Freitag, 15. Mai 2020

"Ranziger" Post 2: Mein neues Portemonnaie (geschrieben am 15.3.2020)


Liebe Leserinnen und Leser

Ich weiss nicht, ob Sie das interessiert, wahrscheinlich interessiert Sie das nicht, oder vielleicht doch, aber ich schreibe es auf jeden Fall: 
Ich habe ein neues Portemonnaie.

Jetzt fragen Sie sich sicher, warum, man fragt ja immer warum, warum ist die Banane krumm und warum schauen sich Leute das Dschungelcamp an und warum wählen Menschen Trump und so weiter, aber hier ist die Antwort ganz klar und auf der Hand: Das alte war einfach kaputt und zerschlissen und nicht mehr brauchbar. Sie kennen das vielleicht, irgendwann ist das Material im Münzenfach so aufgerissen, dass die kleinen Münzen anfangen sich in den Falten zu verstecken. Auf jeden Fall war ich lange auf der Suche, und am Samstag wurde ich fündig!

Mein neuer Geldbeutel – man beachte, wie geschickt ich hier mit Synonymen umgehe – ist aus dem Laden im Missionshaus Basel und wurde in Indien von korrekt bezahlten Arbeitskräften aus Lederabfällen hergestellt, er hat dadurch eine aussergewöhnliche Farbzusammenstellung, die aber aufreizend schön ist. Zudem erfüllt er alle Bedingungen, die sich der aufgeklärte Käufer wünscht:
Er ist Fairtrade.
Er ist ökologisch.
Er ist ein Unikat.
Er ist formschön, praktisch und vorzeigbar.
Und er war mit 56.- absolut bezahlbar.

So weit, so gut.
Aber nun meldet sich jene Stimme, die immer meckert und immer motzt, die Stimme, die man so gerne als „Kleinen Mann im Ohr“ bezeichnet. Und der Kmio (wir kürzen ihn jetzt mal so ab) fängt bösartig an zu fragen und es entspinnt sich ein heftiger Disput zischen uns.  
„Wie ist denn das Unikat-Öko-Fairtrade-Portemonnaie nach Basel gekommen?“
„Weiss ich nicht, sei ruhig.“
„Ich bin nicht ruhig, ich will nur wissen, ob hier beim Transport…“
„Es kam mit dem Schiff.“
„Das glaubst du selber nicht, das kannst du dem Storch und dem Fuchs oder deiner Grossmutter oder deiner Grosstante erzählen, das Ding kam mit dem Flugzeug.“
„Und wenn schon.“
„Und wenn schon? Wo lebst du? Der Geldbeutel hat bei seinem Weg ans Rheinknie CO2 verbraucht.“
„Und wenn schon.“
„Na, du bist halt ein Typ, dem alles egal ist.“

Sie sehen, meine lieben Lesenden, es ist gar nicht so einfach. Man will irgendwie alles richtig machen, aber alles richtig machen geht fast nicht. Man will ein ökologisches Produkt, das mit fairen Löhnen in Ländern produziert wurde, die diesen Fairtrade brauchen, und dann soll das Produkt auch noch auf CO2-neutralem Weg hierhergekommen sein. 

Genauso ist es doch auch mit Corona:
Man will die Ausbreitung des Virus verhindern.
Man will so wenig wie möglich Neuansteckungen.
Man will aber die Wirtschaft nicht total schädigen.
Man will nicht Leute in die Armut stürzen.
Man will eigentlich alles aufs Mal, aber dann merkt man, dass das nicht geht.
Und so hat man sich zähneknirschend, hat sich widerwillig entschieden, hat schweren Herzens und schweren Kopfes eine Entscheidung getroffen, und diese Entscheidung war richtig. Das Virus muss gestoppt werden, damit es im Mai nicht alle gleichzeitig erreicht und die Spitäler überschwemmt. Obwohl es für viele Leute ganz herbe Einbussen bringt.

Man muss sich entscheiden, man bekommt nie den Fünfer UND das Weggli, man kann nicht alles haben, man bekommt nicht – so sagen die Engländer – das sprechende Pferd.

Ich weiss nicht, ob Sie das interessiert, aber: Ich habe ein neues Portemonnaie.
Mein neuer Geldbeutel – ich bin der Synonym-König! – erfüllt alle Bedingungen, die sich der aufgeklärte Käufer wünscht:
Er ist Fairtrade.
Er ist ökologisch.
Er ist ein Unikat.
Er ist formschön, praktisch und vorzeigbar.
Und er war mit 56.- absolut bezahlbar.

Aber er hat auf seinem Weg nach Basel CO2 produziert, ich nehme wirklich nicht an, dass er mit dem Velo, zu Fuss, dass er mit der Bahn oder mit dem Schiff kam,
Aber das muss ich halt in Kauf nehmen.




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