Dienstag, 16. Juni 2015

Sonnencreme mit Pflaumenextrakt. Mit Biberhaarbalsam. Mit den Wirkstoffen des Ahorn.



Wie Sie vielleicht wissen – oder vielleicht wissen Sie es auch nicht, dann sage ich es Ihnen jetzt – habe ich im Gartenbad St. Jakob ein Kästchen, einen Schrank, einen Locker, wie auch immer man es nennen mag, für die ganze Saison gemiete; also eigentlich mietet man ein Vorhängeschloss und sucht sich dann ein Kästchen, einen Schrank, einen Locker, wie auch immer, aus. (Man könnte natürlich auch ein Vorhängedings von Zuhause mitbringen, das muss aber dann bei Badeschluss entfernt werden.) Wenn ich also schwimmen gehe, brauche ich nur meinen Vorhängeschlüssel, alles andere ist im Locker, Schränkchen, Kästchen:
3 Badehosen (man will ja nicht immer gleich aussehen)
2 Tücher (Handtuch/Badetuch)
3 Bücher mit Kurzgeschichten (falls mir mal die Lektüre ausgehen sollte)
1 Schwimmbrille
dazu:
1xSonnencreme (Drogerie MÜLLER), 1xDuschgel (Adidas im Angebot bei Coop), 1xHaargel (DENNER) und 1xBodylotion (Migros), also alles, was der Mensch zum Schwimmen, Sonnen, Nicht-Austrocknen und zum Afterstyling so braucht.

Als ich dann neulich wieder einmal vor meinem Kästchen, Schränkchen, Locker stand und dieses (oder dieser) offen stand, bemerkte ich auf einmal einen jungen Mann neben mir, er war geschätzte 23, konnte ohne Neid oder Übertreibung als Adonis bezeichnet werden und hatte einen tiefbraunen, glänzenden Teint. Er schaute mitleidig in meinen Vorrat und schüttelte dann resigniert, aber auch ein wenig genervt den Kopf.
„Hallo, erstens: Was glotzt du in meinen Schrank? Und zweitens: Was passt dir nicht?“, blaffte ich Adonis an. Er wandte den Kopf zu mir: „Komm mal mit.“ Wir tappten zu seinem Schrank, Locker, Kästchen, wie auch immer,  und er sperrte die Türe auf. Er hatte in den Locker ein kleines Regal  mit drei Flächen gestellt, sodass er viel mehr Platzierungsmöglichkeiten hatte. Auf der untersten Ebene befanden sich Badeshort, Schwimmbrille und Handtuch, auf der zweiten seine Lektüre, MEN’S HEALTH und FIT FOR FUN, auf der dritten Ebene zwanzig Tuben und Fläschchen. Er deutete auf seine Kosmetik-Armada, seine Öl und Creme-Flotte, seine Pflege-Armee und begann zu dozieren:

„Wir sprechen von fünf Bräunungsstufen: Non(N), little(L), half(H), almost(A) und full(F). Für jede Stufe gibt es eigene Pflegeprodukte, um die Haut optimal zu unterstützen. Ich habe hier Sonnensprays von PELLE PERFETTO®, das ist eine kleine Klitsche in Valle di Corziano bei Mailand. Für N Lichtschutzfaktor 90 mit Plaumenextrakt, für L Faktor 70 mit Erdbeerextrakt,  für H 50 mit Nuss, A hat 20 (Mango) und schlussendlich kommt F mit Faktor 10 und pflegender Orange.“
Meine Frage, warum denn jede Stufe irgendwelche komischen und andere Extrakte habe und ob das nicht einfach Werbequatsch sei, wischte er vom nicht vorhandenen Tisch, die hätten da in der Lombardei mehrere Dermatologen, einer davon sogar promoviert, die wüssten genau, was sie machen; auch meinen Einwand, dass F ja voll ausgebräunte Haut bedeute und dass da ein LSF von 10 relativ unnötig sei, überging er.
„Das nächste sind die Nachsonnenlotionen, da nimmt man nicht einfach irgendeine Feuchtigskeitschmiere wie du oder gar – ich bringe das Wort kaum über die Lippen – NIVEA , hier wird natürlich auch wieder auf die fünf Stufen abgestimmt. Ich finde bei Aprés Sun jetzt die Mailänder nicht so gut, hier lasse ich mir eine Superpflegeserie aus LA kommen, von SKIN PERFEKT®, auch wieder jedes Öl mit abgestimmten, speziell unterstützenden Extrakten:
Aftersun N mit Biberhaarextrakt, Aftersun L mit Ochsenschwanzextrakt, H mit gemahlenen Hasenzähnen, A mit Fischtran und F mit pulverisierten Stubenfliegen.“
Bevor ich irgendeinen Einwand an den Mann bringen konnte, fuhr er fort: 
„Es muss ja wohl nun kaum noch gesagt werden, dass auch das Duschgel je nach Bräunungsstufe gewählt werden muss, und auch hier sind ausser reinigenden auch pflegende Wirkstoffe zu berücksichtigen, hier leiste ich mir ein japanisches Produkt, die Gels je mit Lotos, Ginkgo, Sushi, Mohnblüte und Balsa.“
„Und die Haargels gehen auch nach Bräunungsstufe?“ Ich konnte mir ein heftiges, körperschüttelndes Kichern nicht verkneifen.
„Natürlich nicht“, herrschte er mich an, „das geht nach Wetterlage. Die Firma PROHAAR® in Düsseldorf bietet Spray und Gel für Sonne, Regen, Hagel, Nebel  und Smog. Ultrastark, ultrahaltend und ultrapflegend, mit den Extrakten aus…“
Ich hörte gar nicht mehr hin.
War es nicht auch eine deutsche Firma, die mal damit geworben hatte, ihr Haarspray passe auf jedes Wetter, oder zumindest auf drei davon? Und wer braucht Stylingprodukte für Hagel? Ich meine, da verhagelt es dir die aufgestellten Haare doch eh? Und eigentlich bleibt man auch zu Hause, wenn das
Eis vom Himmel kommt. Übrigens auch bei Smog.

Ich nahm die Flasche Sonnenspray von PELLE PERFETTO®, die mit Pflaumenextrakt, in die Hand und schaute mal auf den Preis: EU 59,90.-
Der Adonis hatte also rund dreizehnhundert Franken in seinem Locker, Kästlein, Schrank herumstehen. Gut, seine Hülle WAR perfetto, parfait, perfekt, aber er war schliesslich auch erst Mitte Zwanzig, er hätte gut als mein Sohn durchgehen können, da hätte es Mango-, Gingko- und Biberextrakte nämlich gar nicht gebraucht.

Ich schlappte zurück zu meinen Sachen um endlich meine Badehose anzuziehen. Die immerhin aus Oberbayern stammt.
Ein bisschen internationales Flair muss ja schon sein.

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