"Mehr als nur
ein Konzert"
wirbt ein
Plakat in der Innenstadt.
Mehr als nur
ein Konzert
und ich
frage mich, was dieses «mehr» nun zu bedeuten hat. Ist es ein Musical, eine
Show, eine Oper, aber wieso schreibt man dann nicht gleich den Fachbegriff?
Machen die Künstlerinnen und Künstler noch irgendwas extra? Tanzen sie? Ziehen
sie sich lustige Kleider an? Töten sie Tiere auf offener Bühne oder werfen sie
mit Luftschlangen? Was bedeutet dieses «mehr», das man nun ständig liest?
"Mehr als
eine Badewanne"
wirbt eine
Sanitärfirma in ihrem Prospekt für ihr neuestes Luxusprodukt.
Mehr als
eine Badewanne
und ich
frage mich, was nun das schon wieder meint. Ist es eine Badewanne mit
Schäumfunktion? Aber dann könnte man doch gleich Whirlpool schreiben. Kann man
darin Längen ziehen? Aber dann wäre es doch ein Schwimmbad. Was kann diese
Badewanne, das sie «mehr» als eine Badewanne ist? Vielleicht gibt es
Unterwassersound, so dass ich während des Mango-Erdbeer-Schaumbades noch Mahler
VII hören kann. Vielleicht hat es Unterwasser-Farbeffekte, dann könnte man
Skrjabins grosse Erlösungskomposition unter Wasser mit den entsprechenden
synästhetischen Rot- und Blautönen hören. Vielleicht fliegt diese
Mehr-als-eine-Badewanne-Badewanne, vielleicht fährt sie oder brät Spiegeleier,
man weiss es nicht.
Überall
werde ich bombardiert mit Dingen, die mehr sind als sie selbst:
TUI® bietet
mir 2 Wochen Türkei, die mehr sind als Urlaub.
In Jack’s Gym
bekomme ich mehr als Fitness und mehr als Krafttraining
Und bei
Mooncracks bekomme ich Kaffee, der – Sie erraten es – MEHR als Kaffee ist.
Was soll der
Mist, warum wird einem stets etwas angepriesen, das «mehr als» etwas anderes,
aber auch nichts anderes ist?
Ich mache
einen Test:
In
Gesprächen flechte ich ganz elegant und smart ein, ich sei ja «mehr als nur ein
Singlehrer». Nun kann man die Zuhörer jeweils zwei Gruppen zuordnen: Gruppe I
lauscht gebannt und fällt dann in andächtiges Schweigen, die Mienen bekommen
religiös-erstaunte Züge und ich kann die Leute dieser Gruppe nur mit Mühe davon
abhalten, vor mir auf den Boden zu fallen und mir die Füsse zu küssen.
Gruppe II
fragt nach: Warum «mehr»? Und nun kann ich ihnen alle meine Diplome und
Zusatzdiplome, allem voran natürlich meine Künstlerische Ausbildung (KA)
Chorleitung um die Ohren hauen, ohne schlechtes Gewissen, denn SIE haben ja
danach gefragt.
Als wir es
von meinen täglichen 500m Brust haben, erwähne ich ganz beiläufig, Schwimmen
sei «mehr als nur ein Sport», und wieder haben wir die erste Gruppe, die mit
verzückten Gesichtern auf mein Parkett sinkt, und ich kann sie nur mit Mühe
davon abhalten, mir die Füsse mit Rosenöl zu salben, Rosenöl macht auf
Holzböden nämlich ganz hässliche Flecken, und dann die zweite Gruppe, die
fragt. Hier hole ich weit aus, von der Herkunft des Menschen aus dem Meer, von
unseren ersten 9 Monaten im Wasser, und so bekommt mein Schwumm (sic!) etwas
Holistisch-Spirituelles, etwas Philosophisch-Ganzheitliches, was natürlich
Blödsinn ist, aber die anderen hatten gefragt…
Eine
Berlinreise sei «mehr als nur Ferien» sage ich in einer Runde, und wieder die
beiden Varianten, hier Andacht und Verzückung, dort Frage, und ich schlag der
zweiten Gruppe die Bühnen von BE bis Deutsche Oper, sämtliche Museen und
Ausstellungen auf den Kopp, ohne dass ich vergässe zu erwähnen, dass die
historische Dimension, die Greifbarkeit der Geschichte… hier findet noch einmal
alles vom Grossen Kurfürsten bis Angie Platz.
Und nun habe
ich es begriffen. Der saudumme Ausdruck «mehr als» bringt dem, der ihn setzt,
nur Vorteile. Entweder die Zuhörer fallen vor dem «mehr» in religiöse
Verzückung und wälzen sich trancehaft auf dem Boden oder sie fragen nach und
dann kann man sie bombardieren.
Mehr als ein
Konzert
klingt
einfach so viel besser als «Konzert mit Tanz- und Sprecheinlage», was es ja
wahrscheinlich ist.
Mehr als
eine Badewanne
klingt so
viel besser «Badewanne mit Whirldüse», denn sicher hat die Wanne eine solche,
an den Unterwassersound und den Unterwasserfarbgeber für Mahler und Skrjabin
glaube ich nicht.
Und bei
TUI®? «Mehr als Urlaub» ist ja ein totaler Quatsch, denn zum Urlaub kann ja
alles gehören, wenn ich aber anrufe und frage, was das «mehr» bedeute, bin ich
ja genauso ein Gruppe 2-Opfer und die Dame an der Leitung haut mir alle
Animationsangebote und die Speisekarte um die Nase. Und speichert meine
Telefonnummer. Und verkauft sie weiter.
So, genug
lamentiert für heute.
Bleiben Sie
mir gewogen, liebe Leserin, lieber Leser,
denn
DIE
DIENSTAG-FREITAG-GLOSSE IST MEHR ALS EINE GLOSSE
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