So habe ich
mir am Montag den neuen Roman von Tommy Jaud gekauft, Der Löwe büllt, und das, nachdem ich letztes Jahr meine sämtlichen
Jauds, Einen Scheiss Muss Ich, Überman,
Hummeldumm, Millionär, Resturlaub und
Vollidiot im Gartenbad St. Jakob in der Gratis-Freihand-Bibliothek
ausgesetzt hatte. Tommy Jaud liest man nämlich kein zweites Mal und es ist auch
kein Autor, der in die Sammlung eines Germanisten gehört. (Da ich alphabetisch
ordne, steht Jaud neben Jelinek und sieht da aus wie eine Plastiktulpe neben
einer botanisch seltenen und wertvollen Pflanze.) Dennoch bin ich am Montag
hingegangen und habe mir den neuen Jaud gekauft. Die unbändige Lust das Falsche
zu tun.
Die gleiche
Lust, das gleiche Verlangen, der gleiche Trieb überkommt uns, wenn wir irgendwo
in der Innerstadt etwas Warmes essen wollen und wir zwischen Burger King ® und
MISTER WONG® schwanken. Aber warum schwanken wir? Rein ernährungstechnisch ist
der Entscheid zwischen fettigen Hamburgern mit versalzenen latschigen Pommes
und einem im Wok fein zubereiteten Curry doch völlig klar, aber dennoch streben
wir manchmal zum Ami und bestellen einen Whopper und Fritten. Die unbändige
Lust das Falsche zu tun.
Genauso ist
es mit Einkäufen, wir wissen, dass uns das himmelblaue T-Shirt erstens von der
Farbe her nicht steht und zweitens viel, viel, viel und nochmal viel zu eng
sein wird. Und dennoch kaufen wir es, getrieben von jener Lust, angefeuert von
Drüsen und Hormonen, und geben es, nachdem wir uns daheim 10 Minuten im Spiegel
betrachtet und uns schlapp gelacht haben, in die Kleidersammlung.
In keinem
Buch ist die unbändige Lust das Falsche zu tun so schön beschrieben wie in Alte Meister von Thomas Bernhard. Die
Hauptfigur Reger lädt dort den Ich-Erzähler Atzbacher in eine Vorstellung des Zerbrochenen Kruges ins Burgtheater ein,
obwohl Reger immer seine Ablehnung sowohl gegen das Stück als auch gegen die
Bühne kundgetan hat. Es sei, so Reger, eine verrückte Idee, eine harmlose
Spinnerei, eine nicht zu verstehende Absurdität, und das Buch schliesst dann
mit den Worten:
Tatsächlich bin ich mit Reger am Abend in
das Burgtheater in den Zerbrochenen Krug gegangen.
Die Vorstellung war entsetzlich.
Nun werden
Sie sagen, das sei doch alles nicht schlimm. Es schade niemand und sei nicht
ungesetzlich, den neuen Tommy Jaud zu kaufen, einen Hamburger zu essen oder das
falsche Shirt zu kaufen. Oder sogar sich Kleist im Burgtheater anzusehen.
Gewiss.
Gewiss.
Aber setzen
wir die ganze Sache mal auf eine andere Ebene:
Wenn Sie das
Angebot einer russischen Oligarchin erhalten, die für Aufträge Sie im Wahlkampf
unterstützen will, dann sollten Sie ein gutes Neuroleptikum einnehmen, eines,
das das Zittern im Körper wegnimmt und die Drüsen abstellt, eines, dass den
Schweissausbruch verhindert und Sie wieder in den Normalzustand versetzt, eines, das die unbändige Lust das Falsche zu tun einfach stoppt. Und Sie sollten nicht
nach Ibiza fliegen, es könnte das Ende Ihrer Karriere sein – und nebenbei auch
noch eine Regierungskrise auslösen.
Und wenn Sie
Präsident eines grossen Landes sind und eine sehr hübsche Praktikantin haben, dann
sollten Sie genauso vorgehen, weil Sie wissen, dass Sie a) Ihre Frau betrügen,
b) es auffliegen wird und c) eine Menge Ärger damit bekommen. Sie sollten jener
Lust keinen Raum geben und sich eventuell sogar eine andere Praktikantin (oder
einen Praktikanten) suchen.
Und wenn Sie
Machthaber in Xenistan sind, das seit 15 Jahren mit Yolistan Krieg führt, und
wenn Ihnen der Yolistanische Machthaber nun endlich ein vernünftiges Angebot
macht, und wenn sogar die UN und die EU mit im Spiele sind, Sie aber die unbändige
Lust haben, Yolistan weiter zu bombardieren und noch zwei weitere Städte
auszuradieren, dann sollten Sie dieser Lust nicht nachgeben. Etliche tausend
Menschen werden Ihnen dankbar sein.
Manchmal hat
man eine unbändige Lust das Falsche zu tun. Ich weiss nicht, woher dies kommt,
welches Organ oder welche Drüse da im Spiele ist, auch die Psychologie hat sich
noch wenig dazu geäussert, aber es gibt Momente, da wird man von dieser Lust
gepackt, der Körper zittert und dann macht man etwas total Verrücktes,
Absurdes, etwas Schwachsinniges und Blödes.
Der neue
Jaud ist übrigens wieder einer von den besseren. Nicht so schlimm wie die
vorigen.
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