Montag, 16. Juli 2012

Ist das Kunst oder kann das weg?


„Schauen Sie mal! So eine Schweinerei! Das waren bestimmt Jugendliche! Die sollte man alle einsperren!“ Die ältere Dame im Peek&Cloppenburg-Mantel und mit roten, hochtoupierten Haaren ist sichtlich verärgert. Wir sitzen im Bus der Linie A von Wismar Markt nach Ostseebad Wendorf, und an der Haltestelle Friedensplatz bietet sich wirklich ein interessantes Bild: Im Wartehäuschen mit drei grünen Metallsitzen ist hinten an die Glaswand eine grosse Alufolie geklatscht, darum gruppieren sich angeklebte Pappteller, der Boden ist mit Schokoriegelpapierchen übersät. Ich starre gebannt auf das Arrangement und sage dann zu der Dame: „Quatsch, das ist Kunst!“ Der Blick der Frau, den sie mir nun schenkt, besagt in Worte übersetzt: Bekloppter, Männchen holen, Zwangsjacke, Valium. Ich setze aber noch einen drauf: „Besoffene Jugendliche schmeissen ihr Zeug einfach in die Lande, aber das ist doch arrangiert, gewollt, da ist doch eine Komposition dabei.“ Ich habe Glück, dass die Dame kein Handy hat, vielleicht würde ich die nächsten Tage in der Mecklenburgischen Psychiatrischen Landesklinik verbringen.
Zur Erklärung muss ich sagen, dass meine Reise, deren vorletzter Punkt Wismar ist, mich vorher durch Weimar, Kassel, Bad Hersfeld und Erfurt geführt hat, und während die beiden letztgenannten herrliche Freilichtaufführungen boten, lockte Kassel mit der dOKUMENTA  13(Ist wirklich das Logo, ich musste es viermal schreiben, bis ich kapiert habe, dass ich nicht die Leertaste drücken darf). Und wenn man durch die Stadt, vor allem durch die Karlsaue schlendert, stellt sich einem immer die gleiche Frage: Ist das da drüben Kunst? Sind die Blumentöpfe von einem Landschaftsgärtner oder von einer Künstlerin so aufgestellt worden? Ist das SANATORIUM  hinter den Bäumen eine Erste-Hilfe-Station oder gehört es zur dOKUMENTA ? Die Blumen sind von einer Künstlerin gestellt, und das Haus mit dem Roten Kreuz entpuppt sich als Offenes-Spass-Performance-Therapie-Projekt. Hilfe geben hier nur die gelben Nummernschilder: Was so ein Schildchen hat, ist Kunst und gehört zur Ausstellung. Und das ist auch richtig so, denn Kunst ist immer Kunst, wenn ich sie zur Kunst erkläre. Das war übrigens schon immer so. Der Hase von Dürer ist Kunst, während tausende von biologischen Darstellungen nicht unter diese Kategorie fallen. Die Trompetenfanfare einer römischen Kaserne wird auf einmal Kunst, wenn Tschaikowski ein Orchesterstück damit beginnen lässt.
Nach der dOKUMENTA (nur einmal geschrieben, auch oben schon, ich bin doch nicht doof, ich lerne dazu) dienen die Schilder übrigens dazu, dass die Arbeiter nicht das Falsche wegwerfen, daher rührt der wunderbare Satz: IST DAS KUNST ODER KANN DAS WEG?
Die Macher der Installation in Wismar haben also nur einen Fehler gemacht, es waren wahrscheinlich doch besoffene Jugendliche, denen man aber ein gestalterisches Feeling nicht ganz absprechen darf, sie haben kein Schild gemacht. Ein Schild, auf dem das Folgende stünde:
LATE SATURDAY NIGHT
Künstlerkollektiv Wendorf 2012
Metall, Glas, Alu, Pappe, Papier
Auftragswerk der Hansestadt Wismar
Dann würden sich zwar rottoupierte Damen auch aufregen, aber nicht mehr über die Jugend, sondern über die Herren im Rathaus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen