Es gibt
Tage, da fühlt man sich jung und dynamisch. Da spürt man schon beim Aufwachen
Kraft und Energie, da tanzt man zur Kaffeemaschine, wo man mit ungeheurem
Schwung ein Pad einwirft und dann ins Bad, wo man versucht ist, mit den Seifen
zu jonglieren. An Tagen wie diesen fühlt man sich wie 20 und man möchte das
Fenster aufreissen und «Credo! Credo!» hinaussingen, überlegt ignorierend, dass
man ja, wäre man wirklich keine 30, diese Deo-Reklame aus den 80ern gar nicht
kennen könnte. An solchen Tagen möchte man Bäume ausreissen und mit dem Wolf
oder Bär steppen, da hat man Lust ein Bild zu malen oder Usbekisch zu lernen,
da will man die Welt und die Wale retten, da kommt man auf die wildesten Ideen:
Eine Hula-Hoop-Schule gründen, einen Film über das Leben von Leonhard Euler
drehen (Arbeitstitel Lost in Addition)
oder 2067 Senf-Muffins backen und an Passanten verschenken. An solchen Morgen
zieht man sich hip und stylisch an, man verschmäht den Mantel und stürmt mit
Basecap und Kapuzenshirt – und NIKE®-Sneaker, natürlich – aus dem Haus, wo die
verschreckten Fussgänger nur auf die Seite hüpfen können: «Hoppla, jetzt komm
ich! Alle Türen auf, alle Fenster auf und die Strasse frei für mich!» (Auch
wieder ignorierend, dass ein Twen diesen Hans Albers-Hit nicht mehr kennen
kann.)
An Tagen wie
diesen sind dann auch die Reaktionen der Mitmenschen entsprechend: Da bekommt
man Komplimente für seine hyperschicke Brille und im Museum Studentenrabatt, da
glaubt einem keiner sein Alter und am Görlitzer Bahnhof quatschen einen die
jungen farbigen Dealer an, ob man Gras haben möchte. Es kann sogar passieren,
dass man im Tram für eine ältere Dame aufstehen muss, aber das nimmt man in
Kauf. An solchen Tagen liegt das Leben weit vor einem, und es ist einem völlig
schleierhaft, was man in 15 Jahren sein wird. (Rentner, aber diese Antwort
ignoriert man.)
Und dann
gibt es Tage, da ist es genau umgekehrt: Da wacht man auf und fühlt sich wie
95, da schlurft man in die Küche und löffelt mit zitternder Hand Instantkaffee
in eine Tasse, weil man sich der Pad-Maschine geistig nicht gewachsen fühlt, da
lässt man das Waschen sein, weil das Wasser zu kalt ist und wählt sorgfältig
eine graue Hose und einen braunen Pullunder aus dem Kleiderschrank. An solchen
Tagen knacken die Beine und ächzen die Arme, da hätte man gerne einen Rollator,
um die notwendigen Einkäufe (Herzpillen, Faltencreme und Klosterfrau
Melissengeist) einigermassen in der Zeit zu schaffen. An Tagen wie diesen sieht
man im Spiegel – wie Doris Dörrie so schön schreibt – schon den Totenkopf einem
entgegengrinsen. An solchen Vormittagen lässt man die Bäume stehen und will
weder Sprache lernen noch Firma gründen, an solchen Vormittagen sucht man im
Branchenverzeichnis (Internet? Was ist das? Kann man das essen? Ist was für
Junge…) nach Betreutem Wohnen und Geschäften, die Stützstrümpfe führen.
An solchen
Tagen sind dann auch die Reaktionen der Mitmenschen entsprechend: Da wird einem
im Tram sofort ein Platz angeboten, da fragt der Nachbarsjunge, ob er die
Einkaufstaschen tragen soll und im Museum wird, ohne zu fragen, der
Rentnerpreis verlangt. Da sagt die Frau an der Schwimmbadkasse, wenn man den
Eintritt für seine 500m-Runde zahlt: «Wenn Sie zum AquaFit wollen, das hat
schon angefangen.» An Tagen wie diesen liegt das Leben weit, weit hinter einem
und es ist einem völlig schleierhaft, was man vor 15 Jahren war. (Jung, aber
diese Antwort ignoriert man.)
Wenn man
sich jung fühlt, behandeln die Leute einen als jung, finden die Sneakers cool
und bieten einem Drogen an, wenn man sich alt fühlt, behandeln die Leute einen
als Greis und wollen einen zur Wassergymnastik schicken. Könnte man letzteres
als Teufelskreis bezeichnen, müsste ersteres wohl ein Engelkreis sein. Wie
kommt man aber nun vom Teufels- in den Engelkreis?
Hier setzt
nun die Werbung ein. Glaubt man ihr, liegt es nur an der Wahl der richtigen
Produkte, ob man als Tattergreis oder als jugendlicher Held in den Tag startet.
Erwachen Sie am Morgen müde und zerknautscht, haben Sie vielleicht in der
falschen Bettwäsche geschlafen. Hätten Sie TSCHUBI®-Baumwollwäsche aus
Tradition (250.- pro Garnitur) genommen, würden Sie wie eine afrikanische
Rennschwalbe in den Tag segeln. Oder brauchen Sie ein neues Duschgel? Mit
OLVIA® (in den Duftvarianten Minze, Limone und Mango) tanken Sie beim Brausen
so viel Energie, dass Sie gar nicht wissen, wohin damit. Wenn Sie dann, aus
TSCHUBI® gestiegen und mit OLVIA® geduscht, noch einen RUSTA®-Kaffee trinken,
wachsen Ihnen förmlich Flügel. Oder brauchen Sie doch ein Tonikum, vielleicht SANOPROMPT®
mit Ginseng und Rosmarin? Das verjüngt um 20 Jahre, sagt die Firma.
Möglicherweise kann auch ein wenig Sport am Morgen helfen, aber nur in den
richtigen Kleidern und in den richtigen Schuhen, auch hier gibt es genügend
Marken, die Ihnen zur Seite stehen.
Natürlich
ist das alles Quatsch. Der Mann, der in den 80ern in der Deodorant-Werbung das
Fenster aufriss und «Credo-Credo» rausbrüllte (Ein Wunder, dass die Firma nie
wegen Blasphemie drankam), also dieser Mann WAR jung, WAR dynamisch, WAR
ausgeschlafen und frisch, genauso wie die CK-Models auch alle jung, fit,
waschbrettbäuchig und durchtrainiert sind, genauso wie OLVIA®-Vorduscher, die
RUSTA®-Trinker und die TSCHUBI®-Schläfer. Alle diese Figuren haben genau das
Problem, sich jung und fit zu fühlen, nicht, denn sie sind jung und fit.
Was hilft
nun?
Die Antwort
ist so einfach wie kurz: Gar nix.
Man muss
einfach akzeptieren, dass es solche und solche Tage gibt. Manchmal fühlt man
sich jung und manchmal alt.
Und:
Sie können
ja immer noch reagieren. Sie müssen den angebotenen Sitzplatz nicht nehmen, und
Sie müssen nicht ins Aquafit. Umgekehrt müssen Sie die angebotenen Drogen auch
nicht kaufen.
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