Dienstag, 18. Oktober 2016

Bisher haben wir alle Ausländer gemocht

„Diese Flüchtlinge“, sagt Markus Plowinski aus Gelsenkirchen, „diese Flüchtlinge, das gibt schon Probleme mit diesen Flüchtlingen, ne?  In Deutschland gab es 1945 ja auch eine Flüchtlingswelle, aber das war ja was ganz Anderes. Dat waren ja Deutsche. Und die konnten ja auch nix dafür, dass man sie heimatvertrieben hat. Gut, die da unten können auch nich alle was dafür, aber irgendwie auch wieder schon. Ich meine, die sind da unten, da im Morgenland, doch alle irgendwie immer so streitlustig. Sagt doch schon Schiller: Wenn unten dort in der Türkei die Leute auf einander schlagen…
Und jetzt ist halt Quittung. 
Aber die Deutschen fünfundvierzig, die waren ja wirklich ganz bös vertrieben worden und denen hat man ja auch gerne geholfen, wa? Also, meine Omma und mein Oppa, denen stand das Häusken ja noch, die haben ja sofort den zweiten Stock einer Familie zur Verfügung gestellt, sofort. Und die wurden verwöhnt, nach Strich und Faden, die lebten wie im Schlaraffenland.“ Plowinski fährt fort: „Haben sich aber auch dann gleich um Arbeit bemüht, die haben ganz schön geackert, waren halt Deutsche, und mit Unterstützung von meiner Omma und meinem Oppa ging’s dann bald aufwärts.“

„Diese Flüchtlinge“, sagt Bernd Giroux aus Sindelfingen, „diese Flüchtlinge, das gibt schon Probleme mit diesen Flüchtlingen. Die sind ja schon so ganz anders als wir, gell? Des sind ja alles Muselmanen und bei dene  weiss man ja nie… Die Gaschtarbeiter in den 70ern, das waren ja tolle Leute. Und des waren Chrischte. Die waret ja fascht frömmer als mir. Deshalb waret die au sofort willkomme, gell?  Ich mein, ebber, der in den Grossraum Stuttgart zieht und schafft, schafft, schafft und in die spärliche Freizeit in der Gemeinde, beim Beten und mit dem Rosenkranz verbringt, fascht nach der Kapuzinerregel ORAS IN LABORAS, den muss man doch eifach liebhabbe“ 
Giroux fährt fort:
„Also meine Eltern, die habe sich immer gfreut, wenn ich vo dr Schule Italiener und Spanier mitgebracht hab. Die waren eifach schaffig, sparsam und fromm, fascht scho richtige Schwaben, gell? Aber die ganze Muselmane, die jetzt komme, das macht einem doch Angscht, gell?“

Es ist schon spannend, mit welchen Erinnerungen und Ver-innerungen hier jongliert wird. Geschenkt, dass der gute Deutsche Plowinski ja auch Sprössling einer polnischen Zechen-Gastarbeiter-Familie und der gute Deutsche Giroux von Hugenotten, also Glaubensflüchtlingen abstammt, also beide Migrationshintergründe haben. Geschenkt auch, dass Plowinski den Osterspaziergang  Schiller zuordnet und  falsch zitiert. Geschenkt, dass Giroux die Benediktiner(!)regel  ein wenig herumdreht, nein, wichtiger ist doch:

Wie und Was und Warum wird hier Wie und Warum erinnert?

Wenn die Story, die Omma und Oppa Plowinski erzählt haben, überhaupt stimmt, waren sie absolute Ausnahmeerscheinungen. Soo lieb hatte man die Deutschen, die da mit den Habseligkeiten auf dem Bollerwagen aus Schlesien und Pommern zogen, die ausser Hunger und Durst und Blasen an den Füssen nichts hatten, nämlich gar nicht. Wenn Sie wenigstens alle jung und männlich gewesen wären, gute Arbeiter brauchte man ja immer. Aber es kamen auch alte Frauen und Kinder, und die hatten auch Blasen an den Füssen und Hunger und Durst.

Wenn die Story, die Giroux erzählt, überhaupt stimmt, dann waren auch seine Eltern - sagen wir es mal vorsichtig - nicht unbedingt die Norm. Wie viele in meinem Alter mussten sich Sätze wie "Spielst du schon wieder mit diesen Gastarbeitern, es hat doch Deutsche in deiner Klasse." und "Dieser Giovanni und dieser Ramon kommen mir nicht ins Haus" anhören, von Spaghettifressern und Spaniockeln war da die Rede und die jungen Südländer waren eben Nicht willkommen. 

Die Erinnerung macht eben alles golden. 
Fakt ist, dass man nie besonders begeistert war, wenn sich die Strassen mit Leuten füllten, 
die irgendwie anders waren
die irgendwie komisch redeten
denen man irgendwas abgeben sollte
die sich schwer taten mit der Integration
die einem Angst machten

Ein Soziologe hat mal das Beispiel mit dem Eisenbahnabteil gebracht: Wenn man alleine im 6er-Coupé sitzt, ist jeder, der rein will, ein Eindringling. Ist man dann eine Weile zu zweit, wird man das Abteil zu zweit gegen jeden Dritten verteidigen. Der dann auch irgendwann, nachdem er sich nicht vertreiben liess, dazu gehört, und dann ebenfalls die Nase rümpft, wenn der Vierte (oder die Vierte) auf der Bildfläche erscheint.

Bleibt zu hoffen, dass alle einmal irgendwie integriert sein werden.
Wie die Pott-Polen.
Die Hugenotten.
Die Schlesier.
Und die südländischen Gäste.


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