Dienstag, 26. Mai 2020

Damnatio Memoriae bei Palmer und Kalbitz


„Ich habe gehört, Sie seien neulich in die SPD eingetreten?“
„Ja, aber nur aus geschäftlichen Gründen.“
„Wie das?“
„Wissen Sie, in einer Partei ergeben sich viele Kontakte, da lernt man Leute kennen und redet mit ihnen, da trifft man viele Menschen, und das ist fürs Geschäft nützlich.“
„Sie sind aber doch eigentlich eher konservativ?“
„Ja, das führt zu endlosen Debatten und Streitereien auf den Versammlungen.“
„Und wie gehen dann die Geschäfte?“
„Entsprechend mies.“

Diesen entzückenden Dialog fand ich in einem uralten MAD-Heft.

Tja, Partei und Parteimitgliedschaft sind so eine Sache. Oft ist man in der verkehrten Partei, oder man ist in der richtigen – nach eigener Ansicht – nur will die Partei nicht begreifen, dass MEINE Linie eigentlich die richtige Parteilinie wäre; dann kommt es aber auch vor, dass man als Schwarzes Schaf, als Enfant terrible, als Querdenker, Querredner, dass man als Querulant und Rebell der Partei irgendwo nützt und Stimmen bringt. Und dann gibt es noch den Fall, dass die Partei selbst zerstritten ist und der eine Teil einen vergöttert und der andere einen lieber loswerden will…

Tja, tja, tja, und manchmal bräuchte es da halt einen Rauswurf. Und das ist komischerweise gar nicht so einfach. Manche Partei beisst sich an den Querdenkern, Querulanten, an den Enfants terribles, den Schwarzen Schafen, an den Rebellen und Revoluzzern die Zähne aus. So ist der verhasste Thilo Sarrazin offiziell immer noch SPD-Mitglied, das Verfahren ist immer noch hängig und der Ausschluss nichts rechtskräftig.

Die BW-GRÜNEN haben es richtig gemacht: Einstimmiger Beschluss, den ungeliebten Boris Palmer, den Obsthändler-Oberbürgermeister von Tübingen zum Austritt aufzufordern. Er geht zwar nicht, aber die Partei hat ihre Meinung klar gesagt: Du gehörst mit deinen blöden Sprüchen nicht mehr zu uns, aber wenn du unbedingt bleiben möchtest, dann bleib halt. Sei so wie ein Partygast, der nicht gehen will, obwohl es schon 1.00 ist und die Gastgeberin schon ihre Feuchtigskeitsmaske draufhat, bleib, ohne Getränk und ohne Häppchen, ohne Gesprächspartner und ohne Unterhaltung.
Die AfD hat es falsch gemacht: Mit 7 zu 5 Stimmen jemand auszuschliessen, jemand, der in seinem Landesverband extreme Rückendeckung hat, und dann sich auf einen Zettel berufen, den man gar nicht mehr in den Fingern hat, das ist sehr, sehr, sehr, sehr dumm…   

Vorbild kann hier der Genosse Stalin sein. Der gute Josef Wissarionowitsch hat hier ein System entwickelt um allen Querdenkern, Quersagern, allen Rebellen und Nörglern, um allen Enfants Noirs und Furchtbaren Schafen, allen Unliebsamen, Ungeliebten und Nurgeduldeten zu zeigen, wo der Barthel den Most holt. Wie der Hase läuft. Wie die Sache geht. Ein für alle Mal.
Stalin praktizierte in zwei Schritten:
Erstens: Die Liquidierung.
Zweitens: Die Damnatio Memoriae.
Die betreffende Person wurde also nicht einfach aus der Partei ausgeschlossen, sie wurde auch daran gehindert, wieder neu einzutreten – Tote tragen nicht nur keine Karos, sie können auch keinen Aufnahmeantrag stellen. Wenn nun ein Aus-Schuss über den Genossen verhandelte und der Aus-Schuss einen Aus-Sch(l)uss besch(l)oss, dann war man ja schon ziemlich nahe am Schiessen; und so konnten viele Kinder und Witwen, viele Verwandte, Anhänger und Freunde sagen: „Vor vier Jahren wurde mein Vater/Mann/Bruder/Onkel/Genosse/Freund/Mentor/Kollege aus der KPDSU aus-geschossen.“

Nein.
Halt.
Stopp.
Konnten Sie eben nicht. Denn den Vater/Mann/Bruder/Onkel/Genossen/Freund/Mentor/Kollegen hatte es nie gegeben. Seine Geburtsurkunde unauffindbar. Aus Listen gelöscht. Auf Fotos nicht mehr drauf – und nur Lupen hätten hier Kratzspuren erkennen können, Josef Wissarionowitsch hatte die besten Retuschierer der Welt, und bei Filmdokumenten kam witzigerweise immer so ein blöder Wachsoldat vor die Kamera, wenn man den Vater oder Mann oder Vetter oder Paten oder Genossen oder Kameraden oder Kollegen hätte sehen können…

So muss man es machen. Tötet Boris Palmer, liebe BW-GRÜNEN. Tötet Andreas Kalbitz, liebe AfD. Und dann delete, löschen, in den Papierkorb, so dass, wenn in zwei Jahren jemand den Namen erwähnt, man einfach sagen kann: „Einen Menschen mit diesem Namen gab es nie bei uns.“
Aber nochmal stopp. Halt.
Ich glaube, eine richtige Damnatio Memoriae ist in unseren globalisierten und vernetzten Zeiten, in Zeiten von Google und Facebook, in der Epoche des Internets gar nicht mehr möglich. Die Spuren eines Politikers haben sich so weit verzweigt, dass die Existenz nicht mehr zu leugnen ist.

Übrigens eigentlich – trotz allem Datenklau und aller Überwachung – eine beruhigende Idee: Meine Existenz kann niemand ernsthaft leugnen, es finden sich Spuren, Bilder, Filme, es finden sich Dokumente und Dateien, die zeigen: Diesen Rolf Herter hat es doch gegeben. Das ist die angenehme Kehrseite einer sehr hässlichen Medaille.

„Sie sind aber doch eigentlich eher konservativ?“
„Ja, das führt zu endlosen Debatten und Streitereien auf den Versammlungen.“

Was aber nun machen mit solchen Streitern und Debattierern?
Lassen.
Denn Ausschlussverfahren ist mega-kompliziert.
Liquidieren geht zwar, ist aber in Mitteleuropa – das vergass ich oben zu erwähnen – dummerweise strafbar.
Und eine vernünftige Damnatio Memoriae ist nicht zu schaffen.  


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