FÜRSTENTÜMER
Deutschland hat Bundesländer, eingeteilt in
Regierungsbezirke, eingeteilt in Landkreise, so ist die normale politische
Struktur. Abgesehen davon, dass kein Mensch weiss, warum es Regierungsbezirke
braucht und was die sogenannten Regierungspräsidenten in ihren millionenteuren
Regierungspräsidien überhaupt den ganzen Tag treiben (Facebook? Gamen? Pornos?),
ist das eine ganz sinnvolle Einteilung. Sie gilt aber nur staatlich-politisch,
bei Gewerkschaften, Verbänden, Kirchen stösst der unbedarfte Ausländer, z.B.
der Eidgenosse immer wieder auf merkwürdige Strukturen. Warum gibt es die
Tarifbezirke Nordwürttemberg-Nordbaden, Südbaden und
Südwürttemberg-Hohenzollern? Wieso finden wir eine Landeskirche in Hessen-Nassau und eine in Kurhessen-Waldeck?
Was ist mit diesen ganzen bescheuerten Sondernamen? Hier haben sich die alten
Herzogtümer, Fürstentümer, Grafschaften, die alten Reiche und Kleinreiche, die
alten Kleinstaaten voll erhalten. Auch in den Köpfen der Leute. „Ich komme aus
Anhalt“, sagt der Dessauer, „Ich komme aus Lippe“, sagt der Herforder, „Ich
komme aus dem Herzogtum Lauenburg“, sagt der Möllner. Und wenn Sie in Idstein
Ihr Geld vom Automaten der SPARKASSE NASSAU beziehen und von Hechingen nach
Sigmaringen mit der HOHENZOLLERISCHEN LANDESBAHN fahren, wissen Sie: Die
Kleinstaaten leben! Der Deutsche ist einfach kein Mensch für grosse politische
Würfe, trotz Kaiserreich, trotz Nazireich, trotz Wiedervereinigung und Berlin
als Hauptstadt: Er ist aus Anhalt. Er ist aus Nassau. Er ist aus Lippe, aus
Oldenburg, Lauenburg und Hohenzollern. Und wird das auch im 22. Jahrhundert
noch sein.
ANHALTEN
Der Name des früheren – oder wir müssen ja sagen heutigen –
Fürstentum Anhalt wird auf verschiedene Weise gedeutet. Klar ist, dass da
irgendwie angehalten wurde. Irgendwie fuhren da Postkutschen und
Privatkutschen, später dann die Dampfzüge erst mal nicht weiter. Eine alte Frau
erklärte mir im Café am Markt die Sache so: Die Menschen seien von Stuttgart,
Bruchsal oder Augsburg losgefahren, nach dem Norden, und dann hätten sie
einfach gemerkt, dass sie gar nicht nach Berlin oder Rostock müssten, denn hier
sei es ja so schön. Und dann hätten sie eben angehalten. Eine andere Deutung
dünkt mich plausibler: Die Postkutschen schafften, auch wenn sie schon bei
Sonnenaufgang in Bruchsal, Augsburg oder Ravensburg starteten, es schlicht und
einfach nicht ganz nach Preussen; Pferde
sind keine Autos, sie machen irgendwann schlapp, und wenn die Rösser nach Heu
und Wasser lechzten, dann lechzte der Mensch auf einmal nach einem kühlen Bier
und einer Bockwurst, vielleicht auch nach drei Bier und zwei Würsten, auf jeden
Fall hielt man erst einmal in Anhalt an.
Ganz fies ist die dritte Version: Schwaben seien nicht nur
heute in Berlin unwillkommen, sie seien es immer schon gewesen, und weil die
Berliner, die Preussen, aber auch die Hansestädter an der Ostsee nicht wollten,
dass da Massen von Häberles, Schäufeles und Pfluderles eintrudeln, habe man sie
schon in Köthen oder Dessau mit Waffengewalt abgefangen und zum Anhalten gezwungen.
Und dann, nach einem Bier (oder zwei) und einer Bockwurst am nächsten Tag wieder
nach Hause geschickt.
BAUHAUS EVERYWHERE
Ist Wittenberg verluthert, dann ist Dessau verbauhaust. Ein
Tapaslokal bietet tatsächlich einen Teller an, auf dem die spanischen
Vorspeisen so angeordnet werden, dass sie an Schlemmer erinnern. Ein
Schlemmer-Teller oder eine Schlemmer-Schnitte kommt also in der Bauhausstadt
nicht von Schlemmen, sondern von Oskar. Kein Hotel, kein Restaurant, kein
Möbelhaus und kein Supermarkt lässt sich nehmen zu betonen, dass sie mit ihren
Zimmern, ihren Produkten, ihrem Verkaufsraum der Bauhaus-Idee folgen. Nun ist
die damals revolutionäre Sache inzwischen natürlich absolut normal, „form
follows function“ ist bei uns Alltag, und so ist natürlich alles auch irgendwie
Bauhaus. Haben Sie schneckenförmige Schnörkel an ihrer Küchenmaschine?
Natürlich nicht. Also Bauhaus. Haben Sie ornithologische Ornamente an ihren Tischbeinen? Auf keinen
Fall. Also Bauhaus. Bauhaus ist überall, also kann auch jeder mit Bauhaus
werben.
Und wenn ein Hotel, was wirklich vorkommt, im Prospekt
schreibt, es habe die Bauhaus-Idee in den Zimmern, den Bädern, in den Schränken
und Betten verwirklicht, dann ist das Schwachsinn. Das Gegenteil wäre
aufsehenerregend: Wenn Hotels, Restaurants, Supermärkte und Möbelhäuser zum
Schnörkel, zum Ornament, zum Mäandern und Ziselieren, zum Weit- und
Ausschweifigen zurückkehren würden. Und ehrlich gesagt: Manchmal wünsche ich
mir das auch. Nichts ist doch schöner als Wasserhähne in Schwanform mit viel
Gold und Geschneukerl. Wenn man sie nicht selber saubermachen muss.
ESSEN
Das Essen in Sachsen-Anhalt ist die typische deutsche Küche
des 21. Jahrhunderts: Burger, Döner, Pizza und Wok-Gerichte. Eine Spezialität
fiel uns allerdings auf: Ein Dessert, das aus Milchreis, Zimt, Zucker und
Knackwurst bestand.
In diesem Sinne: Guten Appetit.
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