Freitag, 24. Mai 2019

Die unbändige Lust, das Falsche zu tun



So habe ich mir am Montag den neuen Roman von Tommy Jaud gekauft, Der Löwe büllt, und das, nachdem ich letztes Jahr meine sämtlichen Jauds, Einen Scheiss Muss Ich, Überman, Hummeldumm, Millionär, Resturlaub und Vollidiot im Gartenbad St. Jakob in der Gratis-Freihand-Bibliothek ausgesetzt hatte. Tommy Jaud liest man nämlich kein zweites Mal und es ist auch kein Autor, der in die Sammlung eines Germanisten gehört. (Da ich alphabetisch ordne, steht Jaud neben Jelinek und sieht da aus wie eine Plastiktulpe neben einer botanisch seltenen und wertvollen Pflanze.) Dennoch bin ich am Montag hingegangen und habe mir den neuen Jaud gekauft. Die unbändige Lust das Falsche zu tun.

Die gleiche Lust, das gleiche Verlangen, der gleiche Trieb überkommt uns, wenn wir irgendwo in der Innerstadt etwas Warmes essen wollen und wir zwischen Burger King ® und MISTER WONG® schwanken. Aber warum schwanken wir? Rein ernährungstechnisch ist der Entscheid zwischen fettigen Hamburgern mit versalzenen latschigen Pommes und einem im Wok fein zubereiteten Curry doch völlig klar, aber dennoch streben wir manchmal zum Ami und bestellen einen Whopper und Fritten. Die unbändige Lust das Falsche zu tun.

Genauso ist es mit Einkäufen, wir wissen, dass uns das himmelblaue T-Shirt erstens von der Farbe her nicht steht und zweitens viel, viel, viel und nochmal viel zu eng sein wird. Und dennoch kaufen wir es, getrieben von jener Lust, angefeuert von Drüsen und Hormonen, und geben es, nachdem wir uns daheim 10 Minuten im Spiegel betrachtet und uns schlapp gelacht haben, in die Kleidersammlung. 

In keinem Buch ist die unbändige Lust das Falsche zu tun so schön beschrieben wie in Alte Meister von Thomas Bernhard. Die Hauptfigur Reger lädt dort den Ich-Erzähler Atzbacher in eine Vorstellung des Zerbrochenen Kruges ins Burgtheater ein, obwohl Reger immer seine Ablehnung sowohl gegen das Stück als auch gegen die Bühne kundgetan hat. Es sei, so Reger, eine verrückte Idee, eine harmlose Spinnerei, eine nicht zu verstehende Absurdität, und das Buch schliesst dann mit den Worten:
Tatsächlich bin ich mit Reger am Abend in das Burgtheater in den Zerbrochenen Krug gegangen.
Die Vorstellung war entsetzlich.

Nun werden Sie sagen, das sei doch alles nicht schlimm. Es schade niemand und sei nicht ungesetzlich, den neuen Tommy Jaud zu kaufen, einen Hamburger zu essen oder das falsche Shirt zu kaufen. Oder sogar sich Kleist im Burgtheater anzusehen.
Gewiss.
Gewiss.
Aber setzen wir die ganze Sache mal auf eine andere Ebene:

Wenn Sie das Angebot einer russischen Oligarchin erhalten, die für Aufträge Sie im Wahlkampf unterstützen will, dann sollten Sie ein gutes Neuroleptikum einnehmen, eines, das das Zittern im Körper wegnimmt und die Drüsen abstellt, eines, dass den Schweissausbruch verhindert und Sie wieder in den Normalzustand versetzt, eines, das die unbändige Lust das Falsche zu tun einfach stoppt. Und Sie sollten nicht nach Ibiza fliegen, es könnte das Ende Ihrer Karriere sein – und nebenbei auch noch eine Regierungskrise auslösen.

Und wenn Sie Präsident eines grossen Landes sind und eine sehr hübsche Praktikantin haben, dann sollten Sie genauso vorgehen, weil Sie wissen, dass Sie a) Ihre Frau betrügen, b) es auffliegen wird und c) eine Menge Ärger damit bekommen. Sie sollten jener Lust keinen Raum geben und sich eventuell sogar eine andere Praktikantin (oder einen Praktikanten) suchen.

Und wenn Sie Machthaber in Xenistan sind, das seit 15 Jahren mit Yolistan Krieg führt, und wenn Ihnen der Yolistanische Machthaber nun endlich ein vernünftiges Angebot macht, und wenn sogar die UN und die EU mit im Spiele sind, Sie aber die unbändige Lust haben, Yolistan weiter zu bombardieren und noch zwei weitere Städte auszuradieren, dann sollten Sie dieser Lust nicht nachgeben. Etliche tausend Menschen werden Ihnen dankbar sein.  

Manchmal hat man eine unbändige Lust das Falsche zu tun. Ich weiss nicht, woher dies kommt, welches Organ oder welche Drüse da im Spiele ist, auch die Psychologie hat sich noch wenig dazu geäussert, aber es gibt Momente, da wird man von dieser Lust gepackt, der Körper zittert und dann macht man etwas total Verrücktes, Absurdes, etwas Schwachsinniges und Blödes.

Der neue Jaud ist übrigens wieder einer von den besseren. Nicht so schlimm wie die vorigen.









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