Ist dieser Karfreitag ein normaler oder
ein unnormaler? Ist er gewöhnlich oder ungewöhnlich? Ist er wie immer, wie
sonst, wie allezeit, oder ist er eben nicht wie immer, allezeit und sonst?
An einem Karfreitag blicken wir auf das
Leiden und Sterben Jesu Christi.
Wir kommen zur Ruhe, wir entschleunigen,
wir halten inne und die Welt den Atem an. Alles Laute, Tumultuöse und Wilde
verschwindet und wir setzen uns in Tränen nieder.
Wir blicken aber nicht nur auf das Leiden
und Sterben Jesu, sondern auf Leiden und Sterben im allgemeinen, wir denken an
den Tod, ja, wir besinnen uns darauf, dass unser Leben nicht ewig geht, sondern
endlich ist, wir denken daran, dass wir sterblich sind, zerbrechlich, dass am
Ende unserer inzwischen manchmal 90 bis 100 Jahre eben das Ende kommt, trotz
Hochleistungsmedizin und tausender Medikamente.
An einem Karfreitag gehen wir nicht
shoppen, wir gehen nicht ins Schwimmbad und nicht ins Fitnessstudio.
Wir gehen nicht in die Disco tanzen, nicht
in die Bar Cocktail trinken oder üppig schlemmen.
Wir gehen nicht ins Kino oder in die
Komödie.
Das Leben ruht.
Aber…
Aber…
Aber, werden Sie sagen, das machen wir
doch schon die ganze Zeit!
Wir kommen seit Wochen zur Ruhe, wir
entschleunigen bis zur nichtaushaltbaren Langeweile und wir halten so was von
inne, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr innegehalten worden ist.
Alles Laute, Wilde und Tumultuöse ist seit
Mitte März verschwunden.
Wir blicken auf Leiden und Sterben, wir können
gar nicht das TV-Gerät anschalten, ohne auf Leiden und Sterben zu sehen. Wir
können gar nicht anders, als uns darauf zu besinnen, dass das Leben nicht ewig
geht, sondern endlich ist. Die Zerbrechlichkeit unserer Welt war nie präsenter;
und unsere inzwischen manchmal 90 bis 100 Jahre können – das sehen wir jeden
Tag – eben schneller zu Ende gehen, weil die Hochleistungsmedizin an ihre
Grenzen kommt und es in diesem Fall noch KEIN EINZIGES Medikament gibt.
Heute gehen wir nicht shoppen, wir gehen nicht
ins Hallenbad und nicht Muskelpumpen. Weil alles zu ist.
Wir gehen nicht Discotanzen, nicht in die Cocktailbar
oder ins *****-Restaurant. Weil alles zu ist.
Wir gehen nicht ins Kino oder in die
Komödie, auch die sind zu.
Das Leben ruht, aber es ruht seit Wochen.
Und hier haben wir ein Paradox: Dieser
Karfreitag ist ein normaler, aber in einer unnormalen Umgebung ist er so etwas
von ungewöhnlich, dass einem die Haare zu Berge stehen. Dieser Tag bräuchte
eben ein Umfeld, das weltlich, tumultuös und laut, das schnell und rasant und
wild ist, er bräuchte Kino und Bar und Theater und Disco und Gym, sonst kann er
nicht wirken.
Er ist wie ein unterstrichenes Wort in
einem vollständig unterstrichenen Satz.
Er ist wie ein kursives Wort in einem
vollständig kursiv gesetzten Satz.
Er ist wie ein fettes Wort in einem
vollständig fett geschriebenen Satz.
Okay, ich glaube, Sie haben verstanden.
Dieser Karfreitag ist so ungewöhnlich,
weil man ihm seine Ungewöhnlichkeit nimmt. Er muss sich fühlen, wie der Junge,
der in seinem Dorf mit seinen Bildern als „Schmierer“, „Spinner“ und „Chaot“
gilt und dann an eine Kunstakademie kommt und alle sind dort so.
Wie die einzige Dragqueen der Kleinstadt,
die ins Getümmel in San Francisco eintaucht.
Das Besondere – so denke ich zumindest –
wird dann dieses Jahr Ostern sein. Am Dienstag, den 14. April wird nämlich
nicht einfach das Leben in seiner Fülle wieder losbrechen.
Wir werden immer noch nicht shoppen, immer
noch nicht ins Schwimmbad gehen und immer noch nicht ins Fitnessstudio.
Wir werden immer noch nicht in der Disco
tanzen, uns immer noch nicht Manhattan und Sex on the Beach genehmigen oder
eine Pizza Prosciutto bei Alfredo.
Wir werden immer noch nicht ins Kino oder
in die Komödie gehen.
Das Überborden des wiedergewonnenen Lebens
wird dieses Jahr nicht stattfinden.
Passen Sie schon bei ihrem
Osterspaziergang auf:
Sieh nur,
sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!
O du liebe
Zeit! Das ist ja so etwas von unerlaubt und hält den 2 Meter-Abstand in
keinster Weise ein, das ist «Social Undistancing».
Dieses Jahr
werden Faust und Wagner die Polizei holen und das Getümmel, die Menge, des
Volkes wahren Himmel auseinandertreiben lassen. Denn die Stelle bei Goethe
liest sich fast wie ein «So nicht».
Also seien
Sie Mensch. Aber seien Sie es zuhause.
Und bleiben
Sie gesund.
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