Dienstag, 25. Juli 2023

Der Blödsinn mit den Kontingenten

Liebe Leserin, liebe Leser

Wie kann man verhindern, dass einem die Besucherinnen und Besucher bei einer Ausstellung die Bude wirklich einrennen? Dass sie Schäden an Mobiliar und Wänden hinterlassen, weil die Druckerei und Drängelei so gross ist? Dass niemand die Bilder sehen kann, weil 100 Leute davorstehen? Na? Genau: Kontingente. Man lässt einfach pro Zeitfenster nur eine gewisse Anzahl von Leuten zu den Bildern. Das wird von vielen Galerien und Museen so praktiziert, man verkauft die sogenannten Time-Slots schon im Voraus. Und wenn der Andrang sehr gross ist – wie weiland im Rijksmuseum in Amsterdam – dann sind die Slots halt schon ganz früh weg, etliche haben dann halt Pech gehabt.

Es wird nun überlegt, ob man eine solche Kontingentierung auch bei Freibädern einführen könnte, damit alle Platz, alle Schwimmwasser, alle Spass und alle den Frieden haben. Und dass es nicht zu Szenen wie neulich in Neukölln kommt. Ein Japaner mag jetzt schmunzeln, in Tokio – Sie kennen vielleicht die Bilder – steht man ja einfach nur im Wasser, wir aber brauchen ein bisschen mehr Raum; nein, eine Kontingentierung wäre eventuell nicht schlecht, bei Corona liess man ja auch nur eine bestimmte Anzahl rein. Ich persönliche wäre als Abo-Inhaber eh dafür, nur noch Menschen mit Abo hineinzulassen, aber das steht auf einem anderen Blatt…

Wenn eine Schülerin oder ein Schüler mal frei nehmen möchte, zum Beispiel weil er oder sie am Abend vorher in ein Konzert geht, weil die Oma 80 wird, weil die Eltern heiraten, weil der Hund eingeschläfert wird oder was auch immer, dann steht eine gewisse Anzahl von Tagen, um das Konzert zu besuchen, um die Oma zu feiern, um Mama und Papa zu verheiraten oder das Tier zu verabschieden, zu Verfügung. Joker-Tage heisst das meistens. Auch dies eine sinnvolle Einrichtung. Und wenn ein ganz gewissenhafter Schüler, eine Musterschülerin merkt, dass er oder sie noch 7 Tage übrig hat, die man nicht verbrauchte, weil die Oma nicht feiern wollten, die Eltern schon getraut, Konzerte nicht anstanden und die Tiere gesund, dann geht man halt eine Woche shoppen, um die Joker-Tage nicht verfallen zu lassen.

Kontingente sind also toll. Nun kommen aber manche Leute auf finstere Ideen:
Könnte man zum Beispiel auch die Anzahl von Krankheitstagen einschränken?
Könnte man Versicherungsfälle kontingentieren?
Könnte man ein bestimmtes Kontingent von Flüchtlingen einführen?
Klare Antwort: Nein.

Joker-Tage kann man planen, Krankheit nicht. Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten nur 14 Fehltage Kontingent; und sie bekämen etwas Ekliges, Langwieriges, Dauerndes. Pfeiffersches Drüsenfieber. Oder Gürtelrose. Oder einfach eine Grippe, bei der das Fieber einfach nicht weg geht. Nach 2 Wochen müssten Sie sich halbtot und blass und leichenschwach zur Arbeit schleppen. Das geht ja gar nicht. Und wenn Sie Pfeiffersches Drüsenfieber UND Gürtelrose UND eine Grippe bekämen, dann wären Sie die Stelle los. Nein, Krankheitstage sind nicht kontingentierbar, weil sie nicht planbar sind. Zur Oma können Sie sagen: Bitte den Geburtstag am Sonntag feiern, ich habe keine Jokertage mehr, zum Virus kann man das nicht sagen.

Genauso ginge das nicht bei Schäden. Stellen Sie sich vor, Ihre Assekuranz würde Ihnen schreiben: «…ist leider unser Kontingent an Wasserschäden schon aufgebraucht…» und wie macht man es dann bei Feuersbrünsten? Wie bei Fluten? Das hätte zum Beispiel im Ahrtal bedeutet, dass nur die ersten 200 Familien ihren Hausrat ersetzt bekommen. Nein, ein Kontingent ist hier Quatsch.

Und genauso Quatsch ist die Idee, nur eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen. Herr Linnemann hat da etwas sehr, sehr, sehr, sehr missverstanden. Die Gesetze der zivilisierten Welt sehen vor, dass man Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt werden, die vor Kriegen flüchten aufnimmt. Und zwar – und das ist ausdrücklich so – egal wie viele das sind. Stellen Sie sich vor, Sie sind als Schwuler aus einem arabischen Staat geflüchtet, und Sie erreichen die Deutsche Grenze und dort bekommen Sie zu hören: «…nein, tut uns leid, das Kontingent ist leider aufgebraucht, wenn Sie gestern gekommen wären…» Noch netter wäre es natürlich, wenn man noch Detail-Kontingente nach Asylgrund und Herkunft aufstellen würde: «…schade, einen Regimegegner aus dem Iran können wir leider nicht mehr nehmen, da ist das Kontingent voll, wenn Sie eine Lesbe aus Saudi-Arabien wären…»

Nein. Wie Viren und Bakterien halten sich Kriege, Vertreibung, Genozid, Verfolgung, Angst und Terror nicht an Kontingente. Und genauso wenig kann man hier Anzahlen festlegen.
Besucherinnen und Besucher von Bädern oder Ausstellungen kann man kontingentieren. Flüchtlinge nicht. Joker-Tage kann man einschränken. Krankheitstage nicht.

Vielleicht hat Linnemann ein Problem: An dem Tag, an dem in seiner Jugend die Intelligenz verteilt wurde, kam er zu spät, weil sein Fahrrad eine Platten hatte. Und als er dann als Letzter in der Schlange endlich drankam, sagte man ihm: «Sorry, das Kontingent für Intelligenz ist aufgebraucht. Tut uns leid. Arzt oder Jurist oder Philologe geht jetzt nicht mehr. Aber vielleicht Politiker…»

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