Donnerstag, 5. November 2015

Herbstreise IV: Riesen-Bon für eine Brezel in Kassel

In Kassel hole ich mir am Bahnhof Wilhelmshöhe eine Butterbrezel. Sie kostet 1,20.- und rettet mich vor dem Hungertod und bis zum Nachtessen bei einem meiner besten Freunde, da ich noch auf den Fernbus meines Partners warten muss, der 90 Minuten Verspätung hat. (Ja, auch das gibt es, mein Zug hatte nur 30 Minuten.) Jedenfalls hole ich mir dieses leckere, mit feiner Butter bestrichene Laugenteil und erhalte ausser diesem noch eine Serviette und  eine Quittung. Ich habe gar keine Chance, diesen Beleg abzulehnen, denn die Verkäuferin schiebt ihn mir direkt in die Hand. Nun gut, denke ich, nehme ich ihn halt mit und werfe ihn selber weg. Als ich aber einen Blick darauf wage, interessiert er mich so sehr, dass ich mir einige Dinge notiere.

Auf dem DIN A 7 grossen Zettel sind nämlich die folgenden Informationen vermerkt:

Firmenlogo
Hauptsitz der Bäckerei mit Adresse, Telefonnummer und Faxnummer
Filiale am Bahnhof mit Adresse, Telefonnummer und Faxnummer
Website der Bäckerei
E-Mail-Adresse der Bäckerei
Facebook- und Twitter-Angaben
Steuernummer des Unternehmens

Preis der Brezel
Anteil Mehrwertsteuer
Anteil diverser Abgaben, deren Kürzel ich nicht entziffern kann (Gewerbesteuer? Kirchensteuer?)
Der von mir gezahlte Betrag
Rückgeld

Uhrzeit
Name der Verkäuferin (Es bediente sie…)
Der Dank für meinen Entscheid für DIESE Bäckerei
Der Dank für meinen Einkauf
Der Wunsch, ich möge einen schönen Tag haben
Der Wunsch, ich möge sie bald wieder beehren

Gute Güte! Wer braucht so etwas? Oder bin ICH verkehrt und andere benutzen diese Infos tatsächlich?
Vielleicht gibt es wirklich Menschen, die ob der Butterigkeit und Laugigkeit der Brezel so von den Socken sind, dass sie sich sofort mit der Bäckerei auf Facebook befreunden und ihr auf Twitter folgen. Vielleicht gibt es aber auch Leute, denen die Brezel eben nicht butterig genug und laugig genug war, und die sich darob beschweren, per Telefon, Fax, per Mail oder Brief. Vielleicht gibt es auch Menschen, die so eine Quittung für die Steuer aufbewahren oder sogar die Mehrwertsteuer abziehen dürfen.

Ich halte sie allerdings schlicht und einfach für hobbylos.

Und warum wird mir der Name der Verkäuferin genannt? Damit ich das nächste Mal sagen kann, ich möchte nur von ihr bedient werden? („Ist Frau XY da? Nein? Dann komme ich wieder, wenn sie arbeitet.“) Oder gibt es Leute, die nicht nur die Butterigkeit oder Laugigkeit der Ware erwähnen, sondern auch solche, die bei ihrem Anruf, Fax, Telefon, Mail die Qualitäten von Frau XY erwähnen?
Und wenn es ein junger, knackiger VerkäufER gewesen wäre, dann hätte ich doch ausser seinem Namen eben gerne auch SEINE Telefonnummer, seine Mail und sein Facebook gehabt, warum sind die nicht drauf?

Das Ganze ist ein riesengrosser Schwachsinn.

Stellen wir mal diese Rechnung an:
Pro Stunde werden geschätzte 100 Quittungen herausgegeben. Das macht bei einer Öffnungszeit von 12 Stunden 1200 pro Tag, knappe 440.000 im Jahr. Rechnen wir nun die Papiermenge in A4 um, ergeben sich 55.000 Blatt Papier. Legen Sie mal den Packen von Ihrem Vorrat auf Ihren Tisch, das sind 500 Blatt, stapeln Sie davon 110 in Ihrem Büro. Das ist eine ganze Menge Zeug.

Ebenso die Zeit: Wenn die Kunden den Zettel liegen lassen, und das machen praktisch alle, aber rechnen wir mal 90 pro Stunde, und wenn die Verkäuferinnen und Verkäufer zwei Sekunden für das Entsorgen eines Bons brauchen, sind das immerhin 219 Stunden im Jahr, ca. 4 in der Woche.

Was für eine Verschwendung von Zeit und Geld.

Aber vielleicht bin ich ja verkehrt, vielleicht heben die Leute das wirklich für die Steuer auf, vielleicht GEHEN sie auf die Website und RUFEN an, um die Butterigkeit oder Nichtbutterigkeit oder die Laugigkeit oder Nichtlaugigkeit von Brezeln zu diskutieren. Vielleicht SIND auch schon alle mit Bäcker X auf Facebook befreundet und ich bin der Ewiggestrige.

Soll ich eventuell doch mal die Nummer wählen?
Die Hauptfigur von Tommy Jauds MILLIONÄR würde es tun, er tut den ganzen Tag nix anderes als Hotlines anzurufen und sich zu beschweren.
Allerdings ist er auch sehr hobbylos.
Und arbeitslos.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen