Dienstag, 15. November 2011

Sabine und Michael

Nach meinem Post vom 11.11. erhielt ich einen dicken Brief von einem Paar aus Rapperswil, nennen wir sie Sabine und Michael. Sie mokierten sich über meine Idee, Ehen, die am 11.11.11 geschlossen wurden, könnten schiefgehen (ver-heiraten). Sie schickten ausser einem langen Schreiben eine DVD mit einer Fotostrecke ihrer an betreffendem Datum gefeierten Hochzeit. Sabines und Michaels Credo: Es ist alles nur eine Frage der Planung, auch Ehe und Beziehung.
Zugegeben: Die beiden haben an alles gedacht. Sie haben nicht nur schon vor zwei Jahren den Termin festgelegt, 11.11. 11 Uhr 11, im spätgotischen, absolut reizenden Zivilstandsamt von Rapperswil, sondern sich auch um den hübschesten und charmantesten Standesbeamten gekümmert. Sabine trägt ein phänomenales lachsrosa Kostüm, auf das von den Schuhen über das Handtäschchen bis zu den Ohrringen alles abgestimmt ist, er einen wunderbaren Smoking. Beide waren beim besten Coiffeur und im besten Kosmetikstudio, nicht in Rapperswil, sondern – natürlich – in Zürich. Nach der Trauung gibt es am Seeufer Dom Perignon und Schnittchen, auf denen Kaviar noch das Billigste ist, dann Fotoshooting am herbstlichen Wasser – auch das Wetter macht mit, später fährt ein Boot zu einem Seerestaurant, das ein Geheimtipp ist und auch bleiben soll. Das Menü würde hier alle Formate sprengen, nur soviel: Schon der Salat braucht auf der Speisekarte (handgeschrieben!) fünf Zeilen.
Es ist eben alles eine Frage der Planung.
Ach Sabine, ach Michael, ich hätte euch gewünscht, der Tag wäre erst eure Verlobung gewesen, und zwar eine völlig schiefgelaufene, der Sekt sauer, die Schnittchen trocken, über dem Zürichsee zäher Nebel und das Lokal nur aus einem Grund unbekannt: Weil es nichts taugt. Da wäre das wichtig geworden, was eine gute Beziehung ausmacht: Gelassenheit, Geduld, Humor, Witz, Langmut, Nachsicht, Improvisationstalent. Hättet ihr es geschafft, den Pseudo-Gourmettempel nach dem Salat zu verlassen und mit allen Gästen eine Pizzeria zu stürmen – Italiener flippen aus vor Freude, wenn sie una fidanzata sehen – ihr hättet es geschafft gehabt.
Es ist nicht alles eine Frage der Planung, sondern eine Frage der Atemtechnik, und zwar hier im Sinne von „Einmal-Tief-Durchatmen-Können“.
Das Leben ist nicht planbar.
Es gibt Krankheit, Finanzkrisen, es gibt Missgeschicke und schlechtes Wetter, es gibt Jobverlust und Neid von anderen, es gibt Krisen und Fehlkäufe. Und wenn du, Sabine, schon überlegst, ob du zur Bachelorfeier deines Kindes (in Planung) ein gelbes, und zur Masterfeier ein rotes Kostüm anziehen sollst, oder umgekehrt: Vielleicht bricht es mit 18 die Schule ab und wird Strassenmusiker, Schmuckhändler am Strand oder spiritueller Heiler. Und dann? Von Dingen wie Blind- oder Taubheit will ich gar nicht reden.
Das Leben ist unvorhersehbar.
Auf den Fotos seht ihr beide übrigens müde aus, was kein Wunder ist, wenn man früh am Morgen zum Frisieren und Spachteln um den halben Zürichsee muss.
Und studiert einmal die Statistiken der 8.8.08-, 9.9.09- und 10.10.10-Paare: Von denen sind sicher auch etliche schon geschieden.

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