Dienstag, 3. November 2015

Herbstreise IIIa: Menschen brauchen Pleonasmen

Ich habe neulich von einem verschlossenen Kloster geschrieben, was –wie ich selbst sofort bemerkte – ja ein schauderhafter Pleonasmus ist. Ein Kloster (claustrum) ist ein mehr oder weniger abgeschlossener Ort, sonst würde es nicht so heissen.

Tage später stiess ich auf einen weiteren herrlichen Pleonasmus. Der Sachbearbeiter vom Kulturamt sagt mir am Telefon, er brauche schriftliche Unterlagen von mir. Nachdem ich ihm diese zugesagt hatte (und aufgelegt) bekam ich einen Lachanfall. Hätte nicht es gereicht entweder von Schriftlichem oder von Unterlagen zu reden, denn sind Unterlagen nicht stets schriftlich? ich jedenfalls kann mir zwar einen mündlichen Vertrag, aber keine mündlichen Unterlagen imaginieren. Das Schlimme an mündlichen Verträgen ist ja, dass es KEINE Unterlagen gibt.

Dann sprach eine Bekannte von einer DOODLE-Liste, die sie erstellen müsse. Als ich sie fragte, ob nicht alle DOODLEs Listen seien, erwartete ich eigentlich, dass sie sagen würde: „Lebst du hinterm Mond? Inzwischen kann man DOODLEs als Aquarium, Zwergendorf, als Obstbaum oder Autobahn, als Volière oder Palette darstellen lassen, jeder Fisch, Zwerg oder Vogel, jedes Auto, jede Frucht oder Farbe steht für einen Termin und Fisch, Zwerg, Vogel, Frucht, Fahrzeug oder Farbtupfer wächst, wenn du draufklickst.“ Sie sagte das aber nicht, sondern nur, dass ich recht hätte und jeder DOODLE natürlich eine Liste sei.

Aber jetzt mal ganz ehrlich: Die Pleonasmen klingen einfach besser.
Ist es nicht viel drastischer, wenn es nicht nur ein Kloster, sondern ein verschlossenes Kloster ist? Wirkt der Sachbearbeiter nicht viel dringlicher, wenn er nicht nur Unterlagen, sondern sogar schriftliche Unterlagen von mir will? Ist es nicht viel, viel professioneller nicht den Zwergen-DOODLE, den Fisch-DOODLE oder den Obst-DOODLE zu wählen, sondern eine DOODLE-Liste?
Die Menschen wollen Pleonasmen. Sie wollen und brauchen Doppeltgemoppeltes, sie lechzen nach überflüssig Dazugesagtem. Sie arbeiten dann schneller, sie sind mehr beeindruckt, sie sind leichter zu überzeugen und sie sagen schneller ja.

Und sie kaufen mehr.

Sie glauben mir nicht?
Machen wir den Test.

Gemüsehändler A stellt folgendes Schild in sein Schaufenster:
HEUTE IM ANGEBOT:
TOMATEN, GURKEN, ZUCCHINI UND KAROTTEN
Gemüsehändler B schreibt das Folgende:
HEUTE IM ANGEBOT:
TOMATEN, GURKEN, ZUCCHINI UND KAROTTEN
VEGAN, LAKTOSEFREI UND FÜR ROHKÖSTLER GEEIGNET

Wo würden Sie kaufen? Hand aufs Herz? natürlich beim zweiten.
Obwohl es völliger Quatsch ist.
Gemüse ist IMMER vegan, die einzige Pflanze, die nicht vegan ist, ist eine Venusfliegenfalle während des mehrere Tage dauernden Verdauungsvorgangs. Aber mal ehrlich, wer isst schon eine Venusfliegenfalle, egal ob mit oder ohne Insekt drin?
ALLE Pflanzen sind laktosefrei, was soll der Milchzucker da auch drin, wenn schon Fruchtzucker drin ist?
Alles Gemüse ist. nein, halt, das stimmt jetzt nicht, Kartoffeln und Auberginen können roh nicht verzehrt werden, wenn aber die Gemüsesorten genannt werden, ist ja einigermassen klar, dass ein Händler die Waren nicht im gekochten Zustand verkauft. Und dann ist eine rohe Tomate, eine rohe Gurke, eine rohe Zucchini oder Karotte eben auch für Rohköstler probat, es sei denn, er würde sie kochen, aber dann wäre er ja kein Rohköstler.
Händler B schreibt also pleonastischen Nonsens, aber er wird mehr Kunden haben. Irgendwo im Hirn haben wir einen kleinen Wurm, der ständig schreit: „Sag es doppelt! Sag es doppelt! Dann werde ich es gläubig glauben!“ (Natürlich redet der Wurm auch in Doppelungen)

Nein, wir lieben Pleonasmen, wir brauchen sie, wir wollen die DIN-Norm und die Tsunami-Welle, und deshalb werde ich auch weiterhin vor verschlossenen Klöstern stehen, schriftliche Unterlagen zusammensuchen und DOODLE-Listen erstellen.

Und pleonastisch für meinen Online-Blog schreiben.



1 Kommentar:

  1. Unsere mehrköpfige WG is einstimmig gleicher Meinung: Super Webblog!

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