Freitag, 30. November 2018

Unbekannte Organe (1): Die Porpelsheim-Drüse / das Mitleidsorgan


Kennen Sie die Porpelsheim-Drüse?
Nicht? Aber da sind Sie in guter Gesellschaft.
Die meisten Leute kennen dieses Organ nicht.
Die Porpelsheim-Drüse, erst 1953 durch den Bielefelder Biologen Herbert Porpelsheim (1913 – 1999) entdeckt, ist ein winziger kleiner Lappen irgendwo zwischen Gross- und Kleinhirn, der aber eine ungemein wichtige Funktion erfüllt: Er schüttet das ebenfalls durch Porpelsheim entdeckte Hormon Pietomin aus, das für das Gefühl von Mitleid verantwortlich ist.

Sie kennen das sicher: Sie sehen ein Bild von einer Naturkatastrophe, ein Foto aus der Dritten Welt, Sie blicken aus einen Toten oder einen Verhungernden, Sie hören von Leid und Schmerz in der Nachbarschaft und auf einmal werden Sie von einer Welle von Mitleid überflutet. Jetzt kann man das psychologisch erklären, aber eben auch physiologisch: Ihre Porpelsheim-Drüse wird aktiv und schickt Unmengen von Pietomin in den Blutkreislauf. Bestimmte Gewürze fördern extrem die Pietomin-Produktion, zum Beispiel Zimt, Nelken und Anis, und dies erklärt, warum wir in der Weihnachtszeit so viel spenden. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie beim Besuch des Weihnachtsmarktes nach zwei Gläsern Glühwein und drei Lebkuchen auf einmal Pate oder Patin eines dreijährigen Mädchens in Guatemala werden, das Pietomin hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet.

2008 machte der Londoner Humanbiologe Prof. Dr. James Hackerby eine Entdeckung, die seit diesem Jahr als Hackerby-Phänomen bezeichnet wird: Im Alter (aber schon ab ca. 50) lässt die Produktion von Pietomin rapide nach, bei Menschen über 80 ist die Porpelsheim-Drüse praktisch untätig. Und Sie mögen es glauben oder nicht, auch ich kann das Hackerby-Phänomen schon bei mir beobachten.
Anders ausgedrückt, mein Mitleid schwindet.

Da erblicke ich ein Plakat, mit dem eine Organisation für Körperbehinderte mein Geld erbittet und ich lese von dem jungen Mann, der beim Parcour (das ist diese Sportart, bei der man quer durch die Stadt springt und hüpft) schwer verunglückt ist: Er landete beim Salto über eine Parkbank nicht auf den Füssen, sondern auf seinem Kopf. Und anstatt, dass ich denke, wie schrecklich das ist, denke ich: Muss man Saltos über Parkbänke machen? Muss man überhaupt Saltos machen? Muss man Risiko-Sportarten betreiben, die ja den Namen Risiko nicht umsonst tragen? Muss man mit Skate- und Snowboard die wildesten Tricks versuchen?
Hackerby-Phänomen.

Da lese ich von einer 25jährigen Angestellten, die ihren Freund verlassen hat und dieser rächte sich, indem er Nacktfotos von ihr ins Internet stellte. Und merke, dass auch hier mein Mitleid mit diesem Sexting-Opfer ausbleibt. Man weiss doch heutzutage genau, wie heikel jedes Foto ist, warum lässt man solche Fotos überhaupt zu? Ich weiss, ich klinge hartherzig, aber die Frau war ja kein Kind mehr und sollte einen gewissen Verstand besitzen. Noch nie hat jemand mein bestes Stück fotografiert, und es wird auch nie geschehen.
Auch hier hat Hackerby wieder zugeschlagen.

Das Hackerby-Phänomen setzt auch ein, wenn mir mein Nachbar erzählt, er habe die Kündigung erhalten, weil er «ein paar Mal zu spät gekommen» sei. Auf meine Nachfrage hin entpuppen sich die «paar Male» dann als doch etwas mehr, de facto kam Michael an 45% der Arbeitstage pünktlich, an 30% eine halbe Stunde zu spät und an 25% war er erst 60 oder mehr nach dem Arbeitsbeginn im Büro. Gründe hat er genug: Da passte die Tramverbindung nicht, da hatte er das Handy zuhause vergessen, da hat der Wecker nicht funktioniert, Michael wurde aufgehalten oder musste einer alten Dame aus dem Bus helfen. Mein Gerede, er hätte sich ja einen Fahrplan ausdrucken können, der funktioniert, zwei Wecker stellen (wie ich das auch mache) und die Dinge des Tages schon am Abend parat legen, wischt mein Nachbar weg: Ich hätte halt keine Ahnung, «wie das sei». Das auch ich Berufstätiger und Berufspendler bin, lässt er ausser Acht. Klar, er hatte Mitleid erwartet und das kommt einfach nicht. Meine Porpelsheim-Drüse will einfach nicht produzieren.

Nun habe ich neulich gelesen, dass die Böller AG, ein kleines deutsches Pharmaunternehmen, 2019 ein Präparat namens Pietosan® auf den Markt bringt, das das fehlende Pietomin fast vollständig substituiert. Ich werde sicher einer der ersten Käufer sein.
Vielleicht kann ich dann wieder Mitleid haben
mit der Milliardärsgattin, der die Perlenkette geklaut wurde
mit dem Falschparkierer, der eine Busse zahlen muss, obwohl er «nur geschwind…»
mit dem Steuerhinterzieher, der erwischt wurde
mit Detlev, der sich bei seinem 765. Sexpartner beim Barebacking den Tripper geholt hat

Vielleicht kommt das Mitleid ja wieder. Ich hoffe auf Pietosan®.   

  


Dienstag, 27. November 2018

Ich putze so gerne! ...aber nicht bei Ihnen


Also, ich putze sehr gerne.
Wirklich.
Ich finde nichts schöner, als Lavabos und Böden, Fenster und WCs, als Geländer und Spiegel von Dreck, Schmutz und Staub zu befreien. Der Anblick eines geputzten Waschbeckens kann mich zu Freudenjodlern verleiten und ein frisch gewienertes Parkett fasziniert mich so, dass ich mich 10 Minuten flach auf den Boden lege und die Spiegelung betrachte. Und erst Fenster, nichts ist schöner, als wieder eine Wohnung mit glasklaren, reinen, mit spiegelnden und blitzenden Fenstern zu haben.

Ich putze sehr gerne.
So wie andere Leute durch das Warenhaus laufen, um Hosen und Hemden, um Kleinkram und Kinkerlitzchen einzukaufen, kaufe ich Putzmittel. Ständig beschäftigt mich die Frage: Gibt es noch etwas Besseres, Reinigenderes, gibt es ein Spezialmittel, ein Spezialtuch, eine Spezialbehandlung? Meine Flaschen mit Putzmitteln, aufgereiht und in schöner Ordnung sind meine besten Freunde: Monogirl® Möbelpflege, Monogirl® Marmorpflege, Monogirl® Lederlotion und Monogirl® Glaswäsche, genauso wie Stuffer® Parketttuch, Stuffer® Staubtuch, Stuffer® Fenstertuch und Stuffer® Türentuch.

Leider bin ich Christ. Sonst würde ich sofort in ein Zen-Kloster eintreten. Denn:
Zen bedeutet Putzen.
In den Heiligtümern des Zen-Buddhismus wird 4-5 Stunden am Tag geputzt, und beim Putzen wird Erleuchtung erlangt. Verschiedene Heilige hätten, so schreibt Keisuke Matsumoto in seinem wunderbaren Buch Die Kunst des Achtsamen Putzens, seien während der simpelsten Putzhandlungen erleuchtet worden, einige sogar während des Kloputzens. (Lachen Sie jetzt bitte nicht zu früh, das Buch gibt es wirklich.)

Ich putze sehr gerne.
Aber sobald ich diesen Satz zu jemandem sage, kommen immer die gleichen dummen Reaktionen: «O, komm doch auch mal zu mir.» oder «Bei mir müsste auch mal wieder geputzt werden.» oder «Du kannst gerne morgen bei mir.» Diese Reaktionen sind auf eine entzückende Weise falsch. Leute, die mich kennen, müssten wissen, dass ich Putztyp 2 bin, und nicht Putztyp 1.
Putztyp 1 ist der oder die Weltverbesserer(in), er oder sie leidet am Dreck der ganzen Welt und will den ganzen Dreck der Welt bekämpfen, Menschen des Putztyp 1 kommen wirklich zu Ihnen nach Hause, weil sie es nicht aushalten, dass irgendwo in ihrer Stadt sich Staub angesammelt hat. Das Grausame: Typ 1-Leute tun das auch ungefragt, sie stürmen aus Ihrer Toilette, holen sich ein Javelwasser aus dem Putzschrank und fangen an die Schüssel zu bearbeiten: «Das hat’s wirklich nötig – ich kann da gar nicht hinschauen.»
Putztyp 2 ist der My-Home-Is-My-Castle-Typ. Menschen vom Typ 2 wollen es bei sich zuhause sauber und gemütlich haben, der Dreck anderer Leute ist ihnen egal. Typ 2-Putzer würden nie woanders einen Lappen in die Hand nehmen, weil sie ja ihre eigene Bude, ihre eigenen vier Wänden schön und sauber haben wollen.

«Bei mir müsste auch mal wieder geputzt werden.»
Der Satz stellt natürlich noch ein anderes Problem: Ich will Geld. Für ein ordentliches Honorar würde ich vielleicht doch zu Ihnen kommen. Was mein Honorar ist? 80.- in der Stunde. Das ist mein durchschnittlicher Lohn als Lehrer, Pianist und Dirigent.

Finden Sie jetzt völlig überrissen.
Aber warum eigentlich?

Und nun müssen wir fast ein wenig sozialistisch werden: Warum wird Putzen so schlecht bezahlt? Weil es eine einfache, simple, eine angelernte und nichtqualifizierte Technik ist? Aber das stimmt ja nicht, so viele Leute können ja nicht putzen. Weil es unwichtig ist? Ganz und gar nicht, wenn sie eine Firma betreten, ist der erste Eindruck, ob es sauber ist. Wenn ich z.B. Bankdirektor wäre, würde ich meine Putzleute besser bezahlen als meine Finanzberater.
Aber, höre ich sie sagen, das sind doch hochspezialisierte Leute, die haben Ahnung und Durchblick und müssen wahnsinnig viel wissen und wahnsinnig viel voraussehen. Klar, deshalb hatten wir ja auch eine Finanzkrise, weil das Investmentbanking so toll war. Stellen wir uns vor, Investment Banker und Putzfrau tauschen eine Woche die Rollen. Was würde die Putzfrau tun? Sie würde den Kunden einige Papiere empfehlen, von denen sie wüsste, die können nicht extrem in den Keller rasen, also klassische, grosse Firmen, die keine 300%-Rendite bringen, aber auch kein Risikogeschäft sind, sie würde die Aktienkäufe streuen, und vielleicht für 1000.- Nestlé, für 1000.- Novartis und für 1000.- Lonza erwerben. Kein Big Deal, aber auch nichts versaut. Der Banker aber würde verzweifeln: Schlieren und Streifen würden sich durch das Foyer ziehen, überall würde man kleben bleiben und der Staub stünde meterhoch.
Nun werden Sie sagen, aber eine Putzkraft begreift doch nicht, wie Hochgeschwindigkeitshandel oder wie Derivate funktionieren? Nun, die Banker begreifen das ja auch nicht mehr, nur will das keiner zugeben.
Die Putzfrauen jedenfalls waren unschuldig an der Leeman Brother-Pleite. 
Also?
Wenn Lenin sagte, er wolle einen Staat, den eine Köchin regieren kann, dann proklamiere ich das Banking, das eine Putzfrau ausüben kann.

Nun muss ich schliessen, ich habe auf Bodenfliesse Nr. 23 A einen kleinen Fleck entdeckt.

   

Freitag, 23. November 2018

Black Friday!!! Heute nichts kaufen!


It’s Black Friday!
Und hier kommt es, das ultimative und einmalige Angebot der Dienstag-Freitag-Glosse:

WERDEN SIE HEUTE FOLLOWER UND SIE ERHALTEN DIE ZWEI POSTS PRO WOCHE FÜR 70% GÜNSTIGER!
ANGEBOT GILT NUR HEUTE!
JETZT REGISTRIEREN!

Schwachsinn, werden Sie sagen, die Glosse gibt es gratis und ist jederzeit abrufbar, was soll da das Gerede von 70%?
Sehen Sie.
Das ist ja das Geheimnis des Black Friday, das die Leute mit absurden Angeboten zu etwas verlockt werden sollen, meist zum Kaufen. Und mit Ihrem Einwand haben Sie bewiesen, dass Sie nicht zu den ganz Dummen gehören, jenen, die unbesehen jeden Mist erwerben.
Aber leider sind das die meisten.

Die heute getätigten Fehlkäufe teilen sich in drei Kategorien:

A Die «Alte-Preis-Mogelei»

Der Trick ist so alt wie das Verkaufen, wahrscheinlich hat ist schon Stammvater Abraham solchen Händlern begegnet:
Abraham:            Ein schönes Kamel!
Händler:              Ein schönes Kamel, da hast du recht; und ein tüchtiges und es braucht wenig Wasser
                               und es läuft dir mühelos von Ur nach Damaskus.
Abraham:           Was soll es kosten?
Händler:              Weil morgen meine Tochter heiratet, und weil du so nett bist, und weil heute Vollmond ist, ein Sonderpreis.
Abraham:           Der wäre?
Händler:              3 Goldstücke.
Abraham:           Und wie hoch ist der normale Preis?
Händler:              5 Goldstücke.
Abraham:           Gekauft.

Heute macht man das anders, das sind die Preisschilder mit 49,90.- 29,90.- aber im Prinzip ist es das
Gleiche: Man denkt, etwas ist ein Schnäppchen, weil es günstiger ist als vorher.
Was natürlich Unsinn ist.  

B Der Ich-brauche-das-gar-nicht-Kauf

Wenn Sie keine Möglichkeit besitzen, eine CD abzuspielen, wie viel sollten Sie dann für die Gesamteinspielung von Schuberts Liedern ausgeben?
Richtig: Gar nix.
Auch eine Reduktion um 80% auf 35.- führt Sie zu einem blöden und sinnlosen Kauf.
Das ist natürlich jetzt ein sehr krasses Beispiel, aber benötigen Sie wirklich eine Badehose von CK? Sie ist zwar von 199.- um 70% auf 59.- herabgesetzt, aber wann waren Sie das letzte Mal im Hallenbad? Sehen Sie, vor drei Jahren und die vor drei Jahren gekaufte D&G-Badehose ist noch praktische neu. Brauchen Sie eine Garnitur Pfeffer- und Salzstreuer von Swarovski? Gewiss, ein Schnäppchen, 49.- statt 249.-, aber Sie haben schon vier solcher Garnituren und mehr als zwei Streuer können Sie nicht in den Händen halten, ausserdem macht das Stereo-Streuen auch gar keinen Sinn.
Sie haben also, wenn sie einen für Sie sinnlosen und unnützen Gegenstand kaufen, nicht die Summe X eingespart, sondern die Summe Y verschleudert.

C Der Fehlerhafte-Ware-Trick

Wer schaut schon bei Sneakers auf die Nähte im Inneren, wenn die stahlblauen NIKE® von 199.- auf 69.- herabgesetzt sind. Und im Geschäft passen die Turnschuhe ja, erst ein paar Tage später stellt man fest, dass die zu wulstigen Nähte die Haut aufgeschürft und hässliche Blasen produziert haben.
Wer achtet bei einem Kaffeeautomaten, der von 499.- auf 99.- herabgestürzt ist, auf solche Details wie die, dass er leckt und ausserdem so laut ist wie ein Laubbläser?
Man kann also die Sache auch auf die Formel bringen: Black Friday statt Müll ODER Black Friday statt Rückrufaktion.

Und für A, B und C gilt:
Reduzierte Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen!

Bleiben Sie also dem B.F. fern, lesen Sie lieber meine Glosse, die gibt es nämlich gratis, heute, morgen und übermorgen.