Freitag, 31. März 2017

"Erklär mir die Fasnacht"-Buch für Erdogan



Als Kind liebte ich Sendungen, die Beiträge wie «Erkläre mir…», «Was ist ein ...?» oder «Weisst du, was … ist?» enthielten. Da wurde schön kindgerecht und populärwissenschaftlich z.B. Vulkanismus, die Dinosaurier, da wurden Ölmalerei oder Webtechniken, da wurde die Glühbirne oder der Elektromotor erläutert. Man konnte also immer etwas lernen. Ich liebte auch solche Bücher, mit wenig Text und vielen Bildern und so schönen Titeln wie DIE RÖMER, DIE DINOSAURIER oder LICHT, STROM, MAGNETE, SCHALL – HIER UND DA UND ÜBERALL, man war unterhalten und lernte eine Menge. Besonders mochte ich geographische Bücher, die einem Land und Leute nahebrachten. Was gab es da nicht alles zu entdecken! Auch wenn das meiste zu allgemein und zu pauschal war, nahm man doch etwas mit: In Tokio werden die Fahrgäste in die U-Bahn gequetscht, in Äquatorialafrika verabredet man sich mit «nach dem Regen» und in China isst man mit Stäbchen. In Spanien lässt man sich von Stieren durch die Strassen hetzen, wogegen man in den USA sich von Stieren abwerfen lässt. In Südamerika kommt der Bus irgendwann mal am Tag, weshalb man 20 Stunden an der Bushaltestelle steht, in der Schweiz kommt der Bus jede halbe Stunde und ist auf die Millisekunde pünktlich.
Immer waren die Fragen wichtig, die Fragen die lauteten: «Wie funktioniert das?», «Warum ist das so?» oder «Was hat das für Auswirkungen?». Und immer war nach dem Lesen, nach dem Anhören klar, dass man zwar schon eine Menge weiss, aber immer noch etwas lernen kann, dass man den Horizont immer noch ein wenig erweitern kann, dass man den Kopf drehen kann und das Gehirn nie ausschalten sollte.

Man wird alt wie eine Kuh
Und lernt jeden Tag dazu.
Man wird alt wie eine Geiss,
‘s gibt so viel, das man nicht weiss.
Man wird alt wie eine Sau
Und mit 100  ist man schlau.

Könnten die Sendungsmacher, die Bücherschreiber, könnten die Erläuterer und Erklärer, könnten die Was-, die Wie- und Wo-Leute, könnten die Populärwissenschaftler und Technikpädagogen von damals (und die von heute) nicht mal Bücher für Leute wie Erdogan schreiben?
So nach dem Motto:
BASLER FASNACHT – IN 100 FRAGEN.
ERKLÄRE MIR DEN MORGESTRAICH.
WAS IST DIE BASLER FASNACHT? usw.
Der Mann kann einem ja leidtun. Seine Paranoia hat inzwischen derart epische Züge angenommen, dass er wahrscheinlich gar nicht mehr richtig zum Leben kommt. Überall PKK, überall Gülen, überall Feinde und an jedem Ort Gegner. Er kann wahrscheinlich keinen Kaffee trinken, ohne Gift zu schmecken, Gift, dass ihm ein Putschist in das Heissgetränk gemischt haben soll, er kann keinen Schrank ohne gezückten Revolver öffnen, da sich ja ein Attentäter im Kasten befinden könnte, er kann keinen Schritt vor die Haustür setzen, ohne dass er sich vorher vergewissert, dass sich nicht tausend Demonstranten in seinem Vorgarten befinden. Und nun verdächtigt er aufgrund dieser enormen Paranoia eben auch die Basler, eigentlich PKK- und Gülenleute zu sein. Weil eine Laterne mit «Erdowahn» beschriftet war. 

Also brauchen wir ein Kinder-Wissens-Buch für ihn.
Und so könnte ein Ausschnitt aussehen:
(Bilder dazudenken)

Schau, die vielen Leute!
Sie laufen verkleidet herum. Und sie tun das nachts um 4.00. Man nennt das «Morgestraich». Sie spielen Flöten und schlagen die Trommeln. Viele Menschen schauen ihnen zu.
Schau die Masken und Kostüme an. Die Masken nennt man «Larven». Sie sind sehr kostbar gestaltet.
Schau, die hübsche Laterne!
Sie wird durch die Strassen getragen. Auf den Laternen siehst du Schrift und Bilder. Die, die Laternen malen, machen sich da über ein bestimmtes Thema lustig. Das Thema nennt man «Sujet». Das Sujet kann eine witzige Begebenheit aus der Stadt sein. Aber auch eine Sache aus dem Ausland.
Schau, die Polizisten!
Sie blicken fröhlich in die Runde. Denn der Morgestraich ist eine friedliche Sache. Müssen sie nicht eingreifen, wenn jemand auf der Laterne veräppelt wird? Nein, denn die Schweiz ist ein freies Land. Hier darf man seine Meinung sagen. Erst recht und vor allem bei der Fasnacht.

Als Kind liebte ich Sendungen, die Beiträge wie «Erkläre mir…», «Was ist ein ...?» oder «Weisst du, was … ist?» enthielten. Ich liebte auch solche Bücher, mit wenig Text und vielen Bildern und so schönen Titeln wie DIE KELTEN oder LICHT, STROM, MAGNETE, SCHALL – HIER UND DA UND ÜBERALL. Immer waren die Fragen wichtig, die Fragen die lauteten: «Wie funktioniert das?», «Warum ist das so?» oder «Was hat das für Auswirkungen?». Und immer war nach dem Lesen, nach dem Anhören klar, dass man zwar schon eine Menge weiss, aber immer noch etwas lernen kann, dass man den Horizont immer noch ein wenig erweitern kann, dass man den Kopf drehen kann und das Gehirn nie ausschalten sollte.

Und wir werden noch viele solche Kinder-Wissen-Bücher brauchen.
Für Erdogan.
Für Trump.
Für Putin.
denn:
Man wird alt wie eine Kuh
Und lernt jeden Tag dazu.









Montag, 27. März 2017

Fast vom Rollstuhl überfahren



Diese Geschichte ist jetzt wirklich wahr: Ich war am letzten Februarwochenende in Neuchâtel und Yverdon. Als ich am Samstag, vom Centre Dürrenmatt kommend und zum Hallenbad Nid-du-Cros strebend auf den Bus wartete, trat ich unachtsam einen Schritt von der Strassenkante zurück Richtung Häuser. Zum Glück war ich geistesgegenwärtig genug, entgegengesetzt mit einem Satz wieder Richtung Strasse einem ultraschnellen Geschoss auszuweichen. Was glauben Sie wohl, was das war? Sicher tippen Sie auf Velo, auf Skateboard oder Inliner, aber es war…
Ein Rollstuhl.
Mit ca. 15 km/h bretterte der junge Mann das abschüssige Trottoir hinab, schnell wie ein Pfeil und rasend wie der Roland, unaufhaltsam, unbremsbar und nicht zu stoppen. Dies schien ihm einen grossen Spass zu machen, denn er stiess, als er schon weiter von mir weg war, einen lauten Jauchzer aus.
Nicht vorzustellen, wenn wir kollidiert wären; er wäre wahrscheinlich gekippt, aber auch ich hätte einige Probleme gehabt. Die Skala reicht von Prellungen und Schürfungen über Knochenbrüche bis zur Gehirnerschütterung. Hätte ich sterben können? Wenn ich auf einen harten und spitzen Gegenstand geknallt wäre, ja. Dies hätte dann die merkwürdigen Tode von Horvath (vom Ast erschlagen), Lully (Dirigierstab in den Zeh/Blutvergiftung) und vieler anderer berühmter Leute fast noch getoppt:
Am 25.2.2017 wurde Rolf Herter während eines Wochenendausflugs an den Neuenburgersee an der  Haltestelle Terreaux Museum in Neuchâtel um 13.30 von einem Rollstuhlfahrer überfahren und erlag wenig später im Kantonsspital Neuenburg seinen Verletzungen. 
Zum Glück hatte ich noch ausweichen können.

Während ich mich langsam beruhigte, begann ich, über die Sache nachzudenken. Und während des Nachdenkens kam mir ein relativ ketzerischer Gedanke, den ich aber hier doch aufschreiben muss:
Haben wir die Behinderten zu sehr gefördert, ihnen zu sehr geholfen?
Vor 50 Jahren hatte ein Mensch im Rollstuhl wenig Anteil am gesellschaftlichen Leben, er oder sie sass zu Hause vor dem Fernseher oder dem Radio, und wenn keiner oder keine sie mal rausschob und half, dann war nix mit frischer Luft, nix mit Konzert oder Kino, nix mit Party. Heutzutage ist alles barrierefrei, die Rollifahrer können Mahler VIII geniessen oder den neuen King Kong-Film, sie treiben sich in Diskos herum und haben sogar eigene Sportvereine, und zum Dank flitzen sie auf dem Trottoir und gefährden unbescholtene Leute wie mich.

Oder nehmen sie mal die Taubstummen. Jede DVD hat inzwischen eine Fassung für Hörgeschädigte, wo nicht nur die Sprache, sondern auch alle Geräusche angezeigt werden. («Telefon klingelt», «Knall», «Motorenbrummen» usw.) Als Dank hocken sie in den Zügen und machen Lärm. Das klingt jetzt paradox, ist aber so. Da die Gebärdensprache nur zusammen mit Lippenlesen funktioniert, formen die Taubstummen die Wörter mit ihrem Mund, und da kommen Laute raus. Und zwar laute Laute! Und weil sie nix hören, merken die gar nicht wie laut die sind.

Haben wir die Beeinträchtigten nicht zu sehr in die Mitte der Gesellschaft geholt?

Die Gemeinde Allschwil (BL) hat mit dem Bau des neuen Schulhauses ein Zeichen für ein Umdenken gesetzt. Ich konnte beim Jahreskonzert meines Musikvereins, das in der neuen Aula stattfand, das selbst in Augenschein nehmen. Das ganze Ding ist barriereunfrei, ein Rollstuhl hat keine Chance. Natürlich gibt es einen Lift, aber nach dem muss man selber erst betteln. Auch für Senioren, die einen Stock brauchen, ist es nicht so einfach. Viele Stufen bis ins Foyer, das die gefühlte Grösse von drei Fussballfeldern hat, dafür sind die Toiletten im Untergeschoss. Auch hier gibt es einen Lift, den man zwar – im Gegensatz zu dem oben genannten, der nur mit Schlüssel funktioniert – einfach so benutzen kann, aber er fährt mit einer Geschwindigkeit von 30 cm pro Minute. Ältere Konzertbesucher müssen sich also in der Pause entscheiden, ob sie an die Bar gehen, zehn Tombolalose kaufen, ob sie eine Zigarette rauchen ODER aufs Klo gehen wollen, alles geht nicht.
Dass so ein Bauwerk in der heutigen Zeit eine Genehmigung bekommt, kann kein Versehen sein. Hier wird klar mitgeteilt: Behinderte, bleibt zu Hause. Rollstuhlfahrer unwillkommen. Wir haben Angst vor euch.

Als ich an jenem Wochenende wieder in Basel ankam, fuhr schon wieder ein Rollstuhl auf mich zukam, ging ich sofort unter einen Tisch des Bahnhofcafés in Deckung. «Haben Sie Angst?», fragte mich fröhlich die junge Fahrerin. Ich erzählte ihr die Neuenburger Geschichte. «Oh», meinte sie, «das ist stark. Also auf Fussgänger nehme ich normalerweise Rücksicht. Aber neulich bin ich mit 80 km/h mit einem anderen Rollstuhl zusammengerast. Das hat gerumst! Aber der andere war schuld.» 

Quod erat demonstrandum.


Donnerstag, 23. März 2017

Schulz der Weltenretter



Wenn ein Historiker im Jahre 100 n. Sch., also im Jahre 2118 gemäss alter Zeitrechnung, den Wechsel im Jahre 0 (2017 a. Z.) von «vor und nach Christus» zu «vor und nach Schulz» erläutern soll, wird vielleicht Mühe haben, zu erklären, wer dieser Christus eigentlich war. Und selbst wenn es ihm gelänge, würden die Menschen Mühe haben, warum man so lange bei dieser Rechnung geblieben ist, zu leuchtend ist die Lichtgestalt, die da im Jahre 0 (2017 a. Z.) erschien, zu glänzend, zu wunderbar ihre Werke, zu illuminat, als dass man begreifen würde, dass die Welt vor ihm überhaupt existierte.

In den Jahren vor Schulz, so werden die Historiker schreiben, wurde Deutschland von einer Person namens Merkel, Angela Merkel regiert, eine Frau, die in der Versenkung der Geschichte verschwunden wäre, wenn sie nicht – das ist die einzige Tatsache, die man von ihr noch im Kopf hat – den Wahlkampf gegen Schulz verloren hätte. Genauso unglaublich wie dieses Faktum, nämlich dass der Messias überhaupt eine Gegenkandidatin hatte, ist das Faktum, dass die Partei, für die der Auserkorene antrat, in den Jahren 10 – 1 v. Sch. eigentlich am Boden zerstört war: Schlechte Wahlergebnisse, keinerlei Programm und dort, wo sie regierte, regierte sie als Juniorpartner anderer Parteien.

Und dann kam er: Martin Schulz, der Gesalbte, der Auserwählte, Schulz, der Retter, der Messias, Schulz, der zuerst die Partei, dann Deutschland und dann die Welt rettete. Als er mit 100% der Delegiertenstimmen zum Kanzlerkandidaten ernannt wurde ging es wie ein Sturm durch die Partei. Etliche Genossen – so werden es die Geschichtswissenschaftler schreiben – wollen gesehen haben, wie just zum Zeitpunkt seiner Ernennung Feuer und Blitze, Lichtstrahlen und Auren über und um die örtlichen Parteizentralen erschienen seien, aber das ist natürlich in der Zunft höchst umstritten. Fakt ist, dass im Jahre 0 (2017 a. Z.) ein Run auf die SPD einsetzte, auf einmal war alles zu wenig und zu klein, lange gab es keine Parteibücher mehr, und als im März des Jahres 0 endlich die Nachdrucke kamen, bildeten sich lange Schlangen, Menschen standen die ganze Nacht an, um ja eines zu erhalten. (Hier wird Prof. Dr. Schlummi Baumhans im Jahr 100 n. Sch. schreiben: Das Ausmass des Hypes zeigt sich zum Beispiel am sogenannten «Bielefeld-Dilemma», bei dem am 23. April im Jahr der Zeitenwende in der Innenstadt um 10.00 sowohl das SPD-Haus als auch der neue NIKE®-Store öffneten. Man hatte Wetten abgeschlossen, vor welcher Tür sich die längere Schlange bilden würde, hatte aber nicht mit dem gerechnet: Nur ca. 50 Leute wollten die Eröffnungs-Sonderangebote (Turnschuhe für 5.-, Muskelshirts für 6.- und Hosen für 10.- Euro) haben, dafür bildeten die 2000, die ein Parteibuch wollten, eine Kolonne von 3 Kilometern.)

Natürlich gewann Schulz die Wahl und machte sich sofort ans Werk. Im Jahr 3 n. Sch. war die Arbeitslosigkeit auf 0% gesunken, im Jahr 5 n. Sch. musste jeder Deutsche 120% arbeiten, um den ganzen Aufträgen gerecht zu werden – in diesem Jahr führten die Germanisten das Wort «Vollstbeschäftifung» ein – im Jahr 7 n. Sch. mussten dann intensiv Arbeitskräfte in Afrika gesucht werden, die man allerdings – Geld war ja da – in Kenia, Namibia, im Kongo oder in Ghana persönlich abholte und auf der Reise gleich in Deutsch unterrichtete, wodurch das seltsame Phänomen entstand, dass die Ankömmlinge oft besser die Landessprache beherrschten als die Bewohner. (Pottler: «Ich geh nach ALDI»; Kenianer: «Zu ALDI»; Pottler: «Wat denn zu? Is 17.30!»)

Nun war Europa dran, alle wurden wieder einig und fröhlich. In den Jahren 10 – 20 n. Sch. kehrten die inzwischen ausgetretenen Engländer, Niederländer und Österreicher, kehrten die Spanier und die Portugiesen zurück und das vereinigte Europa wurde zu einer Zone der Prosperität, des Friedens, der Liebe, wurde zu einem Gebiet der Kultur und Wissenschaft, wurde zu einem Land der Bildung und der Kunst. Im Jahre 11 n. Sch. stellten dann endlich die Schweizer ihren Antrag, der aber, spät wie er kam, mit einem gewissen Widerwillen entgegengenommen wurde. Die Eidgenossen hatten irgendwie geschlafen, und als ärmstes Land Europas waren sie nicht mehr so willkommen wie im Jahr 5 v. Sch. Man nahm sie dennoch.

In den Jahren 21 – 40 n. Sch., so werden die Geschichtsschreiber schreiben und die Historiker berichten, rettete der Auserwählte dann die Welt. Dafür musste er gar nicht die Spree verlassen, denn alle Wichtigen der Welt kamen zu ihm um sich seinen Rat zu holen. Fürsten und Diktatoren, Potentaten und Könige, Staatspräsidenten und Kanzler standen Schlange, wie weiland die Neumitglieder, um sich vom Auserwählten beraten zu lassen. Und der Heilige riet zu Frieden und Gerechtigkeit, zu Wohlstand und Bildung, und alle folgten seinem Willen. 

Wenn Historiker also im Jahre 100 n. Sch. den Wechsel im Jahre 0 (2017 a. Z.) von «vor und nach Christus» zu «vor und nach Schulz» erläutern wollen, werden sie vielleicht Mühe haben, zu erklären, wer dieser Christus eigentlich war. Aber auch, wenn es klappte, würden die Menschen Mühe haben, warum man so lange bei dieser Rechnung geblieben ist, zu illuminat ist die Lichtgestalt, die da im Jahre 0 (2017 a. Z.) erschien, zu exquisit, zu herrlich ihre Werke, zu leuchtend, als dass man begreifen würde, dass die Welt vor ihm überhaupt existierte.