Freitag, 18. November 2011

Wo bist du gerade?

"Wo bist du gerade?", fragt mein Kollege am anderen Ende - ja, von was denn? am anderen Ende der Leitung kann man ja bei einem Handy nicht sagen, sagt man da "am anderen Ende der Funkstrecke"? Auf jeden Fall bin ich am Handy und der andere fragt: "Wo bist du gerade?".  Das sagt man jetzt so, früher sagte man "Guten Tag" oder "Hallo", die Bewohner einer Region in Alaska sagen "Ik''ust''wuuh'", was heisst "Bist du es?", aber das macht nur für eingemummte Inuit Sinn, jemand so zu begrüssen. "Wo bist du gerade?" fragt also mein Kollege und ich sage: "Sage ich dir nicht."
"Warum sagst du das nicht?" fragt der andere nun wiederum und ich höre fast, wie es in seinem Kopf rattert, wo steckt der Kerl, natürlich an einem peinlichen oder verbotenen Ort, ist er auf der Toilette, im Puff, ist er bei MacDonalds oder Burger King? Alle Möglichkeiten werden durchgespielt, Orte, Ämter, Lokale, Polizeiposten (haben sie ihn doch endlich verhaftet?) oder Ärzte. 
Dabei will ich einfach nur nicht ständig sagen müssen, wo ich bin, der Vorteil des Handys ist ja gerade, dass man nicht weiss, wo ich bin, eine grenzenlose Freiheit.
"Nun sag schon!", raunzt mein Gegenüber - auch wieder das falsche Wort, er ist ja gerade nicht gegenüber, da wüsste er wo ich bin: Am gleichen Ort wie er.
"Nein!", ich höre ein tiefes Brummeln. Meine Ortslosigkeit macht ihm Angst, so wie die Menschheit schon immer Angst vor dem nicht Greifbaren, dem Umherziehenden hatte, der Percht oder den Feen, den Fahrenden, den Spielleuten, vor Hexen und Menschen und wilden Tieren.
"Komm, sag, wo du bist", bettelt er jetzt. Und ich gebe klein bei: "Ich bin zuhause."
"Pffff...", hörbar enttäuscht muss mein Kollege jetzt alle Phantasien löschen, die er über mich zurecht gelegt hat, während des Anrufs bin ich also weder in Handschellen, noch in irgendeinem roten Plüschzimmer.
Jetzt endlich können wir besprechen, was zu besprechen ist, und es wird ein kurzes und informatives Telefonat.
Ich lege auf und verlasse das Geschäft, in dem ich SEIN Geburtstagsgeschenk gekauft habe. Ich konnte ja schlecht sagen: "Ich bin im..." Da wäre es ja keine Überraschung mehr gewesen.

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