Freitag, 31. März 2023

Unsinn Sommerzeit - Blogpause


Ich habe am 5. April 2016 einen Post zum Thema «Sommerzeit» veröffentlicht. Und mich in diesem über diesen Schwachsinn aufgeregt.
Ich schrieb damals:

Nehmen Sie z.B. einen Menschen, der jeden Tag um 6.03 den Zug via Moutier nach Solothurn nimmt. Ich stehe um 4.45 auf, gehe um 5.38 auf das Tram 2 und besteige um 6.03 den IC nach Laufen-Delemont-Moutier-Grenchen-Biel. In Moutier steige ich um 7.54 in den Bummler, der durch den Weissenstein fährt und bin um 7.20 in Solothurn West.
War es VOR dem unsäglichen 27.3. beim Loslaufen daheim schon noch dunkel, wurde es in Laufen schon heller, in Moutier war es sehr hell und während der Fahrt durch den Berner Jura kam die Sonne hervor, um in Brudersphären Wettgesang zu tönen. Jetzt ist wieder alles dahin: Loslaufen, Tramfahrt, Birstalfahrt, Jurafahrt, alles im Dunkeln, Kuhnacht. Es ist so, wie wenn man einem die Verlockungen der hellen Jahreszeit gezeigt hätte und ihm dann auf die Finger haut und es ihm wieder wegnimmt.

Was ich – so glaube ich – damals nicht ahnte: Dass sieben Jahre später der Unsinn immer noch besteht.

Also:
Eigentlich besteht der Unsinn seit 1980, also über 40 Jahre, und seit 20 Jahren weiss man, dass das Ganze seinen angeblichen Zweck (die Energieeinsparung) verfehlt. Seit 10 Jahren weiss man, dass man irgendwann aussteigen will. In 5 Jahren. Oder in 10 Jahren. Oder in 20 Jahren. Gottes und die Mühlen in Brüssel mahlen langsam – und so kann man vielleicht 2180 zum Hundertsten der Sommerzeit ihre Abschaffung schaffen…

In der Schweiz hat man eh ein sehr gespaltenes Verhältnis zur MESZ. Zunächst war das Volk dagegen und 1980 hatte die Schweiz als «unbeugsames quasi gallisches Dorf» die alte Zeit. Ein Chaos war die Folge:

Als die Nachbarländer am 6. April 1980 die Zeiger um eine Stunde vorrückten, triumphierten die Schweizer Bauern: ihre Kühe mussten sich nicht an veränderte Melkzeiten gewöhnen. Dafür bekamen die Schweizer Fernsehzuschauer nun Probleme. Sie mussten sich entscheiden, ob sie die Schweizer Tagesschau oder den Krimi auf der ARD sehen wollten – denn beides lief zeitgleich. Im TV-Programm kam es zu Kollisionen, damit diese auf der Schiene ausblieben, standen die Züge an Grenzbahnhöfen oft eine Stunde still und die SBB erarbeitete einen Notfahrplan. Besonders ärgerlich war die Sache für die Grenzgänger, die nun täglich die Zeitzonen wechselten. Es sei denn, sie waren bei einer jener Firmen, die nach europäischer Zeit arbeiteten, weil sonst die ausländischen Partner um «11 Uhr» schon in der Mittagspause waren. Gegen Ende des Sommers sahen die meisten ein, dass es so nicht weitergehen konnte – bovine Biorhythmen hin oder her.

(Historiker Benedikt Meyer im Blog des Nationalmuseums)

Also folgte im nächsten Jahr die Schweiz mit einem Bundesratsbeschluss den anderen Ländern. Ein «Unbeugsamer» versuchte noch das Referendum zu ergreifen, bekam aber die nötigen Unterschriften nicht zusammen. Wer das war? Sie ahnen es: Es war Christoph Blocher. Was das übrigens zeigt, ist: Den Eidgenossen ist der «Tatort» wichtiger als ihre Kühe…

Nun aber ist alle Welt der MESZ müde und viele hoffen jedes Jahr, dass es das letzte sein möge.
Warum aber braucht es so lange?

Die Erklärung führt uns unter anderem in die wilde und wonnige Welt der Paradoxa.
Sie erinnern sich vielleicht an den herrlichen Spruch vom Epidemides aus Kreta, der sagt, alle Kreter seien Lügner (…da er selber Kreter ist, lügt er, das stimmt also nicht, die Kreter sagen die Wahrheit, also stimmt es auch, dass Kreter lügen… wir drehen uns im Kreis)
Sie haben eventuell auch die Bilder des Holländischen Grafikers Escher vor Augen. (Bitte Es-ch-er aussprechen, bitte!) Er wurde ja berühmt durch Treppen, die immer aufwärts und doch im Kreis gehen.

Und diese MESZ-Geschichte ist nun auch paradox:
Die Menschen sind gegen Umstellung.
Und weil die Menschen gegen Umstellungen sind, möchten sie jetzt den Zustand beenden, in dem jedes Jahr die Uhrzeit umgestellt wird. Allerdings: Diesen Zustand gibt es jetzt ja auch schon ewig, ja, und eine Änderung dieses Zustands wäre ja nun auch eine Umstellung. Anders formuliert: Weil man gegen das Umstellen ist, kann man das Umstellen nicht ändern, denn die Umstellung von «wir stellen um» zu «wir stellen nicht um» ist nun halt auch eine Umstellung…

So wird der Unsinn auch nächstes Jahr die Leute (also mich) aufregen.

Die nächsten Wochen machen wir eine Blogpause – am 18. April geht es weiter.

























 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 28. März 2023

Aufpassen!

IdidZl
Aufgepasst! Aufgepasst! Passen Sie auf? Ja? Passen Sie jetzt gerade auf? Aufgepasst!

Ich erinnere mich dunkel an eine wunderbare Stelle in einem Kinderbuch, in dem ein Mädchen namens Trixie zum ersten Male allein zur Oma fährt:
«Gute Reise», sagte der Vater, «und pass auf!» Das war unnötig, denn Trixie passte immer auf. Allerdings nicht immer so, wie der Vater das meinte. Neulich hatte sie eine wunderschöne rote Blume gefunden, einmal ein Zwei-D-Mark-Stück und einmal eine herrenlose Katze.

Aufgepasst!
Passen Sie auf? Passen Sie auf! Zahlen Sie Aufmerksamkeit (wie der Brite sagen würde…)

Wenn wir von «aufpassen» reden, beinhaltet das ja stets mehr, als nur Sachverhalte sinnlich und geistig wahrzunehmen. Stellen Sie sich vor, dass Sie bei mir zum Frühstück eingeladen sind. Und stellen Sie sich weiter vor, dass, als gerade die Eier im Topf sind, das Telefon klingelt. Also sage ich zu Ihnen: «Können Sie gerade mal auf die Eier aufpassen?»
Was tun Sie jetzt?
Vielleicht haben Sie sich, wenn ich wiederkomme, den genauen Zeitpunkt des Siedens gemerkt und verkünden stolz: «Die Eier kochen seit 9 Uhr 45 und 30 Sekunden.»
Das war aber nicht das, was ich mit «aufpassen» meinte. Denn inzwischen ist es 10 Uhr und die Hühnerprodukte steinhart. Ich hatte natürlich gemeint, dass Sie – auch wenn das nicht explizit gesagt wurde – die Zeit stoppen und die Eier nach 3 ½ Minuten herausnehmen.

Aufgepasst! Zahlen Sie Aufmerksamkeit!
Haben Sie den Überblick?

Überblick und Aufsicht sind ja auch so zwei Dinge. Eigentlich sogar fast Synonyme. Wenn ich «auf» etwas sehe, dann «überblicke» ich es auch.
In den meisten Schulen war früher der Schreibtisch des Rektors so gestellt, dass er auf den Pausenhof sah und damit den Überblick hatte. Und oft notierten die Rektoren (ja, damals war das meist die männliche Form) das, was sie dort sahen:
8. 13 Ein Drittklässler kommt zu spät
8. 30 Zwei Viertklässler rauchen heimlich in der Ecke
8. 32 Eine Zweitklässlerin wirft Papier auf den Boden
8. 50 Dr. Hempel kommt (schon wieder!) zu spät
Was taten sie aber dann mit den Infos? Hoffentlich taten sie alles, um die Missstände zu beheben. Wenn nicht, wären sie jämmerlich schlechte Schulleiter gewesen…

Aufgepasst!
Passen Sie auf? Passen Sie auf!
Zahlen Sie Aufmerksamkeit? Zahlen Sie Aufmerksamkeit!
Haben Sie den Überblick? Sie haben die Aufsicht!

So lustig uns Trixie vorkommt, die eine Katze sieht, aber vielleicht den falschen Zug nimmt, so abstrus es uns anmutet, wenn man den Siedezeitpunkt weiss, aber die Eier nicht aus dem Wasser nimmt, so blöde wir einen Rektor finden, der alles sieht, aber nix tut, so schrecklich muss uns doch nun die Rolle diverser Aufsichtsgremien vorkommen.
Wir erinnern uns:
Vorige Woche wurde die zweitgrösste Schweizer Bank, die CS, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gerettet, um nicht eine nationale (und globale) Bankenkrise auszulösen.
Hatte da niemand die Aufsicht? Niemand den Überblick? Passte niemand auf?

Eine Bank ist eigentlich in doppelter Hinsicht abgesichert: Einerseits gibt es ein Aufsichts-Gremium (das die Deutschen Aufsichtsrat, die Schweizer aber Verwaltungsrat nennen). Die Mitglieder sind alles Fachleute, hochkompetent und exorbitant (ja, ja, ja, ja, jetzt muss das Wort wieder her…) bezahlt und sollten wachen. Über diesen und über allen Banken gibt es dann noch eine staatliche Bankenaufsicht, auch sie zusammengesetzt aus Fachleuten, hochkompetent und höchstbezahlt. Alle diese Leute übten ihr Amt nun nach der Eierkoch-Methode aus:

Die CS steht vor Gericht.
Die Überblicks-Gremien notieren:
«Die CS steht vor Gericht.»
Die CS macht Verlust.
Die Überblicks-Gremien notieren:
«Die CS macht Verlust.»

Alle Probleme, die nun zu einer Hauruck-Aktion und dem exorbitanten (es geht nicht ohne…) Einsatz von Steuergeldern führten, waren bekannt. Und wurden bemerkt.
Und niemand tat etwas…

«Gute Reise», sagte der Vater, «und pass auf!» Das war unnötig, denn Trixie passte immer auf. Allerdings nicht immer so, wie der Vater das meinte. Neulich hatte sie eine wunderschöne rote Blume gefunden, einmal ein Zwei-D-Mark-Stück und einmal eine herrenlose Katze.
Man kann nur hoffen, dass Trixie heute freischaffende Malerin oder Musikerin ist und nicht etwa als Ökonomin oder Juristin in einem Verwaltungs- oder Aufsichtsrat.







     

Freitag, 24. März 2023

"Exorbitant"

Heute müssen wir ein wenig Sprachwissenschaft betreiben, genauer gesagt, ein bisschen Etymologie.

Das Lateinische kennt das Wort «orbis».
Dieses schöne Wort bedeutet so viel wie Kreis, Rundung, aber auch Umkreis und Kreislauf, sowie Erdkreis und Weltkreis. Sie kennen vielleicht den Segen, den der Papst, der Pontifex an Ostern über die Brüstung schmettert: «Urbi et Orbi» – der Stadt und dem Erdenrund wird hier der Segen zugesprochen. Die Frage, die sich zurzeit stellt, ist, ob der Papst, der Pontifex in Zukunft «Urbi et Orbi sine Germania» (also: Stadt und Erde ohne Deutschland) rufen muss, aber das führt uns ganz, ganz, ganz, ganz weit vom Thema weg und muss an anderer Stelle erörtert werden.

Von «orbis» leitet sich nun «orbita» ab, die Bahn, das Gleis, das Wagengleis und von diesem schönen Nomen das Adjektiv «exorbitant». Das Internet meint hierzu:

Worttrennung: ex·or·bi·tant, Komparativ: ex·or·bi·tan·ter, Superlativ: ex·or·bi·tan·tes·ten Aussprache : [ɛksʔɔʁbiˈtant]
Bedeutungen: gewaltig, außerhalb der Maßstäbe, außergewöhnlich, enorm
Herkunft: aus dem Französischen im 18. Jahrhundert entlehnt; von «exorbitans», Partizip Präsens des Verbs «exorbitare» von der Bahn, vom rechten Weg abweichen“
Synonyme: aussergewöhnlich, horrend, gewaltig, übertrieben

Das wäre alles nun nicht spannend, wenn dieses Wort nicht gefallen wäre, und zwar an prominentester Stelle:

Der Bugesumi Karlchen Lauterbach (ja, ja, ja, mal wieder der, aber ich habe schon lange nix mehr über ihn gebracht) will diejenigen unterstützen, die von Long-Covid und Corona-Impfschäden betroffen sind. Für ein solches Programm sei er «quasi in den Haushaltsverhandlungen», hatte der Minister an einem Sonntag im ZDF angekündigt. Für Corona-Impfschäden hafte vereinbarungsgemäß der Staat, sagte Lauterbach, es wäre aber «wertvoll», wenn sich auch die Arzneimittel-Hersteller beteiligten. «Denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen. Und somit wäre das tatsächlich mehr als eine gute Geste, sondern das könnte man erwarten.»

Das ist nun wirklich sensationell. Erstaunlich, dass das eher irgendwie unterging. Das Sensationelle ist nicht, das Wie oder das Wo oder das Warum, sondern das Das. Meint, dass es nicht sensationell ist, wo und warum Lauterbach das sagt, sondern dass er überhaupt dieses Wort in den Mund nimmt.
Denn:
Die «exorbitanten» Gewinne von Firmen gehören zu den Sachen, die völlig klar sind, über man aber nicht spricht.

Haben Sie – um ein Beispiel zu nennen – erlebt, dass der Pontifex vor dem «Urbi et Orbi» über seinen Stuhlgang spricht, dass er z.B. sagt: «Heute morgen konnte ich richtig gut aufs Klo.» Oder: «Ich bin seit Tagen verstopft.» Natürlich wissen wir, dass auch das Oberhaupt der Katholischen Kirche eine Verdauung und einen Darm hat, aber er redet natürlich nicht darüber.
Haben Sie erlebt, dass ein Machthaber im Staate XY nach der Wahl offen zugibt, dass er gefälscht und gefakt hat? Natürlich weiss jede und jeder, dass die 95% für ihn und die 5% für die Gegenkandidatin nicht ganz sein können, aber es ist fast nicht möglich, dass er so darüber redet.
Haben Sie heute schon den Satz «die Sonne ist heute Morgen aufgegangen» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «ich muss ständig atmen, sonst sterbe ich» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «wenn ich jetzt das Buch loslasse, fällt es zu Boden» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «meine Fenster sind durchsichtig» gehört?
Haben Sie heute schon den Satz «mein Hund bellt manchmal» gehört?

Selbstverständliche Dinge werden nicht genannt – normalerweise. Und so ist es erstaunlich, dass Karlchen das so deutlich sagt.

Betreiben wir nun noch einmal Sprachwissenschaft:
Wenn wir «exorbitant» von seiner Grundbedeutung her deuten, dann heisst es nicht nur riesig und gross und massig, sondern könnte auch bedeuten, dass hier etwas aus dem Gleis gelaufen ist, das hier – um es besser zu sagen – Dinge aus dem Ruder laufen…

Während ich hier so fröhlich über Karlchen philosophiere, fällt mir natürlich noch eine andere Verwendung für das Wort ein:
Die CS.
Auch hier könnte man ja fröhlich formulieren:

Die Verluste der Credit Suisse waren exorbitant (aus dem Ruder gelaufen), denn sie war exorbitante (aus dem Ruder gelaufene) Risiken eingegangen und hatte in exorbitanten (aus dem Ruder gelaufenen) Gefahren gewirtschaftet. Dafür erhielten die Manager Gehälter, die exorbitant (aus dem Ruder gelaufen) und Boni, die exorbitant (aus dem Ruder gelaufen) waren. Die UBS kauft nun zu einem exorbitant schlechten (aus dem Ruder gelaufenen) Preis und der Staat schiesst exorbitant viel zu.

Auch hier passt das sehr schön.

So, so viel Sprachwissenschaft für heute.
Wie fanden Sie dieses Mal die Glosse?
Aber sagen Sie bitte nicht…









 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

        

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 21. März 2023

Selbstversuch: Ein GA 1. Klasse

Ich habe in den letzten Wochen (er geht bis zum 26. 3.) einen ungeheuren Selbstversuch unternommen: Ich habe mein GA upgedatet und bin Erster Klasse gefahren.

Das klingt jetzt ein bisschen blöde, oder? Denn «Selbstversuch» tönt ja nach Gefahr, nach Risiko, das tönt nach Abenteuer und Schwierigkeit und nicht nach zusätzlicher Bequemlichkeit. Einen wirklichen Selbstversuch, einen, der Gefahr und Risiko beinhaltete, unternahm – und das ist jetzt ein nicht geplanter Zufall – der Basler Chemiker Hofmann vor fast genau 80 Jahren, am 19. April 1943, er nahm zum ersten Male LSD ein. Auch Wolf Biermann sprach von einem «Selbstversuch», als er im Frühjahr 1953 – auch hier wieder ein Jubiläum – in die DDR übersiedelte.

Was haben nun mein Selbstversuch und diese Ereignisse miteinander zu tun? Bei jedem Selbstversuch geht es um Fragen, die man beantwortet haben will. So wollte Hofmann schlicht und einfach wissen, wie LSD beim Menschen wirkt und Biermann wollte wissen, wie es sich als Kommunist im kommunistischen Deutschland lebt.
Und auch ich wollte entscheidende Fragen beantwortet haben. Und zwar diese:

1.) Finde ich in der 1. Klasse besser einen Platz?
2.) Ist es in der 1. Klasse schöner, bequemer, wärmer, netter?
3.) Ich schlafe ja immer im Zug – werden dann auch meine Träume erstklassig sein?
4.) Werde ich aufgrund des ausgeschenkten Gratis-Sekts wieder in ein Alkoholproblem rutschen?
5.) Wird sich ein ständiges 1. Klasse-GA lohnen?

Und hier die Ergebnisse meines Selbstversuches:

Zu 1.): Klares Nein.
Da viel weniger Leute ein 1. Klasse-Ticket haben, es aber auch viel weniger Abteile Erster Klasse gibt, hält sich es genau die Waage. Um 6.00 und um 15.00 zum Beispiel finden Sie mühelos einen Sitzplatz in der 1. Klasse – Sie würden aber auch in der Zweiten eine Vierergruppe für sich haben. Um 7.30 und um 17.30 ist es in der Zweiten Klasse ja bekanntermassen gestopft voll – in der Ersten aber genauso, ganz, ganz, ganz genauso.

Zu 2.): Klares Nein.
Es ist weder schöner, noch netter, noch bequemer. Dazu muss man sagen, dass die Züge und Sitze in der Schweiz in beiden Klassen sehr schön und bequem sind. Es gibt sogar Züge, in denen die 1. Klasse Leder und die 2. Klasse Polster hat, wer also gerne gepolstert sitzt, ist in der Zweiten besser aufgehoben. Nun aber kommt der Hammer: Die Erste war regelmässig schlechter beheizt, mehr als einmal bin ich deshalb zurück in die Zweite. Hä? Wie kommt denn das? Geht man davon aus, dass die Reisenden 1. Klasse alle im Nerz und Zobel und die anderen in Lumpen kommen? Es ist nicht erklärbar.

Zu 3.): Klares Nein.
Meine Träume – wenn ich mich erinnern konnte – waren wie immer. Ich hatte gehofft, dass ich von einsamen Stränden, von goldenen Thronen und von herrlichen Wäldern, dass ich von Diners auf stillen mediterranen Plätzen und Drinks unter Palmen träume. Aber die Traumerlebnisse von einsamen Stränden, von goldenen Thronen und von herrlichen Wäldern, diejenigen von Diners auf stillen mediterranen Plätzen und Drinks unter Palmen blieben aus, meine Träume blieben – so bitter muss man das sagen – zweitklassig.

Zu 4.): Klares Nein.
Und zwar aus einem Grund: Es gibt in der 1. Klasse keinen Gratis-Sekt. Es gibt auch keinen Gratis-Wein. Und auch kein Gratis-Bier. Es gibt aber nicht nur keine alkoholischen, es gibt auch keine nichtalkoholischen Getränke, es gibt überhaupt nichts umsonst. Es gibt kein Wasser und keine Chips und keine Nüsse und keinen Tee. Nix. Nada. Nothing. Ich bin im Jahr 2017 von London nach Nottingham Erster Klasse gefahren (weil der Automat mir nichts anderes gab, siehe Post «England 1: Ich fahre Erste Klasse - Nicht wissen ist besser» vom 28. Juli 2017) und da gab es Kaffee satt und kostenlos…

Zu 5.): Klares Nein.
Und zwar aus den Gründen, die ich in 1.) bis 4.) geschildert habe. Und noch aus einem anderen Grund: Ich habe ein paar Male erlebt, dass die Kontrolleure Menschen, die in der falschen Klasse waren, einfach wieder in die Zweite schickten. Eigentlich hätten sie 80 Franken kassieren müssen, als jemand, der ja über 200 Franken bezahlt hat, kam ich mir verarscht vor (sit venia verbo). Wenn ich nun mal Lust habe, in einer S-Bahn in die Erste Klasse zu wechseln, dann mache ich das einfach und stelle mich, sollte ich geprüft werden, einfach doof…

Ich habe in den letzten Wochen (er geht bis zum 26. 3.) einen ungeheuren Selbstversuch unternommen: Ich habe mein GA upgedatet und bin Erster Klasse gefahren.

Und werde das nicht weiter machen.



Freitag, 17. März 2023

Die kleinen Makel

Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld hat seit 2017 den Lehrstuhl für molekular-systemische Festbiologie an der Hochschule in Düsseldorf inne. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was molekular-systemische Festbiologie ist, Frau Professor hat mir zwei Stunden lang probiert zu erklären, was sie in der molekular-systemische Festbiologie macht, ich habe es nicht verstanden. Darum wird es heute aber auch überhaupt nicht gehen.
Es geht um Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld als Person. Sie ist – wer würde es anders erwarten – hochmotiviert, rational und rationell, wissenschaftlich denkend und super organisiert. Meyer-Bodenfeld ist im IT-bereich genauso fit wie in ihrer Biologie und spricht – selbstverständlich – fliessend und akzentfrei Englisch.
Es gibt in diesem glatten, technischen und fast harten Bild von ihr nur ein kleines Detail, das nur ganz wenig Leute kennen: In ihrer Aktentasche befindet sich ganz, ganz, ganz, ganz, ganz unten ein kleiner rosa Stoffteddy. Dieser Stoffteddy, er heisst Louis-Justus (nach Pasteur und Liebig, aber das haben Sie wahrscheinlich gemerkt) und ist ihr persönlicher Talisman. Wenn Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld nun einen sehr wichtigen Termin hat, zum Beispiel ein Treffen mit Sponsoren, dann nimmt sie (in einer unbemerkten Minute) Louis-Justus aus der Tasche und streichelt ihn.

Dr. Klaus-Michael Müller-Trutzburg ist Leiter der Abteilung Musik im Feuilleton einer grossen deutschen Tageszeitung. Er hat über das Spätwerk von Gustav Mahler promoviert und mehrfach über Schoenberg veröffentlicht. Durchs seinen Job ist Müller-Trutzburg aber nicht nur im Fin de Siècle zuhause, nein, er kann genauso eine Harnoncourt- von einer Christie- oder Kujiken-Aufnahme unterscheiden, ist aber auch beim Eclat in Stuttgart oder in Donaueschingen anzutreffen. Geschenkt, geschenkt, dass auch die Pressekarten für die Premieren in Bayreuth und Salzburg auf seinem Schreibtisch liegen.
Seine Texte sind fachkundig, geschliffen und nehmen Bezug auf viele künstlerische, literarische und philosophische Seitenstränge. Aber auch das Faktische ist seine Sache, weh dem Tenor, der das g`` in der Bildnis-Arie verwackelt, weh dem Pianisten, der die Anfangs-Tonleitern bei Beethoven Nr. 3 verhudelt!
Es gibt in diesem glatten, feuilletonistischen und fast harten Bild von ihm nur ein kleines Detail, das nur ganz wenig Leute kennen: Er hat eine alte Musikkassette mit Musikstücken, die er gerne hört – was er sich aber nur traut, wenn er ganz, ganz, ganz, ganz, ganz alleine ist. Darauf befinden sich unter anderem Roland Kaisers «Santa Maria» und die «Südböhmische Polka» der Egerländer Musikanten.

Bernd und Luisa führen einen perfekten Haushalt. Sie haben die Aufgaben genau aufgeteilt: Luisa kocht und macht die Wäsche, Bernd putzt und macht den Einkauf. Ordnung halten sie beide. Und zwar wirklich Ordnung, es fährt nichts rum, es liegt nichts herum und jederzeit könnte ein Fotograf oder eine Fotografin von «Schöner Wohnen» anrücken.
Ja, könnte er, es sei denn…
es sei denn…
es sei denn…
Es sei denn, dieser Fotograf, diese Fotografin würde in die Speisekammer schauen. Dort würde er oder sie einen Ort des Grauens antreffen. Die Speisekammer ist einerseits dreckig, der Boden ist voller Krümel und die Gestelle sind mit zentimeterdickem Staub belegt. Andererseits ist das Räumchen völlig durcheinander und kruschtelig. Dosen stehen zwischen Tüten und Flaschen stehen zwischen Boxen. Dazu kommt: 30% der Lebensmittel sind abgelaufen, das Highlight ist eine Kekspackung aus dem Jahre 1999, also aus dem vorigen Jahrhundert, ja, aus dem vorigen Jahrtausend.

Was sind das für Sachen?
Warum hat Frau Prof. Dr. Anne-Dorothea Meyer-Bodenfeld, die oberseriöse Biologin einen Talisman-Teddy namens Louis-Justus?
Warum hört Dr. Klaus-Michael Müller-Trutzburg, der kulturbeflissene und oberphilosophische Leiter des Musikfeuilletons, heimlich Schlager und Volkstümliche Musik?
Warum ist die Speisekammer in dem sonst überpeniblen Haushalt von Bernd und Luisa ein solcher Ort des Grauens?

Weil wir alle eine kleine Stelle in unserem Leben brauchen, an der wir nicht perfekt sind, an dem wir unsere Prinzipien mit den Füssen treten, eine Stelle, an der wir abergläubisch sind und allen guten Geschmack über Bord werfen, an der wir die Sau rauslassen und uns das genehmigen, was wir niemandem sonst durchgehen liessen.
Und warum brauchen wir das?
Weil wir sonst wahnsinnig werden.
Kein Mensch kann immer nur perfekt, geordnet und hochstehend sein.
Geht nicht.

Aber: Diese Stelle zeigen wir niemandem. Niemandem. Keiner Seel auf diesem Erdenrund. Sie ist unser Rückzugsort, geheim und verborgen.
Und das wird er auch bleiben.

Dienstag, 14. März 2023

Wieder einmal Verleser

IdidZl

Und wie schon so manches Mal präsentiere ich Ihnen meine schönsten Verleser der letzten Zeit.
Das Verlesen ist ja eine der schönsten Sachen, es erfrischt wie Eis (ist aber nicht so kalorienreich), erheitert wie Sekt (und enthält 0% Alkohol) und ermuntert wie eine Zigarette (hat aber keine Teerstoffe). Das Verlesen gliedert sich stets in vier Phasen: Phase 1 – lesen und ver-lesen. Phase 2 – Hä? Das kann ja wohl nicht sein. Phase 3 – Ah, so heisst das. Phase 4 – Lautes, wildes Lachen. Und in diese vier Phasen möchte ich Sie gerne vier Male mitnehmen.
Hier also meine vier «Neulinge»

IHRE WTB SIND PIRAT FÜR SIE

Die WTB ist die «Wildtal-Bus» GmbH und ich bin erfreut und erstaunt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für mich Pirat spielen wollen. (Müsste es dann – so denke ich kurz – nicht «Piraten» heissen? Aber egal)
Wie wird nun das Pirat-Sein aussehen? Wird der Busfahrer eine Augenklappe haben? Wird ein Papagei mitfahren? Wird auf dem Busdach der Jolly Roger gehisst? Und vor allem: Wie wird das Piratenleben auf der kurzen Busreise (es sind nur 30 Minuten von Städtle am Wildtal bis Wildbach an der Wild) sein? Werden wir in echt andere Busse entern? Und diese kapern und ausplündern?
Ich male mir schon aus, wie ich am Abend mit Gold und Silber behängt nach Hause komme und meinem Partner erkläre: «Ich bin heute mit einem Piraten-Bus-Unternehmen gefahren und wir haben einen entgegenkommenden Bus überfallen und die Beute aufgeteilt.»
Und glücklicherweise war das gerade ein Damen-Brigdeclub aus Zürich.
Die Enttäuschung ist gross, als ich den Satz noch einmal lese: Nicht PIRAT will man für mich sein, sondern PARAT.

NEYMAR VERLETZT – DER EKELTECHNIKER FÄLLT AB JETZT AUS

Ich interessiere mich sonst nicht für Fussball, aber das finde ich reizend.
Ich stelle mir vor, welche ekligen Sachen man auf dem Platz machen könnte:
Man spuckt auf den Rasen – machen sowieso alle.
Man rülpst und furzt – wird wahrscheinlich beim Getöse der Fans gar nicht gehört.
Man kackt, pinkelt oder kotzt vors gegnerische Tor – gibt wahrscheinlich die rote Karte.
Man entblösst sich – man wird sozusagen zum eigenen Flitzer, aber wird das ein Fussballer machen? 
Man könnte – jetzt wird es immer ekliger – auch dem Gegner an Stellen fassen, die er nicht so gerne hat, zum Beispiel an den Hintern oder in den Schritt. Das gäbe allerdings Rote Karte UND eine Anzeige.
Und das alles soll Neymar, der tolle Neymar, der super Neymar, der grossartige Neymar im Repertoire haben?
Da lese ich noch mal genau:
Neymar ist kein EKELtechniker, sondern ein EDELtechniker

DIE WEISSAGUNGEN DES ABWARTS

Wir kennen viele Weissagungen, viele Orakel und viele Prophezeiungen. Allein das AT enthält vier grosse (Jesaja, Jeremias, Ezechiel und Daniel) und zwölf kleine Propheten. Und wenn Sie sich jetzt wie in der Sage vier Hünen und zwölf Gnome vorstellen, das «gross» und «klein» bezieht sich nur auf die Länge der Texte. Wir kennen also die Propheten der Bibel, wir kennen das Orakel von Delphi, wir kennen die Weissagung der Cree. Wir kennen Nostradamus und Madame Teissier. Wir lesen Horoskope und freuen uns auf den Weltuntergang.
Was wir nicht wussten: Der Abwart des Hallenbades Unterblohingen ist auch ein Schamane, er ist ein Seher und ein Prophet. Zumindest denke ich das, als ich lese, den Weissagungen des Abwarts sei Folge zu leisten. Würde ich auch machen, wenn der Abwart käme und sagte, ich solle heute Nacht bei Mitternacht am Hügelberg sein, weil dort die Götter kämen, ich wäre dort.
Dann bricht mit dem nochmaligen Lesen das Bild vom Seher-Abwart, vom Seher-Orakel, vom (grossen oder kleinen) Propheten-Abwart zusammen:
Den WEISUNGEN des Abwarts sei Folge zu leisten.

LEHRSTELLE ALS ASTHMATIKER

So schreibt mir ein Schüler.
Scheinbar muss man inzwischen, wenn man möglichst früh eine Invalidenrente beantragen will, auch eine Ausbildung machen. Wir haben ja alles zum Lehrberuf erklärt, die Putzkraft und den Teerausgiesser und den Regaleinräumer, und so ist es nur logisch, wenn auch hier ein Eidgenössisches Fachzeugnis verlangt wird. So gibt es also bald Asthmatiker EFZ und Rheumatiker EFZ und Neurodermitiker EFZ?
Nein.
Der Schüler hat eine Stelle als AUTOMATIKER.

So.
Das war doch wieder erheiternd.
Das Verlesen ist ja eine der schönsten Sachen, es erfrischt wie Eis (ist aber nicht so kalorienreich), erheitert wie Sekt (und enthält 0% Alkohol) und ermuntert wie eine Zigarette (hat aber keine Teerstoffe).
Und wir freuen uns schon wieder auf das nächste Mal.

Freitag, 10. März 2023

G8 / G9

IdidZl

Wenn Sie sich bei der Überschrift gefragt haben, was sie soll, dann sind Sie nicht in Deutschland zuhause.
Vielleicht haben Sie gedacht, G8 oder G9, das heisst doch G7 oder G20, diese Treffen von wichtigen Leuten, die viel kosten und überhaupt nichts bringen.
Vielleicht dachten Sie aber auch geschwind an Schach, aber auch nur dann, wenn Sie überhaupt kein Schachspieler sind, denn ein Feld G9 gibt es nicht, es geht auf 64 Feldern von A1 bis H8.
Nein, wenn Sie nicht aus Deutschland sind, haben Sie eventuell überlegt, wenn Sie aber aus diesem Staate kommen, dann wissen Sie sicher, wovon hier die Rede sein wird.
G8 meint das achtjährige, G9 meint das neunjährige Gymnasium. Und es tobt ein Kampf in deutschen Landen, welche Form nun die richtige sein soll. Einige Bundesländer haben G8 gleich auf der Seite gelassen, einige Bundesländer haben G8 ausprobiert und sind reumütig zu G9 wieder zurückgekehrt, einige Bundesländer halten verbissen am G8 fest.

Es stellt sich ja nun die Frage, warum man überhaupt die Schulzeit verkürzen muss.
Natürlich, wenn man einen IQ von 210 hat, dann wäre man gelangweilt, wenn die Schule zu lange dauert, aber um solche Einsteins, Fauste, da Vincis und Hegels geht es nicht, denn solche Einsteins, Fauste, da Vincis und Hegels konnten immer (ich betone: immer) schon ihre Schulzeit durch Überspringen von Schuljahren verkürzen.
Vielleicht geht es darum, früher in die Karriere einzusteigen. Das könnte für Ökonomen oder Techniker bedeuten: Mit 17 Abi, mit 22 Master, mit 25 Promotion, mit 29 CEO. Das würde aber für Geisteswissenschaftler heissen: Mit 17 Abi, mit 22 Master, mit 25 Promotion, mit 26 jobben. Ob der Kunsthistoriker nun mit 26 oder erst mit 32 Luftballons verkauft, ob die Assyriologin mit 26 oder erst mit 32 in der Boutique steht oder ob der Musikwissenschaftler schon mit 26 bei McDonald's ® an der Kasse steht, oder erst später, das spielt überhaupt keine Rolle…

Eigentlich müsste ja die Schulzeit verlängert und nicht verkürzt werden, denn das Wissen hat sich ja vermehrt und nicht verkleinert. Als ich zur Schule ging, war der Umgang mit dem Internet kein Thema, denn es existierte noch nicht. Die Geschichte endete in den 70er Jahren und ein Atom bestand aus einem Kern und den Elektronen, die um diesen Kern herumrasen. Heute ist die gesamte IT und der Umgang mit Medien meist ein eigenes Fach, die Historiker müssen sich noch mit der Wiedervereinigung herumschlagen und ein Atom besteht aus tausenden Arten von Elementarteilchen.
Nein, man müsste angesichts dieser Stofffülle das G10 oder G11 einführen – was ja einige meiner Mitschüler (ja, es waren vor allem männliche Wesen) schon damals taten: Durch Repetition bestimmter Abschnitte (auf Deutsch: Sitzenbleiben) konnte man damals rein juristisch die Gymnasialzeit auf G13 verlängern (man durfte einmal in der Unterstufe, einmal in der Mittelstufe, einmal die Elfte Klasse und einmal in der Reformierten Oberstufe wiederholen. Auch wenn einem nach dem zweiten Mal Hockenbleiben natürlich dringend, dringend, dringend geraten wurde, eine Lehre zu machen, per Gesetz war es drin. Ein späteingeschulter Abiturient konnte also schon 25 sein, ein Alter, in dem man heutzutage ja schon die Promotion haben sollte…

Es tobt ein Kampf in deutschen Landen, welche Form nun die richtige sein soll. Einige Bundesländer haben G8 gleich auf der Seite gelassen, einige Bundesländer haben G8 ausprobiert und sind reumütig zu G9 wieder zurückgekehrt, einige Bundesländer halten verbissen am G8 fest.
Wie kommt man aus dem Dilemma heraus?

Nun.
Alle Fächer müssten natürlich gewaltig entschlackt werden. Es ist ja die Frage, ob man noch AUSWENDIG lernen muss, wenn das reine Wissen jederzeit auf dem Handy, auf der Armbanduhr und bald auch in der Brille abrufbar sein werden. Die Hauptstadt von Ternikistan? Ein Klick. Die Lebensdaten von Zacharias Brehms? Ein Klick. Aber hier hält jeder Fachbereich an seinem Kanon fest, und er verteidigt ihn mit Zähnen und Klauen. Hauptstädte? Nicht wichtig, sagt der Kulturhistoriker, aber natürlich die Lebensdaten grosser Künstler! Lebensdaten grosser Künstler? Nicht wichtig, sagt der Geograph, aber natürlich die Hauptstädte!

Ich habe neulich einen Text gefunden, der sich wunderbar als Lehrplan für eine verkürzte Schulzeit eignen würde, hier könnten übrigens auch die Quereinsteiger (wir haben darüber gepostet) locker mithalten:

Der liebe Gott sieht alles.
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohlentragen stärkt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit, die kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über ein Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund.

Mit diesen einfachen Lerninhalten könnte man auf ein G3 oder G4 kommen.

 

P.S. Das Gedicht heisst «Was ein Kind gesagt bekommt», Brecht 1937

Dienstag, 7. März 2023

Passwort vergessen?

Wissen Sie noch, wie mein Passwort hiess?
Ich meine, mein Passwort für die Seite www.zweige-fuer-alle.ch?

Ich habe nämlich festgestellt, dass ich noch mehr Zweige als die für meine Ostereier brauche, ich brauche von Apfelblüten einen Kranz, um im Land zu lächeln, ich brauche Palmzweige für das Hosianna vor Ostern und ich brauche die Zweiglein der Glückseligkeit, die ich mit Andacht, Lust und Freud aufstecken werde. Und alle die Zweige könnte ich auf der Site ordern, ich müsste nur das Passwort wissen…

Es war etwas mit Böll, Böll plus Zahlen und Zeichen.
Billard930!!
Schön gedacht, aber Fehlanzeige
Blum--68
Auch nicht, obwohl passend.
War es Cl00wn!?
Auch nicht.

Nachdem ich nun Billard930!!, Blum--68 und Cl00wn!? durchprobiert habe, will ich einen kurzen Moment lang aufgeben. Nun ist es aber doch so, dass ich das Zeug brauche. Ich brauche von Apfelblüten einen Kranz, um im Land zu lächeln, ich brauche Palmzweige für das Hosianna vor Ostern und ich brauche die Zweiglein der Glückseligkeit, die ich mit Andacht, Lust und Freud aufstecken will.
Also gehe ich auf den berühmten Button: «Passwort vergessen».

Eine Untersuchung der Forschungsstelle Internet der Uni Braunschweig hat neulich eine Rangliste der meistgeklickten Buttons veröffentlicht. Demnach ist der meistgeklickte Button nicht etwa das «Like» oder das «Dislike», nein die kommen erst auf den Plätzen 5 und 6, nein die Rangliste, die Top Ten lauten:
Platz 1: Zurück
Platz 2: Weiter
Platz 3: Überspringen
Platz 4: Passwort vergessen
Platz 5: Like
Platz 6: Dislike
Platz 7: Login
Platz 8: Cookies erlauben
Platz 9: Cookies nicht erlauben
Platz 10: Ich bin kein Roboter

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass wir im Durchschnitt 10 Minuten pro Woche für das Neusetzen von Passwörtern verbringen.
Ich mache eine Rechnung auf:
Im Jahr macht das 520 Minuten, das sind aufgerundet 8,7 Stunden. Multipliziert mit den Einwohnern der Schweiz sind das 77`430`000 Stunden im Jahr. Teilen wir nun diese Zahl durch die 1974 Stunden, die ein Mensch arbeiten sollte (42 Stunden mal 47 Arbeitswochen), dann erhalten wir 38`715 Arbeitsstellen.
Anders formuliert:
Wenn ihr uns vorstellen, dass sämtliche und alle (sämtliche und alle!) Mitarbeiter der SBB ein Jahr lang nur Passwörter setzen würden, dann käme es auf das Gleiche heraus…

Gut, manchmal können Passwörter sinnvoll sein. Aber es gibt genügend Fälle, bei denen es wirklich Quatsch ist, solche zu setzen.
Ein Beispiel? OK.
Die Seite www.geburt-leichtgemacht.ch vertreibt Artikel, die man für natürliche und angenehme Geburten braucht, zum Beispiel Wannen. Wie oft rufen Sie diese Seite auf? Wenn Sie nicht (wie noch unsere Urgrosseltern) Zeugungs- und Gebärmaschinen sind, dann brauchen Sie 1x, 2x oder 3x die Artikel. Aber wissen Sie beim zweiten Kind (wenn es das überhaupt gibt) das Passwort noch? Das ist ja dann Minimum 9 Monate her.
Ähnliches gilt für die Homepage www.urnen-und.ch; auch gestorben wird ja nicht permanent.
Etliche Leute könnten auf Passwörter verzichten.

Wissen Sie noch, wie mein Passwort hiess?
Ich habe nämlich festgestellt, dass ich noch mehr Zweige als die für meine Ostereier brauche, ich brauche von Apfelblüten einen Kranz, ich brauche Palmzweige und ich brauche die Zweiglein der Glückseligkeit, Und alle die Zweige könnte ich auf der Site ordern.
Es war etwas mit Böll, Böll plus Zahlen und Zeichen.

Jetzt habe ich es:
Birglar77!!



 

    

Freitag, 3. März 2023

MoiFs: Menschen ohne irgendwelche Fähigkeiten

Wir hatten es vorletzte Woche von ORKs. Sie erinnern sich. Wer den Post nicht gelesen hat: ORKs sind die Leute, die Security für die Firma ORKO® machen und auf den Baustellen herumlaufen. ORKs sind MoiFs. Menschen ohne irgendwelche Fähigkeiten. Und mit solchen MoiFs wollen wir uns heute beschäftigen. Es ist ja nun nicht so, dass das Herumstehen an Baustellen das Blödeste ist, was ein solcher MoiF machen kann. Er könnte ganz andere Sachen machen:

Der MoiF könnte Zeitungen austragen.

Wir haben im Geschäft in Solothurn die Solothurner Zeitung abonniert. Ob das ein Fehler ist oder nicht, das soll hier nicht entschieden werden. Auf jeden Fall, wir haben einen neuen Austräger und mit dem – die Story ist wirklich wahr – hatten wir unsere liebe Mühe. An seinem ersten Tag fand er den Haupteingang nicht (wie auch immer das möglich war…), wohl aber den versteckten Seiteneingang. Da dieser Eingang zu meinem Zimmer führt, entdeckte ich die Zeitung als erster und trug sie zum Büro in der Hauptetage. Das machte ich zwei Tage so, dann schrieb ich einen netten Zettel:
Die Solothurner Zeitung bitte nicht hier, sondern in den Briefkasten am Haupteingang!
Vielen Dank!

Und tatsächlich, tatsächlich und faktisch lag das Journal (um mal ein wenig synonymisch zu werden) am nächsten Tag auf der Treppe am Haupteingang. Das spricht sehr für die Schweiz, in Deutschland wäre sie längst geklaut gewesen, aber es gibt ja nicht nur Diebe, sondern auch schlechtes Wetter und wenn die SZ im Regen läge, könnte man zwar Kasperlefiguren damit modellieren, sie aber nicht mehr lesen. Gut, der Briefschlitz liegt auf der Seite des Eingangs, man muss den Kopf drehen, aber er ist deutlich sichtbar. Also nochmal ein Zettel, direkt unter den Briefkasten:
↑Briefkasten↑
Und, siehe da: Am nächsten Morgen war die Zeitung korrekt ausgetragen.
Klammer auf: Ich habe hier in der männlichen Form geschrieben, weil ich einfach davon ausgehe, dass das ein Mann ist, Frauen würden mehr nachdenken. Klammer zu.

Der MoiF könnte laubblasen.

Ich habe Ihnen bei den beiden Posts über Slowenien damals verschwiegen, dass wir einen kleinen Abstecher in die Steiermark gemacht hatten: Wir waren zwei Nächte in Graz. Graz hat mir ausnehmend gut gefallen, eine wirklich wunderbare Stadt. Aber auch aus einem anderen Grund wäre ich gerne in der Steiermark geblieben: In drei steirischen Städten (welch schöne Alliteration) sind Laubbläser verboten, nämlich in Graz, in Leibnitz und in Kaindorf an der Sulm. Grazer, Leibnitzer und Kaindorfer müssen die glücklichsten Menschen der Welt sein.
Ich habe mich vor dem Schreiben kundig gemacht und den Wikipedia-Artikel über Laubbläser gelesen. (Natürlich gibt es den, es gibt Artikel über alles…) Was dort fehlt, ist der historische Abschnitt. Ja, Wiki verschweigt, wer das Höllenteil erfand und wann er (Ausrufezeichen. Es muss ein Mann gewesen sein.) das tat. Und Wikipedia schweigt hier, weil, wenn er noch lebt, würde der Hass der Menschheit ihn zermalmen. Nie ist ein furchtbareres und grausameres Teil entwickelt worden.

Der MoiF könnte bei einer Hotline arbeiten

Hier muss man differenzieren: Ich habe schon Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlebt, die an Freundlichkeit und Kompetenz nicht zu übertreffen waren. Ich habe aber auch schon das Gegenteil erlebt und Sie wahrscheinlich auch.
Das ergab dann immer Dialoge wie:
«Jetzt müsste es schnell rot blinken.»
«Nein.»
«Es blinkt langsam rot?»
«Nein.»
«Es blinkt weiss?»
«Es blinkt überhaupt nicht.»
«Es muss aber irgendwie blinken.»
«So leid es mir tut, es blinkt weder rot noch weiss, weder schnell noch langsam.»
«Sind Sie ganz sicher?»
Spätestens jetzt kann das Gegenüber sehr froh sein, dass es uns nicht direkt gegenüber sitzt…

Der MoiF könnte Lehrperson werden

Bei dem Lehrermangel zurzeit ist die Gefahr ja sehr gross, dass man die fehlenden Pädagoginnen und Pädagogen überall sucht. Ich weiss von Menschen, die in der Lehrerausbildung Deutsch arbeiten und den Lehrpersonen, die selber schon vor Klassen stehen, die vier Fälle, die fünf Wortarten und die Verbzeiten erklären müssen – und jene Neu-Lehrpersonen finden das sooooooooo schwierig.

Wir hatten es neulich von ORKs. Sie erinnern sich. ORKs sind auf jeden Fall MoiFs: Menschen ohne irgendwelche Fähigkeiten. Und mit solchen MoiFs haben wir uns heute beschäftigt. Es ist ja nun nicht so, dass das Herumstehen an Baustellen das Blödeste ist, was ein solcher MoiF machen kann. Er könnte ganz andere Sachen machen.