Freitag, 19. Juni 2015

Adonis II oder: Das Gute-Stube-Syndrom



Die Story von neulich hat noch eine Fortsetzung.

Ich hatte meinen Schwumm in meiner oberbayerischen Badehose getätigt, hatte mit meinem Dreifrankenduschgel geduscht und mich mit meiner Achtfrankensonnencreme eingerieben. Nun sass ich im Terrassenrestaurant bei meinem traditionellen Einuhrespresso.
Plötzlich setzte sich der Adonis mir gegenüber und fing sofort an zu reden, als ob ich seine Dozierung nicht einfach abgeklemmt hätte. Er hatte schon so ein wenig etwas Forest-Gump-Mässiges.

„Weisst du“, sagte er, „das ist schon wichtig, dass man WIRKLICH gute Pflegeprodukte hat. Was du da in meinem Kästchen gesehen hast, ist ja nur ein kleiner Teil. Zuhause habe ich ein ganzes Badezimmer voll.“ Ich konnte es  mir vorstellen, wahrscheinlich stapelten sich in seinem Bad Tages-, Nacht- und  Zwischen-, Öl-, Wasser- und Fettcremes mit den obskursten Wirkstoffen aus allen möglichen Tieren und Pflanzen, von Limone bis Löwenzahn, von Löwe bis Lemming , im Gesamtwert von 5000.-. „Weisst du“, sagte er…
Wieso sagte er eigentlich immer „Weisst du“, das nervte, ich hasse Leute, die immer „Weisst du“ oder „Hör mal“ oder „Andererseits“ und solchen Mist sagen.
„Weisst du, wenn wir uns jetzt mal vergleichen, dann sehe ich objektiv 25 Jahre jünger aus.“ „Du BIST 25 Jahre jünger, verdammt, ich könnte dein Vater sein, deshalb SIEHT meine Haut ja wie 50 aus, weil ich 50 BIN.“
Er schien gar nicht zuzuhören und quasselte weiter: „Ausserdem gehört natürlich ein gewisser Lebensstil dazu: Gute Ernährung, viel Wasser, viel Schlaf, kein Alkohol“, er deutete auf die Parisienne in meiner Hand, „kein Nikotin, kein Sex.“
„Kein Sex?“
„Die Dermatologen in Mailand, weisst du, diese Hautärzte der Firma PELLE PERFETTO®, von denen einer sogar promoviert hat, haben herausgefunden, dass die im Bett ausgeschütteten Hormone der Haut  ganz und gar abträglich sind. Und das Aneinandergereibe sowieso. Ausserdem kann ich ja, wenn ich eine Frau in der Kiste habe, meine Nacht-Schokomaske oder meine Nacht-Bananenmaske nicht auftragen.“

Es war nicht zu fassen: Der Typ, der aussah wie eine PIZ BUIN-Reklame, wie eine AMBRE SOLAIR-Werbung, der auf jedes Cover gepasst hätte, den kein im Joggeli anwesender Mann und keine anwesende Frau von der Bettkante stossen würde, dem auch während unseres Gespräches schon mindestens fünf Ladies nachgeglotzt hatten, der Typ, der eine Aussenschicht hatte, die man einfach anlangen wollte, lebte zölibatär!
Wofür machte er sich die Mühe, attraktiv auszusehen, und das heisst ja anziehend, wenn man ihn dann nicht zu sich heranziehen durfte (und evtl. sogar nicht nur an- sondern auch ausziehen?)

Klarer Fall: Adönisle litt unter dem Gute-Stuben-Syndrom.
Die Gute Stube war das eine Zimmer, das stets blitz und blank war, dort lag nie Staub, die Teppiche waren immer gereinigt und die Tischplatte glänzte, in der Guten Stube standen die schönsten Möbel und die erlesensten Nippsachen. Die Gute Stube war der perfekte Raum – und wurde nie benutzt, ausser an Weihnachten und an wichtigen Familienfesten, manche etwas schlippige Familien verbrachten auch den normalen Tag des Herrn in diesem Raum. Werktags war die heilige Halle abgeschlossen, versperrt und verriegelt.

Das Gute-Stube –Syndrom liegt also dann vor, wenn wir eine Sache so schön machen, dass sie dann ZU schön für ihren eigentlichen Zweck ist:
Wir haben den schönsten Körper von Basel mit der schönsten Haut der Nordwestschweiz, die dann niemand anlangen darf.
Bescheuert.
Wir backen eine Torte, die mit ihrem Guss und den Marzipanfigürchen derart bilderbackbuchmässig aussieht, dass man sie auf keinen Fall anschneidet, niemand würde ein solches Kunstwerk zerstören, sie ziert das Kuchenbuffet, die Gäste nehmen Cake, Apfelkuchen und Kekse, nach der Veranstaltung wird die Torte weggeschmissen.
Bescheuert.
Wir polieren 567 Minuten lang unseren Rolls-Royce, bis jede Stelle, sogar die Radkappen als Lichtreflektor dienen, wir hauchen, reiben, hauchen, reiben, bis auch das kleinste Stäubchen das Blech verlassen hat, dann stellen wir ihn in die Garage, denn er soll ja nicht dreckig werden. Und fahren mit dem FIAT zur Arbeit. Oder mit dem ÖV.
Bescheuert.
Wir schreiben ein Theaterstück, bei dem wir um jedes Wort wochenlang ringen, bei dem wir jeden Satz zehnmal umstellen, bis ein Text entstanden ist,  der nobelpreis- oder zumindest büchnerpreiswürdig ist, einen Text, den man natürlich niemals, niemals, nie in die Hand eines Regisseurs oder Dramaturgen geben würde. Die machen ja alles kaputt.
Bescheuert.
Wir lassen uns ein Kleid aus weissem Chiffon schneidern, ein Traum, der uns 8000.- kostet und natürlich nie getragen wird, denn Flecken auf weissem Chiffon…
Bescheuert.

Viel zu schön zum Anfassen. Viel zu schön zum Essen. Viel zu schön zum Fahren, zum Aufführen, zum Bewohnen. Zu schön zum Anziehen.
Leute, es gibt Sachen, die man gebrauchen soll.
Sie heissen deshalb ja auch Gebrauchsgegenstände.
Ja, und der Körper ist auch so einer.
Er geht nämlich auch dann, wenn Sie ihn komplett schonen, irgendwann kaputt.
Spätestens, wenn Sie sterben. 


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