Dienstag, 21. März 2023

Selbstversuch: Ein GA 1. Klasse

Ich habe in den letzten Wochen (er geht bis zum 26. 3.) einen ungeheuren Selbstversuch unternommen: Ich habe mein GA upgedatet und bin Erster Klasse gefahren.

Das klingt jetzt ein bisschen blöde, oder? Denn «Selbstversuch» tönt ja nach Gefahr, nach Risiko, das tönt nach Abenteuer und Schwierigkeit und nicht nach zusätzlicher Bequemlichkeit. Einen wirklichen Selbstversuch, einen, der Gefahr und Risiko beinhaltete, unternahm – und das ist jetzt ein nicht geplanter Zufall – der Basler Chemiker Hofmann vor fast genau 80 Jahren, am 19. April 1943, er nahm zum ersten Male LSD ein. Auch Wolf Biermann sprach von einem «Selbstversuch», als er im Frühjahr 1953 – auch hier wieder ein Jubiläum – in die DDR übersiedelte.

Was haben nun mein Selbstversuch und diese Ereignisse miteinander zu tun? Bei jedem Selbstversuch geht es um Fragen, die man beantwortet haben will. So wollte Hofmann schlicht und einfach wissen, wie LSD beim Menschen wirkt und Biermann wollte wissen, wie es sich als Kommunist im kommunistischen Deutschland lebt.
Und auch ich wollte entscheidende Fragen beantwortet haben. Und zwar diese:

1.) Finde ich in der 1. Klasse besser einen Platz?
2.) Ist es in der 1. Klasse schöner, bequemer, wärmer, netter?
3.) Ich schlafe ja immer im Zug – werden dann auch meine Träume erstklassig sein?
4.) Werde ich aufgrund des ausgeschenkten Gratis-Sekts wieder in ein Alkoholproblem rutschen?
5.) Wird sich ein ständiges 1. Klasse-GA lohnen?

Und hier die Ergebnisse meines Selbstversuches:

Zu 1.): Klares Nein.
Da viel weniger Leute ein 1. Klasse-Ticket haben, es aber auch viel weniger Abteile Erster Klasse gibt, hält sich es genau die Waage. Um 6.00 und um 15.00 zum Beispiel finden Sie mühelos einen Sitzplatz in der 1. Klasse – Sie würden aber auch in der Zweiten eine Vierergruppe für sich haben. Um 7.30 und um 17.30 ist es in der Zweiten Klasse ja bekanntermassen gestopft voll – in der Ersten aber genauso, ganz, ganz, ganz genauso.

Zu 2.): Klares Nein.
Es ist weder schöner, noch netter, noch bequemer. Dazu muss man sagen, dass die Züge und Sitze in der Schweiz in beiden Klassen sehr schön und bequem sind. Es gibt sogar Züge, in denen die 1. Klasse Leder und die 2. Klasse Polster hat, wer also gerne gepolstert sitzt, ist in der Zweiten besser aufgehoben. Nun aber kommt der Hammer: Die Erste war regelmässig schlechter beheizt, mehr als einmal bin ich deshalb zurück in die Zweite. Hä? Wie kommt denn das? Geht man davon aus, dass die Reisenden 1. Klasse alle im Nerz und Zobel und die anderen in Lumpen kommen? Es ist nicht erklärbar.

Zu 3.): Klares Nein.
Meine Träume – wenn ich mich erinnern konnte – waren wie immer. Ich hatte gehofft, dass ich von einsamen Stränden, von goldenen Thronen und von herrlichen Wäldern, dass ich von Diners auf stillen mediterranen Plätzen und Drinks unter Palmen träume. Aber die Traumerlebnisse von einsamen Stränden, von goldenen Thronen und von herrlichen Wäldern, diejenigen von Diners auf stillen mediterranen Plätzen und Drinks unter Palmen blieben aus, meine Träume blieben – so bitter muss man das sagen – zweitklassig.

Zu 4.): Klares Nein.
Und zwar aus einem Grund: Es gibt in der 1. Klasse keinen Gratis-Sekt. Es gibt auch keinen Gratis-Wein. Und auch kein Gratis-Bier. Es gibt aber nicht nur keine alkoholischen, es gibt auch keine nichtalkoholischen Getränke, es gibt überhaupt nichts umsonst. Es gibt kein Wasser und keine Chips und keine Nüsse und keinen Tee. Nix. Nada. Nothing. Ich bin im Jahr 2017 von London nach Nottingham Erster Klasse gefahren (weil der Automat mir nichts anderes gab, siehe Post «England 1: Ich fahre Erste Klasse - Nicht wissen ist besser» vom 28. Juli 2017) und da gab es Kaffee satt und kostenlos…

Zu 5.): Klares Nein.
Und zwar aus den Gründen, die ich in 1.) bis 4.) geschildert habe. Und noch aus einem anderen Grund: Ich habe ein paar Male erlebt, dass die Kontrolleure Menschen, die in der falschen Klasse waren, einfach wieder in die Zweite schickten. Eigentlich hätten sie 80 Franken kassieren müssen, als jemand, der ja über 200 Franken bezahlt hat, kam ich mir verarscht vor (sit venia verbo). Wenn ich nun mal Lust habe, in einer S-Bahn in die Erste Klasse zu wechseln, dann mache ich das einfach und stelle mich, sollte ich geprüft werden, einfach doof…

Ich habe in den letzten Wochen (er geht bis zum 26. 3.) einen ungeheuren Selbstversuch unternommen: Ich habe mein GA upgedatet und bin Erster Klasse gefahren.

Und werde das nicht weiter machen.



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