Dienstag, 29. Dezember 2015

2015 ist nicht schneller vergangen

Vom 1.12. bis zum 31.12. hört man ja eine Menge Unsinn, Sätze wie „Diese Weihnachten machen wir es uns ganz gemütlich" oder „Wir schenken uns fast gar nichts“ oder „Ich wünsche mir Frieden für die Welt“.

Aber einer der unsinnigsten Sätze ist sicher „Das Jahr ist jetzt schneller als das letzte vergangen.“

Eine grosse Studie der Universität München, die gerade veröffentlicht wurde, hat herausgefunden und wissenschaftlich belegt, dass die Jahre 2013, 2014 und 2015 exakt die gleiche Dauer hatten. Sie waren genau 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage, somit 8760 Stunden, 525600 Minuten und 31536000 Sekunden lang. Dies wurde mit differenzierten Messungen und klaren Berechnungen bewiesen. Das nächste Jahr wird übrigens genauso lang.

Stopp.
Nein.
Es wird 24 Stunden, 1500 Minuten oder 90000 Sekunden länger, denn es wird geschaltet. Nur haben Sie überhaupt nix von diesem Schalttag, von diesem 29.2., denn es müsste ja eigentlich ein freier Tag, ein Urlaubstag sein. Die Wirtschaft funktioniert ja drei Jahre lang mit 365 Tagen, so sollte ja auch im vierten Jahr das Bruttosozialprodukt nicht sinken, der DAX oder SMI nicht fallen, weil man auch diese Zeit arbeitet. Oder, wenn man ganz fair rechnet, sollte einem eine anteilige Urlaubszeit dazugegeben werden, nämlich 24 Minuten.

Aber:
Wir waren bei dem Gefühl, ein Jahr ginge schneller vorbei als ein anderes. Nun mag das ja für einige so sein, aber es stimmt eben immer erst im Rückblick. Die Wahrheit ist, dass das vergangene Jahr gar nicht kontinuierlich rasend oder schneckig ablief, sondern dass es wie ein grosser Fluss sich mal staute, stehenblieb, dann wieder schoss und strömte.

Wollen Sie Beispiele?

Hubert X. aus D. wartete am 3.8.2015 von 14.00 bis 15.30 im Hauptbahnhof Hamm auf einen verspäteten ICE. Die anderthalb Stunden kamen ihm wie anderthalb Jahre vor, weil er seinen Gehe-ich-halt-noch-einen-Kaffee-trinken-Kaffee schon nach 15 Minuten getrunken hatte, weil Hubert nicht raucht und weil er – das ist ein grosser Fehler – nicht liest.

Maria D. aus L. schrieb genau zur selben Zeit, am 3.8. 2015 von 14.00 bis 15.30 am Germanistischen Seminar in Köln ihre Abschlussprüfung. Ihr Thema „Das Menschenbild in Goethes Wahlverwandtschaften“ war ihr zwar total geläufig und vertraut, dennoch schien die Zeit zu rasen, wegzurennen, zu eskalieren und sie vollendete den letzten Satz genau dann, als die Audimaxuhr halb vier schlug.

Max T. aus G. hatte wohl im WHYNOT ein paar Bierchen, vielleicht auch ein paar Schnäpschen oder Underbergchen zu viel gekippt, als er am 16.9.2015 meinte, einen kleinen Disput über die Rechnung anzufangen, der dann mit einem Faustschlag auf die Nase des Wirtes endete. Die 7 Stunden (1.00-8.00 des Folgetages), die er in der Arrestzelle der örtlichen Polizei verbrachte, hörten überhaupt nicht auf, vor allem, weil an Schlaf auf der 150x60-Pritsche nicht zu denken war.

Es war ebenfalls 1.00 am 17.9.2015, als Paula U. aus A. feststellte, dass 1.) die Umzugshelfer um 8.00 eintreffen würden, 2.) sie noch keine Kiste gepackt hatte und 3.) die Nacht draufgehen würde. Sie können sich vorstellen, dass für sie die nächsten sieben Stunden, oder sagen wir 420 Minuten oder sagen wir 25200 Sekunden wie im Fluge vergingen, Teller wurden eingewickelt, Bücher aus den Regalen gerissen, Tücher gewurstelt und  Hosen gestapelt und tatsächlich war sie um 8.00 fertig. nach sieben Stunden, 420 Minuten, 25200 Sekunden, die an ihr vorbeirauschten, vorbeiwuselten, vorbeidüsten.

2015 ging schnell vorbei. Oder auch nicht. aber sicher ist, dass es für jeden anders schnell vorbeiging und für jede und jeden auch nicht gleichmässig schnell.

Wie Hofmannsthal schrieb:
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.

Wenn Sie also möchten, dass 2016 schnell, rasant, düsend vergeht , dann machen Sie viel Action, Prüfungen, Umzüge, Termine, Deadlines, und die Zeit wird rennen.
Wenn Sie möchten, dass die 12 Monate, 52 Wochen, 365 Tage, somit 8760 Stunden, 525600 Minuten und 31536000 Sekunden des Jahres MMXVI langsam, träge, schneckig, schildkrötig verstreichen, dann fahren Sie viel Bahn.

Und lassen sich mal verhaften.

In diesem Sinne: HAPPY NEW YEAR! 

 

Freitag, 25. Dezember 2015

Kein Weihnachtspost: Blatter will be back

Dieser Text ist KEIN Weihnachtstext, aber es ist ja auch nicht alles, was in den letzten Tagen passiert ist, unbedingt weihnachtlich:

In ihrem wunderbaren Film Ritter der Kokosnuss bringt die Englische Komikertruppe Monty Python eine herrliche Szene. Ein Ritter kämpft mit einem anderen, der allerdings den unschätzbaren Vorteil hat, auf einem Pferd zu sitzen. Da ein Reitritter – im Gegensatz zu einem Gehritter – von oben schwerten kann, ist bald schon der erste Arm ab. Ein Riesenfontäne Blut schiesst aus dem Stumpf, und der Zuschauer muss sich, um nicht vor Ekel zu sterben, klarmachen, dass es KEIN echtes ist. Der inzwischen einarmige Gehritter lässt sich von der Tatsache, dass seine bessere Fechthand inklusive besseren Fechtarms auf dem Boden liegt, nicht entmutigen und haut mit der anderen los. Wieder ein Cut von oben, wieder schiesst Blut aus dem Stumpf, wieder ist ein Arm ab und wieder muss sich der Zuschauer durch ein Es-ist-doch-nicht-echt-Sagen entekeln. Der Gehritter gibt nicht auf: Er fängt an, Reitritter und Reitross mit seinem Oberkörper zu rempeln. Nun zielt der andere ein wenig tiefer und schlägt dem Feind ein Bein ab. The same procedure  beginnt, Bein am Boden, blutender Stumpf, Ekelvorbeugung. Jetzt, spätestens  jetzt müsste ein vernünftiger Gehritter, nein, ein Gehritter ist er nicht mehr, Gehen setzt zwei Beine voraus, er ist nun ein Hüpfritter, jedenfalls müsste ein vernünftiger Mensch sich ergeben, um Gnade flehen und betteln, denn der nächste Streich von oben könnte die Aorta oder die Lunge treffen. Der Hüpfritter rempelt aber weiter, auf einem Bein springend und versucht Reitritter und Reitross umzuwerfen. Dem Pferdekerl bleibt nun nichts weiter, als dem anderen auch das zweite Bein zu nehmen. Und nun, auf dem Boden kauernd, ohne Arme und ohne Beine, eklig aus vier Stümpfen spritzend, sagt dieser die unglaublichen Worte:

„Sagen wir Unentschieden.“

Genauso wie dieser Geh-, später Hüpf- und dann Kauerritter, der wider alle Vernunft gegen das Ross anrennt, und schliesslich auch verbal nicht kleinbeigibt, kommt mir der werte Herr Blatter vor. Nehmen wir den ersten Arm als juristische Unversehrtheit, den zweiten als integren Ruf, das erste Bein als allgemeine Popularität, dann hüpfte er zuletzt auf einem Fuss gegen den Reiterritter, jenem zweiten Fuss, den man als „Rückendeckung durch die FIFA“ beschreiben könnte. Gut, jetzt hat die FIFA ihn rausgeschmissen, das andere Bein ist auch ab und Seppi hockt als Volltorso auf dem Boden. Er blutet aus allen vier Stümpfen, ekelt die Leute an (was er übrigens schon IMMER getan hat…) und spricht die magischen Worte:

„I’ll be back“

Das erfinde ich jetzt nicht, das hat er wirklich von sich gegeben:

„I’ll be back“

ICH KOMME WIEDER, das sagen doch immer die Erzgauner in den Western nach 2/3 Film, also am Goldenen Schnitt, wenn es zum ersten grossen Kampf kommt, ICH KOMME WIEDER, das tun sie dann ganz am Schluss, am sogenannten Show-Down. Einen solchen Schaunieder will uns der gute Seppi also liefern und beweist damit doch nur zwei Dinge.
1.) Er ist ein Erzgauner.
2.) Er wird am Ende verlieren. (Im Western gewinnen ja immer die Guten)

„I’ll be back.“

Gut, Blatter bekam neulich noch eine verspätete Huldigung durch die WELTWOCHE, die ihn zum Schweizer des Jahres kürte, aber das hat ihm weniger genützt als der Zeitung geschadet, diese Lachnummer, man fragte sich, ob Putin, Bin Laden und Dieter Bohlen diesen Titel auch mal erhalten hätten, wenn sie den roten Pass besässen.

Aber vielleicht meint der gute Joseph das auch ganz anders, vielleicht kommt er ja nicht als FIFäsident, sondern als etwas ganz Neues zurück.
Wird er Politiker? Nationalrat, Ständerat, Bundesrat? Er besässe alle dafür verlangten Eigenschaften, Verwaltungsdenken, Kommunikativität, er besässe Vernetztheit, Durchhaltevermögen und er besässe das grosse Mass an Korruptheit, das jeder Politiker braucht.
Geht er in die Wirtschaft? Da könnte er endlich den Arabern alles Mögliche verkaufen, man kann ihnen ja Hightech und Konsumgüter und Textil liefern, es muss ja nicht gerade eine WM sein.
Oder geht er ins Showgeschäft? TV TOTAL ist ja gerade zu haben. Vielleicht haben wir dann in einem Jahr BLATTER TOTAL. Oder vielleicht auch SCHLAGT DEN BLATTER, da würden sicher viele mitmachen.

Blatters Worte erinnern übrigens noch an einen anderen Film. In der unvergleichlichen Agentenposse der Coen Brothers Burn after Reading spielt John Malkovich den von CIA und Ehefrau rausgeworfenen Analysten Osbourne Cox, der in einer Szene vor einem Fitnessvideo turnt und ständig ruft:
„I’m strong. I’m back. I’m strong. I’m back…”

Was noch eines beweist: Eine solch skurrile, absurde, verrückte, eine solch abgedrehte Gestalt wie Seppi kann eigentlich nicht echt sein, sie muss aus irgendeinem Script der Monty Python, der Coen-Brüder, aus irgendeinem Text von Adams oder Pratcham, aus irgendeinem Cartoon von Franquin oder Seyfried entsprungen sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 22. Dezember 2015

Geschenke II: Das Gratisgeschenk



Wie fanden Sie meine Ideen für das intellektuelle, das gebildete, für das akademische, promoviertenwürdige, habilitiertenwürdige Geschenk, das Präsent für den Kunst-, Musik- und Literaturfan?
Sie waren Ihnen zu teuer?
Na, ein wenig muss man zum Fest der Liebe schon spendieren, nicht?
Schliesslich bekommen Sie ja auch Weihnachtsgeld, oder?
Gut.
Seien wir nicht so.
Hier kommen sie, die Vorschläge für das billige, das preiswerte, das kostengünstige, sogar kostenlose Präsent:

1.)    Das Selbstgebastelte

Wieso horten Sie die vielen Objekte, die Sie auf den zahllosen Sommerkursen erstellt haben, immer noch im Schrank? Wieso stapeln sich die Figürlein und Tellerlein, die Sie von Yoga und Töpfern auf Kreta mitbrachten, in Ihrem Küchenfach? Was ist mit den Deckchen passiert, die Sie bei Klöppeln und Tai-Chi auf Menorca fabriziert haben? Und wo sind eigentlich die Produkte von I-Ging und Linolschnitt in der Toskana? Ganz zu schweigen von dem selbstgewebten Teppich, den Sie neben Schwimmen und Wandern in Umbrien eingefädelt haben?
Also los: Verschenken Sie die Teile. Zugegeben, sie sind nicht wirklich schön, vielleicht waren Sie durch das viele I-Ging, Qi-Gong, Tai-Chi und Yoga ein wenig zu entmaterialisiert, aber Sie wissen ja, dass man einem geschenkten Gaul… Niemand wird etwas Negatives sagen, und die Deckchen, Tellerlein, Linolschnittchen und Teppiche werden viele Wohnzimmer zieren. Dass man sie immer erst kurz vor Ihrem Besuch aus dem Keller holt, müssen Sie ja nicht mitbekommen…

2.)    Das Selbstgeklaute

Ja, Sie haben richtig gelesen: Eine CD, ein Buch, ein Schal oder ein Parfüm, die der oder das Sie in der MANOR, im PFAUEN oder GLOBUS haben mitlaufen lassen, abgestaubt, organisiert haben (die deutsche Sprache hat so wundervolle Wörter für „stehlen“) hat seinen oder ihren eignen Wert. Es haftet einer selbstgeklauten CD der Duft von Gefahr und Risiko an, es klebt an einem selbstabgestaubten Buch der Geruch von Abenteuer und Wagnis.
Ich habe einen Gegenstand, den ich seit Jahren über alles schätze, nämlich einen grünen Rückenschaber, so ein gezacktes Teil mit Griff, das an Tankstellen und Raststätten fälschlich unter dem Namen „Eiskratzer“ angeboten wird. Ich bekam den Rückenschaber von zwei Schülern, die ihn zwar nicht klauten, dafür aber in der Pause das Schulareal verliessen und eine Stunde Arrest riskierten. Dieses Odeur von überstandener Gefahr prägt ihn bis heute.

3.)    Der Gutschein

Damit meine ich nicht die Gutscheine, die Sie vorher berappen, Gutscheine wie der Innenstadt-Bon, den Deutschen Gourmet-Pass oder den Wellness-Gutschein für 2, sondern einen Zettel, auf dem z.B. draufsteht: WIR KOCHEN EUCH EIN 5-GANG-MENÜ. Natürlich würde Sie ein Fünfgänger für vier Leute, Artischockensuppe, Salat mit Kaviar, Pasta mit Lachs, Wildhauptgang und Frische Kokosnuss, auch eine Stange Geld kosten, den Wein (ein 1967er Château Bloussi muss schon sein) gar nicht gerechnet, aber das Gute ist: Der Bon wird nie eingelöst werden. Vier vollbeschäftigte Leute an einen Tisch zu bekommen, ist heutzutage ein Ding der Unmöglichkeit. Da man ja ständig vernetzt ist, heisst es nicht mehr: JETZT(!) Agenden raus!, sondern „Wir chatten/telefonieren/mailen/simsen/skypen mal, was man dann nie tut – man könnte ja immer, also auch morgen…

4.)    Das Selbstgefundene

Wir leben in einer Wergwerfgesellschaft. Recyclingstellen, Schrottplätze und Einlagerungshallen quellen über und die Flohmärkte sind voll von Gegenständen, die nie oder kaum benutzt wurden. Da finden Sie sicher irgendetwas Schönes, Gutes und Praktisches für Ihre Lieben. Oder ist mal wieder Sperrmüll? Was der Nachbar nicht mehr möchte, kann noch immer ein wundervolles Präsent werden. Die 100 Vinylplatten vielleicht. Hat nicht XY noch so einen alten Apparat? Oder die 15 Ordner im Grün-Gelbkreis-Orangekreis-Design, die sind ja inzwischen als 70-Revival total in. (Ich habe selber noch so einen Ordner mit Farbkreischen, die Rezeptsammlung meiner Mutter, aber den würde ich nie weggeben.)
Vielleicht brauchen Sie auch Plastikteilchen für Kinder, so á la LEGO®. Dann fischen Sie im Rhein, der ist nämlich bis zum Rand voll damit, nein, nicht mit LEGO®, sondern mit Plastikmüll.

5.)    Das Selbstgeschenk

Schenken Sie sich selbst! Der Beschenkte darf einen Tag, eine Nacht, eine Stunde, eine Woche, das legen Sie fest, mit Ihnen machen, was er will. Ja, das schliesst auch Sex mit ein. Aber achten Sie darauf: Nicht in ein festes Paket verpacken! Manchmal gehen die Leute ein wenig ruppig mit Präsenten um, die sie nicht aufbekommen, man weiss ja nicht, dass Sie im Päckchen sind. Sie wollen ja am 24.12. kein Messer in der Brust haben. Ludwig Hirsch hat das wunderschön in Schick dia doch selber deiner Freundin in a Packerl besungen, das hatte aber eine reale Vorlage.

So.
Wenn jetzt nix für Sie dabei ist, weiss ich auch nicht weiter…

Freitag, 18. Dezember 2015

Geschenke I: Das intellektuelle Geschenk



Sie suchen noch ein Weihnachtsgeschenk?
Sie wollen aber kein Parfüm, keine Socken, keine Krawatten, keine Seifen oder Weinflaschen, keine Schals oder Tüchlein verschenken, weil die Beschenkten, nun weil sie eher, ich muss das peinliche Wort nun doch sagen, weil sie eher intellektuell sind?
Sie suchen ein Weihnachtsgeschenk für den fein gebildeten Menschen, einen mit Abitur? Mit Hochschulabschluss, einen promovierten, habilitierten, einen Menschen mit akademischer Aura?
Gut.
Hier sind sie, die 6 Weihnachtsideen für den Gebildeten:

„…müssen wir von einer Veröffentlichung absehen…“
Ablehnungsbriefe von Siegfried Unseld 1950-1990

Der grosse Verleger hat sich bei der Ablehnung der immer wieder unaufgefordert eingesandten Manuskripte nie eines Vorlagebriefes bedient. Nein, er fand im Zunichtemachen der oft grauenhaften Machwerke stets eine eigene humorig-bissige Note. Hier finden sich wunderbare Formulierungen wie „…von überbordender Epigonalität…“, „…an der Grenze des Debilen und leider oft auch darüber…“ oder „…müssen wir leider unsere Leser vor dieser Lyrik schützen…“
Ein Muss für jeden Literaturfreund.
Suhrkamp 2014, 987 Seiten, 95.- Euro


Das ist schön, sagte er.
Positive Äusserungen von Thomas Bernhard

In dieser exzellenten Anthologie werden endlich einmal die vierzig positiven Bemerkungen zusammengefasst, die der grosse alpenländische Zyniker nebenbei doch auch gemacht hat. Da die wenigen Lobe Bernhards auch nur wenige Seiten füllen, wurde das Bändchen sehr schön bibliophil gestaltet und ist nicht nur etwas zum Lesen, sondern auch zum Ansehen.
Eine Preziose für jeden Gabentisch.
Rowohlt 2013, 10 Seiten, 45.- Euro


Klang und Schönheit
Konzerte für Monochord

Das Monochord ist zu Unrecht in die Schmuddelecke des Meditativen und Therapeutischen verbannt worden. Seine Möglichkeiten bezüglich Mehrstimmigkeit und Virtuosität wurden oft unterschätzt. Umso schöner ist es, in dieser Box mit 15 CDs endlich einmal alle Konzerte für Monochord und Orchester an einem Platz zu haben, darunter Ersteinspielungen wie das herrliche Konzert in B von
F. X. Süssmeier, WEITES SCHWEIGEN von Isang Yun und PANEM QUOTIDIANUM von Arvo Pärt
Ein Muss für jeden Musikfreund.
Sony Classics  329.- Euro


Die schönsten Stillen Örtchen
Kalender 2016

Dieses Kalendarium ist das Ultimative für das intellektuelle WC! Der Berliner Fotograf Herbert Stammel hat sich in die Untergründe berühmter Bauwerke begeben und die 12 architektonisch interessantesten Toilettenanlagen portraitiert, die unser Planet zu bieten hat. Darunter sanitärarchitektonische Meisterkonstruktionen von Le Corbusier, Botta und Hundertwasser. Endlich eine Bilderfolge für den Kunstfreund, der sich in sein WC keine nackten Männer/Frauen oder irgendwelche Pinkelcomics hängen will.
A2-Kalender Glanzdruck, Korsch Verlag, 99.- Euro


Schreibset für den wahren Lyriker

Ihre Lieben möchten endlich dichten wie Hölderlin oder Mörike? Sie möchten auch mühelos mit Sonetten und Epigrammen, mit Balladen und Terzinen um sich werfen? Aber es gelingt ihnen nicht? Vielleicht haben Sie einfach die falschen Utensilien. Denn Hälfte des Lebens und der FeuerreiterHyperion und Er ist‘s sind nicht am PC entstanden. Schenken Sie den Talenten in Familie und Freundeskreis das Ambiente des wahren Dichters:
Stehpult Kiefer                149.-
Tintenfass                          29.-
Rabenfedern (5 St.)          39.-
Im Paket NUR                   170.-
Hergestellt und vertrieben von manufactum/es gibt sie noch, die guten Dinge


Land im Nebel
Geschichte der Isle of Skye von der Urzeit bis heute

Nach jahrelangen Recherchen hat nun das Historikerteam um Prof. Dr. Mattis Köpf ihre komplette Chronologie einer der interessantesten Flecken der europäischen Landkarte vorgelegt. Die 35 Bände, die auch graphisch sehr ansprechend gestaltet sind, enthalten eine Fülle von Dokumenten und Informationen, Bd. 34 und Bd. 35 sind penibel und übersichtlich gestaltete Register.
Für die 3,5 Meter geballtes Wissen sollte in jedem Bücherschrank Platz sein. Ein Muss für jeden Geschichtsfreund, der mal über den Tellerrand der Lokalhistorik Hinausblicken will.
Deutscher Wissenschaftsverlag 2015,  1875.- Euro

Und wenn jetzt wieder nix für Sie dabei war:
Dann schenken Sie halt Parfüm, Socken, schenken Sie Krawatten, Seifen oder Weinflaschen, Schals oder Tüchlein.
Aber sagen Sie nicht, Sie hätten keine Vorschläge bekommen.

Dienstag, 15. Dezember 2015

Fahrplanwechsel und Tante-Emma-Syndrom



Montag, den 14.12., 6.30
Der Kondukteur prüft den Fahrschein der älteren Dame in schicker Weisshaarfrisur und Kunstpelzmantel: „In Biel bitte umsteigen.“ Die Dame fährt sich nervös durch ihre weissen Locken und fragt ein wenig verunsichert: „Der Zug fährt nicht nach Lausanne?“ „Nein, seit gestern nicht mehr. Biel Gleis 5, das ist das Gleis gegenüber.“ Als der Kondukteur weitergezogen ist, werde ich der Adressat ihres Redeschwalles: Das hätte ihr doch jemand sagen müssen, gut sie habe ihre Karte am Automaten gelöst, aber das habe man überhaupt nicht bekanntgegeben, ausserdem wieso strichen die jetzt die Verbindung ins Waadtland , die würde soooooo extrem häufig genutzt, also sie selber natürlich nicht, sie fahre ja wenig Zug, aber sooooo viele ihrer Bekannten führen die Strecke…“
Ich lächle und denke mir meinen Teil.

Denke z.B., dass der Fahrplanwechsel am 13.12.2015 von der SBB wirklich exzellent kommuniziert worden ist, da hat man Faltblätter ausgelegt, da gab es alles im Internet, da stand es auf den Abfahrtstafeln und auf den Gleisanzeigen und seit dem 1.12. wurde es in fast jedem Zug angesagt. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn der SBB-CEO persönlich auf eine Tasse Kaffee vorbeigekommen wäre, um mich über alle Änderungen zu informieren, er hätte auch meine Weihnachtsplätzchen probieren dürfen, aber bei mehreren Millionen Fahrgästen hätte er die
CEO-stellt-Ihnen-neuen- Fahrplan-vor-Aktion schon 2002 beginnen müssen.
Und die „Benachteiligung von Basel“? Gut, die Rheinkniemetropole verliert zwei Verbindungen: Die Schnellzüge auf der Birstalstrecke fahren nur noch bis Biel und die Anbindung an den Airport Zürich hat sich auch verschlechtert. Aber es wurden ja Fahrtgastbefragungen durchgeführt, und ich denke, wie ich die SBB kenne, wurden diese auch seriös und korrekt vollzogen. Und das Ergebnis war eben komischerweise, dass die Strecken Basel-Lausanne, Basel-Genf, sowie Basel-Zürich Flughafen zu wenig genutzt werden. (Das Verlangen nach Züri Ärpoort nimmt z.B. mit dem Ausbau des Euroairports Basel/Muhlouse/Freiburg konstant ab, wer vom Sundgau nach Berlin kommt, muss das nicht mehr von Zürich aus machen)

Und hier kommt wieder die ältere Dame in ihrem Kunstpelzmantel und mit ihrer Weisshaarkurzfrisur ins Spiel. Sooooooo viele Bekannte scheinen die Strecke nicht genutzt zu haben, sooooooo viele ihrer Freundinnen und Freunde scheinen nicht nach Lausanne getravelt oder nach Genève gereist zu sein, oder die Betreffenden waren stets auf der Toilette, wenn die Befragerin vorbeikam.

Die Dame leidet unter dem Tante-Emma-Syndrom.
Sie alle kennen das: Da macht, nach Jahren des Darbens und Herumkrebsens, nach gefühlten Aionen von Roten Zahlen der Tante-Emma-Laden im Dorf oder Quartier dicht. Und auf einmal ist das Geschrei gross: Man habe stets bei Emma eingekauft, man sei soooooo viel vorbeigekommen, man habe das Lädchen sooooo unterstützt, und nun das. Zugegeben, man habe vor allem das dort geholt, was man im ALDI, im DENNER, was man im EDEKA und im COOP vergessen habe, aber etwas habe man dort immer gekauft. Dass Tante Emma von der im DENNER nicht mitgenommenen Milch, von der Butter, an die man im COOP nicht gedacht hat, von der Cola, auf die man spontan Lust bekommt und den Sonntagmorgenbrötchen nicht leben kann, daran denkt niemand.

Auf den Punkt gebracht heisst das Tante-Emma-Syndrom: Wir verkennen die Frequenz, mit der eine Sache genutzt wurde, in dem Moment, in dem sie abgeschafft wird.

Wenn die Gemeinde Guggiswil ihr Museum für Ur- und Frühgeschichte abschafft, besteht das ganze Dorf auf einmal nur noch aus Hobbypaläontologen, die Zeter und Mordio schreien.
Wenn die Pfarrei St. Munizius in Herbstetten keinen Priester mehr bekommt, besteht der ganze Ort auf einmal auf frömmsten Katholiken, die praktisch ihr ganzen Leben zwischen Taufstein, Altar und Tabernakel verbracht haben.
Wenn der Wanderclub Frohsinn Murgen e.V. sich auflöst, haben auf einmal bei jeder Monatswanderung ca. 4800 Leute teilgenommen, komisch, das das Apérogebäck immer gereicht hat…

Nein, die gute Dame muss das schlucken, was einfach Tatsache ist: Basel verlor auf den 13.12.2015 zwei Verbindungen, und zwar NICHT, weil man Basel immer mobbt, NICHT, weil andere Regionen immer bevorzugt werden, NICHT, weil pure Willkür herrscht, sondern weil die Strecken schlicht und einfach ZU WENIG GENUTZT WURDEN.
Aus dem umgekehrten Grund wird z.B. Solothurn-Burgdorf intensiviert , eben weil viele Leute dort gefahren sind, und zwar den ganzen Tag, nicht nur zu den Stosszeiten.

Also gehen Sie doch im neuen Jahr mal wieder wandern, gehen Sie in die Kirche und kaufen Sie doch ihre GANZEN Festtagseinkäufe bei Tante Emma.
Oder jammern Sie nicht, wenn es auf einmal keinen Laden, keinen Priester und keinen Wanderclub mehr gibt.
Oder wenn Sie auf dem Weg an den Genfersee jetzt in Olten umsteigen müssen...

Freitag, 11. Dezember 2015

Vive le vigneron! Winzer an die Macht!


Le vigneron monte à sa vigne
Où es tu, vigneron ?
Le vigneron monte à sa vigne
Du bord de l'eau jusqu'au ciel là-haut.
(Schweizer Volkslied)

Vive le vigneron!

Guy Parmelin, der neue Bundesrat, der zwar vorher als Alibi-Kandidat und nach der Wahl als „kleinstes Übel“ bewitzelt wurde, wird seine Sache gut machen. Er ist von den zur Wahl gestellten SVPlern sicher der angenehmste, der umgänglichste, der akzeptabelste. Und:
Er hat einen tollen Beruf.
Er ist nämlich Winzer.

Le vigneron monte à sa vigne…
Das sage ich jetzt nicht als Trinker, sondern aus der klaren Erkenntnis heraus, dass Winzer, Weingutsbesitzer, Weinproduzenten, dass Weinreben, Weinberge und Weintrauben, dass Weinfässer und Weingläser gute Dinge sind.
Schon in der Bibel ist der Weinanbau absolut positiv konnotiert. Noah bekommt die erste Rebe vom HERRN persönlich und wird so zum ersten Winzer – dass er von der ersten Produktion einen Vollrausch bekommt, ist eine andere Geschichte, man musste sich an die neue Droge ja auch erst gewöhnen… Von den Arbeitern im Weinberg ist dann später die Rede und Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben heisst es ja auch.
Und in späterer Literatur findet sich kaum eine Stelle, wo Winzer und Weingutsbesitzer, wo Weinreben und Weinberge, Weintrauben und Weinfässer schlecht wegkommen. Schenk ein den Wein, den holden… schreibt Storm, und Pavese dichtet Anche tu sei la vigna  (auch du bist der Weinberg…), von Zuckmayers Fröhlichem Weinberg ganz zu schweigen.

Vive le vigneron!

Was ist nun mit einem Winzer in der Politik?
Ich bitte Sie, dass hat doch nur Vorteile.
Wann, und das kann man nicht genug betonen, wird einem in Bern, in Berlin und Paris, in London oder Rom schon reiner Wein ausgeschenkt? Wann wird je in Bern oder Madrid oder Amsterdam nicht ständig Unausgegorenes, sondern Ausgegorenes fabriziert? Und eines ist doch sicher: Guy Parmelin wird nicht Wein predigen und Wasser trinken, er wird Wein trinken und Wein predigen, er wird sogar Wein produzieren und ausschenken und Wein predigen.

Manchmal muss man, und das wird er auch tun, in Bern Berlin oder Paris auch ein Fass aufmachen; gelegentlich sollte man auch mit Flaschen hantieren können. Die Anzahl der Flaschen in Berlin, Rom, in London, Amsterdam und Bern ist ja ungeheuer, und da ist es gut, wenn jemand gelernt hat, regelmässig mit Flaschen umzugehen. Zukorken und Lagern sind da die richtigen Methoden, auf eine andere Sprache reagiert eine Flasche nicht.

Und wir singen noch einmal:
Daa da da dam dam daa dada dam dam
Dam dam daaa dam dam daaa

Winzer sind die wahrhaft toleranten Menschen. Während noch für viele Leute, WEISS ein klarer Vorteil ist, das WEISSE dominiert und das WEISSE in den Vordergrund gestellt wird, gibt es für den Winzer mehrere Farben: WEISS oder ROT. (oder Rosé)

Vive le vigneron!

Ja, ich versteige mich jetzt zu der Behauptung:
Winzer an die Macht!
(Sang schon Grönemeyer. Oder haben Sie bei dem Obernuschler „Kinder“ verstanden?)
Die Welt kann nur besser werden.
Und wenn Sie mir jetzt sagen, dass in den Parlamenten in Amsterdam, London und Dublin, in den Regierungen in Stockholm und Kopenhagen gar keine Winzer sitzen können, dann täuschen Sie sich. In zwanzig Jahren wird es in allen diesen Ländern Winzer, Weinproduzenten, wird es Weinreben und Weintrauben, wird es Weinfässer und Weingläser geben.
Die Erderwärmung macht es möglich.

In diesem Sinne:
Zum Wohlsein!