Freitag, 25. August 2023

Vorhersehbar!

Ich höre das wunderbare Musikstundenrätsel, das die wunderbare Katharina Eickhoff uns immer am zweiten Samstag des Monats in SWR2 stellt.
Im August 2023 ist das Thema «Sommerfrische in den Bergen». Nachdem die Lösungen der ersten Fragen «Richard Strauss» (der Wanderer in der «Alpensinfonie») und «Paul Hindemith» (Filmmusik zu «Kampf um den Berg») uns die Buchstaben S und U geliefert haben, denke ich, dass die gute Katharina jetzt eventuell uns wieder auf den Mont Ventoux schicken wird, denn sie ist ein erklärter Petrarca-Fan und hat die Besteigung im April 1336 schon zweimal verwurstet.
Und, Tatsache: Frau Eickhoff holt aus, erzählt vom italienischen Dichter in Frankreich und es geht auf den Gipfel des Provence-Berges. Ist ja auch toll, diese Besteigung – ich habe am 5. 3. 2019 ihr auch einen Post gewidmet.
Katharina Eickhoffs wunderbares Rätsel hat also (auch) eine gewisse Vorhersehbarkeit.

Wenn man mit meiner Nichte, die im 9. Semester Architektur studiert, durch eine Stadt läuft, dann kann man mit 100%iger Wahrscheinlichkeit ihre Reden voraussagen.
Man läuft an einem Jugendstilhaus aus dem Jahr 1903 vorbei, an dem drei Ranken silbern angestrichen sind, und man weiss, dass sie jetzt erwähnen wird, dass an Jugendstilhäusern aus dem Jahr 1903 keine Ranken silbern angestrichen gehören, und dann räuspert sie sich und sagt: «An Jugendstilhäusern aus dem Jahr 1903 gehören keine Ranken silbern angestrichen.»
Und dann läuft man an einem Gebäude von einem offensichtlichen Schüler von Richard Meier vorbei, dessen weisse Bauten ja immer etwas Verschmuddeltes haben, wenn sie nicht regelmässig geputzt werden, und man weiss, sie wird genau das jetzt auch sagen und dann hebt sie an, redet und spricht: «Bauten aus der Richard-Meier-Schule MÜSSEN regelmässig geputzt werden, sonst sehen sie einfach nur schmuddelig aus…»
Vorhersehbar.

Aber ich kehre auch vor der eigenen Türe:
Nehmen Sie mich!
Gehen wir zum Griechen, und Sie denken, Rolf wird jetzt Dolmades und Moussaka bestellen – und ich bestelle genau das. Gehen wir zum Italiener, und Sie denken, Rolf wird jetzt Insalata Mista und Lasagne bestellen – und ich bestelle genau das. Gehen wir zum Thailänder, und Sie denken, Rolf wird jetzt Frühlingsrollen und ein Curry mit Erdnüssen bestellen – und ich bestelle genau das.
Und wenn Sie denken, ich habe heute Morgen (es ist Sonntag) erst einen Kaffee getrunken, dann zwei Patiencen gelegt und dann mein Französisch auf Duolingo geübt, dann…, dann…, dann liegen Sie genau richtig.
Auch ich bin absolut vorhersehbar.

Aber ist das eigentlich so schlecht?
Ich stelle mir einen Samstagmorgen vor, an dem nichts so wäre, wie man es sich am Abend vorgestellt hat: Die Sonne geht mit grüner Färbung nicht vor dem Wohnzimmerfenster, sondern vor dem Küchenfenster auf, die Kaffeemaschine, die komischerweise im Bad steht, liefert nur Cappuccino und spielt dazu auch noch «Mbube». Ich setze mich – nachdem ich ihn gefunden habe, denn er steht nicht im Büro, sondern im Esszimmer – an meinen Laptop. Dort heissen alle Dateien anders, und in SWR2 kommt um 9.00 eben nicht die Musikstunde, sondern eine Direktübertragung eines Metal-Festivals.
Nein.
Ich geniesse es schon, dass die Dinge am Morgen so sind wie immer, also vorhersehbar, die Sonne geht golden vor dem Wohnzimmerfenster auf, die Kaffeemaschine steht in der Küche und liefert Espresso, und sie spielt auch nicht «The Lion sleeps tonight» («Mbube» ist der Originaltitel). Mein Laptop steht im Büro und in SWR2 kommt um 9.00 die Musikstunde – am 2. Samstag des Monats mit dem Rätsel.
Vorhersehbarkeit hat also zwei Seiten: Einerseits langweilt sie uns manchmal, andererseits sind wir auf die angewiesen.

Ein weiterer Aspekt ist natürlich der Riesenaspekt der Dinge, die man wahrscheinlich gar nicht oder schwer vorhersagen kann:
Das Wetter und die Wetterereignisse
Die Wirtschaft und die Börsenkurse
Die Verbreitung von Krankheiten
Kriegsverlauf
usw.
usw.
Sie stutzen? Nun, horchen Sie doch einmal in «heute journal» oder «Tagesthemen», oder in «10 vor 10» oder «ZIB 2» einmal genau hin. Jedes Mal kommt ja irgendeine Expertin oder ein Experte, besonders beliebt sind zurzeit Wehrtechniker oder Militärstrategen, sie haben die Riesenphalanx der Virologinnen und Virologen abgelöst.
Und was ist ihr am meisten gesagter Satz? «… das lässt sich ganz schwer vorhersagen, weil…» Du liebe Güte, wenn sie Expertinnen und Experten sind, dürfen die dann so einen Spruch machen? Dass Dinge schwer vorherzusagen sind, weiss ich selber.

Vielleicht aber sollten die Medien auch viel mehr Dinge vorhersagen, die wirklich vorhersehbar sind. Schön wäre doch jeden Abend ein Satz, der uns trösten wird:

Morgen wird die Sonne wieder aufgehen.

Wäre doch sehr tröstlich.

      

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

P. S.:

Nein, ich sage Ihnen jetzt nicht, welchen Buchstaben von «Francesco Petrarca» Sie nehmen müssten, und ich sage Ihnen auch nicht, wie die Lösungen der anderen Fragen heissen. Sonst haben Sie das Lösungswort und schicken es ein und schmälern meine Gewinnchancen, man kann da nämlich wirklich gewinnen, 2015 habe ich zwei Karten für «Koma» gewonnen, nein, ich kam nicht ins Koma, das war die Oper von Herrn Haas.

 

  

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