Was sagt der Chorleiter zu seinen Leuten, als man ihn darauf
anspricht, dass es schliesslich nur noch fünf Wochen bis zur Aufführung von
Händels Messias sei und man gewisse
Teile, darunter die nicht so ganz unhappigen Sein Joch ist sanft, Lasst uns brechen ihre Bande und das Schluss-Amen noch gar nicht
geprobt habe. Es gebe zwar noch das Weekend, aber das entspreche einfach vier
Proben und man mache sich einfach Sorgen…?
Wir schaffen das.
Was sagt der Lehrer zu seinen Schülern, als sie maulen, dass
man den geplanten Zug heim niemals erreichen werde, weil der Weg vom
Nubliberger See (OW) zum Bahnhof Nubliberg (OW) ja schlechterdings nicht kürzer
sein könne als der Weg von der Station zum Gewässer, und auf dem Hinweg habe
man eine Dreiviertelstunde gebraucht, während für den Rückweg nur 20 Minuten
blieben…?
Wir schaffen das.
Was sagt der Schreinermeister zum Gesellen, als dieser
dezent bemerkt, dass die Annahme der Komplettrevision des Vredespalais in Den
Haag zwar ein toller Auftrag sei, das Ganze sei
aber angesichts der Tatsache, dass das Vredespalais die schönstes
Intarsien Europas habe und weder der Meister noch der Geselle in den letzten
Jahren intarsiert habe (von den
Lehrlingen ganz zu schweigen) ?
Na?
Sie ahnen es:
Wir schaffen das.
Wäre es nicht ehrlicher, wenn der Chorleiter sagen würde:
„Leutchen, die Plakate sind gedruckt und die Presse ist informiert und die
Programme sind auch schon gemacht, also wir können nicht einmal kürzen, das
heisst wir müssen es einfach probieren.“
Wäre es nicht ehrlicher, wenn der Lehrer sagen würde:
„Kinder, es wird extrem stressig, aber jetzt machen wir einen Dauerlauf, und
vielleicht erwischen wir den Zug noch, und wenn er uns vor der Nase wegfährt,
dann spendiere ich am Bahnhof Nubliberg eine Glace.“
Wäre es nicht ehrlicher, der Meister würde bemerken: „Wir
haben einen Vertrag und den müssen wir erfüllen. Das heisst in Worten: Noch
zwei Gesellen einstellen, sehr viel Überstunden und alles an Intarsienwissen
aus den Windungen unserer Gehirne holen, was da irgendwie zu finden ist,
immerhin haben wir es ja beide in den Prüfungen gemacht.“
Wir schaffen das.
Ich habe eine grosse Hochachtung vor Angie. Ich finde es
beeindruckend, dass endlich mal wieder ein Politiker, eine Politikerin für eine
grosse, eine humane Sache mit allen Risiken, auch dem des eigenen Scheiterns
eintritt – der letzte war Willy Brandt. Ich finde es unmöglich, wie sie auf dem
CSU-Parteitag wie ein Schulmädchen mit schlechten Noten öffentlich abgewatscht
wird. Ich finde es super, dass sie, wie sie sagt, nicht in einem Land wirken
will, das Hilfsbedürftigen die klate Schulter zeigt, aber wäre es nicht
ehrlicher zu sagen:
Wir schaffen es vielleicht.
Wir schaffen vielleicht auch nicht, aber wir haben keine
Wahl.
Wir müssen es probieren.
An die Arbeit, es muss versucht werden.
Es wird ganz, ganz schwer, aber es muss getan werden.
Wir schaffen das
ist eine gewaltige Aussage, die nur der machen kann, der (im
Gegensatz zum Angesprochenen) eine Situation schon 1000fach erlebt hat. Aber welcher
Politiker hat schon 235 Flüchtlingskrisen erfolgreich hinter sich gelassen?
Das Konzert wird übrigens ein Erfolg, kein glanzvoller, aber
ein ordentlicher. Mit einigen falschen Tönen hangelt sich der Chor durch das
Notenlabyrinth des MESSIAS. Spass macht es nicht wirklich, aber man kommt durch
und muss nie abbrechen.
Die Schulklasse erreicht den Bahnhof Nublingen nach
olympiareifem Spurt 10 Minuten zu spät und erwischt noch den Zug, der
betriebsbedingt 15 Minuten Abfahrtsverspätung erhält.
Und die Schreiner renovieren erstklassig das Vredespalais,
nachdem sie einen holländischen Gesellen aufgetrieben haben, der auch schon
1978 bei der letzten Revision dabei war.
Wir schaffen das.
Vielleicht.
Aber wir haben keine Wahl.
Wir schaffen das.
Vielleicht.
Aber wir haben keine Wahl.
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