Hans ist
unpünktlich.
Aber nicht
einfach so unpünktlich, wie halt manche manchmal etwas zu spät sind, nein, Hans
hat die Unpünktlichkeit in ein Ausmass gesteigert, das man nur als episch, als
fundamental, das man nur als global oder allumfassend beschreiben kann.
Hans hat –
und dies würde er selber auch so zugeben – es sein ganzes Leben noch nicht
geschafft, irgendeinen Termin einzuhalten.
In der
Schulzeit trödelte er auf dem Schulweg und auf dem Heimweg, er war nie
rechtzeitig im Klassenzimmer und nie rechtzeitig am Mittagstisch, zuhause
stapelten sich die Blauen Briefe, die immer nur den einen Satz enthielten: Hans
ist permanent zu spät.
Seine Matura
bestand er nur knapp, weil er – Sie können es sich denken – zu keiner Prüfung
in time erschien. Genauso passierte es bei den Examina für Deutsch und
Geschichte, bei den schriftlichen Tests konnte er nur die Hälfte mitschreiben
und bei den mündlichen war die Note ungenügend, weil er nicht erschien, oder
eine Stunde zu spät, was einem Nichterscheinen entspricht.
Genauso
knapp wie seine Matura verliefen die Prüfungen an der Uni, weil er – ja, man
muss das eigentlich gar nicht mehr ausschreiben. Natürlich hat Hans noch keine
Stelle, denn zu einem Vorstellungsgespräch müsste man ja pünktlich sein.
Hans ist
ledig und hat keine Freundin. Denn obwohl er hübsch ist, eine athletische Figur
und ein angenehmes Gesicht hat, obwohl er viele Frauen kennenlernt, kann er die
eine Hürde nicht überklettern, jene Hürde, die auf gut Neudeutsch Date heisst.
Denn ein Date ist ja eine Verabredung, die an einem bestimmten Tag zu einer
bestimmten Stunde an einem bestimmten Ort stattfindet. Und trotz seines
Knackhinterns, seines Sixpacks, trotz seines Charmes und seiner Grübchen, trotz
seiner herrlich strubbeligen blonden Haare waren bisher Monika, Beate, Susanne
und Erika, waren Fiona, Alice und Heike, waren auch Gudrun und Joana nicht
bereit, zwei Stunden im Café auf ihn zu warten.
Hans’ Leben
ist ein Drama.
Man hat für
die pathologische Unpünktlichkeit, und solche liegt hier vor, versucht,
verschiedene Gründe zu finden.
Prof. Dr.
Damian vom Uniklinikum Mainz behauptet, dass das Hormon Chronosteron
dahinterstecke, das bei Zuspätkommern einfach fehlt. Es könne, so der
Endokrinonologe, mühelos substituiert werden, allerdings mit einem kleinen
Handicap: Die Pillen müssen zweimal am Tag pünktlich geschluckt werden, und
hier beisst sich die Katze in den Schwanz. Wir haben es mit einem sogenannten
Catch22-Problem zu tun, um die Pillen pünktlich zu nehmen, müsste man ja ein
pünktlicher Mensch sein, eben was die Arznei erst erreichen soll.
Prof. Dr.
Van Heuvenen vom Uniklinikum Leiden hält einen Gendefekt für die Ursache. In
Zukunft könnte man also schon bei einer PND feststellen, dass der Nachwuchs
diese Behinderung mit sich trägt. Wie man mit einer solch niederschmetternden
Diagnose umgeht, das kann hier nicht erörtert werden. Auf jeden Fall können die
werdenden Eltern sich auf die Situation vorbereiten.
Eine
Forschergruppe der Staatlichen Psychiatrischen Kliniken Graz allerdings hält
das Ganze für ein psychologisches Problem: Statistisch seien 80% der
Not-in-timer bei der Geburt zu früh gekommen. Da man ihnen das 100 Male
vorgeworfen hat, hat sich bei ihnen ein unbewusster Reflex gebildet, ab nun
eben ja nie zu früh und lieber zu spät zu sein. Diese Erkenntnis würde sich mit
meinem Pünktlichkeitsfetischismus decken: Ich kam eine Woche zu spät, und ich
habe mir wahrscheinlich schon drei Wochen nach der Geburt vorgenommen: Das
passiert dir nie wieder!
Prof. Dr.
Dr. Schmidlin, Erziehungswissenschaftler aus Bern, ist wiederum der Ansicht,
dass die Unpünktlichen Probleme mit dem Einordnen von Zeitpunkten haben.
Ähnlich wie bei der Legasthenie oder der Dyskalkulie müsste also schon ab dem
Krabbelgruppenalter, spätestens aber im Kindergarten gezielte Übungen gemacht werden.
Vielleicht wird sich ein eigener Beruf daraus entwickeln, der Chronopäde.
Denn:
Menschen wie
Hans werden mehr.
Und mehr.
Und mehr.
Ich schrieb
es am Dienstag: Je perfekter die Zeitmessung wird, desto unpünktlicher werden
die Leute.
Ein
Chronopäde, dies sei zum Schlusse vermerkt, kann aber im Gegensatz zum
Logopäden oder Physiotherapeuten nur in Einrichtungen arbeiten, wo er die
Kinder irgendwo rausholen kann. In freier Praxis müsste er ja Termine
vereinbaren…
Catch 22.
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