Dienstag, 5. Juli 2022

Boris schenkt Kaffee ein

Es gibt Gesten und Handlungen, es gibt Haltungen und Posen, die niemand mehr benutzen kann, ohne gewisse Assoziationen zu erwecken.
Man denke hier nur an die inzwischen legendäre Merkel-Raute. Es kann doch kein Mensch mehr die Hände in einer bestimmten Form vor den Bauch legen, ohne dass die gesamte Umgebung denkt: «Ah, Angela!» (oder, wenn man Deutsche oder Deutscher ist: «Ah, Angeeeeela!»).
Ebenso kann man mit seinem Wanderstab, beidhändig gefasst, nicht mehr auf Brücken, in deren Mitte man steht, stossen. Das ist zu sehr Gandalf, das ist zu sehr Herr der Ringe, das ist zu sehr «You shall not paaaaaaaaaaaaasssssssssssssss!».
Und wer kann vor Ehren- oder Denkmälern, vor Kriegsgedenkstätten oder Monumenten noch einen Kniefall machen, ohne dass man an Willy Brandt und seinen «Kniefall von Warschau» denkt?

Das ist jetzt natürlich totaler Quatsch.
Wer hält denn seine Hände aus Versehen und einfach so in der Rautenform vor den Bauch? Mir ist das noch nie passiert.
Sind Sie schon einmal (einfach so) auf einer Brücke gestanden, haben Ihren Wanderstock in beide Hände genommen und ihn auf den Boden gestossen? Womöglich noch gebrüllt dabei? Ich bin noch nie in solch eine Situation geraten.
Und wie oft waren Sie an Ehren- oder Denkmälern, vor Kriegsgedenkstätten oder Monumenten? Eher selten, oder? Und ist Ihnen dort auch nur ein einziges Mal passiert, dass Sie auf die Knie sanken? Wann haben Sie überhaupt das letzte Mal gekniet? Wenn Sie kein frommer Katholik oder keine fromme Katholikin sind, dann kann das lange her sein…
Wir sehen also, dass es wohl nicht aus Versehen passieren kann, Merkel, Gandalf oder Brandt nachzuahmen.

Was ist aber nun mit einer Geste wie, einer Geste wie, ja wie…
Kaffee einschenken.

Ja, liebe Leserin, lieber Leser, Sie haben ganz richtig gelesen.
Denn mit dem Kaffeeeinschenken würde man ja ganz klar auf Boris Johnson und Joe Biden anspielen.
Wir erinnern uns:
Beim G7-Gipfel im oberbayrischen Idyll, beim Schmusetreffen der Ober-Demokraten schenkt Boris dem Joe aus einem Silberkännchen Kaffee ein. Nichts kann so schön die Einheit, die Verständigung und das Zusammenstehen symbolisieren wie diese Geste.

Wir wollen uns jetzt gar nicht darüber unterhalten, was auf solchen Gipfeln nun eigentlich wirklich besprochen werden sollte, da müsste man ja nun über diverse Dinge reden, zum Beispiel, was die USA schon alles an Bomben geworfen haben und was aktuell dort mit dem Rechtsstaat los ist (man möchte ja zurzeit weder ein Schwuler in Miami noch in Murmansk sein, aber lassen wir das…).
Nein, wir wollen nun gar nicht oberpolitisieren, wir wollen uns auf diese wunderbare Schmusegeste konzentrieren.

Um es kurz zu machen: Hier hat eine PR-Agentur ganze Arbeit geleistet. Ich kann mir gut vorstellen, wie dort einige Leute verzweifelt überlegten, wie man das Schmusige, das Vertraute zwischen GB und USA am besten darstellen kann. Und da stand da nach einem Brainstorming:
Küssen
Haare wuscheln
Hunde ausführen
Hände schütteln
Knöpfe zumachen
Kaffee einschenken

Und später:
Küssen
Haare wuscheln
Hunde ausführen
Hände schütteln
Knöpfe zumachen
Kaffee einschenken

Und von alledem ist also der Kaffee übriggeblieben. Und so kam es zu diesem «Ich schenke dir ein Tässchen Kaffee ein», einer Geste, für die man sich nur fremdschämen kann.
Und so kann halt jetzt (eine Weile, zum Glück nur eine Weile, das verliert sich doch nach einiger Zeit…) niemand mehr jemand anderes Kaffee einschenken, ohne dass an die beiden Clowns erinnert wird.

Es gibt Gesten und Handlungen, es gibt Haltungen und Posen, die niemand mehr benutzen kann, ohne gewisse Assoziationen zu erwecken.
Und so wird das Kaffee-Ausgiessen, das Leeren des Silberkännchens eine Weile tabu sein.

P.S.: Der Kniefall von Warschau war von keiner Seite geplant – das ist das Historische an ihm.



   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen