Dienstag, 3. Dezember 2019

An ideensprudelnden Tagen NICHT TWITTERN!


Es gibt Tage, da wache ich auf und strotze schon vor Ideen. Schon vor dem ersten Schluck Kaffee quellen sie aus mir hervor, ich scheine vor Ideen förmlich zu platzen, sie dringen mir aus Nase und Ohren und ich fühle mich wie eine Bombe, ein Knallkörper, aber nicht mit TNT, sondern mit Ideen gefüllt. Ich bin so zum Bersten voll, dass ich durch die Räume jage und wie die Angestellten bei Böll «Es muss etwas geschehen!» und «Es wird etwas geschehen!» schreie.

Manchmal gelingt es mir dann, die Ideen beiseite zu schieben und die ungeheure Energie für etwas Sinnvolles zu putzen, ich putze dann meine Wohnung oder giesse meine Pflanzen, ich backe einen Kuchen oder schreibe einen Post; gelingt das nicht, muss ich alle meine Ideen aufschreiben und sie sichten, es sind ja so viele, einige künstlerische, einige technische, einige zur Weltrettung
Und dann steht da auf dem Zettel:

Romanidee: Mann verliebt sich in vergebene Frau und erschiesst sich
Romanidee: Ich-Erzähler stirbt am Anfang
Romanidee: Mann meint, er sei Ritter
Bild malen, alles weiss
Bild malen unter Wasser
Verschlussmöglichkeit mit zwei sich verzahnenden Streifen
Wassergenerator, der das Wasser wieder hochpumpt usw.
Tele-Odon / Fernriecher
Palästinenser als Hüter der Sicherheitszone in Nordsyrien
Organisation, wo sich alle Länder treffen

Und dann mache ich mir erst einmal einen Kaffee und rauche eine Zigarette (oder zwei Kaffees und zwei Zigaretten, obwohl ich weiss, wie ungesund das ist…) und gehe die Notizen noch einmal durch. Ich komme stets auf zwei Gruppen, die eine heisst die Gibt’s-schon- und die andere die Geht-nicht-Gruppe.

Zur Gibt’s-schon-Gruppe gehört natürlich der Roman mit dem sich erschiessenden Unglücklichlieber, das ist der Werther vom Geheimrat, genauso gibt es natürlich den Möchtegernritter, den Don Quixote von Cervantes und auch die weissen Bilder sind schon gemalt, nämlich vom Amerikaner Robert Ryman.
Die Verschlussidee hatte natürlich auch schon jemand, der St. Gallener Martin Othmar Winterhalter, Sie haben so ein Ding wahrscheinlich sogar am Körper, es heisst Reissverschluss. Und die Organisation? Auch schon gegründet, es ist die UNO.

Zur Geht-nicht-Gruppe gehört der Rest: Wenn der Ich-Erzähler stirbt, ist die Geschichte aus, und ein Bild unter Wasser zu malen hat den Nachteil, dass es eine sehr kurze Lebensdauer hat. Den Generator würde ein deutsches Patentamt mit einem Blick ablehnen, es wäre das utopische Perpetuum Mobile, und das gucken die gar nicht mehr an. Genauso das Tele-Odon: Hier müsste man Materie übertragen, und es entstünden nach e=mc2 quasi Erdzerstörungsbomben.
Und ob die Palästinenser die richtige Gruppe wären, um in Nordsyrien zu wirtschaften, da kann man doch auch grosse Zweifel hegen…

Ja, da gibt es Tage, da wache ich auf und strotze vor Ideen. Schon vor dem ersten Espresso sprudeln sie hervor, ich scheine förmlich zu platzen, Einfälle dringen mir aus Mund und Ohren und ich fühle mich wie eine Granate, aber nicht mit TNT, sondern mit Ideen gefüllt. Ich bin so zum Bersten voll, dass ich durch die Zimmer renne und «Es muss etwas geschehen!» und «Es wird etwas geschehen!» schreie.
Und dann bin ich froh, dass ich erst einmal in Ruhe meine Liste mache und nicht auf irgendwelchen sozialen Netzwerken bin, vor allem nicht auf dem, wo so viele Schnellschüsse abgegeben werden.

Ich bin froh, dass ich nicht twittere. 
Ich bin sehr, sehr froh, dass ich es nicht tue.

Stellen Sie sich vor, ich würde sofort zum Smartphone greifen und twittern:
I’m planning a #newnovel!!! Very original!!! Man loves woman, she is #engaged and he kills himself.
oder
Today I will do #art!!!! #paintingunderwater
oder
Let’s #sendthepalestinestosyria to make #law and order!!! And they will be away from the Westbanks and Gaza!!!
oder
Today I construct the #teleodon!!! You will be able to smell through your smartphone!!   
Bei solch unausgegorenem Zeug würde eimerweise Hohn und Spott auf mich ausgegossen.

Es gibt Politiker und Staatsmänner, Lenker und Regenten, die wachen auf und strotzen schon vor Ideen. Schon vor dem ersten Schluck Kaffee quellen sie aus ihnen hervor, sie scheinen vor Ideen förmlich zu platzen, Ideen dringen diesen aus Nase und Ohren und sie fühlen sich wie Bomben, wie Knallkörper, aber nicht mit TNT, sondern mit Ideen gefüllt.
Und dann sollten diese eine Geht-nicht- / Gibt’s-schon-Einteilung machen.

Und bitte nicht twittern!



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