Dienstag, 20. Dezember 2022

Shoppingwahn als Wirtschaftsrettung

Ich habe in den letzten Tagen eine wahre Orgie an Geschenkeinkäufen veranstaltet. An mehreren arbeitsfreien Nachmittagen habe ich folgende Dinge für meinen Partner, aber auch für Vettern und Kusinen, Freunde und Kollegen erstanden:

* «Fleur de Glacier», ein Parfüm des Pariser Duftmachers Jaques Berton, das ausnahmsweise in einem Basler Shop angeboten wurde und das sonst nur in seinem Geschäft an der Place de Concorde verkauft wird, ein frisch-herb-eisiger Duft, der in einem tiefblauen, an Rodin gemahnenden Flacon ruht, bis er zart versprüht wird.
Kostenpunkt: Fr. 118,75

* Ein 12-teiliges Sammelwerk «Highlights Europäischer Galerien», das für den Kunstkenner und Malereiliebhaber einen Gang durch die wichtigsten Sammlungen wie Wien Kunsthistorisches, Rijksmuseum, Städel, Tate Gallery und Louvre (u. a.) bietet. Jeder der zwölf A4-Bände ist aufwändig gestaltet und reich bebildert.
Kostenpunkt: Fr. 372,69

* Einen Schal der Weberei Furrer aus Kattingen, der aus einer wunderbaren Mischung besteht: Wolle des Fjuh-Schafs, das nur in wenigen Exemplaren in den Höhen der Färöer vorkommt und Seide der Kotomaya-Raupe, die nur eine bestimmte Art Bambus verträgt. Designed wurde der Schal in einer Collaboration von Mario Botta und Pippilotti Rist.
Kostenpunkt: Fr. 477,35

* Eine Packung Pralinen von Schlaudmann, dem besten und teuersten Confiseur der Zürcher Bahnhofstrasse, jede Schokokugel einzeln mit Motiven aus der Sixtinischen Kapelle bemalt, gefüllt mit einer Rum-Nuss-Mischung, deren Rezept in einem Safe der UBS aufbewahrt wird.
Kostenpunkt: Fr. 112,--

* Eine einmalige DVD-Edition: Sämtliche Produktionen des Ring, die je gemacht wurden, darunter natürlich alle Ringe vom Grünen Hügel. Spannend ein riesiges Bonusmaterial, das ausser Interviews und Making of auch die Prügeleien und kaputten Frisuren bei der legendären Premiere 1976 zeigt…

Kostenpunkt: Fr. 789,99

Ich komme, wenn ich «Fleur de Glacier», das Museumssammelwerk, den Edelwollseidenschal, die Palastpralinen und die DVD-Kollektion zusammennehme, auf die imposante Summe von 1870,78 Schweizer Franken.

Normalerweise würden bei einem solchen Kaufrausch, bei einer solchen Orgie zwei Dinge gefragt:
Erstens. Wie kannst du dir «Fleur de Glacier», das Museumssammelwerk, den Edelwollseidenschal, die Palastpralinen und die DVD-Kollektion leisten? Hast du im Lotto gewonnen oder eine Bank überfallen? Oder geerbt?
Zweitens: Hast du kein schlechtes Gewissen? Ein schlechtes Gewissen angesichts Hunger und Krieg und Not in der Welt? Du kaufst «Fleur de Glacier», das Museumssammelwerk, den Edelwollseidenschal, die Palastpralinen und die DVD-Kollektion und in Afrika sterben die Leute?

Dieses Mal kommt nur die erste Frage.
Die zweite Frage wird nicht gestellt, ja dieses Jahr ist keine Caritivität (welch schönes Wort) angesagt, sondern hemmungsloses und exzessives Shoppen.

Der Einzelhandel ist ja eine gebeutelte und geplagte Spezies, vor allem der Einzelhandel, der Dinge verkauft, die man nicht unbedingt zum Leben braucht; der Mensch braucht Seife und eventuell ein Deo, Parfüm braucht er nicht, man braucht Bücher zum Lernen, Bildbände braucht man nicht, der Mensch braucht Kleidung, also Unterwäsche und Hosen, aber keine Luxusschals, genauso wenig wie Opern-DVDs und Pralinen.
Der Verkauf von solchen Dingen war also immer schwierig, er war aber ganz unmöglich während Corona, und Corona war kaum vorüber, dann kam die Energiekrise und die Leute haben kein Geld mehr. Das Weihnachtsgeschäft, sonst immer die Stütze des ganzen Jahres, ist also in diesem Jahr getrübt und jedem Menschen, der hemmungslos Geld ausgibt, werden riesengrosse Kränze gewunden.

Zum Beispiel mir.
Keine Rede also in diesem Jahr von Luxusmensch und Verschwender, keine Silbe von unnötigen Ausgaben, in diesem Jahr bin ich der Retter der Volkswirtschaft.
Bei Douglas bekomme ich ein (alkoholfreies) Glas Sekt spendiert.
In der Buchhandlung Schmidt erscheint der Geschäftsführer und schüttelt mir die Hand.
In der Boutique «Chez Anton » lädt man mich zum Essen ein.
Bei Schlaudmann bekomme ich einen Orden umgehängt.
Und im Musik Hug rollt man mir den Roten Teppich aus.

Ich habe in den letzten Tagen eine wahre Orgie an Geschenkeinkäufen veranstaltet. An mehreren arbeitsfreien Nachmittagen habe ich die tollsten Dinge für meinen Partner, aber auch für Vettern und Kusinen, Freunde und Kollegen erstanden.
Und bin stolz drauf.

P.S. Die Antwort auf die erste Frage lautet übrigens:
Überstunden.

 

 

 

 

 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen