Schwieriger wird es, wenn man sein grosses Vorbild zu Themen befragen muss, die es nicht behandeln konnte. Schlicht und einfach, weil es die Dinge nicht gab. Was sagt Lenin zum Internet? Eine Schrift «Über das Weltweite Netz» existiert nicht. Soll man hier «Über die Bibliotheken» (Werke XXXXXVII, Seiten 1345-4536) befragen? Oder eher «Über das Theater» (Werke XXXXXXXXXXIX, Seiten 2345-7038)? Oder vielleicht «Über den Dialog (Werke XXXXXXVIII, Seiten 2345-6453)? Wahrscheinlich wird ein MLer sich aus allen dreien etwas aussuchen und dann interpolieren. Heikel wird es dann, wenn behauptet wird, Lenin HABE zum Internet dies und das geschrieben. Denn es ist ja nur der Versuch, aus seinen Ideen herauszulesen, was er zum WWW gesagt haben KÖNNTE.
Sehen Sie,
und genauso geht es mit allen Geistesgrössen und Themen des 21. Jahrhunderts.
Steiner hat
nichts zum Fernsehen gesagt.Paulus hat nichts zur Empfängnisverhütung gesagt.
Und Mohammed hat nichts zum schulischen Händegeben gesagt.
Sie glauben
mir nicht? Sie meinen wirklich, der gute Rudi habe dezidiert den Besitz und
Gebrauch eines Flimmerkastens verboten? Er hat sich 1925 in die Welt des
Ewiggeistigen davongemacht, um sich auf seine nächste Reinkarnation
vorzubereiten. (Vorher war er übrigens nach eigenen Angaben Zarathustra…) Nein,
vor dem 2. Weltkrieg konnte von TV-Glotze nicht die Rede sein. Alles zum Thema
ARD, ZDF und RTL sind Interpolationen. Es mag sein, dass es im Geiste Steiners
ist, keinen Fernseher zu haben, aber muss man es zum Dogma machen? Ich habe
übrigens auch keinen Fernseher, nicht, weil ich Anthroposoph bin, sondern weil
es einfach sinnvoll ist. (Oder gibt es zurzeit eine Sendung, die man nicht
verpassen sollte? Wenn ja, sagen Sie mir es! Ok, die EM, aber wegen ein paar
Spielen alle zwei Jahre werde ich mir doch keine Glotze anschaffen.))
Sie meinen
auch der Apostel habe in 2. Korinther 3, 14 oder Römer 6, 7 dargelegt, keine
Kondome zu benutzen? In der damaligen Welt war es ein Problem, KEINE Kinder zu
bekommen, nicht umgekehrt. Kinder waren eine Altersversorgung, und so war die
Katastrophe NICHT schwanger zu werden – «der Herr hatte ihren Leib
verschlossen» – und nicht, schwanger zu werden. Kein Paar hätte eine
Einkindpolitik betrieben, hätte nach dem ersten Spross verhütet, denn die
Sterblichkeit bei den kleinen Würmern war hoch und eine Frau, die kinderlos
Witwe wurde, konnte gleich ins Armenhaus ziehen, oder hätte gekonnt, wenn es
das schon gegeben hätte. Ausserdem spürten die Damen den Mittelschmerz, wussten
also ganz genau, wann Sache war – aber setzten das eben ein, um schwanger zu
WERDEN.
Was sagt der
Prophet zum Thema «Der Lehrerin Hand geben»? Natürlich nix. Also – nehme ich
an, ich kenne den Koran zu wenig. Aber das Thema kocht ja immer noch, es kocht
und schäumt sogar so hoch, dass deutsche Medien über den Fall in Therwil (BL)
berichteten, und deutsche Medien ignorieren das südliche Nachbarland sonst
konstant, wenn nicht gerade ein Tunnel eingeweiht wird, durch den ja auch
Teutonen (warum eigentlich?) fahren dürfen. Die beiden Burschen, die das
Händchen immer noch nicht geben und denen jetzt ein Bussgeld droht, berufen
sich auf eine Sure, in der es heisst, man dürfe keine Frauen (ausser der
eigenen) anfassen. Es gibt aber auch bestimmt eine Koranstelle, in der gesagt
wird, man müsse Respektspersonen auch Respekt erweisen. Ich kann mir beim
besten Willen nicht vorstellen, dass der Prophet schrieb: «Allen Lehrern,
Imamen, Amtsträgern und Kalifen zollt niemals Respekt, Allah will das nicht.»
Eine Stelle
über WEIBLICHE Respektspersonen gibt es sicher nicht, weil es WEIBLICHE
Respektspersonen nicht gab.
Aber bei uns
gibt es sie.
Wir sehen,
dass die Berufung auf einen alten Stifter bei aktuellen Themen immer
schiefläuft. Darum meine Idee: Kann man die Sache nicht umdrehen? Also fragen:
Verbietet
Lenin ausdrücklich das Internet?Verbietet Steiner ausdrücklich das Fernsehen?
Verbietet Paulus ausdrücklich die Verhütung?
Verbietet Mohammed ausdrücklich den Repektshandschlag?
Na also.
Verbietet eigentlich Buddha ausdrücklich Kaffee?
Kann er natürlich nicht, die Kaffeebohne war im damaligen Indien nicht bekannt.
Aber warum gibt es dann in Buddhistischen Camps keinen Espresso und Ristretto? (Behauptet zumindest die Dörrie, ich war noch nie in einem.)
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