Dienstag, 3. Juli 2018

Plakat-Unsinn: Was ist ein Konz/er/t?


Ich habe neulich über den grammatikalischen, orthografischen und semantischen Unsinn bei der Werbung, bei Plakaten und Schildern, bei Flyern und Zetteln geschrieben, über suuuuuuuuuuuuper tollllllllllllllllllle Formulierungen, über Text&Glosse und ähnlichen Nonsens, nun müsste man sich auch mal Gedanken über die grafische Seite machen, dies denke ich, als ich vor dem Poster eines Bekleidungsgeschäftes stehe:

SOMMERS
CHLUSSVE
RKAUF

Verzweifelt versucht mein Hirn, irgendeinen Sinn in den Zeilenumbrüchen zu finden. Ist Sommers
 ein Genitiv? Ist Chluss ein Ausdruck der Berner, Zürcher, der Luzerner oder St. Gallener Mundart, den ich (noch) nicht kenne? Soll Luss mir Lust machen und ist R-Kauf ein Hinweis auf erkaufen? Oder ist Sommers/Chlussve/rkauf ein Akrostichon? Was aber ist dann S/C/R? SFR wäre klar, das bedeutet Schweizer Franken, und die soll ich ja schliesslich in dem Geschäft auch lassen, aber mit C? Meine grauen Zellen beginnen Cha-Cha-Cha zu tanzen, meine Synapsen drehen sich wie Derwische im Kreis und meine Neuronen verknoten sich wie die Schlangenmenschen im Cirque du Soleil. So wie bei diesen Op-Art-Bildern, Sie kennen das: Schwarze Quadrate auf weissem Grund, nein, weisses Gitter auf schwarzem Grund, nein doch schwarze Quadrate auf weissem Grund…
Kurz bevor ich in eine Ohnmacht sinke, wende ich mein Haupt ab: Es ist einfach nur Quatsch.

Wenn wir bedenken, was unseren armen Augen seit Jahren zugemutet wird, dann müsste man eigentlich einmal bei der UNO vorstellig werden. Und zwar sowohl bei der Menschenrechtskommission als auch bei der UNESCO.
Wir erinnern uns:
In der guten alten Zeit schrieb die oder der Auszubildende auf eine Pappe

Sommerschlusverkauf – heut ales zum hallben Preis

Wenn wir Glück hatten, dann machte er oder sie die Orthografiefehler nicht, sondern hatte nur eine Sauklaue, wenn wir noch grösseres Glück hatten, dann hatte er, hatte sie auch noch eine schöne Schrift, das waren dann Tage wie Weihnachten und Ostern zusammen.

Und dann kamen sie, die PCs, die Heimcomputer, die Maschinen, auf denen jede und jeder sich tolle Plakate basteln konnte, da schrieb man dann ein paar Wörtlein, markierte sie und konnte fröhlich in die weitesten Weiten des schlechten Geschmackes vordringen: Da wurde farbig geschrieben, mit oder ohne Kontur (meist mit), mit oder ohne Spiegelung (meist mit), da gab es die Regenbogenschrift und die gebogene Zeile, und wenn der Brechreiz noch nicht gross genug war, fügte man Bilder ein, die der Computer uns lieferte: Clip Art nannte man das. (Eine Grafikerin, die ich kannte, fing allein bei der Nennung dieses Wortes an, mit den Händen zu zittern und mit den Augen zu flackern, wurde weiss im Gesicht und musste durch eine grosse Ladung HUBINAL® wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.) Clip Art schenkte uns die Situation, dass uns an allen Trinkbuden, Kiosken, an allen Strandrestaurants und Badibeizen, dass uns an allen Dönerbuden und Schnellcafés die gleiche Tasse Kaffee entgegenstrahlte.
Heutzutage muss man lange suchen, um noch einen

SOMMERSCHLUSSVERKAUF
zu finden.
Heute lässt man meist Schilder wieder von Grafikerinnen und Grafikern machen, das Problem dabei ist, solche zu finden, die nicht originell, sondern kompetent, die nicht innovativ, sondern gut, die nicht künstlerisch, sondern geschult sind.
Sonst kommen solche Schilder wie der Sommers/Chlussve/rkauf dabei heraus.

Ich bin ein Ohrenmensch. Und wenn ich mir vorstelle, solche Unsitten würden sich auf das akustische Pendent übertragen, wird mir angst und bange. Nein, ich möchte keine Ansagen mit Kermit-Stimme, keine gesungenen Nachrichten, ich möchte keine gebrüllte Conference und keine geflüsterten Texte. Ich möchte auch nicht, dass die Wettervorhersage emotionaler wird (bei Sonne etwas fröhlicher und schneller, bei Wolken wieder trauriger und langsamer), obwohl genau das von Chefsprechern der Rundfunkanstalten immer wieder gefordert wird – echt wahr. 

Die Seite, auf der ich meine Texte eingeben kann, lässt grafisch nicht viele Dinge zu.
So fehlt der Regenbogen-Sommerschlussverkauf oben.
Die Betreiber wissen, warum.
 





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