Montag, 9. November 2015

Herbstreise V: Regeln für ANGESAGTE Locations

Als ich Fred, der seit drei Jahren in Berlin arbeitet, anrief und ein Treffen vorschlug, hatte ich gehofft, er werde mit mir wieder in die Spreeklause wollen, eine richtige alte Eckkneipe, in der die Wirtin noch häkelt, wenn nix zu tun ist, in der man noch Striche auf den Bierdeckel macht und wo noch Soleier und Buletten auf dem Tresen stehen. Oder wenigstens ins Café Kuppertz, eigentlich ein Tagescafé, ein Omacafé mit Flechtstühlen und Ölbildern, das immerhin bis 22.00 auflässt, wenn Stammgäste kommen und wo man dann auch einen guten Rotwein und einen herrlichen Sherry bekommt.
Aber Nein.
Fred wollte ins PHOENIX, eine angesagte Location, die er noch nicht kannte, er wollte dorthin aus dem einen Grund, weil sie eben angesagt ist. Nachdem ich schon am Abend zuvor mit meiner Cousine Maggie, die es jetzt auch in die Hauptstadt verschlagen hat, statt im Omacafé Könicke oder der Urkneipe Havelklause in der angesagten Location SPIDER gewesen war und zwei Abende zuvor es mich völlig aus Versehen in die angesagte Location HIGHSPEED verschlagen hatte und ich nun völlig genervt im PHOENIX sass und an meinem Freddy III (angesagter Cocktail) schlürfte und Gigi Boldini (angesagten Sänger) hörte, dachte ich, es wäre an der Zeit ein paar Dinge der angesagten Locations zusammenzufassen, mit dem Ziel, dass sich immer weniger Leute in diese Etablissements  verirren.

* In der angesagten Location werden Sie nicht bedient. Sie müssen Ihren Drink von der Bar holen, und, wenn Sie das für mehrere tun, notfalls drei Gläser, zwei Flaschen und einen Zuckerstreuer irgendwie balancieren.

* Bestellen Sie an der Bar ja nicht ein Bier oder einen Rotwein, Sie ernten einen bösen Blick, Dinge wie Chai Latte oder ein aktueller Cocktail sind angesagt und bekommen wohlwollende Zustimmung des Thekenpersonals.

* Dafür, dass Sie nicht bedient werden zahlen Sie den 1,675-fachen Preis.

* Sind Sie allein, kommen Sie ja nicht auf die Idee ein Buch zu lesen, in einer angesagten Location ist man zu mehreren, oder man liest eine angesagte Zeitschrift oder man arbeitet am Laptop (bzw. Tablet) an einem angesagten Projekt. Vielleicht tut man auch nur so, muss aber aufpassen: Es hat überall Spiegel, die zeigen, ob man in WORD oder auf einer Pornoside ist.

* Eigentlich betritt man die angesagte Kneipe eh niemals, wenn man niemand kennt. Winken Sie also regelmässig jemandem zu. Vielleicht nur dem Garderobenständer. Oder einem Poster. Oder brüllen Sie regelmässig in Ihr I-Phone: "Wann kommst du jetzt? Ich sitze schon seit.....im....."

* Sitzen ist ein Problem. Entweder es ist Bistro-Style, dann sind die Stühle für Bulimiker oder es ist Lounge-Style, dann kommen Sie ohne fremde Hilfe aus den Sesseln nie mehr heraus - und brauchen am nächsten Tag einen Physio-Termin um Ihren Rücken wieder zu richten.

* In einer angesagten Kneipe werden Sie geduzt, ob Sie wollen oder nicht. (Siehe Post vom 1.9.)

* Da man durch die An-der-Theke-Bestellung nicht nachvollziehen kann, wie viel schon konsumiert wurde, müssen Sie für Erdnüsse, Chips und Oliven zahlen. Und zwar auch, wenn Oliven, Nüsse und Chips Ihr inzwischen zehntes Bier begleiten.

* Wenn Sie über 50 sind, werden Sie in der angesagten Location auffallen. Angesagte Lokale sind etwas für Leute zwischen 20 und 49. Sie müssen also mindestens angesagte Klamotten und eine angesagte Frisur haben, sonst können Sie gleich mit dem Rollator angerollt kommen.

* In angesagten Locations hat man angesagte Vornamen. Man heisst also Firufila-April oder Roger-Socrates und nicht etwa Schantall oder Kevin. Rufen Sie also niemals den Namen durchs Lokal, wenn der von Ihnen gemeinte keinen angesagten hat. "Kevin, wir sind da drüben!" geht gar nich.

Muss ich Ihnen noch erzählen, dass ich am letzten Abend in Berlin in der Vorstellung von TERROR im Deutschen Theater Matthias und Jack kennenlernte, die durch die gleiche Türe wieder hereinkamen (das Publikum musste ein Gerichtsurteil durch "Hammelsprung" fällen) und die ich nicht für die Spree- oder Havelklause, nicht für Café  Kuppertz oder Könicke begeistern konnte, sondern die unbedingt ins MIKE'S wollten, eine angesagte Location? 

Um es mit Th.B. zu sagen:

Tatsächlich bin ich mit Matthias und Jack ins MIKE'S gegangen.
Der Abend war entsetzlich.

 






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