Dienstag, 7. März 2017

Eine Tubafüllung Urin - von der Macht der Zahlen



Dieser Dialog ist neulich in Mainz wirklich passiert:

ICH: Ich mache heute drei Fahrten. Lohnt sich eine Tageskarte?
BUSFAHRER: LANGSAMER BITTE!
ICH: Ich – ma – che – heu – te – drei – Fahr – ten – in – der – In – nen – stadt – zo – ne. – Lohnt – sich – ei – ne – Ta – ges – kar – te?
BUSFAHRER: Tageskarte 6,80.-
ICH: Gut, aber was kostet die Einzelfahrt?
BUSFAHRER: 2,90.-
ICH: Also eine Tageskarte.

Natürlich wusste das der Chauffeur die ganze Zeit schon. Servicewüste Deutschland. Aber mir machte das unliebsame Erlebnis wieder einmal klar: Wir brauchen mehr als eine Summe, wir brauchen Vergleichsgrössen.

Am Wochenende machte eine Horrornachricht die Runde: Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass in jedem Schwimmbad 75 Liter Urin sind. Grauenhaft, nicht? Vor allem, wenn man sich eine Menge von 75 Liter Pisse vorstellt. Die Zahl relativiert sich allerdings, wenn man die Konzentration pro Liter rechnet: 90 Mikroliter. Oder anders formuliert: 0,09 Milliliter. Oder 0,00009 Liter. Die 75 Liter, oder anders gesagt, die Tubafüllung Harn verteilt sich nämlich auf 830.000 Liter Schwimmbadfüllung. Aber das würde ja niemand schocken.

Wir erliegen den Zahlen, wir lassen uns überwältigen, wir straucheln und fallen im Gestrüpp der Nummern, wenn wir keine Vergleiche haben.

Rechnen wir doch zusammen nochmal eines durch: MrPinkel®, Anbieter von sauberen Bahnhofsklos, hatte vorletztes Jahr 3 Millionen Kunden, letztes Jahr 4 Millionen, also eine Steigerung von 33,3333333333333333 %. So weit so gut. MrPinkel® hockt auf 50 deutschen Stationen, also sind das 80000 pro Anlage. Die Toiletten haben jeden Tag offen, das macht pro Tag rund 220. Da MrPinkel® von 6.00 bis 24.00 offen hat, kommen pro Stunde rund 12 Personen raus.
Auf Deutsch: Bei einem Eintritt von 1 Euro sehen wir ganz klar, dass MrPinkel® schon 2015 tiefrote Zahlen schrieb, und auch 2016 aus diesen nicht herauskam. Es sei denn, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind Kriegsgefangene, Sklavinnen, Zwangsarbeiter oder unbezahlte Praktikantinnen. Bei Menschen mit Mindestlohn haut das nicht hin. Die Firma wird 2017 nicht überleben, wenn sie nicht den Eintritt auf über 3 Euro erhöht. Aber irgendwo ist ja auch eine Grenze. Da macht man lieber in die Hose. Oder wartet mit zusammengepressten Beinen auf den Zug.

Wir müssen lernen, Zahlen zu deuten und auszulegen.
Und immer nachzufragen.

In 500 Hotelbetten wurden in Kasachstan Wanzen gefunden.
Gut. Was heisst das? Wie viele gibt es überhaupt?
POLYSAN® senkt das Aknerisiko bei über 40-Jährigen um 50%.
Gut. Was heisst das? Liegt das bei mir nicht eh bei null?
Hermann Schmidt erhielt 2016 einen Bonus von 450.000.-
Gut. Was heisst das? Was ist branchenüblich? Wie hoch ist der Umsatz des Unternehmens?

Der Umsatz. Das ist auch so eine Geschichte. 45 Millionen Franken Umsatz klingt ja auch immer gut. Nur: Man kann mit grossem Umsatz auch Verlust schreiben, der Gewinn ist interessant.

Wir brauchen sämtliche Zahlen, wir brauchen Vergleichszahlen.
Und das gerade in Zeiten, in denen uns die Politiker, die Wirtschaftsbosse, in denen uns die Mächtigen und Potenten der Welt uns jeden Tag irgendwelche Zahlen um den Kopf hauen.
Von der Werbung ganz zu schweigen.

Ein uralter Witz ging so:
Ein Mann sitzt im Zug und beobachtet einen Mitreisenden, der Apfelkerne isst. Auf die Frage, warum er das tue, meint der andere nur: «Die machen klug.» Als der Mann nun auch welche will, verkauft der Mitreisende ihm 20 Kerne für drei Franken. Der Mann beginnt zu essen, aber nach einer Weile ruft er: «Für drei Franken hätte ich ja fünf Äpfel bekommen, und damit zig Kerne!» «Sehen Sie», sagt der andere, «es wirkt schon.»





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