Ich besorgte mir ein Tagesticket der Fuldaer
Verkehrsbetriebe und machte mich auf den Weg. Auf dem ersten Hügel erwartete
mich ein 60er-Jahre-Beton-Viertel mit zentralem Platz, Begegnungsstätte, Kirche
und PENNY inklusive, aber keine Aussichtsmöglichkeit. Beim Heruntersteigen von
Hügel 2 (Villenviertel) hätte es viele Fotomöglichkeiten gegeben, aber diese
wären alle von den Wohnzimmerfenstern der Einwohner aus gewesen. Darf man
einfach so bei wildfremden Leuten schellen und fragen, ob man von der Wohnstube
aus fotografieren darf? Ich beantwortete die Frage mit Nein.
Warum, diese Frage allerdings kam mir auch, warum stellt die
Stadt Fulda keine Aussichtstürme auf? Warum baut sie keine
Aussichtsplattformen? Warum will man nicht, dass die Domstadt in ihrer ganzen
Schönheit und mit ihrer Umgebung auf Zelluloid gebannt wird? (Dies als
Metapher, ich weiss, dass das Digitalbild diesen Stoff nicht mehr braucht.)
Was hat die Stadt zu verbergen?
Der dritte Versuch war der Frauenberg, ein Klosterberg im
Westen der Stadt, der auch im Reiseführer ob der Aussicht gerühmt wurde. Ich
fuhr also mit der Buslinie 1 hoch und sah schon von weitem die Klosterterrasse
und wusste: Da gibt es ein Foto.
Gab es nicht, weil ich nicht zur Aussichtsterrasse kam. Das
(noch bewohnte) Kloster war nämlich verschlossen, ein geschlossenes Kloster
also, was eigentlich nicht verwunderlich ist, kommt doch das Wort Kloster von
claustrum, was ja verschlossen heisst. Also war auch die dritte Fahrt ein Metzgersgang.
Am nächsten Tag durchstreifte ich Läden und Kioske nach
Postkarten oder Bildbänden mit meinem Motiv: Fehlanzeige. Es gibt kein Foto mit
Fulda von oben, in die Landschaft gebettet.
Nun wurde ich ein wenig sauer auf die Klosterschwestern,
hocken die einfach da oben, lassen niemand rauf und geniessen die Aussicht
selber, wäre doch IHRE Terrasse der ideale Platz für einen unverstellten,
herrlichen Blick über die Domstadt.
Dann aber kam ich ins Nachdenken: Warum dürfen Nonnen nicht
eine schöne Aussicht haben? Du liebe Zeit, die Frauen tun den ganzen Tag nichts
als singen und beten, sie verzichten auf Sex and Drugs and Rock’n Roll, sie weben am
spirituellen Faden der Welt wie weiland die Nornen, dann dürfen sie das doch
auch an einem schönen Ort mit schöner Aussicht machen. Übrigens singen und
beten sie natürlich nicht nur, manche schreiben, manche komponieren, manche
malen, viele sind beruflich tätig, und das nicht nur in der Pflege.
Nein, gönnen wir den Bonifazianerinnen vom Frauenberg (Sie
müssen in Fulda doch Bonifazianerinnen sein, oder?) ihre Aussicht und ihre
Terrasse, denn:
Einem Nadelstreifenheini in der Teppichetage gönnen wir die
Aussicht ja auch. Jetzt können Sie einwenden, dass ein CEO ja etwas Wichtiges tue, er scheibe Mails und lese welche, er mache Meetings und halte Vorträge mit Kraftpunktpräsentationen, er sei den ganzen Tag am Rödeln und Schuften und Denken und Leiten, dann solle man ihm auch die Aussicht gönnen. Gut, aber was tut ein CEO wirklich, wenn man die Aktionen abzieht, die er zur Rechtfertigung seines
Gehaltes anstellt? Ist das Gebet der Schwestern nicht genauso nötig oder unnötig wie die Meetings in der 25. Etage der UZMUS AG?
Auf jeden Fall ist eine Messe mit Nonnengesang ästhetisch schöner als ein Vorstandsmeeting mit Kraftpunkt.
Und:
Der CEO hat ja ein verdammt hohes Gehalt PLUS Bonus PLUS Aktien PLUS Aussicht und die Bonifazianerinnen haben KEIN Gehalt, Bonuszahlungen und Aktien und KEINEN Sex und KEINE Partys und NUR die Sicht auf die Rhön.
Nein, gönnen wir den Nonnen ihre Aussichtsterrasse.
Fulda ist eine schöne Stadt. Dom, Schloss, Park und Altstadt sind wirklich sehenswert.
Und vielleicht baut die ja die UZMUS AG ein Bürohochhaus, ein ganz grosses, scheussliches, das höchste Gebäude von Nordhessen.
Dann sollte die Stadt Fulda unbedingt, auf jeden Fall und strikt, sie sollte ganz rigoros und ohne Diskussion, sollte tapferst auf einer Aussichtsplattform mit Publikumszugang bestehen, beharren, darauf pochen und hinarbeiten.
Was ja andere Städte versäumt haben sollen…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen