Dienstag, 6. Oktober 2015

25 Jahre Fehl (zu-früh)-Entscheidung

Berta und Heinz Duppertz haben neulich ihre Silberhochzeit gefeiert. Und da es eben eine Silberhochzeit war, wurde auch nicht gespart, da hatte man das Nebenzimmer vom Schützen gemietet, da hatte man alle eingeladen, Kinder und Enkel und Geschwister und den ganzen Bekanntenkreis, die Leute aus dem Taubenzüchterverein und dem Kirchenchor. Zunächst gab es einen Sektempfang und dann ein Dreigang-Menü, aber was Anständiges, schliesslich weiss man ja, was die Verwandten und Vereinsleute und Chorsänger gerne essen, also nicht so Schnickschnack, nein, es gab erst eine Nudelsuppe, dann Braten mit Gemüse und Pommes und schliesslich einen Eisbecher. Um 21.00 kam dann eine Dreimannkapelle und es wurde getanzt, auf Oldies natürlich, versteht sich fast von selbst. Und alle, die dabei waren, fanden es ein wirklich gelungenes Fest. Nur ganz selten wurde getuschelt, dass die beiden ja eigentlich, also wenn man ehrlich ist, 25 Jahre Fehlentscheidung feierten, nein, Fehlentscheidung trifft’s nicht ganz, Zu-früh-Entscheidung wäre besser. Denn es musste vor 25 Jahren halt alles so schnell gehen, Berta schon schwanger und er noch in der Ausbildung, da hätte man vielleicht noch überlegen sollen. Und man hätte eventuell auch und man hätte, man hätte…

Aber HÄTTE bringt ja nix.

Urs Vögeli hat neulich seine 25jährige Zugehörigkeit zur VONTISAR AG mit einem Apéro begangen. Die ganze Abteilung war eingeladen und es gab einen guten Fendant und einen feinen Cremant, Schnittchen und Schinkengipfeli und Chäschüechli wurden serviert und man stand zwei Stunden zusammen und plauderte. Und auch hier flüsterten nur wenige, dass Urs ja eigentlich, ganz eigentlich 25 Jahre Unglücklichsein beging, denn er habe sich ja eigentlich bei der VONTISAR AG nie richtig wohlgefühlt. Der Eintritt vor 25 Jahren sei halt eine Fehlentscheidung, nein eine Zu-früh-Entscheidung gewesen, Urs hätte vielleicht nicht so schnell unterschreiben sollen, er hätte vielleicht doch das Angebot der ECHRO AG noch prüfen sollen, vielleicht auch nicht so schnell Wohneigentum erwerben, was ihn an eine gut bezahlte Stelle band, er hätte, er hätte…

Aber HÄTTE bringt ja nix.

Und so haben auch die Deutschen 25 Jahre Zusammensein gefeiert und auch hier war es ein schönes Fest, mit viel Musik und Tanz und Reden und Feuerwerk und Würstchenbuden, Gauck war da und Angie war da und alle waren fröhlich. Und auch hier tuschelten nur wenige, flüsterten, munkelten, brabbelten, dass man ja eigentlich 25 Jahre Fehlentscheidung feiere, nein Fehlentscheidung ist das falsche Wort, Zu-früh-Entscheidung, wenn es damals nicht so rasend schnell hätte gehen müssen – warum musste es eigentlich so schnell gehen? – dann hätte man eventuell doch einiges anders machen können…

Vielleicht hätte man McDoof und Schlecker nicht so schnell nach Sachsen und Thüringen lassen sollen, vielleicht hätte man doch nicht alle Nebenstrecken-Schienen der Eisenbahn rausreissen sollen, vielleicht hätte es doch eine neue Hymne und eine neue Flagge gebraucht, vielleicht hätte sich auch im Westen etwas ändern müssen, um richtig neu zu starten, vielleicht hätte man nicht nur die Stasi-Unterlagen sichtbar machen müssen, sondern auch die des Verfassungsschutzes? Vielleicht hätte man…
hätte man…
hätte man…

Aber HÄTTE bringt ja nix.

Berta und Heinz Duppertz haben 25 Jahre geschafft, trotz allem, und nun werden sie auch den Rest ihrer Tage zusammenbleiben. Man hat sich irgendwie zusammengerauft, und nun wird man auch nix Neues mehr anfangen, bis dass der Tod euch scheidet, sagt man doch so.

Urs Vögeli ist jetzt 55 und wird sich für die letzten zehn Jahre auch nix Neues mehr suchen, die Zeit bis zur Rente bringt er auch irgendwie rum. Die ECHRO sucht zwar gerade wieder händeringend Leute, aber wer sagt denn, dass es da wirklich besser ist?

Die Deutschen werden nun auch zusammenbleiben, man hat die 25 Jahre irgendwie hingekriegt, und nun fängt man auch keine Sperenzchen mehr an.

In diesem Sinne:
Glückwunsch, Berta und Heinz, zur Silberhochzeit!
Glückwunsch, Urs, zum Silberfirmeneintritt!
Glückwunsch, ihr Deutschen, zur Silberwende!

Weil:
HÄTTE bringt ja nix.

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