Freitag, 16. Dezember 2022

Die unlesbaren Plakate

Ich stehe vor einem Plakat in der Basler Innerstadt und versuche verzweifelt einen Sinn in den mir angezeigten Wörtern zu erkennen:

CHES
ENTS
ZERT
EM
HOR

Deutsche Wörter sind es nicht, so viel steht fest. Englische? Heisst der Anfang, dass Schach endet? Aber warum endet ein Spiel, das seit ca. 3000 Jahren existiert? Und müsste es dann nicht «chess ends» heissen? Oder sind hier die Ents gemeint, die Baumwächter, die könnten ja schon Schachspieler sein, mit ihrem unendlich langen Nachdenken. Oder ist hier «chest» gefragt? Und wie deute ich «zert»? Heisst das Ganze etwa «Chess ends, I am a certificated whore»? Schach endet, ich bin die zertifizierte Nutte? Und ist ein Bordellbesuch wirklich eine plausible Alternative zu einer Schachpartie?

Es kann kein Englisch sein, welche Sprache ist es aber dann.?
Googeln, googeln, googeln.
Durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Googeln, googeln, googeln.
Ohne Ergebnis.
Nun komme ich auf eine tote Sprache, hier stellt sich das grössere Problem, dass man so wenig Quellen und Möglichkeiten hat. Zum Beispiel kann man keinen Sprecher fragen, wenn die Sprache noch gesprochen wird, ist sie ja nicht tot.
In meiner höchsten Not blicke ich auf den rechten Rand des Plakates:

FRÖHLI
ADV
KON
MIT D
KLANG-C

Das Ganze ist also doch Deutsch, hat weder etwas mit Schach, noch mit Enden, erst recht nichts mit Nutten zu tun, sondern heisst schlicht und einfach:

FRÖHLICHES ADVENTSKONZERT MIT DEM KLANG-CHOR

Leute, Leute!
Wann hörten Plakate eigentlich auf, lesbar und informativ zu sein? Denn früher mussten Anschläge und Aushänge ja absolut eindeutig sein, sie waren fast die einzige Datenquelle:

Der König hat eine Bataille verlohren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der König und seine Brüder leben!
Berlin, den 17. October 1806.
Graf v. d. Schulenburg.

Abgesehen davon, dass hier die Quelle eines Ausspruches ist (Ruhe = Bürgerpflicht), der immer als Postulat, als Motto gesehen wird, nicht als situative und durchaus sinnvolle Anweisung (Keine Panik!), hätte Schulenburg Erfolg mit einem «modernen» Plakat gehabt? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht hätten die Menschen nur «verlohren» gelesen und wären erst recht in Panik gefallen…

Was wäre passiert, wenn Moses Tafeln mit schöner Grafik, aber unleserlichem Text vom Sinai heruntergetragen hätte? Man müsste wahrscheinlich das ganze Alte Testament umschreiben. Vielleicht hätte das Volk jeweils das «nicht» nicht lesen können – was hätten wir da für ein Tohuwabohu! …obwohl wir das ja auch so haben…

Und was wäre passiert, wenn Luther ein buntes, fröhliches Thesenblatt zu Wittenberg an die Türe geheftet hätte, das keinerlei Wortzusammenhang gekannt hätte?
Wir hätten immer noch die EINE römische Kirche.

Warum kehren wir nicht zu lesbaren Plakaten zurück? Oder geht eh alles nur noch via Instagramm? Aber warum drucken wir dann Plakate?

Aber eines bleibt sicher: Die Dienstag-Freitag-Glosse wird lesbar bleiben.

INDEST                   ZUM
IE                            D
ISTE                    ME
IT                        ZE





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