Freitag, 10. April 2020

Ein normaler Karfreitag? Oder ganz ein spezieller?


Ist dieser Karfreitag ein normaler oder ein unnormaler? Ist er gewöhnlich oder ungewöhnlich? Ist er wie immer, wie sonst, wie allezeit, oder ist er eben nicht wie immer, allezeit und sonst?

An einem Karfreitag blicken wir auf das Leiden und Sterben Jesu Christi.
Wir kommen zur Ruhe, wir entschleunigen, wir halten inne und die Welt den Atem an. Alles Laute, Tumultuöse und Wilde verschwindet und wir setzen uns in Tränen nieder.
Wir blicken aber nicht nur auf das Leiden und Sterben Jesu, sondern auf Leiden und Sterben im allgemeinen, wir denken an den Tod, ja, wir besinnen uns darauf, dass unser Leben nicht ewig geht, sondern endlich ist, wir denken daran, dass wir sterblich sind, zerbrechlich, dass am Ende unserer inzwischen manchmal 90 bis 100 Jahre eben das Ende kommt, trotz Hochleistungsmedizin und tausender Medikamente.
An einem Karfreitag gehen wir nicht shoppen, wir gehen nicht ins Schwimmbad und nicht ins Fitnessstudio.
Wir gehen nicht in die Disco tanzen, nicht in die Bar Cocktail trinken oder üppig schlemmen.
Wir gehen nicht ins Kino oder in die Komödie.
Das Leben ruht.  


Aber…
Aber…
Aber, werden Sie sagen, das machen wir doch schon die ganze Zeit!
Wir kommen seit Wochen zur Ruhe, wir entschleunigen bis zur nichtaushaltbaren Langeweile und wir halten so was von inne, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr innegehalten worden ist.
Alles Laute, Wilde und Tumultuöse ist seit Mitte März verschwunden.
Wir blicken auf Leiden und Sterben, wir können gar nicht das TV-Gerät anschalten, ohne auf Leiden und Sterben zu sehen. Wir können gar nicht anders, als uns darauf zu besinnen, dass das Leben nicht ewig geht, sondern endlich ist. Die Zerbrechlichkeit unserer Welt war nie präsenter; und unsere inzwischen manchmal 90 bis 100 Jahre können – das sehen wir jeden Tag – eben schneller zu Ende gehen, weil die Hochleistungsmedizin an ihre Grenzen kommt und es in diesem Fall noch KEIN EINZIGES Medikament gibt.
Heute gehen wir nicht shoppen, wir gehen nicht ins Hallenbad und nicht Muskelpumpen. Weil alles zu ist.  
Wir gehen nicht Discotanzen, nicht in die Cocktailbar oder ins *****-Restaurant. Weil alles zu ist.
Wir gehen nicht ins Kino oder in die Komödie, auch die sind zu.  
Das Leben ruht, aber es ruht seit Wochen.

Und hier haben wir ein Paradox: Dieser Karfreitag ist ein normaler, aber in einer unnormalen Umgebung ist er so etwas von ungewöhnlich, dass einem die Haare zu Berge stehen. Dieser Tag bräuchte eben ein Umfeld, das weltlich, tumultuös und laut, das schnell und rasant und wild ist, er bräuchte Kino und Bar und Theater und Disco und Gym, sonst kann er nicht wirken.
Er ist wie ein unterstrichenes Wort in einem vollständig unterstrichenen Satz. 
Er ist wie ein kursives Wort in einem vollständig kursiv gesetzten Satz. 
Er ist wie ein fettes Wort in einem vollständig fett geschriebenen Satz.
Okay, ich glaube, Sie haben verstanden.

Dieser Karfreitag ist so ungewöhnlich, weil man ihm seine Ungewöhnlichkeit nimmt. Er muss sich fühlen, wie der Junge, der in seinem Dorf mit seinen Bildern als „Schmierer“, „Spinner“ und „Chaot“ gilt und dann an eine Kunstakademie kommt und alle sind dort so.
Wie die einzige Dragqueen der Kleinstadt, die ins Getümmel in San Francisco eintaucht.

Das Besondere – so denke ich zumindest – wird dann dieses Jahr Ostern sein. Am Dienstag, den 14. April wird nämlich nicht einfach das Leben in seiner Fülle wieder losbrechen.
Wir werden immer noch nicht shoppen, immer noch nicht ins Schwimmbad gehen und immer noch nicht ins Fitnessstudio.
Wir werden immer noch nicht in der Disco tanzen, uns immer noch nicht Manhattan und Sex on the Beach genehmigen oder eine Pizza Prosciutto bei Alfredo.
Wir werden immer noch nicht ins Kino oder in die Komödie gehen.
Das Überborden des wiedergewonnenen Lebens wird dieses Jahr nicht stattfinden.

Passen Sie schon bei ihrem Osterspaziergang auf:

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!

O du liebe Zeit! Das ist ja so etwas von unerlaubt und hält den 2 Meter-Abstand in keinster Weise ein, das ist «Social Undistancing».
Dieses Jahr werden Faust und Wagner die Polizei holen und das Getümmel, die Menge, des Volkes wahren Himmel auseinandertreiben lassen. Denn die Stelle bei Goethe liest sich fast wie ein «So nicht».

Also seien Sie Mensch. Aber seien Sie es zuhause.

Und bleiben Sie gesund.


 



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