Freitag, 9. September 2011

www.as darf es denn sein, Fremder?

Glaubt man den Berichten meiner Altersgenossen, sah der Alltag eines Jugendlichen um 1980 folgendermassen aus: Nach der Schule – die wir gerne und wissbegierig besuchten – ging man zur Klavierstunde, zum Handballtraining oder ins Ballett, um 18.00 wurde die Abendmahlzeit im trauten Familienkreise eingenommen, bei der man kulturelle oder politische Themen erörterte, danach machten wir unsere Hausaufgaben, schrieben Briefe oder kamen endlich einmal wieder dazu, uns durch ein weiteres Kapitel Adorno zu arbeiten. Um zehn war Nachtruhe, die wir aber dadurch umgingen, dass wir unter der Bettdecke Hesse, Böll oder Mann lasen.
Aber: Stimmt das denn?
Warum haben wir dann immer noch die gesamte Genealogie dieser bescheuerten Familien aus Denver oder Dallas im Kopf? Warum bekommen wir leuchtende Augen, wenn einer „WAS DARF ES DENN SEIN, FREMDER?“ sagt, warum kann jeder von uns folgenden Vers ergänzen:
Klimbim ist unser Leben,
Und ist es mal nicht wahr...
(Für die heutigen Teenies: Es heisst übrigens: Dann mach ich mir ´nen Schlitz ins Kleid und find es wunderbaaaaaaaar)
Es ist schon merkwürdig, dass wir alle diesen Schrott immer noch in unseren Hirnen haben, wohl sortiert und aufbewahrt, obwohl ja keiner von uns ferngesehen hat, und wenn, dann nur Bildungssendungen wie die des Herrn von Dittfurth, von der mir jetzt – das ist bezeichnend – der Name nicht mehr einfällt.
Ich war an Ostern in Berlin und habe dort das Deutsche Film- und Fernsehmuseum besucht. In einer – übrigens sehr gut gemachten – Multimediashow erlebt der Zuschauer 60 Jahre deutsches Fernsehen. Ein Teil ist eine Umfrage aus den 70gern zum Fernsehkonsum: Viele Befragte gaben an, sich direkt nach dem Abendessen vor die Glotze zu setzen und erst zum Sendeschluss (gab es damals noch!) wieder aufzustehen, sodass der Rekordhalter der Befragten auf fünfzig Stunden Mattscheibe kam.
Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass das Internet das Buch verdrängt, das Internet verdrängt andere zweifelhafte Medien. Die heutige Jugend hat nicht mehr Müll im Kopf als wir damals, und wer jetzt behauptet, die „Himmlischen Töchter“ (daraus ist „Was darf es denn sein, Fremder?“) hätten irgendein Niveau gehabt, soll sich bitte wieder einmal einen Ausschnitt ansehen, es gibt sie auf You Tube.
Mich jedenfalls machen meine Deutschklassen sehr glücklich, wenn die Hälfte nach einer Woche nicht nur die zehn befohlenen Seiten, sondern das ganze Buch gelesen hat.
Und wenn sie auch manchmal ein wenig zuviel surfen oder chatten, wir sind trotz „Riiiiiiiiisiko“, „Das war Spitze“ und „Welches Schweinderl?“ doch ganz brauchbare Menschen geworden.

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