis entlang, sondern quer durch die Gassen.
Und kürzlich verpasste ich eine Vernissage, weil ich nicht entscheiden konnte, ob ich mein weisses Yomahoto-Hemd oder meinen grünen La Hostique-Pulli anziehen soll…» «Eben, und da wäre einfach meine Methode, IMMER mit dem 2er zum Bankverein zu fahren und zu Vernissagen IMMER das Yomahoto-Hemd anzulegen.»
Wir lachen beide.

Inzwischen sind wir natürlich auf der Rolltreppe, aber wir sind nicht nur in Basel, sondern auch bei Du angelangt – welch schönes Zeugma – der neue Bekannte hat sich als Luryn vorgestellt. Ich lade Luryn auf einen Kaffee ins Blue Train ein, die Entscheidung fällt auch nicht schwer, weil ich immer ins Blue Train gehe.
Bei zwei Espressi kommen wir wieder auf unser Thema zurück. «Wenn du jetzt meinst», sage ich zu Luryn, «dass ich in meinem Leben so überhaupt nichts gebacken kriege, dann liegst du falsch. Alle grossen Entscheidungen habe ich in nullkommanix getroffen. Als ich 2018 kurz vor einem Burnout stand, da brauchte ich einen Tag, um zu sagen: Ab 2019 nur noch 60% schaffen. Und als mein Partner anrief und sagte, die Wohnung unter ihm werde frei, da sagte ich sofort zu – und ich hatte die Wohnung noch nicht einmal gesehen – er kannte sie allerdings.» Luryn grinst: «Das ist aber normal, grosse Entscheidungen treffen sich immer leichter.»

Hat Luryn recht? Sind grosse Entscheidungen wirklich immer leichter?
Vielleicht.

Stellen Sie sich einmal vor, Murgistan und Forgistan streiten sich um das 40 Quadratkilometer grosse Gebiet des Surkutales, in dem die Dörfer Ghu, Ghast, Gholl und Gham liegen. Nun müsste und könnte und sollte man viele kleine Entscheidungen treffen: Wird Ghu murgisisch und Ghast forgisisch oder umgekehrt? Was passiert mit Gholl und Gham? Soll man eventuell Unter-Gham und Ober-Gham teilen, immerhin liegt der obere Teil 400 Meter höher? Was geschieht mit dem Sirk-Wald und mit der Tigu-Heide? Und weil eben kleine Entscheidungen so schwierig sind, wird beschlossen, das Surkutal komplett einem der beiden Länder zuzuschlagen – dummerweise beschliessen das beide Staaten, Murgistan findet, es gehört ganz ihnen und Forgistan findet das auch. Ein langer und zäher Krieg beginnt, bei dem die marginale Bedeutung der Zone, die Dörflein Ghu, Ghast, Gholl und Gham haben alle weniger als 300 Einwohner und im Boden hat es zwar Nährstoffe für Mais und Saubohnen, aber keine Erze. Ja, und der letzte Tourist war vor 10 Jahren an der Surku.

Stellen Sie sich vor, da muss die Stadt Wirklingen sich um ihr vergammeltes Rathaus kümmern. Auch hier kippt eine ganze Wagenladung an Entscheidungen auf die Räte: Sind die Wasserleitungen noch zu retten? Was ist mit der Elektrizität? Soll die Wandmalerei des ortansässigen Künstlers Dolf Duder erhalten werden? Braucht es einen Ausbau des Ratsaales? Braucht es mehr Büros? Oder weniger?
Auch hier hat man keine Lust auf kleine Entscheidungen und trifft eine grosse: Kompletter Abriss und Neubau.

Und ein wenig ist es auch so bei Corona: Jedes Schutzkonzept ist eine Summe aus diversen Entscheidungen, jede Bestimmung sagt zu einer Sache ja und zu einer anderen Sache nein. Da könnte man sogar bei jedem Museum eine Extra-Entscheidung treffen. Da kann man dem Heimatmuseum, das zwar oft nicht gut besucht ist, in das sich aber einmal in der Woche eine Horde Rentner-Ausflügler ergiesst, eben diese Rentner verbieten, da kann man der Kunsthalle ihre Sammlung offen lassen, den nächsten Blockbuster (Pollock komplett – erwartete Besucher 20000) natürlich untersagen. Aber auch hier: Grosse Entscheidung. Alles dicht.

Luryn hat recht. Er ist ein kluger Mensch. Übrigens auch ein netter. Wir haben Telefonnummern ausgetauscht und werden uns bald einmal treffen.
Die Frage ist nur wo.
Schon wieder so eine Entscheidung.


Dienstag, 24. November 2020

6 Methoden, um Trump aus dem Weissen Haus zu kriegen

Wie bringt man Trump aus dem Weissen Haus? Das wird im Januar die schwierige Frage. Donny macht ja keine Anstalten aus seiner Residenz auszuziehen. Aber Joe Biden sollte irgendwie Präsident werden können. Wie geht man vor? Hier eine kleine Auswahl aus verschiedenen Vorgehensweisen, wobei jeweils Vor- und Nachteile diskutiert werden.

Die FBI-Methode

Die Methode ähnelt dem Vorgehen bei Einsätzen gegen Schwerverbrecher. Das Weisse Haus wird umstellt, aus dem Megafon erklingt: "Mr. President, das Haus ist umstellt. Bitte legen Sie die Waffe weg kommen Sie mit erhobenen Händen heraus. Anderenfalls müssen wir das Haus stürmen."
Vorteil: Klare Verhältnisse. Das FBI hat eingegriffen, man kann Trump dann auch sofort verhaften und vor Gericht stellen. Es gibt keine Diskussion und keine Verzögerung.
Nachteil: Es könnte, wenn Trump (und seine Getreuen?) zurückschiessen zu Toten und Verletzten kommen. Eine Amtseinführung von Biden auf blutbeschmierter Tribüne und vor einem White House mit Einschusslöchern wäre irgendwie unschön.

Die Victoria`s Angel-Methode

Man lässt zwölf Models in Unterwäsche vor dem Weissen Haus herumtanzen, solange, bis Donny sie sieht und natürlich – er steht ja auf weibliche Körper und ist auf der reinen Männerschiene durchaus ansprechbar – ins Freie kommt. Dann laufen sie neckend und lachend davon und der geile Alberich oder Falstaff hinterher. Irgendwann merkt er, dass dies eine Falle war, aber da ist Joe längst drin.
Vorteil: Es kommt zu keiner Gewalt und keinen Toten, es ist einfach ein Trick, um ihn aus dem Haus zu locken.
Nachteil: Die Methode ist ein wenig frauenfeindlich und man müsste absolut sicherstellen, dass der Expräsident die Models nicht erwischt.

Die Feuer-Methode

geht wie eine Kombi der beiden oberen: Man legt Feuer im Weissen Haus. Donny ist nun alles, aber kein Märtyrer. Er wird, wenn Rauch und Schwaden und Flamme und Feuer um ihn zingeln, sicher nicht im Hause bleiben und sich verbrennen lassen. Spätestens, wenn seine Haare angesengt werden, dann wird er rauskommen. Immerhin gibt er angeblich pro Jahr 70 000.—für seine Frisur aus.
Vorteil: Trump wird unverletzt das Weisse Haus verlassen, aber ein wenig Strafe ist es eben doch: Kleine Rauchvergiftung, Todesangst, Herzrasen…
Nachteil: Das White House wird nun wirklich beschädigt, und die schwarze Ruine bietet nun wirklich keine schöne Kulisse für den zukünftigen Präsidenten.

Die Blue House-Methode

Der Präsident MUSS nicht im Weissen Haus sein. Er MUSS auch nicht in Washington wohnen. Der Papst war ja auch nicht immer in Rom, sondern eine Weile in Avignon. Die Methode geht nun so, dass man in Philadelphia ein blaues Präsidentenhaus baut und den Trumpie einfach in Washington lässt.
Vorteil: Unblutig, ohne Schwierigkeiten und Ärger
Nachteil: Man müsste einige Gesetze und Regeln ändern, wenn das Staatsoberhaupt nicht mehr in der Hauptstadt wohnt – oder würde Philadelphia dann gar Hauptstadt?

Die «Wir sind die Neuen»-Methode

Durch eine Kellertür werden Joe Biden und seine Frau ins Weisse Haus geschleust, und nun bewohnen sie eine Weile mit den Trumps zusammen das Weisse Haus. Wenn die Trumps frühstücken, sitzen die Bidens frech mit am Tisch, ebenso beim Mittagessen und beim Dinner. Wenn Trump an seinem Tisch im Oval Office sitzt, sitzt Joe natürlich auch mit dabei. Irgendwann wird Trump so genervt sein, dass er geht.
Vorteil: Sehr trickreich und sehr witzig, Trump kann nichts machen, er kann nicht die Polizei holen, da ER ja unrechtmässig im White House hockt.
Nachteil: Sehr nervenaufreibend für Biden, der eben seine Nerven ja für andere Sachen brauchen würde.

Die Hunde-Methode

Im Weissen Haus waren immer Hunde. Nur unter Trump nicht, er scheint keine zu mögen. Die Hunde-Methode geht nun wie die obige, nur dass man zunächst die beiden zukünftigen "First Dogs" Major und Champ ins Haus lässt. Sie werden Donny schon vertreiben.
Vorteil: Ebenfalls trickreich und witzig.
Nachteil: Aus Tierschutzgründen abzulehnen, die Tiere halten Trump sicher nicht aus.

Egal, welche Methode man anwendet: Gehen muss Trump auf jeden Fall.





Freitag, 20. November 2020

Die Corona-Pfeile oder Tesa steckt hinter Corona

Neulich musste ich in Muttenz eine halbe Stunde totschlagen.
Eigentlich ein komischer Ausdruck, „die Zeit totschlagen“, was soll das eigentlich heissen, wie kann man Zeit, die ja gar nicht existiert, totmachen, ermorden, meucheln, und was geschieht dann mit der toten Zeit, aber nun gut, lassen wir das mal so stehen, man sagt einfach so, es ist eine der ganz komischen Redewendungen, wir fangen noch einmal so an:
Neulich musste ich in Muttenz eine halbe Stunde totschlagen. Und das kam so: Ich kam von Solothurn kommend via Olten zum Bahnhof Muttenz, dort wäre um 14.20 ein Bus zum Hallenbad gefahren, das ich dann um 14.30 erreicht hätte, aber bis 15.00 ist Altersschwimmen und da lässt man mich – trotzt meiner grauen Haare und meiner Lebensweisheit – nicht hinein. Ich hatte also drei Möglichkeiten:
1. Am Bahnhof Muttenz eine halbe Stunde dumm herumstehen und Maulaffen feilhalten (wieder so ein schrecklich blöder Ausdruck, eine dumme Phrase, eine seltsame Redensart…)
2. Im Schwimmbad-Café einen doppelten Espresso trinken und durch die Scheibe, die zum Sprungbecken geht, knackigen jungen Kerlen beim Jumpen zugucken.
3. Den Bus nehmen, Muttenz Dorf aussteigen und dort zwei Erledigungen machen (der Basler nennt so ganz reizend «Kommissionen»)
Ich entschied mich für das Dritte, denn es war kalt am Bahnhof und ich hatte gar keine Maulaffen dabei, und im Schwimmbad-Café hätte es wohl einen Espresso, aber im Sprungbecken keine knackigen Kerle gegeben, denn es war ja – Sie erinnern sich – Seniorenschwimmen.

In Muttenz Dorf waren nun zwei Dinge zu tun: Auf der Bank Überweisungen machen und Geld abheben und beim DENNER ein paar Tuben Hautcreme kaufen, denn ich hatte beim Packen meines Schwimmbeutels gemerkt, dass mein Hautcremevorrat zur Neige ging. Auf der UBS ging alles gut, der Multimat-Scanner akzeptierte meine Überweisungsvordrucke und der Geldautomat spuckte, wie gewünscht, neun 20 Franken-Scheine aus, das Problem kam dann erst beim DENNER. Auch da ging zuerst eigentlich alles super, ich fand drei Tuben Bodylotion, ich ging zur Kasse und zahlte, ich wollte hinausgehen und:
Da!
Auf dem Boden war ein aufgeklebter Pfeil!
Und er zeigte nach rechts! Also wieder hinein!
Als coronamassnahmentreubefolgender Mensch kam für mich natürlich nicht in Frage, den Pfeil einfach zu ignorieren und in die Gegenrichtung hinauslaufen, nein als coronamassnahmentreubefolgender Mann folgte ich coronamassnahmentreubefolgend dem Pfeil und ging wieder in den Laden, in der Hoffnung, nach einem weiteren Einkauf wäre der Pfeil einfach nicht mehr da.
Was natürlich nicht so war. Nachdem ich nun ein paar Schokokekse gekauft hatte, bezahlt hatte, stand ich wieder an der Stelle und wieder zeigte der Pfeil in den Shop hinein. Wieder kam für einen coronamassnahmentreubefolgenden Bürger ignorieren nicht in Frage. Ich überlegte kurz, es wie Mephisto zu machen: Leute zunebeln, Ratten rufen und die Biester das Bodensymbol wegnagen lassen. Kam aber nicht in Frage, denn ich wusste schlicht und einfach nicht wie. Ich kannte die Zaubersprüche für Traumnebel und Rattenruf nicht, und bin auch gar nicht der Teufel…

Also wieder hinein in den Laden. Beim dritten Bezahlen, ich kaufte einfach noch ein Päckchen Zigaretten, sprach mich die Kassiererin an. Was denn mit mir los sei, ob ich vergesslich sei, oder ob ich ein anderes Problem habe… ich klagte ihr mein Leid, wenn es so weiterginge würde ich bis zum Jüngsten Tage, bis in alle Ewigkeit, bis Armageddon im DENNER herumlaufen. «Ach, der Pfeil», sprach sie, «den dürfen sie einfach ignorieren.» Dies hielt ich nun für eine Falle. Nachher stünde am Ausgang so ein Security-Mensch und würde mich als coronamassnahmennichtbefolgenden Kerl einfach verhaften. Ich liess mir das schriftlich geben und mit einem Zettel

Dieser Mann erhält von der Firma DENNER das Recht, den Pfeil am Ausgang zu ignorieren und den Laden in entgegengesetzter Richtung zu verlassen.

konnte ich endlich wieder auf die Strasse.

Und auf der Strasse kam mir die Erleuchtung: Tesa! Tesa, damit die Beiersdorf AG stecken hinter dem Hochspielen der Corona-Pandemie! Nicht Bill Gates, nicht die Finanzwelt, nicht die Pharmahalunken, nein: Tesa!
Die müssen doch Millionen, nein Milliarden verdienen, wenn überall geklebt wird, Trennlinien, Wartelinien, Pfeile, in Rot, in Gelb, in Blau, breit, schmal, Trennlinien, Wartelinien, Abstandslinien, Pfeile, es ist, glaube ich, noch nie so viel geklebt worden.
Und jetzt kommt es: Trotz mehrfacher Nachfragen in Norderstedt (Tesa-Zentrale) hat die Firma nicht geantwortet! Auf keinen Anruf, keinen Brief und keine Mail. Das zeigt doch ganz klar, dass die etwas zu verbergen haben…

Durch diese Erkenntnis, diese neue Theorie (Verschwörungs-Theorie?) in Höchststimmung gebracht, erreichte ich das Hallenbad. Dort stellte ich fest, dass coronabedingt zurzeit gar kein Seniorenschwimmen stattfindet.



Dienstag, 17. November 2020

Liebes booking.com die Zweite

 Liebes booking.com

Ich habe dir schon einmal geschrieben. Damals ging es darum, dass ich dir klarzumachen versuchte, dass ich nicht die Zeit und das Geld habe, ständig zu verreisen und auch weder Knete noch genug Ferien, jede Reise beliebig zu verlängern. Es ging auch darum, dass ich bestimmte Städte von einem Stützpunkt aus mache und nicht Hotels in Mainz, Frankfurt und Wiesbaden brauche.

Nun muss ich mich wieder einmal bei dir melden. Seit Tagen schickst du mir Angebote, ich nehme an, einfach um bei mir im Gedächtnis zu bleiben. Nun bist du nicht so zynisch, mir Offerten für meine meistgewählten Ziele zu senden, weil du weisst, dass ich da Corona-Probleme bekomme: Du schreibst nichts von Frankfurt, Berlin, Stuttgart oder Den Haag, nein du willst mich – mit 25% Ermässigung und immer KOSTENLOSER STORNIERUNG – nach Bern oder Luzern befördern.

Bern oder Luzern.
Liebes booking.com, du weisst, wo ich wohne. Für einen Trip mit jeweils einstündiger Fahrt brauche ich kein Hotel. Ich habe ein Generalabonnement, das weisst du vielleicht nicht, aber selbst ohne jegliche Ermässigung kämen die Transportkosten auf 82.-, und das wäre immer noch günstiger als jegliches Hotel – ausser dem Schuppen für 35.--, bei dem wahrscheinlich die Kakerlaken in der Dusche tanzen, der Putz von den Wänden rieselt und man als Aussicht das rot blinkende Schild des Stripschuppens gegenüber hat.

Abgesehen davon:
Was sollte ich in der Bundesstadt? Ins Museum gehen? Darf ich kichern? Zum Glück habe ich die aktuellen Präsentationen im Kunstmuseum und im Zentrum Paul Klee schon gesehen, im Moment sind beide Gebäude geschlossen. Soll ich ins Theater, ins Konzert oder in die Oper? Keine Chance – alles dicht. Gut, in Luzern könnte ich ins Museum, aber das liegt genau beim Bahnhof und da kann ich gemütlich hin, 3 Stunden zu den Bildern, noch einen Apéro und dann gemütlich wieder heim.

Was sagst du? Ich soll mir die Städte einfach einmal…ANSCHAUEN? Jetzt nochmals deutlich gesagt: Luzern und Bern liegen gaaaaaaaaaaaaaaaanz nah, kapiert? Ich kenne diese Städte, war in beiden schon ca. 30x und werde mir da kein Zimmer nehmen.
Ach so.
Du meinst, ich soll einfach mal so überhaupt irgendwo hin. So nach dem Motto: Entspannen, entschleunigen, Tapetenwechsel, Burnout-Prophylaxe?
Klartext:
Ich bin entspannt. Ich bin entschleunigt. Ich bin von einem Burnout so weit entfernt wie die Erde vom Sirius. Im Gegenteil: Ich würde gerne arbeiten. Ich hätte gerne meine Jungs bei Mahler III betreut, ich würde gerne für das Adventskonzert üben und ich würde gerne das Geübte präsentieren, ich würde gerne dirigieren, korrepetieren usw. ich habe nicht zu viel Stress, ich habe zu wenig.
Und zum Thema Tapetenwechsel:
Alle Tapeten auf den Fotos der Hotelzimmer gefallen mir nicht. Am schlimmsten ist diese Seventies-Revival-Tapete in orange und braun. O meine Güte! So eine hatte ich in meinem Jugendzimmer. Ich glaube, wenn ich in so einer Umgebung aufwache, dann bekomme ich wieder Pubertätsakne und fange an, Bee Gees zu singen: NIGHT FEVER, NIGHT FEVÄÄÄR: Nein, da bleibe ich doch bei meiner weissen Raufaser. Wenn ich einen Wechsel brauche, dann hänge ich zwei Bilder um.

Wenn ich aber ehrlich bin, dann bringst du mir doch noch weitere Sachen: Wellness im Engadin zum Beispiel. Hier ergibt sich aber ein Problem anderer Art: Ich kann mir die 579.—für eine Nacht/2 Personen im Hotel Gold in Sils nicht leisten, nein, das ist jetzt nicht ganz korrekt, ich WILL mir das nicht leisten.
Liebesbooking.com, Wellness hat doch was mit Wohlbefinden, Wohlfühlen, hat was mit Rundumseligkeit, mit Entspannung, Wellness hat was mit Fallenlassen, Sorgenabgeben, hat was mit Lächeln und Duft und Klang und Zärtlichkeit zu tun. Und das leiste ich mir wieder, wenn Corona vorbei ist.
Wenn ich mir vorstelle, dass der Masseur mich nicht anlächelt, wenn er mich begrüsst (natürlich lächelt er, aber unter der der Maske sieht man das ja nicht) und ich auch nicht zurücklächeln kann (oder ich kann es, aber man sieht es nicht), wenn ich mir dann vorstelle, dass es im Raum nicht nach ätherischem Öl, sondern nach Desinfektionsmitteln riecht, und wenn ich mir dann noch vorstelle, dass der Masseur, nicht Duftöl, sondern Desinfektionsöl auf meinen Rücken reibt, und natürlich behalten wir beide die Maske an, dann kommt mir das kalte Grausen…
Nein, die 579,-- geben wir aus, wenn es keine Corona-Wellness mehr ist.

Liebes booking.com
Maile mir nicht mehr.
Ich weiss, du tust das, weil du dich in Erinnerung rufen willst. Das ist nicht nötig. ich bin nicht dement und habe keinen Alzheimer, ich habe auch keine Amnesie, wenn ich wieder einmal ein Hotel brauche, werde ich nicht 10 Stunden lang überlegen: «Wie hiess noch einmal die Plattform, auf der ich immer Zimmer gebucht habe?» Und wenn, dann würde ich in meinen Mails ja eine Bestätigung von dir und damit deinen Namen finden.
Maile mir nicht mehr.
Von Bern, Zürich und Luzern fahre ich abends (KOSTENLOS!) heim.
Und Wellnessen macht zurzeit einfach keinen Spass.

Freitag, 13. November 2020

Die total überfüllten Museen wären Corona-Hotspots



Ich bin – das habe ich vielleicht schon einmal geschrieben – ein grosser Listen-Fanatiker. Auf meinem Computer befindet sich eine To-Do-Liste, eine Geburtstagsliste, eine Monatsbilanz (Finanzen) und eine Kulturliste. In dieser Kulturliste stehen in der linken Spalte die Bücher, die ich lese, in der mittleren Ausstellungen und Museen, die ich besuche und in der rechten Konzerte, Theater und Film. Für dieses Jahr sieht die linke Spalte gut aus, 65 Bücher bis jetzt, darunter, das muss ich zugeben, auch ein paar sehr schmale, die rechte natürlich ist mager – was sollte man im April, Mai und Juni auch machen ausser ein paar schöne DVDs anschauen? Ordentlich ist die mittlere, die Museumsspalte, bis auf ein grosses Loch im Frühjahr. Im Oktober stehen da folgende Einträge:

Museum für Gegenwart: Isa Genzken / Continuously Contemporary (Neukäufe Sammlung) /
Beuys-Raum
Tinguely-Museum: Taro Izumi
Forum Würth: Dieter Roth / A bis Z (Künstlerbücher)
Historisches Museum: Zeitsprünge / Grenzfälle
Kunstmuseum Bern: El Anatsui / Sammlung

Diese Häufung hatte den Grund, dass wir nicht nach Berlin gefahren sind, wir hatten Angst, nach der Rückkehr in Quarantäne zu müssen. Inzwischen – Ironie des Schicksals – müssten wir schon an der Spree in die Abschirmung. Aber die wunderbaren Schweizer Museen haben uns vollumfänglich entschädigt.

Blöd waren nur die Wartezeiten: Vor dem Gegenwartsmuseum standen 500 Leute und wir warteten 3 Stunden, vor dem Tinguely waren es 600 und wir harrten 4 ½ Stunden aus, bis wir hineindurften. Vor dem Forum Würth bescherten uns 300 Leute 120 Minuten und vor dem Historischen Museum 200 (nur) 90. Rekord war Bern mit 1000 Wartenden und 5 stehend verbrachten Stunden.

Glauben Sie nicht?
Ok – ok – ok – ok
Es ist auch gelogen. Also, bis und mit dem dritten Absatz stimmt alles, exakt und genau. Das mit dem Warten ist Quatsch. Einzig vor dem Tinguely war eine Schlange von 20 Menschen, es war eigentlich meist gähnend leer, ausser in der platzmängelnd aufgebauten (aber sauguten) Grenzfälle-Ausstellung über die Schweiz 1933-1945, im Forum Würth waren wir dafür allein.

Insofern ist es der letzte Schwachsinn, eine himmelschreiende Absurdität, in Deutschland die Museen zu schliessen. Glaubt wirklich irgendein Virologe, man könne sich in den Pinakotheken, dem Sprengel-Museum, man könne sich in der Schirn oder dem Städel, glaubt wirklich jemand, man könne sich in der Staatsgalerie Stuttgart oder dem Gropiusbau ANSTECKEN? Kaum ein Ort ist virologisch so unbedenklich wie ein Museum. Das gilt natürlich nicht für die Hammerausstellungen, die von den Kuratoren lächelnd als «Blockbuster» bezeichnet werden, Ausstellungen wie
Rembrandt – seine letzten 20 Jahre
Pollock – das komplette Werk
Monets Seerosen
Bei der Picasso-Ausstellung im Beyeler letztes Jahr brach z.B. das Garderobensystem zusammen und man liess die Leute mit Jacken und Taschen hinein. Aber deshalb wird ja meistens eine Online-Vorbuchung gemacht, eben um solchen Ansturm ein wenig zu bündeln.
Also:
Frau Merkel, öffnen Sie die Museen. Sofort.

Nun wird jemand einwenden, dass man ja erreichen will, dass die Leute zuhause bleiben und nicht geballt auf der Strasse herumrennen. Aber selbst wenn die 30 Menschen, die an einem Werktagvormittag die Kunsthalle Mannheim besuchen, alle gleichzeitig kommen, ist es immer noch keine grosse Traube.

Und kommen Sie mir bitte nicht mit den Online-Sammlungen. Die sind ein so toller Ersatz wie eine CD für einen Konzertbesuch oder wie Kartoffelbrei aus der Packung. Die sind ein solcher Ersatz, wie ein Zoom-Meeting einer für ein reales Treffen ist oder ein Wald-Video für einen Spaziergang. Abgesehen davon, dass es Bilder gibt, bei der eine Farbe in alle Richtungen changiert und die auf dem Foto einfach NUR schwarz oder NUR rot sind, ist die Gewaltigkeit eines Gemäldes durch nichts aufzuwiegen.
Ich kannte das berühmte Mädchen mit seinem berühmten Ohrring schon lange, aber als ich im Mauritshuis in Den Haag zum ersten Male (von vielen) vor ihm stand, da verschlug es mir den Atem: DIESES Bild hatte ich noch nie gesehen.
Umgekehrt hatte ich auch den liegenden Goethe in der Campagna x-mal angeschaut, aber die Fehler, die Maler Tischbein gemacht hat, sah ich erst in live: Goethes Beine sind zu lang und zwei linke. (Ich habe übrigens im Sommer in Kassel ein Bild seines Onkels gesehen, das stimmte auch nicht, und auch das Charlotte von Kalb-Portrait seines Vetters hat Unregelmässigkeiten bei den Armen, ich glaube die hessische (weitverzweigte!) Malerfamilie konnte einfach keine Anatomie malen...)

Frau Merkel, öffnen Sie die Museen.
Und, liebe Frau Sommaruga und lieber Herr Berset, kommen Sie nicht auf die Idee, sie zu schliessen. Das wäre ein Totalschwachsinn. Ersten Ranges.



 

 

Dienstag, 10. November 2020

Das Trump-Syndrom: Es darf und kann nicht sein!

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.
C. Morgenstern

Holger trödelt wieder einmal herum. «Schatziputzi», nörgelt Marja, seine Angetraute, «beeile dich ein bisschen, wir kommen zu spät zum Bahnhof.» Holger wirft einen Blick auf die Uhr: Es ist 17.30, um 17.45 geht der Zug. «Die Uhr geht vor.» «Das ist eine nigelnagelneue Funkuhr, die geht nicht vor.» Als sie um 17.50 den Bahnhof erreichen, ist der Zug weg.

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Olga steigt von der Waage. 98 Kilogramm! Das wären 20 mehr als beim letzten Wiegen – und sie hat die letzten Monate fast nichts gegessen (meint sie). Olga dreht ein wenig an der Justierung herum, schüttelt die Waage ein wenig und steigt noch einmal drauf. 98 Kilo. Olga kontrolliert die Waage noch einmal, steigt noch einmal drauf, es bleiben achtundneunzig – sie wird eine neue Waage brauchen, denn das Ergebnis kann nicht stimmen…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Marco hat sich nun schon das siebte Lineal gekauft. Im erigierten Zustand misst sein Schwanz (keine Entschuldigung für das Wort, er denkt genau das) nach diesen falschen Massgeräten 14 Zentimeter und das wäre ein Zentimeter weniger, wie Aaron behauptet zu haben. Und das kann nicht sein und darf nicht sein. Marco packt das neueste Lineal aus und macht sein bestes Stück steif. Dieses Metermass muss es nun bringen – oder Aaron lügt…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

«Die Einladung bitte.» «Die habe ich vergessen, aber ich stehe auf der Liste, Dr. Klöbner.» «Ein Doktor Klöbner steht nicht auf der Liste.» «Haben Sie genau geschaut?» «Ich habe genau geschaut.» «Schauen Sie noch einmal.» (langes Rascheln, Blättern, Suchen) «Sie stehen nicht drauf.» «Rufen Sie im Sekretariat an.»

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Wir leiden alle, aber auch wirklich alle unter dem Trump-Syndrom. Wenn wir Trödler sind, dann geht die Uhr vor, wenn wir zu fett sind, stimmt die Waage nicht, ist die Penislänge unkorrekt, liegt es am Lineal und stehen wir nicht auf der Einladungsliste, dann hat das Sekretariat einen Fehler gemacht.
Wir haben im Test nicht versagt, nein, der Lehrer hat falsch korrigiert. Der böseste und gemeinste Raser wird stets betonen, dass alle Radaranlagen der Polizei nicht richtig arbeiten.
Und der Fussball, ach, der Fussball!
«Wir haben 3:2 gewonnen, weil der Schiri uns einen Elfmeter gegeben hat, der uns nicht zustand, es war kein Foul.» Haben Sie diesen Satz schon einmal gehört? Sicher nicht. Ganz sicher nicht. Es ist doch so: Wenn wir gewinnen, war der Schiri professionell, fair und gerecht, wenn wir verlieren, war der Schiri unprofessionell, unfair und ungerecht, und wir haben allen Grund ihn zu beleidigen und ihm zu drohen: Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Und warum nenne ich das das Trump-Syndrom? Weil sich an Donnie das so glasklar zeigt, was bei uns allen der Fall ist: Schuld sind immer nur die anderen.
Es ist unmöglich, dass ich die Wahl verliere, also muss der Fehler im System liegen, die Briefwahlstimmen sind gefälscht, man hat mich um meinen Sieg gebracht. Nun ist es aber so:
So normal sein Verhalten auch ist, so wenig darf es ausleben, weil er in keiner normalen Situation ist. Es ist ein Unterschied, ob man schreit «Wahlbetrug» oder man es auf Twitter schreibt. Es ist ein Unterschied, ob John Mixter aus Alabama es seinen 50 Followern sagt oder der Präsident seinen Millionen. Und es ist ein Unterschied, ob die Follower einfach mitfluchen oder mit Gewehren bereit stehen.
So paradox es klingt: Wir alle dürfen unserem Trump-Syndrom frönen, nur der Namensgeber nicht.

Ich hoffe, viele Leute lesen diesen Post. Den letzten haben 8765 Leute gelesen. Natürlich gibt mir blogger.com eine viel, viel kleinere Zahl an, aber die zählen einfach falsch, die unterschlagen Klicks…

Weil, so schliesst er messerscharf,
Nicht sein kann, was nicht sein darf.











Freitag, 6. November 2020

Eine Wahl ist kein Minigolf-Spiel

 

Hubsi und Pupsi haben Minigolf gespielt. Kennen Sie, oder? Dieses Spiel, bei dem man so kleine Bälle durch Torbögen, über Berge und Loopings in ein Loch am Ende der Bahn befördern muss. Gut, und am Ende sieht der Zettel, auf dem beide die benötigten Schläge eintragen, so aus:

 

Bahn

Hubsi

Pubsi

1

7

1

2

7

2

3

5

3

4

6

3

5

6

1

6

5

4

7

5

4

8

6

4

9

7

4

10

7

2

11

6

3

12

7

2

13

5

3

14

6

3

15

6

1

16

7

1

17

5

2

18

5

2

 Wer hat gewonnen? Natürlich Pubsi. Man muss gar nicht zählen, man sieht es auf den ersten Blick. Hubsi hat keine Zahl kleiner als 5, also mindestens 90, Pubsi hat keine Zahl grösser 4, also höchstens 72. Punkt und aus. Natürlich zählen beide vielleicht trotzdem, Pubsi, weil er mit seinem Ergebnis (45)
angeben will und Hubsi, weil er beim nächsten Mal sich über JEDES bessere Ergebnis als 108 freuen wird. Aber zählen muss man nicht.
Ich höre Herrn Trump frohlocken? Mr. President, a national election isn`t a Minigolf Game.

Nehmen wir doch lieber die Wahl des Präsidenten des Männerchores Latterbachen (SO). Obwohl der Amtsinhaber Hans-Ruedi Bürki extrem beliebt ist und sein Amt gut führt, wird eine korrekte Wahl durchgeführt – und nicht einfach nur geklatscht. Es wird ein Tagespräsident bestimmt, denn Bürki kann seine Wiederwahl ja nicht einfach selber leiten, es werden Stimmenzähler bestimmt und dann kommen die entscheidenden Fragen: „Wer ist für die Wiederwahl?“ 78 Stimmen. „Wer ist dagegen?“ 0 Stimmen. „Enthaltungen?“ Drei – Bürki selbst, sein Sohn und sein Bruder, man wollte keine familiäre Mauschelei. Wenn also in einem kleinen, unbedeutenden Verein in einer unbedeutenden Region eines unbedeutenden Kantons eines unbedeutenden Landes…

Nein.
Es ist für ein demokratisches Land eine so undenkbare, eine so absurde, es ist eine so widersinnige und verrückte Forderung, die Stimmauszählung zu stoppen, dass einem der Atem stehen bleibt. Natürlich scheint es merkwürdig, dass nun immer mehr Demokraten-Stimmen „auftauchen“, aber es gibt ja eine ganz eindeutige Erklärung: Die Briefwahl wurde vor allem von Biden-Wählern benutzt. Die Idee, dass man in den Raum mit den nicht ausgezählten Bögen einfach ein paar Tonnen dazu schiebt, entspringt einem 007-Denken, nicht der Realität.

Ja, natürlich gibt es da auch diese Diner-Kellnerin, die uns im Fernsehen ihre Wahl-App entgegenstreckt, auf der ihr gesagt wird, dass ihre Stimme nicht gezählt wurde. Aber sie hat die einfachste Möglichkeit ausser Acht gelassen: Sie hat nicht korrekt abgestimmt. Es ist für mich ein Rätsel, ein Mysterium, es ist eine Sache, die ich nicht verstehe und begreife, aber bei jeder Wahl gibt es ungültige Stimmen. Es kann doch nicht so schwer sein, einfach EIN Kreuzchen an einem bestimmten Ort zu machen, aber manche Leute schaffen das nicht. Und wer der Versuchung nicht widerstehen konnte, auf seinen Wahlzettel
 

MAKE AMERICA GREAT AGAIN

zu notieren, hat eben diesen Wahlzettel damit ungültig gemacht. Und um es klar zu sagen, Mr. President, das geht nicht gegen die Republikaner, auch ein

BLACK LIVES MATTER

macht die Stimme ungültig.

Dass Amerika überhaupt darüber diskutiert, ob man alle Stimmen auszählt, zeigt, dass Trump die USA in Richtung einer Diktatur geführt hat. Ich glaube, dass der gute Donnie eh mit Wehmut und Neid in Richtung seiner Freunde in Russland, Belarus, Nordkorea und China schaut. In Russland, Belarus, Nordkorea und China ist das so einfach, da ist schwupps ein gutes Ergebnis da und in Russland, Belarus, Nordkorea und China hätte man Biden einfach einen Tee angeboten. Wobei die Bilder aus Minsk zeigen, dass es so einfach dann auch nicht ist…

Jede Stimme muss gezählt werden.
Und allein die Diskussion darüber ist eine schlimme, schlimme, schlimme Sache.

Weil ich meinem Erzengel keine Steilvorlage bieten will, habe ich die Ergebnisse von Hubsi und Pubsi noch einmal nachgezählt. Sie stimmen. Das ist etwas, das beide Kandidaten verlangen können: Bei minimaler Differenz kann man noch einmal auszählen – Zählen stoppen geht nicht.



Dienstag, 3. November 2020

das zuckersüsse Mahnschreiben

Neulich bekam ich ein ganz reizendendes Mail:

Sehr geehrter Kunde

Jeder von uns ist nur ein Mensch, keiner ist ein Roboter, wir sind alle Humanoide und Humanoide machen Fehler. Wir auch und Sie auch und nun ist Ihnen ein ganz kleiner, aber für uns bedeutender Fehler unterlaufen: Irgendwie haben Sie es versäumt, die Rechnung mit der Nummer Tz635498 zu begleichen. Das ist nicht schlimm, keine Sorge, keine Bange und kein Missmut, wir sind überhaupt nicht böse auf Sie, nein, nein, es wäre nur für uns ganz toll, wenn Sie die Summe von 567,-- jetzt bezahlen würden. Wir müssen halt auch Miete zahlen, und dann die Löhne und Lohnnebenkosten, da können wir leider auf das Geld nicht verzichten, tausendmal sorry. Seien Sie also ein Schatz, seien Sie lieb, seien Sie ein Darling und zahlen Sie

Tausend Küsschen und liebe Grüsse
FORTIFER Internethandel AG

Obwohl das ja lieb und nett gemeint war, grauste es mir so ein kleines bisschen, irgendwie war das zu süsslich, zu honighaft, das hatte etwas Schleimiges und Schlieriges, das war irgendwie falsch und unecht. Ich sprach mit Hugo, einem Freund, von dem ich wusste, dass er auch regelmässig bei
FORTIFER bestellt, darüber und – siehe da – auch er hatte eine Mahnung bekommen, die allerdings ganz anders aussah:

Kunde!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Sie Schweinebackenhundesau haben Rechnung Zz863452 nicht bezahlt. Gut, wir können auch anders. Wenn Sie nicht heute – und das heisst heute, genau heute – die 377,-- blechen, dann passiert etwas Schlimmes, etwas ganz Schlimmes.
Wir wissen, wo Sie wohnen…
Wir wissen, wo Ihr Auto steht…
Marschieren Sie also sofort zur Bank und berappen, sonst ist das vielleicht das letzte Mal, dass Sie irgendwo hingegangen sind.
Sie Arschgesicht.

Nun gesellte sich Hägu, ebenfalls ein FORTIFERer, zu uns. Als wir ihn fragten, ob er zufällig mal eine Mahnung in letzter Zeit bekommen habe, kramte er auf seinem Handy in den Mails und zeigte uns die folgende:

Liebe Kundin/lieber Kunde

Wir haben für die Rechnung Rr273545 noch keinen Zahlungseingang feststellen können. Bitte begleichen Sie den Betrag von 235,-- bis zum 4.11.2020 um weiteren Mahnungen und auch Mahngebühren zu vermeiden.

mit freundlichen Grüssen
das FORTIFER-Team

Nun waren wir alle sehr ratlos. Warum schickte diese Firma ganz verschiedene Mahnbriefe? Warum der einen Person einen zuckersüssen, schleimigen und honigtropfenden, der anderen Person einen Text, der ja nun fast (oder mehr als fast?) den Tatbestand einer massiven Drohung erfüllte und mit dem man zur Polizei gehen könnte, und der dritten Person ein ganz normales Standard-Schreiben (der Pleonasmus ist gewollt…)?

FORTIFER gibt auf seiner Homepage eine Hotline an, wir stellten eines unserer Handys auf laut und wählten 0700 800 900. Nach 15 Minuten und gefühlten 2000x Tracy Chapmans Fast Car hatten wir Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun an der Strippe und Frau Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun erklärte uns den Sachverhalt: Es sei ein Test, man habe – so Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun – drei verschiedene Briefe abgeschickt und schaue nun, welche Kundinnen und Kunden am schnellsten zahlen. Das Experiment gehe bis Februar 2021, aber das Resultat zeichne sich jetzt schon ab: Der Schleimbrief löse fast sofortige Zahlungen aus.

Wir bedankten uns bei Frau Irene-Schlaepfer-was-kann-ich-für-Sie-tun und legten auf und schüttelten unsere Köpfe, also jeder seinen eigenen.

Was ist das für eine Welt? Werden die Menschen so wenig gelobt, so wenig gehätschelt, so wenig liebgehabt, dass sie auf Nettigkeiten hereinfallen, die nur Tricks sind? Ist nicht eine Zahlungserinnerung eine sachliche Sache, und muss wie alle Sachen als sachliche Sache behandelt werden? Wie kann es sein, dass so eine honigsüsse Pampe den Menschen sanft die Gurgel hinabläuft, eine honigsüsse Pampe, die mir selbst nur das Kotzen hervorriefe?
Der Welt ist verrückt.

Ich müsste kurz etwas für den Schluss nachschlagen, also kurz auf Google, geht aber nicht, weil mein WLAN gerade ausgestiegen ist. Und ich lese:
Sie sind nicht verbunden. Aber das Netz ist nicht das Gleiche ohne Sie.
Was für ein Honig, was für ein Schleim.
Und – im Gegensatz zu der Geschichte oben – ist es wahr.

P.S. Wir telefonierten mit dem auf LAUT gestellten Handy zuhause, nicht in einer Kneipe oder im Tram. Sonst würde ich ja zu den Menschen gehören, die mir auf den Keks gehen (Post Schonagonnen 2 vom 29.9.2020)