Dienstag, 10. Juli 2012

Fragen!


Ich stehe an der Rezeption des „Hotel Goldener Adler“ in Münchhausen. Vor mir stehen vier Leute, zwei Männer und zwei Frauen. Ich versuche, die Gruppe im Kopf zu sortieren, beobachte sie eine Weile und: Bingo! Der eine Herr macht eindeutig  den doppelten Perlengriff.  Ich hoffe sehr, der Rezeptionist hat das auch gesehen, aber nein, er reicht den beiden Männern die Zimmerschlüssel und erntet damit die bösesten Blicke. Nachdem die Schlüssel ihre richtigen Besitzer gefunden haben, sprich der eine Mann ihn an das Frauenpaar weitergereicht hat und die vier verschwunden sind, komme ich an die Reihe. „Das ist auch wirklich kompliziert heutzutage“, sagt der Portier. Ich erwidere, er hätte ja einfach fragen können. „Ich kann doch nicht fragen, ob die schwul sind, es gibt ja immer noch Männer, die da sehr böse reagieren.“  Ich schütte mich aus vor Lachen: „Vielleicht einfach fragen, wem man den Schlüssel geben solle?“
Warum stellen wir nicht manchmal ganz einfach eine Frage? Warum sitzen wir im Nobelrestaurant vor einem exotischen Gericht und fragen nicht einfach, wie man es isst? Warum zwängen wir im Schwimmbad  eine Euromünze in den Schlitz, anstatt zu fragen, wie das Schliesssystem funktioniert?
Weil wir irgendwie das Gefühl haben, Fragen sei peinlich. Und häufig gibt einem die Umwelt ja auch das Gefühl. Stellen Sie sich zum Beispiel eine Deutschstunde vor, in der der Lehrer sagt: „Wir üben heute noch einmal den Gebrauch des Partizips“, dann wird die Hälfte der Klasse natürlich nicht wissen, was ein Partizip ist. Alle sitzen wie gebannt da, der ganze Unterricht wird für die Katz‘ sein, bis sich jemand erbarmt und fragt. Und der oder die wird dann ausgelacht. Das heisst, die Lehrperson muss eine Atmosphäre schaffen, in der Fragen richtig und möglich sind. Denn es gibt keine dummen Fragen. Na ja, gibt es schon, das sind Fragen, bei denen die Antwort schon gegeben wurde. Dialoge wie:  „In Olten umsteigen.“ „Wo muss ich eigentlich umsteigen?“ sind nun wirklich blöd.
Aber bei Dingen, die nicht schon erwähnt wurden, dürfen wir fragen, wieso, weshalb, warum, wo, wie, wann, wer, wem, wen.
Der Portier jedenfalls lernt schnell, denn er fragt mich, mit dem Zimmerschlüssel in der Hand: „Wem darf ich den Schlüssel geben?“ Ich antworte: „Dem Blonden auf Zimmer 16“, und als er völlig geschockt schaut, sage ich: „War ein Scherz, aber da ich alleine bin, geben Sie ihn mir.“ 


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