Freitag, 9. Dezember 2011

Jüterbog, Fontane und der Kühlschrank

Vorletzten Sommer lernte ich in Berlin Jens Bode kennen. Jens war damals 25 und kellnerte im „Cafe Extrawurst“ in Schöneberg. Als ich beim Bestellen eine witzige Bemerkung machte, strich er sich durch seine Millimeterhaare und meinte: „Muss ich notieren“, worauf er in seinen hautengen Klamotten nach Bleistiftstummeln suchte. So kamen wir ins Gespräch. Jens hatte einen Erstling veröffentlicht, den er mir schenkte: „Mit Viola nach Jüterbog“, ein herrlich schrilles und zugleich melancholisches Roadmovie, in dem der Held mit seiner neuen Freundin eine Radtour zu seinen noch ganz ostalgisch lebenden Eltern unternimmt. Ich las das Buch noch am gleichen Abend und war hellauf begeistert. Weihnachten 2010 verschenkte ich es an alle möglichen Leute, nicht nur an Leser und Berufsleser, sondern auch an meinen Metzger, meinen Hauswart und meine Putzfrau.
Es war ein Desaster.
Meinen konservativen Freunden verherrlichte das Buch in unerträglicher Weise den Osten, meinen linken Freunden war die Einführung des Kapitalismus in den neuen Bundesländern nicht kritisch genug aufgearbeitet. Meinhard und Bernadette, beides Deutschlehrer (bzw. –in), fanden drei Kommafehler und einen falschen Kasus und meinten, der Text sei schlecht lektoriert. Horst, der gerade an seiner Dissertation über „Strukturelle Abweichungen im Roman des Realismus“ arbeitete, konnte ich beim Auspacken beobachten. Als er „Jüterbog“ im Klappentext fand, blinkte förmlich auf seiner Stirn Mark Brandenburg – Fontane – Mark Brandenburg – Fontane. „Hoffentlich hat er sich ausreichend mit den Visualisierungen bei Fontane auseinander gesetzt“, murmelte Horst, und als ich ihm sagte, Jens habe keine einzige Zeile des guten Theodor je gelesen, brüllte er: „Und da wagt der es, da traut sich dieser Kerl ein Buch zu schreiben, das in der Mark spielt? Das ist doch gar nicht erlaubt.“ Ich erwiderte süsslich, dass das BGB solches an keiner Stelle verbiete, worauf Horst beleidigt schwieg.
Im März dann sagte mir mein Metzger beim Fleischschneiden: „Weiss du, ich les ja sonst nur n KICKER und so Gratiszeitung, aber das Buch da, weiss, das du mir geschenkt has, das is geil, war so lustig, hab so gelacht.“
Na also.
Im Frühjahr fahre ich wieder nach Berlin. Jens hat mich zur Premiere seines ersten Theaterstücks eingeladen. „Kühlschrank im Wedding“. Um ihn ein bisschen auf die Kritikerklugscheisserei vorzubereiten, habe ich ihm alles zum Thema geschickt, was mir einfiel: Vom „Tod eines Handlungsreisenden“ bis zu „Gespräche mit Bosch“ von Axel Hacke. Er solle das durcharbeiten, die Literaturfuzzis würden überall Anspielungen sehen.
Gestern kam eine Mail:
Mein Kühlschrank ist der kälteste!

1 Kommentar:

  1. Einmal mehr sehr pointiert auf den Punkt gebracht!

    Wir wollen mehr über den sympathischen Metzger erfahren!

    AntwortenLöschen