Wenn ich
neue Noten bekomme, die kein gebundenes Buch sind und keine geheftete
Broschüre, wenn ich einen Stapel ausdrucke, oder wenn ich eine Partitur
grosskopiert habe, dann gibt es ein erstes, fröhliches Ritual: Das Kleben. Ich
setze mich an meinen Schreibtisch, lege Blatt neben Blatt und klebe jeweils,
zwei Seiten verbindend, einen Streifen jener genialen Sache, die der Schweizer
simpel als «Klebstreifen», der Deutsche nach dem am häufigsten verwendeten
Produkt «Tesafilm» nennt. (Man nennt das übrigens – verzeihen Sie mir die
Klugscheisserei – generische Markennamen oder Deonyme.) Während des Klebens höre
ich meist ein wenig Radio, und nach kurzer Zeit habe ich ein kleines feines
Büchlein.
Dieses
Kleberitual habe ich mir angewöhnt, nachdem ich verschiedene Erfahrungen mit
anderen Zusammenhaltetechniken bzw. Nicht- Zusammenhaltetechniken gemacht habe,
die sich allesamt als nicht brauchbar erwiesen haben.
Es wäre z.
B. viel schneller, einfach das zu tun, was nun witzigerweise der Schweizer
meinungsmonopolisierend als «bostitchen», der Deutsche als «heften» oder
«tackern» bezeichnet, also den ganzen Stapel unter so ein Gerät legen, drauf
hauen und gut ist, aber die Broschüre lässt sich dann nicht mehr blättern,
jedenfalls nicht, wenn man sie nicht in der Hand hält sondern vor sich hat,
also total unpraktisch zum Dirigieren oder Klavier spielen.
Sehr
professionell sieht auch die Variante «Ordner mit Ringbindung und Zeigetaschen»
aus, hier könnte man sogar einzelne Elemente rausnehmen, z.B. wenn der 3. Satz
nicht musiziert wird, aber wehe! wehe! wehe! wenn Sie im Konzert so sitzen oder
stehen, dass ein Scheinwerferlicht auf die spiegelnde Zeigetasche fällt, sie
sehen nichts mehr.
Und die
Blätter einfach weiterschieben? Ich habe das einmal gemacht. Nein, das muss ich
jetzt anders schreiben: Ich habe das EINMAL gemacht, EINMAL und nie wieder. Es
war bei einem Konzert der Knabenkantorei Basel in der Kathedrale in Genf und
ich traktierte die Chororgel. Ein barockes Stück, bei dem ich das Continuo
spielte, hatte 9 Seiten, die ich hintereinandergelegt hatte und einfach jeweils
nach links schob. Beat Raaflaub, der damalige Dirigent, gab den Einsatz und da
durchzuckte mich der Gedanke:
Liegen die
Blätter in der richtigen Reihenfolge?
Der Schweiss
begann, an meinem Rücken entlang zu rinnen, meine Hände zitterten und bei jedem
gesungenen Takt mahlte es in meinem Kopf:
Liegen die
Blätter in der richtigen Reihenfolge?
Wenn es
nicht so gewesen wäre, hätte ich keine Chance gehabt, aber natürlich waren die
Seiten geordnet. Aber den Stress tut man sich nur einmal im Leben an.
Der
Klebstreifen also.
Der
Tesafilm.
1935 von der
Firma Beiersdorf als Beiersdorf-Kautschuk-Klebefilm auf den Markt
gebracht und zunächst nicht erfolgreich, bis man ihm den griffigen Namen TESA
gab, erfunden übrigens von der Kontoristin Elsa Tesmer, die für einen
firmeneigenen Markennamenwettbewerb einfach ihren eigenen Namen verwurstelte.
Der
Klebstreifen, der Tesafilm, der TIXO (wir müssen die Österreicher doch nun auch
noch ins Boot nehmen) ist eines der nützlichen Dinge, die allerdings genauso
oft gebraucht wie missbraucht werden. So selbstverständlich wie man bestimmte
Dinge mit Tesafilm verbinden sollte, sollte er bei anderen Sachen draussen
bleiben.
Bilder
aufhängen zum Beispiel.
Im 1993 erschienenen
Roman Der Mann, der es wert ist schildert die Autorin Eva Heller, wie
ein Hotel eingerichtet wird. Als man feststellt, dass die Lobby noch sehr kahl
aussieht, annonciert man die Möglichkeit, dass Künstlerinnen und Künstler dort
Bilder ausstellen können. Und nun erscheinen die skurrilsten Gestalten, unter
anderem eine Öko-Mutter, die ihre Tochter mit Fingerfarben auf Packpapier
patschen liess. Auf die (ironisch gemeinte) Frage nach der Hängung antwortet
sie: «Einfach mit Tesafilm an die Wände. Das sieht lustig aus.» Hier muss man
als Leserin oder Leser natürlich schmunzeln – oder sich schütteln. Es sieht
nicht lustig aus. Es ist nur schräg.
Nein, ein
Tesafilm ist keine Hängeoption für Kunst, es sei denn, man heisst Maurizio
Cattelan, ist ein berühmter Künstler und klebt eine Banane mit einem – immerhin
nicht normalen Tesafilm, sondern – silbrigen Faserband an die Wand, dann ist
das 120.000.- wert.
Ebenso wenig
wie Bilder mit Klebstreifen an Wänden befestigt werden sollten, sollte man die
Tesas für Reparaturen verwenden. «Hausfrauenleim» sagte man – etwas
frauenfeindlich – früher und meinte damit, dass Geräte und Apparate, die
gewisse Risse und Beschädigungen aufwiesen, einfach mit Streifen jener Bänder
zugeklebt wurden. Mir wird schwindlig, wenn ich daran denke, wie viele
Schranktüren ich aufgemacht, wie viele Lampen ich angeschaltet, wie viele Haken
ich angefasst, mir wird übel, wenn ich mir vorstelle, wie viele Bohrer,
Haushaltsmaschinen, Föns und Rasierapparate ich angelangt habe, bei denen nur ein
paar dünne Tesafilms das Ganze noch hielten.
Nein, eine
Reparaturmöglichkeit ist der Klebstreifen nicht, da ist zu viel Gefahr drin.
Immer, wenn
ich neue Noten bekomme, wenn ich einen Stapel ausdrucke, wenn ich eine Partitur
grosskopiert habe, dann gibt es ein fröhliches und feierliches Ritual: Das
Kleben. Ich setze mich an meinen Tisch, lege die Blätter hin und klebe.
Und bin
dankbar, dass die Firma Beiersdorf jene geniale Sache erfunden hat, die der
Deutsche Tesafilm, der Schweizer Klebstreifen und der Österreicher Tixo nennt.
Man muss sie
nur für die richtigen Angelegenheiten verwenden.
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