Freitag, 22. Mai 2020

Ein Schild am Bahnhof: "Berlin"


Bahnanzeigetafeln haben ja etwas Faszinierendes. Meistens ärgern wir uns nur über die Hinweise wie „Verspätung ca. 60 Minuten“ oder „fällt aus“ oder „verkehrt in umgekehrter Wagenreihung“, aber eigentlich sind das ganz tolle Dinger. In der Sammlung Boros in Berlin – ja, die von dem reichen Ehepaar im Bunker in Berlin-Mitte – hängt eine Tafel mit Klappelementen, die aber vollständig schwarz ist und bleibt. Immer wieder hört man das Klapp-Klipp-Klapp-Klipp, wenn normalerweise ein Zug angekündigt würde, und die Klappen klappen auch, aber die Anzeige bleibt schwarz. Meine Mitbesucher fanden das irrsinnig komisch, auch ästhetisch, ich fand es vor allem deprimierend. So nach dem Motto: Es geht nirgendwo hin. Oder:
Das isch ds lied
vo de bahnhöf wo dr zug
geng scho abgfahren isch
oder no nid isch cho
und es stöh
lüt im rägemantel dert und tue warte
(Mani Matter)

Immer, wenn die S-Bahn nach Laufen abgefahren ist, erscheint auf der Tafel auf Gleis 15 des Bahnhofs Basel SBB ein fast leeres Schild, aber nur fast:



                                                           Berlin






Ist das nicht ein wunderbares, ein wunderschönes, ist das nicht ein herrliches, ein tröstendes und erheiterndes, ein frohmachendes, glänzendes, treffendes Signal? Es wird ein Zug nach Berlin fahren. Irgendwann werden wieder Züge nach Berlin fahren. Übrigens auch nach Hamburg, nach Bremen, nach Köln und Dortmund, nach München oder Frankfurt.
Irgendwann gibt es einen Zug nach Berlin.

Wir wissen noch nicht, ob es ein ICE oder ein IC oder ein Bummler sein wird.
Wir wissen noch nicht, ob er um 5.23 oder 7.58 oder um 12.50 oder gar erst um 17.45 fahren wird.
Wir wissen nicht, welche Strecke er nehmen wird, ob er sich die Nordschleife genehmigen und dann über Spandau in die Mitte der deutschen Bundeshauptstadt kommen oder ob er sich von Süden anpirschen und dann über Wannsee fahren wird.
Aber irgendwann wird ein Zug nach Berlin fahren.

Jeden Morgen starre ich auf dieses Schild, wenn ich noch einen Kaffee trinke und eine Zigarette rauche, denn mein Zug fährt auf Gleis 14 um 6.03, und zwar Richtung Biel, jeden Morgen lese ich also:




                                                           Berlin




Könnte das nicht auch ein Fehler sein? Wir vermuten ja immer Fehler, wenn die Restaurantrechnung sehr hoch ist, dann hat sich sicher der Kellner verrechnet, und wenn wir zu viel geheizt haben, dann hat der Ableser falsch abgelesen, wenn uns eine Chorstimme unsingbar erscheint, dann ist das sicher ein Druckfehler, immer vermuten wir einen Fehler, aber ich bin mir sicher der Hinweis ist keiner. Man liest ja öfters mal solche Hinweise wie Freiburg – Mannheim – Moskau – Frankfurt – Hamburg und denkt, das ist ein lustiger Fehler. Ein Freund von mir stieg 1975 in einen solchen Zug und galt hernach als verschollen. Im Frühjahr 1998 kehrte er zurück. Sein IC war wirklich in Mannheim nach Osten abgebogen und er war in Moskau gelandet, von Milizen zum Parteieintritt gezwungen worden und hatte bis zur Perestroika in Novosibirsk als Kulturbeauftragter der KPDSU gedient und geamtet. Nach Glasnost war er mit den demokratischeren Strukturen nicht zurechtgekommen und hatte sich ein Ticket heimwärts besorgt.  

Ein Zug nach Berlin. Was werden wir dort machen?
Die meisten Museen öffnen ja gerade wieder, auch Kaffee trinken am Kudamm oder Weisse mit Schuss in einem Ausflugslokal an der Havel ist wieder drin. Auch Shoppen kann man, wenn auch mit Abstand, Abstand, Abstand. Theater und Konzerte, ja, das muss noch warten, aber auch das wird sicher wieder irgendwann gehen. Immerhin darf Hertha BSC wieder spielen, warum dann nicht auch das BE oder das Deutsche Theater? Fragt man sich.
Der Wannsee ist offen und der Spandauer See und der Müggelsee. Und die Krumme Lanke. Die alle waren übrigens nie zu, nur im März zu kalt.

Immer, wenn die S-Bahn ins Laufental weg ist, erscheint auf der Tafel auf Gleis 15 ein fast leeres Schild:



                                                           Berlin




Ein wunderbares, ein wunderschönes, ein tröstendes und erheiterndes, ein frohmachendes Signal. Es wird ein Zug nach Berlin fahren. Irgendwann werden wieder Züge nach Berlin fahren.

P.S. Die Story mit dem KPDSUler ist erfunden.
P.P.S. Die Tafel auf Gl. 15 nicht, die gibt es wirklich
P.P.P.S. Die (extrem und absolut und ganz sehr) sehenswerte Sammlung Boros ist seit 7. Mai wieder offen.



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