Donnerstag, 2. März 2017

Pünktlichkeit die Zweite



Hans ist unpünktlich.
Aber nicht einfach so unpünktlich, wie halt manche manchmal etwas zu spät sind, nein, Hans hat die Unpünktlichkeit in ein Ausmass gesteigert, das man nur als episch, als fundamental, das man nur als global oder allumfassend beschreiben kann.
Hans hat – und dies würde er selber auch so zugeben – es sein ganzes Leben noch nicht geschafft, irgendeinen Termin einzuhalten.

In der Schulzeit trödelte er auf dem Schulweg und auf dem Heimweg, er war nie rechtzeitig im Klassenzimmer und nie rechtzeitig am Mittagstisch, zuhause stapelten sich die Blauen Briefe, die immer nur den einen Satz enthielten: Hans ist permanent zu spät.
Seine Matura bestand er nur knapp, weil er – Sie können es sich denken – zu keiner Prüfung in time erschien. Genauso passierte es bei den Examina für Deutsch und Geschichte, bei den schriftlichen Tests konnte er nur die Hälfte mitschreiben und bei den mündlichen war die Note ungenügend, weil er nicht erschien, oder eine Stunde zu spät, was einem Nichterscheinen entspricht.
Genauso knapp wie seine Matura verliefen die Prüfungen an der Uni, weil er – ja, man muss das eigentlich gar nicht mehr ausschreiben. Natürlich hat Hans noch keine Stelle, denn zu einem Vorstellungsgespräch müsste man ja pünktlich sein.

Hans ist ledig und hat keine Freundin. Denn obwohl er hübsch ist, eine athletische Figur und ein angenehmes Gesicht hat, obwohl er viele Frauen kennenlernt, kann er die eine Hürde nicht überklettern, jene Hürde, die auf gut Neudeutsch Date heisst. Denn ein Date ist ja eine Verabredung, die an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde an einem bestimmten Ort stattfindet. Und trotz seines Knackhinterns, seines Sixpacks, trotz seines Charmes und seiner Grübchen, trotz seiner herrlich strubbeligen blonden Haare waren bisher Monika, Beate, Susanne und Erika, waren Fiona, Alice und Heike, waren auch Gudrun und Joana nicht bereit, zwei Stunden im Café auf ihn zu warten.

Hans’ Leben ist ein Drama.

Man hat für die pathologische Unpünktlichkeit, und solche liegt hier vor, versucht, verschiedene Gründe zu finden.

Prof. Dr. Damian vom Uniklinikum Mainz behauptet, dass das Hormon Chronosteron dahinterstecke, das bei Zuspätkommern einfach fehlt. Es könne, so der Endokrinonologe, mühelos substituiert werden, allerdings mit einem kleinen Handicap: Die Pillen müssen zweimal am Tag pünktlich geschluckt werden, und hier beisst sich die Katze in den Schwanz. Wir haben es mit einem sogenannten Catch22-Problem zu tun, um die Pillen pünktlich zu nehmen, müsste man ja ein pünktlicher Mensch sein, eben was die Arznei erst erreichen soll.

Prof. Dr. Van Heuvenen vom Uniklinikum Leiden hält einen Gendefekt für die Ursache. In Zukunft könnte man also schon bei einer PND feststellen, dass der Nachwuchs diese Behinderung mit sich trägt. Wie man mit einer solch niederschmetternden Diagnose umgeht, das kann hier nicht erörtert werden. Auf jeden Fall können die werdenden Eltern sich auf die Situation vorbereiten.

Eine Forschergruppe der Staatlichen Psychiatrischen Kliniken Graz allerdings hält das Ganze für ein psychologisches Problem: Statistisch seien 80% der Not-in-timer bei der Geburt zu früh gekommen. Da man ihnen das 100 Male vorgeworfen hat, hat sich bei ihnen ein unbewusster Reflex gebildet, ab nun eben ja nie zu früh und lieber zu spät zu sein. Diese Erkenntnis würde sich mit meinem Pünktlichkeitsfetischismus decken: Ich kam eine Woche zu spät, und ich habe mir wahrscheinlich schon drei Wochen nach der Geburt vorgenommen: Das passiert dir nie wieder!

Prof. Dr. Dr. Schmidlin, Erziehungswissenschaftler aus Bern, ist wiederum der Ansicht, dass die Unpünktlichen Probleme mit dem Einordnen von Zeitpunkten haben. Ähnlich wie bei der Legasthenie oder der Dyskalkulie müsste also schon ab dem Krabbelgruppenalter, spätestens aber im Kindergarten gezielte Übungen gemacht werden. Vielleicht wird sich ein eigener Beruf daraus entwickeln, der Chronopäde.
Denn:
Menschen wie Hans werden mehr.
Und mehr.
Und mehr.
Ich schrieb es am Dienstag: Je perfekter die Zeitmessung wird, desto unpünktlicher werden die Leute.

Ein Chronopäde, dies sei zum Schlusse vermerkt, kann aber im Gegensatz zum Logopäden oder Physiotherapeuten nur in Einrichtungen arbeiten, wo er die Kinder irgendwo rausholen kann. In freier Praxis müsste er ja Termine vereinbaren…
Catch 22.

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