Dienstag, 30. Juni 2015

Impressionen aus Anhalt


RINGTOURISMUS

Warum ist man in Sachsen-Anhalt? Genauer in Dessau?
Um einen Ring anzuschauen. Also keinen Ring bei einem Juwelier, sondern Wagners Ring, den Ring des Nibelungen, die Tetralogie, die die Geschichte von Siegfried, Brünnhilde, Wotan und den vielen anderen nacherzählt. Und wenn Sie jetzt denken, wer ist so verrückt und fährt da extra nach Dessau: Wir sind viele. Wir sind ganz arg viele, die da jedes Jahr irgendwohin fahren, um die Rheintöchter schwimmen zu sehen und die Walküren jodeln zu hören. Viele Gesichter hat man auch schon in Weimar, Freiburg, Mannheim oder Berlin gesehen und man kommt immer wieder mit den Sitznachbarn – man hat vier Abende gleiche Reihe und gleichen Platz – oft ins Gespräch: Wie fanden Sie den Walkürenritt  in Meiningen? Wie fanden Sie den Waldvogel in Oberhausen? Den Feuerzauber in Wuppertal? Die Männer sind übrigens fast alle schwul, daher wehte auf dem Dach des ANHALTISCHEN THEATERS ausser der Landesfahne auch die Rainbow Flag.

TAXINOT

Wer um 22.00 in Dessau HBF ankommt und nicht in Laufweite wohnt, hat ein Problem. Nämlich das Problem nach Waldersee oder Grosskühnau zu kommen. Nicht, dass man Waldersee oder Gross- oder auch Kleinkühnau unbedingt gesehen haben müsste, aber da sind vielleicht ihre Ferienwohnungen. In einer normalen Stadt haben Sie die Wahl zwischen ÖV und Taxi. In Dessau haben Sie gar nix, denn die Buslinie ist ab 20.00 ein Rufbus, den Sie unter der Nummer 800-9865743523409-876 (gefühlt war sie so lang) hätten anmelden müssen, und die Taxis sind unterwegs, weil sie Rufbus fahren. Also heisst es warten. Warten. Warten. Und weil Anhalt auch im Juni noch kalt ist, tun Sie das am besten im Restaurant AKROPOLIS und lassen den Wirt sich die Finger nach einem Mietauto mit Fahrer wundwählen. Sie können dann in der Wärme Ouzo trinken und dürfen nur die Menge nicht überschreiten, nach der Sie die Adresse nicht mehr wissen. War es die Lutherstrasse oder die Löbbenstrasse? War es 4 oder 14 oder gar 44? Oder war es doch die Labbastrasse?

BADESEEN

Der Raum Dessau ist ein Paradies für Schwimmer, also für Leute wie mich. Ein Teichlein, Flüsslein, die Elbe, die Mulde, Seen und noch mal Seen überziehen die Landkarte mit blauen Tupfen und Flecken. Es wäre ein noch paradiesischeres Paradies, ein noch elysischeres Elysium, wenn man in allen Seen baden dürfte. Darf man nämlich nicht. Die Wahrscheinlichkeit in Sachsen-Anhalt in einem Biosphärenreservat oder einem UNESCO-Weltkulturerbe zu stehen, ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, am Bahnhof Dessau kein Taxi zu bekommen. Es gilt also die Faustregel: Erst einmal gucken. Ist der See von Tempelchen, Statuen und Obelisken gesäumt: Vorsicht. Sie sind in einem UNESCO-Park, nicht schwimmen, es gibt einen Schiessbefehl. (Irgendwo mussten die Ex-Grenzer ja unterkommen.) Ansonsten sind die Parkanlagen übrigens allerliebst, die Fürsten müssen ständig durch die Grünanlagen getigert sein und gerufen haben: Da kommt noch was hin! Und da! Und da noch ein Pantheon! Und da noch eine Felsengrotte!
Ist der See veralgt, beseerost und das Ufer in die Binsen gegangen bzw. die Binsen ans Ufer, dann ist es ein naturgeschützter See, hier also auch Badeverbot. (Für Menschen, Rehe und Hirsche dürften)
Ebenso wie in den UNESCO-Seen  gilt auch in den Biosphärenreservats-Seen ein Schiessbefehl.

WITTENBERG

Wenn Sie ein Anhänger Calvins oder Zwinglis sind, oder gar ein Atheist, also den guten Martin nicht so mögen, wenn Sie dem Reformator ein bisschen aus dem Weg gehen wollen, dann meiden Sie Wittenberg. Es gibt verlotterte Städte, es gibt verlitterte Städte und es gibt verlutherte Städte und Wittenberg ist sicher die am meisten verlutherte Stadt der BRD. Alle 45 cm sehen Sie sein Konterfei, mit oder ohne Melanchthon und mit und ohne Katharina. Sie können im Luther-Café Luther-Brot mit Luther-Butter bestellen, im Lutherhotel übernachten oder sich in den Luther-Stuben Luther-Schnitzel zu Gemüte führen, während zwei Schauspieler Martin und die Bora spielen. Sie können im Luther-Saal Musik aus der Luther-Zeit geniessen und danach in der Luther-Apotheke Luther-Tinktur und Bora-Kräuter kaufen. Merkwürdigerweise hat die Luther-Apotheke keine Kondome, auch keinen Gleitgel, was ja dem Lutherwort in der Woche zwier schadet weder ihm noch ihr etwas entgegenläuft. Sie sollten auch nicht das tun, was ich tat, nämlich nach dem Luther-Braten im Restaurant LUTHER einen Riesenrülpser und einen Wahnsinnswind loslassen, der Geschäftsführer, der mich scharf zurechtwies, schien das Lutherwort Warum koppet und forzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmacket in seinem Lokal nicht zu tolerieren und zelebrieren.

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