Freitag, 11. Dezember 2020

Lieber Alex Capus oder: Auch Basler können schreiben

Lieber Alex Capus

seit Jahren verfolge ich Ihr Werk mit grossem Interesse. Nein, das klingt jetzt nicht gut, mit grossem Interesse kann man ja auch einen Autounfall oder die schlechte Wetterlage verfolgen… Sagen wir es anders: Seit Jahren lese ich mit Begeisterung Ihre Bücher. Sie können etwas, was nicht alle Autoren können, nämlich spannend erzählen, und wenn es dann auch noch wahre Geschichten sind, dann hat man noch einen riesigen Informationsschub. Ich frage mich die ganze Zeit, woher Sie eben diese nehmen, denn ein Buch wie zum Beispiel die Himmelsstürmer erfordert ja eine gigantische Recherche-Arbeit, also nur das Lesen, und dann muss man die Geschichten ja auch noch schreiben, und dann führen Sie auch noch eine Beiz und haben Familie, aber vielleicht schlafen Sie nicht, kann ja sein…

Ich bin ein Basler, der in Solothurn arbeitet, also eigentlich ein Wahl-Basler, ich habe einen deutschen Migrationshintergrund, was man meinem Namen nicht sofort anmerkt, Rolfs gibt es ja auch in der Schweiz, auch Herter ist in der Ostschweiz, vor allem im Thurgau, ein gebräuchlicher Name, aber Sie hätten – so nehme ich an – auch gegen einen Knut Feddersen, der ja seinen Migrationshintergrund nicht verleugnen kann, keine Vorbehalte. Nun, jedenfalls, ich arbeite in Solothurn in einem pädagogischen Institut, in dem übrigens auch Ihr Sohn (wenn meine Informationen stimmen) einmal gearbeitet hat. Auf dem Heimweg (der Hinweg geht über Moutier – solange der Weissensteintunnel noch offen ist) habe ich immer eine gewisse Wartezeit in Olten, da ich dort die S-Bahn nach Muttenz nehme, wo sich «mein» Schwimmbad befindet. Diese Wartezeit verbringe ich oft in der Bücherecke des Kiosk, und weil ich mich ja nicht immer nur aufwärmen kann, kaufe ich auch manchmal ein Buch – und werde meiner Stammbuchhandlung, dem Olymp&Hades, untreu. Bei einem dieser Wärme-Käufe fiel mir Ihr Buch über Olten in die Hände, das Sie mit Franz Hohler und Pedro Lenz zusammen gemacht haben.
Es ist grossartig! Ich durfte in den wunderbar erzählten Texten viel über Stadt und Geschichte lernen und auch die Fotos von André Albrecht sind exzellente Stimmungsbilder. Sehr geschmunzelt habe ich über Ihren Text, in dem Sie die Menschen charakterisieren, die am Bahnhof Olten auf den Perrons warten, wo die Züge nach Zürich, Bern, Basel oder Solothurn warten. Wenn ich auch den Hinweg über Olten machen würde, würde ich ja auf Gleis 8 warten, und das Folgende träfe – Ihrer Meinung nach – auf mich zu: Im sozialen oder pädagogischen Bereich arbeiten (stimmt), Frühstück dabei (hier stimmt nur der Kaffee in der Thermoskanne) und Sandalen und Freitag-Tasche (stimmt gar nicht!).

Was mich nun aber ein wenig erstaunt, mich ein wenig ärgerlich macht, mich ein bisschen erzürnt oder mich ein winziges My sauer macht, ist diese Passage

Fast alle Deutschschweizer Schriftsteller sind aus Olten. Ich vermute, die tun uns etwas ins Trinkwasser.

Das gefällt einem Basler, gut einem Wahl-Basler, einem Basler mit deutschem Migrationshintergrund nun gar nicht so. Was ist mit einem Urs Widmer? Was ist mit einem Claude Alain Sulzer? Wollen wir einen Dominik Bernet einfach unter den Tisch fallen lassen? Einen Lukas Holliger? Oder: Sie reden ja nur von der männlichen Form, aber wir haben in Basel auch Schriftstellerinnen, wollen wir wirklich Irina Brezná aussen vor lassen? Eine Zoe Jenny nicht erwähnen? Die Website des Buchhauses Bider&Tanner nennt fast 50 Basler Schriftstellerinnen und Schriftsteller, gut, da sind auch so Populärschreibfiguren wie Minu und Yvette Kolb dabei, aber ziehen wir die Obskuren ab, dann sind es sicher noch 30.
Nein. da hat Basel wohl doch auch etwas zu bieten. Genauso wie wahrscheinlich Bern oder Zürich.

Die beiden grössten Autoren hatten übrigens auch nichts mit Olten zu tun:
Der gute Friedrich kam zwar nicht so weit weg von Olten zur Welt, in Konolfingen, aber was ist in der Schweiz schon weit weg? Jedenfalls bewegte er sich dann eher von Olten weg, in die Romandie, ins Welschland, an den See nach Neuchâtel.
Und Max? Sicher ist der vielgereiste Weltbürger mal in Olten umgestiegen (wer ist das nicht?), aber zu seinen transatlantischen Abenteuern reiste er ja wohl eher über Kloten Airport. Und – mal ganz ehrlich – ob es an der Aare zu einem solch romantischen Abenteuer wie in Montauk gekommen wäre? Das ist doch zweifelhaft, da braucht es sicher doch den Atlantik.

Was mich aber interessieren würde, ist das mit dem Trinkwasser.
Bislang erstreckt sich mein literarisches Werk auf kürzere Texte. Was meinen Sie, lieber Alex Capus, wenn ich nach Olten zöge und das dortige Wasser tränke, würde ich dann grössere Dinge zustande bringen? Endlich den grossen Roman? Ein langes Theaterstück? Ein Epos? Oder wenigstens eine 200 Seiten lange Novelle? Was mich allerdings etwas abschreckt, ist der Nebel. Sie schreiben ja selbst, dass nur gebürtige oder in Olten aufgewachsene Menschen den Nebel vertragen. Wahl-Oltner hätten Mühe damit.

Lieber Alex Capus, vielleicht laden Sie mich mal in Ihre Beiz ein und wir können diese Dinge besprechen.
Auf jeden Fall: Schreiben Sie weiter, ich freue mich auf jedes neue Buch von Ihnen.



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