Freitag, 10. Juni 2016

Lenin und das Internet / Mohammed und der Handschlag

Der grosse Lenin hat zu allen Themen wichtige Schriften hinterlassen. In seinem gefühlte 10.000.000 Seiten grossen Werk nimmt der gute Bolschewikenführer zu praktisch allem Stellung, was den sozialistischen Alltag betreffen könnte: Küche, Kirche, Hausbau und Architektur, Lesen, Schreiben, Sport, Eisenbahn und Masturbation, Ackerbau und Brettspiele. Ein gläubiger MLer kann nun stets beim grossen Lenin nachschlagen, wenn ihn eine Sorge quält, Lenin weiss Antwort. Darf ein Sozialist Mühle spielen? Schlag nach bei Lenin! (Die Antwort ist vermutlich nein, Verbot des Formalismus, anders sieht es bei Schach aus, da werden ja wirklich Schlachten geschlagen…) Darf ein Sozialist sich selbst befriedigen? Schlag nach bei Lenin! (Antwort vermutlich nein, so verbittert und lustlos wie Marxisten sind, aber genau weiss ich das auch nicht…)
Schwieriger wird es, wenn man sein grosses Vorbild zu Themen befragen muss, die es nicht behandeln konnte. Schlicht und einfach, weil es die Dinge nicht gab. Was sagt Lenin zum Internet? Eine Schrift «Über das Weltweite Netz» existiert nicht. Soll man hier «Über die Bibliotheken» (Werke XXXXXVII, Seiten 1345-4536) befragen? Oder eher «Über das Theater» (Werke XXXXXXXXXXIX, Seiten 2345-7038)? Oder vielleicht «Über den Dialog (Werke XXXXXXVIII, Seiten 2345-6453)? Wahrscheinlich wird ein MLer sich aus allen dreien etwas aussuchen und dann interpolieren. Heikel wird es dann, wenn behauptet wird, Lenin HABE zum Internet dies und das geschrieben. Denn es ist ja nur der Versuch, aus seinen Ideen herauszulesen, was er zum WWW gesagt haben KÖNNTE.

Sehen Sie, und genauso geht es mit allen Geistesgrössen und Themen des 21. Jahrhunderts.
Steiner hat nichts zum Fernsehen gesagt.
Paulus hat nichts zur Empfängnisverhütung gesagt.
Und Mohammed hat nichts zum schulischen Händegeben gesagt.

Sie glauben mir nicht? Sie meinen wirklich, der gute Rudi habe dezidiert den Besitz und Gebrauch eines Flimmerkastens verboten? Er hat sich 1925 in die Welt des Ewiggeistigen davongemacht, um sich auf seine nächste Reinkarnation vorzubereiten. (Vorher war er übrigens nach eigenen Angaben Zarathustra…) Nein, vor dem 2. Weltkrieg konnte von TV-Glotze nicht die Rede sein. Alles zum Thema ARD, ZDF und RTL sind Interpolationen. Es mag sein, dass es im Geiste Steiners ist, keinen Fernseher zu haben, aber muss man es zum Dogma machen? Ich habe übrigens auch keinen Fernseher, nicht, weil ich Anthroposoph bin, sondern weil es einfach sinnvoll ist. (Oder gibt es zurzeit eine Sendung, die man nicht verpassen sollte? Wenn ja, sagen Sie mir es! Ok, die EM, aber wegen ein paar Spielen alle zwei Jahre werde ich mir doch keine Glotze anschaffen.))

Sie meinen auch der Apostel habe in 2. Korinther 3, 14 oder Römer 6, 7 dargelegt, keine Kondome zu benutzen? In der damaligen Welt war es ein Problem, KEINE Kinder zu bekommen, nicht umgekehrt. Kinder waren eine Altersversorgung, und so war die Katastrophe NICHT schwanger zu werden – «der Herr hatte ihren Leib verschlossen» – und nicht, schwanger zu werden. Kein Paar hätte eine Einkindpolitik betrieben, hätte nach dem ersten Spross verhütet, denn die Sterblichkeit bei den kleinen Würmern war hoch und eine Frau, die kinderlos Witwe wurde, konnte gleich ins Armenhaus ziehen, oder hätte gekonnt, wenn es das schon gegeben hätte. Ausserdem spürten die Damen den Mittelschmerz, wussten also ganz genau, wann Sache war – aber setzten das eben ein, um schwanger zu WERDEN.

Was sagt der Prophet zum Thema «Der Lehrerin Hand geben»? Natürlich nix. Also – nehme ich an, ich kenne den Koran zu wenig. Aber das Thema kocht ja immer noch, es kocht und schäumt sogar so hoch, dass deutsche Medien über den Fall in Therwil (BL) berichteten, und deutsche Medien ignorieren das südliche Nachbarland sonst konstant, wenn nicht gerade ein Tunnel eingeweiht wird, durch den ja auch Teutonen (warum eigentlich?) fahren dürfen. Die beiden Burschen, die das Händchen immer noch nicht geben und denen jetzt ein Bussgeld droht, berufen sich auf eine Sure, in der es heisst, man dürfe keine Frauen (ausser der eigenen) anfassen. Es gibt aber auch bestimmt eine Koranstelle, in der gesagt wird, man müsse Respektspersonen auch Respekt erweisen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Prophet schrieb: «Allen Lehrern, Imamen, Amtsträgern und Kalifen zollt niemals Respekt, Allah will das nicht.»
Eine Stelle über WEIBLICHE Respektspersonen gibt es sicher nicht, weil es WEIBLICHE Respektspersonen nicht gab.

Aber bei uns gibt es sie.

Wir sehen, dass die Berufung auf einen alten Stifter bei aktuellen Themen immer schiefläuft. Darum meine Idee: Kann man die Sache nicht umdrehen? Also fragen:
Verbietet Lenin ausdrücklich das Internet?
Verbietet Steiner ausdrücklich das Fernsehen?
Verbietet Paulus ausdrücklich die Verhütung?
Verbietet Mohammed ausdrücklich den Repektshandschlag?
Na also.

Verbietet eigentlich Buddha ausdrücklich Kaffee?
Kann er natürlich nicht, die Kaffeebohne war im damaligen Indien nicht bekannt.
Aber warum gibt es dann in Buddhistischen Camps keinen Espresso und Ristretto? (Behauptet zumindest die Dörrie, ich war noch nie in einem.)




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