Donnerstag, 10. März 2016

Warum "mehr als..."???


"Mehr als nur ein Konzert"
wirbt ein Plakat in der Innenstadt.
Mehr als nur ein Konzert
und ich frage mich, was dieses «mehr» nun zu bedeuten hat. Ist es ein Musical, eine Show, eine Oper, aber wieso schreibt man dann nicht gleich den Fachbegriff? Machen die Künstlerinnen und Künstler noch irgendwas extra? Tanzen sie? Ziehen sie sich lustige Kleider an? Töten sie Tiere auf offener Bühne oder werfen sie mit Luftschlangen? Was bedeutet dieses «mehr», das man nun ständig liest?
"Mehr als eine Badewanne"
wirbt eine Sanitärfirma in ihrem Prospekt für ihr neuestes Luxusprodukt.
Mehr als eine Badewanne
und ich frage mich, was nun das schon wieder meint. Ist es eine Badewanne mit Schäumfunktion? Aber dann könnte man doch gleich Whirlpool schreiben. Kann man darin Längen ziehen? Aber dann wäre es doch ein Schwimmbad. Was kann diese Badewanne, das sie «mehr» als eine Badewanne ist? Vielleicht gibt es Unterwassersound, so dass ich während des Mango-Erdbeer-Schaumbades noch Mahler VII hören kann. Vielleicht hat es Unterwasser-Farbeffekte, dann könnte man Skrjabins grosse Erlösungskomposition unter Wasser mit den entsprechenden synästhetischen Rot- und Blautönen hören. Vielleicht fliegt diese Mehr-als-eine-Badewanne-Badewanne, vielleicht fährt sie oder brät Spiegeleier, man weiss es nicht.
Überall werde ich bombardiert mit Dingen, die mehr sind als sie selbst:
TUI® bietet mir 2 Wochen Türkei, die mehr sind als Urlaub.
In Jack’s Gym bekomme ich mehr als Fitness und mehr als Krafttraining
Und bei Mooncracks bekomme ich Kaffee, der – Sie erraten es – MEHR als Kaffee ist.
Was soll der Mist, warum wird einem stets etwas angepriesen, das «mehr als» etwas anderes, aber auch nichts anderes ist?
Ich mache einen Test:
In Gesprächen flechte ich ganz elegant und smart ein, ich sei ja «mehr als nur ein Singlehrer». Nun kann man die Zuhörer jeweils zwei Gruppen zuordnen: Gruppe I lauscht gebannt und fällt dann in andächtiges Schweigen, die Mienen bekommen religiös-erstaunte Züge und ich kann die Leute dieser Gruppe nur mit Mühe davon abhalten, vor mir auf den Boden zu fallen und mir die Füsse zu küssen.
Gruppe II fragt nach: Warum «mehr»? Und nun kann ich ihnen alle meine Diplome und Zusatzdiplome, allem voran natürlich meine Künstlerische Ausbildung (KA) Chorleitung um die Ohren hauen, ohne schlechtes Gewissen, denn SIE haben ja danach gefragt.
Als wir es von meinen täglichen 500m Brust haben, erwähne ich ganz beiläufig, Schwimmen sei «mehr als nur ein Sport», und wieder haben wir die erste Gruppe, die mit verzückten Gesichtern auf mein Parkett sinkt, und ich kann sie nur mit Mühe davon abhalten, mir die Füsse mit Rosenöl zu salben, Rosenöl macht auf Holzböden nämlich ganz hässliche Flecken, und dann die zweite Gruppe, die fragt. Hier hole ich weit aus, von der Herkunft des Menschen aus dem Meer, von unseren ersten 9 Monaten im Wasser, und so bekommt mein Schwumm (sic!) etwas Holistisch-Spirituelles, etwas Philosophisch-Ganzheitliches, was natürlich Blödsinn ist, aber die anderen hatten gefragt…
Eine Berlinreise sei «mehr als nur Ferien» sage ich in einer Runde, und wieder die beiden Varianten, hier Andacht und Verzückung, dort Frage, und ich schlag der zweiten Gruppe die Bühnen von BE bis Deutsche Oper, sämtliche Museen und Ausstellungen auf den Kopp, ohne dass ich vergässe zu erwähnen, dass die historische Dimension, die Greifbarkeit der Geschichte… hier findet noch einmal alles vom Grossen Kurfürsten bis Angie Platz.
Und nun habe ich es begriffen. Der saudumme Ausdruck «mehr als» bringt dem, der ihn setzt, nur Vorteile. Entweder die Zuhörer fallen vor dem «mehr» in religiöse Verzückung und wälzen sich trancehaft auf dem Boden oder sie fragen nach und dann kann man sie bombardieren.
Mehr als ein Konzert
klingt einfach so viel besser als «Konzert mit Tanz- und Sprecheinlage», was es ja wahrscheinlich ist.
Mehr als eine Badewanne
klingt so viel besser «Badewanne mit Whirldüse», denn sicher hat die Wanne eine solche, an den Unterwassersound und den Unterwasserfarbgeber für Mahler und Skrjabin glaube ich nicht.
Und bei TUI®? «Mehr als Urlaub» ist ja ein totaler Quatsch, denn zum Urlaub kann ja alles gehören, wenn ich aber anrufe und frage, was das «mehr» bedeute, bin ich ja genauso ein Gruppe 2-Opfer und die Dame an der Leitung haut mir alle Animationsangebote und die Speisekarte um die Nase. Und speichert meine Telefonnummer. Und verkauft sie weiter.
So, genug lamentiert für heute.
Bleiben Sie mir gewogen, liebe Leserin, lieber Leser,
denn
DIE DIENSTAG-FREITAG-GLOSSE IST MEHR ALS EINE GLOSSE


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